Verwaltungsrecht

Abschiebungsverbot – Afghanistan

Aktenzeichen  M 25 K 15.31093

Datum:
6.6.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylVfG AsylVfG § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S.1
VwGO VwGO § 67 Abs. 4 S. 4, S. 7, § 75, § 91 Abs. 1, § 92 Abs. 3 S. 1, § 101 Abs. 2, § 113 Abs. 5, § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 2, § 167
AsylG AsylG § 24 Abs. 4, § 76 Abs. 1
RDGEG RDGEG § 3, § 5
Asylverfahrens-RL Asylverfahrens-RL Art. 31 Abs. 2
Asylverfahrens-RL 2005 Asylverfahrens-RL 2005 Art. 23 Abs. 2

 

Leitsatz

1 Die besondere – auf Beschleunigung und Konzentration auf eine Behörde gerichtete – Ausgestaltung des Asylverfahrens rechtfertigt bei einer Untätigkeitsverpflichtungsklage eine bloße Verpflichtung der Behörde zur Entscheidung über den gestellten Asylantrag. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine Verpflichtung des Gerichts zum „Durchentscheiden“ bei einer Untätigkeitsklage besteht nicht, wenn weder eine Anhörung des Ausländers erfolgt noch eine Entscheidung des Bundesamts ergangen ist. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.Das Verfahren wird eingestellt, soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat.
Die Beklagte wird verpflichtet, über den Asylantrag des Klägers vom 13. Oktober 2014 innerhalb von drei Monaten ab Rechtskraft des Urteils zu entscheiden.
II.Der Kläger und die Beklagte haben die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte zu tragen.
III.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
VI.Der Gegenstandswert wird auf 5.000,– € festgesetzt.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
1. Die Klage hat zum Teil Erfolg.
1.1. Der Kläger hat seinen Klageantrag in der Hauptsache in zulässiger Weise beschränkt. Soweit die Klage ursprünglich darauf gerichtet war, die Beklagte zu verpflichten, den Kläger als Flüchtling gemäß § 3 Abs. 1 AsylG anzuerkennen bzw. ihm den subsidiären Schutz gemäß § 4 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen bzw. festzustellen, dass bei ihm Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Afghanistan vorliegen, ist das Verfahren einzustellen.
Es handelt sich zwar gemäß § § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 2 ZPO nicht um eine Klageänderung i.S.v. § 91 Abs. 1 VwGO. Allerdings führt die Beschränkung des Klageantrags insoweit zur Klagerücknahme mit der Rechtsfolge des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO (Rennert in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl., 2010, § 91 Rn. 13 m.w.N.).
1.2. Die auf (bloße) Entscheidung über den gestellten Asylantrag gerichtete Klage ist als Untätigkeitsklage gemäß § 75 VwGO zulässig.
1.2.1. Die besondere – auf Beschleunigung und Konzentration auf eine Behörde gerichtete – Ausgestaltung des Asylverfahrens rechtfertigt bei der vorliegenden Untätigkeitsverpflichtungsklage eine bloße Verpflichtung der Behörde zur Entscheidung über den gestellten Asylantrag (vgl. VG Osnabrück, U.v. 14.10.2015 – 5A 390/15 – juris). Eine Verpflichtung des Gerichts zum „Durchentscheiden“ besteht in dieser besonderen Fallkonstellation, in der weder eine Anhörung des Antragstellers erfolgt noch eine Entscheidung des Bundesamts ergangen ist, nicht.
1.2.2. Vorliegend kann auch dahingestellt bleiben, ob die Klage bereits nach Ablauf der Dreimonatsfrist des § 75 Satz 2 VwGO oder erst nach Ablauf der Sechsmonatsfrist des § 24 Abs. 4 AsylG erhoben werden kann, da auch die letztgenannte Frist mittlerweile abgelaufen ist, ohne dass die Beklagte über den Asylantrag entschieden hat.
1.3. Die Untätigkeitsklage ist auch begründet. Der Kläger hat einen Anspruch darauf, dass die Beklagte innerhalb von drei Monaten ab Rechtskraft dieses Urteils über den Asylantrag des Klägers entscheidet (§ 113 Abs. 5 VwGO).
1.3.1. Dieser Anspruch ergibt sich aus Art. 16a Abs. 1 GG sowie aus Art. 31 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Asylverfahrensrichtlinie) bzw. aus Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zu Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (Asylverfahrensrichtlinie alt) als der im Zeitpunkt der Antragstellung noch gültigen Vorgängervorschrift.
1.3.2. Das Bundesamt hat über den Asylantrag des Klägers vom 13. Oktober 2014 in angemessener Frist nicht entschieden.
Welche Entscheidungsfrist angesichts der extremen Steigerung der Zahl der Asylbewerber im Jahr 2015 „angemessen“ ist, kann vorliegend dahingestellt bleiben.
Denn im vorliegenden Fall ist nach mehr als 19 Monaten seit Antragstellung eine angemessene Frist, die auch das berechtigte Interesse eines – bis vor kurzem noch minderjährigen – Asylbewerbers an einer zeitnahen Entscheidung berücksichtigt, jedenfalls abgelaufen; insbesondere unter Berücksichtigung des Umstands, dass noch nicht einmal eine Anhörung stattgefunden hat.
1.3.3. Es liegt auch kein zureichender Grund für die bisherige Nichtentscheidung vor.
Die (dauerhafte) Überlastung des Bundesamts stellt vorliegend keinen zureichenden Grund dafür dar (vgl. dazu VG Osnabrück, U.v. 14.10.2015 – 5 A 390/15 – juris Rn. 33 ff.).
1.3.4. Die gerichtlich festgesetzte Entscheidungsfrist von drei Monaten erscheint dem Gericht unter Berücksichtigung des Alters des Klägers, der bisherigen Dauer des Asylverfahrens und seines Fortgangs einerseits und der Arbeitsbelastung des Bundesamts andererseits als ausreichend.
2. Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich des zurückgenommenen Teils der Klage auf § 155 Abs. 2 VwGO entsprechend und im Übrigen auf § 154 Abs. 1 VwGO.
3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 ff. ZPO.
4. Der Festsetzung des Gegenstandswerts liegt § 30 Abs. 1 Satz 1 RVG zugrunde.


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