Verwaltungsrecht

Abschiebungsverbot im Hinblick auf die palästinensischen Autonomiegebiete und Syrien

Aktenzeichen  M 17 K 15.31564

Datum:
27.5.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 60 Abs. 7
VwGO VwGO § 75
RL (EU) 2013/32 Art. 31 Abs. 3, Abs. 5

 

Leitsatz

Einer minderjährigen Klägerin droht bei einer alleinigen Einreise nach Syrien oder in die palästinensischen Autonomiegebiete eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass im Hinblick auf die Klägerin Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG im Hinblick auf die palästinensischen Autonomiegebiete und Syrien bestehen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II.
Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über die Klage konnte gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, denn die Klagepartei hat ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren erklärt. Das Bundesamt hat generell sein Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Die überwiegend zulässige Klage hat Erfolg. Die Beklagte ist zu verpflichten festzustellen, dass im Hinblick auf die Klägerin Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG im Hinblick auf die palästinensischen Autonomiegebiete und Syrien bestehen.
1. Die auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung von Abschiebungsverboten gerichtete Klage ist als Untätigkeitsklage gemäß § 75 VwGO zulässig.
Die in § 75 Satz 1 VwGO geregelten besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Danach ist die Klage zulässig, wenn über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden ist.
Bis zu welchem Zeitpunkt die Frist für eine Entscheidung über einen Asylantrag noch als angemessen zu bewerten ist, beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalls. Hierbei kommt dem Schwierigkeitsgrad der Entscheidung eine maßgebliche Rolle zu. Der Behörde ist umso mehr Zeit für die Entscheidung einzuräumen, je komplexer sich die im Rahmen der Entscheidung über den Asylantrag ergebenden Fragen in tatsächlicher und/oder rechtlicher Hinsicht darstellen. Daneben kann sich auch eine unklare Erkenntnislage hinsichtlich der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsland sowie die Verletzung von Mitwirkungspflichten durch den Antragsteller fristverlängernd auswirken (vgl. VG Osnabrück, U.v. 14.10.2015 – 5 A 390/15 – juris Rn. 29 ff.).
1.1 Auch im Bereich des Asylrechts gilt als Zulässigkeitsvoraussetzung die Wahrung der dreimonatigen Frist des § 75 Satz 2 VwGO, und zwar im insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatsachengericht (bzw. der gerichtlichen Entscheidung, wenn wie vorliegend ohne mündliche Verhandlung entschieden wird). Die in § 24 Abs. 4 AsylG genannte sechsmonatige Frist bezieht sich demgegenüber nicht auf die Frage der Sachurteilsvoraussetzungen in einem gerichtlichen Verfahren, sondern nur auf die Frage eines Mitteilungsanspruchs gegenüber dem Bundesamt innerhalb des Verwaltungsverfahrens (vgl. VG München, U.v. 8.2.2016 – M 24 K 15.31419 – juris Rn. 27; VG München, U.v. 2.5.2016 – M 17 K 16.30740 – UA S. 7 m.V.a. VG Osnabrück, U.v. 14.10.2015 – 5 A 390/15 – juris Rn. 52; VG Würzburg, B.v. 8.3.2016 – W 1 K 16.30131 – juris Rn. 18). Ungeachtet dessen erinnerte die Klagepartei nach dem Ablauf von 6 Monaten das Bundesamt mehrfach – mit Schreiben vom 4. März 2014 und vom 22. Juli 2014 – an die Bescheidung des Asylantrags und verzichtete auf persönliche Anhörung der Eltern. Hierin ist jedenfalls konkludent ein Antrag i. S. d. § 24 Abs. 4 AsylG zu sehen. Die Klagepartei musste mit seiner Klage keine weitere Zeit zuwarten, weil das Bundesamt ihr keinen Zeitpunkt mitteilte, bis wann über den Asylantrag entschieden wird.
