Verwaltungsrecht

Anfechtung einer Prüfungsbewertung

Aktenzeichen  22 C 16.2279

Datum:
4.1.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
ITKTAusbV § 15
BayVwVfG BayVwVfG Art. 35 S. 1, Art. 48

 

Leitsatz

1. Der Bewertung einer einzelnen Prüfungsleistung kann ausnahmsweise in der jeweiligen Prüfungsordnung aufgrund einer besonderen Ausgestaltung des Prüfungsverfahrens eine selbstständige rechtliche Bedeutung zuerkannt sein, der die Behörde mit dem Erlass eines Verwaltungsakts Rechnung zu tragen hat. (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Bewertung einer einzelnen Prüfungsleistung kommt insbesondere dann eine selbstständige rechtliche Bedeutung zu, wenn mit einer solchen Bewertung zugleich über das Ergebnis der Prüfung insgesamt entschieden wird oder wenn die Prüfung in mehrere selbstständige Teile untergliedert ist, die je für sich zu bestehen sind und im Nichtbestehensfall wiederholt werden müssen. (redaktioneller Leitsatz)
3. Auch ein Zweitbescheid kann Gegenstand von Rechtsbehelfen sein.  (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

16 K 15.3036 2016-10-17 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I.
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

I. Der Kläger begehrt Prozesskostenhilfe für eine Klage, mit der er im Wesentlichen die bessere Bewertung seiner in einem Prüfungsteil einer Abschlussprüfung erbrachten Leistung durch die beklagte Industrie- und Handelskammer anstrebt.
Die Beklagte erteilte dem Kläger eine Bescheinigung vom 27. Januar 2014, wonach dieser die Abschlussprüfung im Ausbildungsberuf Fachinformatiker in der Fachrichtung Anwendungsentwicklung bestanden hat. Die Leistung im Prüfungsteil A (bestehend aus einer Projektarbeit einschließlich Dokumentation und einer Projektpräsentation mit Fachgespräch) wurde mit insgesamt 73 Punkten, diejenige im Prüfungsteil B (mit den Prüfungsbereichen „Ganzheitliche Aufgaben“ I und II sowie Wirtschafts- und Sozialkunde) mit insgesamt 75 Punkten bewertet.
Mit Schreiben vom 20. Februar 2014 wandte sich der Kläger gegen einzelne Bewertungen seiner Leistung im Prüfungsteil B. Die Beklagte teilte dem Kläger hierzu mit Schreiben vom 24. April 2014 u