1.2 Die in § 75 Satz 2 VwGO vorgesehenen Dreimonatsfrist wird aktuell nicht durch Art. 31 AsylVf-RL n. F. verlängert (VG Stuttgart, U.v. 23.3.2016 – A 12 K 439/16 – juris Rn. 21; VG Würzburg, B.v. 8.3.2016 – W 1 K 16.30131 – juris Rn. 18, das jedenfalls zur Bestimmung einer angemessenen Entscheidungsfrist auf den Rechtsgedanken der noch nicht unmittelbar anwendbaren Vorschrift des Art. 31 Abs. 3 bis 5 AsylVf-RL n. F. abstellt). Art. 31 Abs. 3 AsylVf-RL n. F. sieht eine grundsätzliche Verfahrensdauer in Asylsachen von sechs Monaten vor, die unter gewissen Voraussetzungen um neun weitere Monate verlängert werden kann. Ausnahmsweise können diese Fristen um drei weitere Monate verlängert werden (vgl. Art. 31 Abs. 3 Satz 4 AsylVf-RL n. F.). Werden beide Fristen somit um jeweils drei Monate verlängert, besteht eine 21-Monatsfrist, wie sie auch von Art. 31 Abs. 5 AsylVf-RL n. F. als Maximalfrist festgelegt wird. Die Regelungen sind auf den vorliegenden Fall jedoch noch nicht anwendbar. Der deutsche Gesetzgeber hat die europäische Verfahrensrichtlinie bislang nicht in nationales Recht umgesetzt. Art. 31 Abs. 3 und Abs. 5 AsylVf-RL n. F. können auch nicht unmittelbar angewendet werden, weil die Umsetzungsfrist, die gem. Art. 51 Abs. 2 AsylVf-RL n. F. erst am 20. Juli 2018 endet, insoweit noch nicht abgelaufen ist. Auch ist der Rechtsgedanke des Art. 31 Abs. 3 und Abs. 5 AsylVf-RL n. F. nicht dahingehend zu übernehmen, dass schon heute für Asylverfahren europarechtlich eine längere Frist als die Dreimonatsfrist des § 75 Satz 2 VwGO angemessen sein soll, weil andernfalls durch die Fristverlängerung eine mittelbare Anwendung zulasten des Klägers konstruiert würde (VG Stuttgart, U.v. 23.3.2016 – A 12 K 439/16 – juris Rn. 21).
1.3 Ob die Beklagte mit „zureichendem Grund“ noch nicht entschieden hat, ist dabei keine Frage der Zulässigkeit, sondern der Spruchreife als Teil der Begründetheit (vgl. § 113 Abs. 5 VwGO) – bei Vorliegen eines „zureichenden Grundes“ ist die Klage gleichwohl zulässig (Dolde/Porsch in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Oktober 2015, § 75 Rn. 7 m. w. N.; BVerwG, U.v. 22.5.1987 – 4 C 30/86 – NVwZ 1987, 969, juris Rn. 12; VG München, U.v. 8.2.2016 – M 24 K 15.31419 – juris; VG München, U.v. 2.5.2016 – M 17 K 16.30740 – UA S. 7).
1.4 Soweit die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 AufenthG beantragt worden ist, ist die Klage wegen des fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Die Klägerin hat den Asylantrag gegenüber dem Bundesamt in ihrem Schreiben vom 22. Juli 2014 auf die Feststellung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG beschränkt.
2. Die Klage ist begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG. Das Unterlassen der Entscheidung ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 und 5 Satz 1 VwGO).
2.1 Die Sache ist spruchreif i. S. v. § 113 Abs. 5 VwGO – insbesondere ist eine Aussetzung des Klageverfahrens nach § 75 Satz 3 VwGO nicht angezeigt.
Nachdem die Beklagte keinerlei Begründung dafür vorgetragen hat, weshalb das Verwaltungsverfahren noch nicht abgeschlossen worden ist, ist die Sache im Hinblick auf den Streitgegenstand (Verpflichtung zur Entscheidung binnen der antragsgegenständlichen Frist) spruchreif i. S. v. § 113 Abs. 5 VwGO. Insbesondere ist im Hinblick § 24 Abs. 4 AsylG ein weiteres Zuwarten nicht angezeigt, nachdem der dort genannte 6-monatige Zeitraum im Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) deutlich überschritten ist.
Unabhängig vom fehlenden Vortrag der Beklagten zur Frage eines „zureichenden Grundes“ für die bislang ausstehende Entscheidung über den Asylantrag ist ein derartiger Grund aber auch nicht ersichtlich. Die pauschal abgegebene Erklärung in der allgemeinen Prozesserklärung des Bundesamtes vom 25. Februar 2016 („Arbeitsbelastung“) genügt dem Begründungserfordernis des § 75 VwGO nicht. Das Gericht schließt sich insoweit den Ausführungen im Urteil des VG Osnabrück vom 14. Oktober 2015 (5 A 390/15 – juris Rn. 34-38) an. Auch wenn gerichtsbekannt ist, dass das Bundesamt durch die stark erhöhten Asylbewerberzahlen überlastet ist, reicht dies nicht aus, um einen zureichenden Grund für die Nichtverbescheidung anzunehmen. Es handelt sich nicht um eine kurzfristig erhöhte Geschäftsbelastung, sondern um eine permanente Überlastung der Behörde. Hinzu kommt, dass vorliegend der Asylantrag aus einer Zeit datiert, zu der die Arbeitsbelastung bei weitem nicht das heutige Ausmaß erreicht hatte (vgl. hierzu VG Ansbach, U.v. 27.01.2016 – AN 3 K 15.30560 – juris). Eine andauernde Arbeitsüberlastung ist ferner kein sachlicher Grund im Sinne des § 75 Satz 1 VwGO (vgl. VG München, 8.4.2016 – M 12 K 16.30295 – UA S. 8f.). In einem solchen Fall ist es Aufgabe des zuständigen Bundesministeriums bzw. der Behördenleitung, entsprechende organisatorische Maßnahmen zu treffen (vgl. VG Dresden, U.v. 13.2.2015 – A 2 K 3657/14; VG Düsseldorf, U.v. 30.10.2014 – 24 K 992/14.A; VG Braunschweig, U.v. 8.9.2014 – 8 A 618/13 – alle juris; VG München, U.v. 2.5.2016 – M 17 K 16.30740 – UA S. 9 f.; Kopp/Schenke, VwGO Kommentar, 21. Auflage 2015, Rn. 13). Dies gilt insbesondere dann, wenn die Behörde wie hier keine Perspektive für eine Entscheidung aufzeigt, so dass auf zunächst unbestimmte Zeit offen bleibt, wann überhaupt über den Antrag entschieden wird.
Auch die von der Beklagten getroffenen Priorisierungsentscheidungen zur Bewältigung der steigenden Asylantragszahlen stellen keinen zureichenden Grund im Sinne von § 75 Satz 1 VwGO für die fehlende Entscheidung über den Asylantrag der Klägerin innerhalb einer angemessen Frist dar. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist es der Beklagten als Ausfluss ihrer Organisationshoheit zwar grundsätzlich erlaubt, gewisse Priorisierungsentscheidungen zu treffen (vgl. VG Osnabrück, U.v. 14.10.2015 – 5 A 390/15 – juris Rn. 38). Priorisierungsentscheidungen sind aber nur in einem gewissen Rahmen zulässig und können keinen zureichenden Grund für eine deutliche Verlängerung der Verfahrensdauer über die Regelbearbeitungszeit hinaus darstellen (vgl. VG Osnabrück, U.v. 14.10.2015 – 5 A 390/15 – juris Rn. 38). Welche Verlängerung der Bearbeitungsdauer gerade noch mit Priorisierungsentscheidungen gerechtfertigt werden kann, bedarf hier keiner Entscheidung. Jedenfalls ist eine Verfahrensdauer von über zweieinhalb Jahren – wie hier – nicht mehr davon umfasst. In diesem Fall gewinnt das Interesse der Klägerin an einer Entscheidung über ihren Asylantrag so stark an Gewicht, dass es das Interesse der Behörde an einer Priorisierung überwiegt. Unter Berücksichtigung dieses Maßstabes ist im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass eine angemessene Entscheidungsfrist bereits abgelaufen ist. Die seit der Asylantragstellung vom 7. Oktober 2013 verstrichene Zeit beträgt im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung mehr als zweieinhalb Jahre und kann damit sowohl vor dem Hintergrund der Regelung in § 24 Abs. 4 AsylG als auch von Art. 31 Abs. 3 der Europäischen Asylverfahrensrichtlinie 2013/32/EU (Amtsblatt der Europäischen Union L 180/60) nicht mehr als angemessene Frist angesehen werden. Selbst unter Heranziehung von Art. 31 Abs. 3 Satz 4 der genannten Richtlinie ist spätestens nach Ablauf von 18 Monaten davon auszugehen, dass eine angemessene Entscheidungsfrist abgelaufen ist.
Eine weitere Nachfristsetzung unter Aussetzung des Klageverfahrens nach § 75 Satz 3 VwGO war nicht veranlasst, da gerichtsbekannt ist, dass das Bundesamt auf schriftlichen Aufforderungen des Gerichts, sich innerhalb einer bestimmten Frist zum Vorliegen eines Grundes nach § 75 Satz 3 VwGO zu äußern, nicht nachkommt, sondern lediglich die allgemeine Prozesserklärung vorliegt. Auch die bisherige Verfahrensdauer spricht dagegen, der Beklagten eine weitere Nachfrist zu setzen.
2.2 Die fehlende Entscheidung des Bundesamtes über den Asylantrag der Klagepartei ist rechtswidrig und verletzt das subjektive Recht aus Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 1 AsylVf-RL a. F. (vgl. auch Art. 31 Abs. 2 der AsylVf-RL n. F.) i. V. m. Art. 18 GRCh und Art. 16 a GG.
Die materielle Pflicht der Beklagten zur Entscheidung ergibt sich direkt aus Art. 16 a Abs. 1 GG als einem subjektivöffentlichen Recht. Diesem Grundrecht kann nur durch aktives staatliches Handeln Geltung verschafft werden. Eine Verletzung dieses Grundrechts kann deshalb bereits durch reines Unterlassen, also durch Nichtverbescheidung von Anträgen, eintreten. Somit begründet Art. 16a Abs. 1 GG eine Pflicht des Staates zur Bescheidung von Asylanträgen, die die Gerichte sowohl unmittelbar aufgrund von Art. 16 a Abs. 1 GG als auch aufgrund von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG zu gewährleisten haben (vgl. VG München, U.v. 7.9.2015 – M 12 K 15.30300 – juris Rn. 16).
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Feststellung des Vorliegens von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich der Palästinensischen Autonomiegebiete und Syrien.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen.
Wenn ein Ausländer weder durch einen Abschiebestopp noch durch eine gleichwertige ausländerrechtliche Erlass- oder Weisungslage vor Abschiebung geschützt ist, besteht die staatliche Verpflichtung, in verfassungskonformer Einschränkung der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot festzustellen, wenn die Rückkehr des Ausländers in seine Heimat ihn einer vor der Werteordnung des Grundgesetzes nicht zu rechtfertigenden Gefahr aussetzen würde. Das ist der Fall, wenn der Ausländer einer extremen Gefahrenlage dergestalt ausgesetzt wäre, dass er im Fall seiner Abschiebung dorthin gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwerster Verletzung ausgeliefert würde und diese Gefahren alsbald nach seiner Rückkehr und landesweit drohen würden. Erforderlich ist eine Gesamtschau sämtlicher Gefahren (BVerwG, U.v. 12.7.2001 – 1 C 2/01 – BVerwGE 114, 379/382; U.v. 29.6.2010 – 10 C 10/09 – NVwZ 2011, 48).
Der Klägerin droht bei einer alleinigen Einreise nach Syrien oder in die palästinensischen Autonomiegebiete eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben. Ohne Begleitung ihrer Eltern ist offensichtlich, dass sie alsbald einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Die Situation, die sie vorfinden würde, wäre wesentlich davon mitbestimmt, ob sie sich auf familiäre oder sonstige verwandtschaftliche Strukturen verlassen kann, oder ob sie auf sich allein gestellt ist.
Eine extreme Gefahrenlage kann sich nach Auffassung des Gerichts für besonders schutzbedürftige Rückkehrer wie ein alleinstehendes Kleinkind ergeben. Es kann offenbleiben, ob die Klägerin auf die Unterstützung eines Familienverbands zurückgreifen könnte. Dabei handelt es sich um eine zukunftsbezogene Prognose, für die kein „voller“ Beweis erbracht werden muss. Insoweit reicht im Regelfall eine erhöhte Wahrscheinlichkeit des angenommenen zukünftigen Geschehensverlaufs aus. Das Gericht darf keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen, sondern sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der Zweifeln Schweigen gebietet, auch wenn sie nicht völlig auszuschließen sind (vgl. dazu BayVGH, U.v. 12.5.2011 – 13a ZB 10.30340 – juris Rn. 9). Aufgrund ihres Alters ist daher der in Deutschland geborenen Klägerin eine Abschiebung in die Herkunftsländer ihrer Eltern nicht zuzumuten. Die Klägerin hat daher einen Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen dieses Urteil können die Beteiligten die Zulassung der Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München beantragen. Dem Antrag sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.
Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen. Die Berufung kann nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder das Urteil von einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Klägerin wird Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt … beigeordnet.
Gründe:
Gem. § 166 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten vorbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichend Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussicht besteht, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt der Antragspartei aufgrund ihrer Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlagen mindestens für vertretbar hält und von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist. Es muss aufgrund summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage möglich sein, dass die Antragspartei mit ihrem Begehren durchdringen wird. Oft genügt eine schlüssige Darlegung mit Beweisantritt (Geimer in Zöller, ZPO, 30. Aufl. 2014, § 114 Rn. 18 m. w. N.).
Die Erfolgsaussichten des Klageverfahrens sind vorliegend jedenfalls als offen zu beurteilen. Insoweit wird auf das oben stehende Urteil des Gerichts verwiesen. Zumindest im Hilfsantrag hat die Klage offensichtlich Aussicht auf Erfolg.
Die Klagepartei hat mit ihrer am 20. November 2015 bei Gericht vorgelegten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und den beigefügten Belegen (§ 117 Abs. 2 ZPO) glaubhaft gemacht, dass sie die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, so dass dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe stattzugeben war.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylVfG.


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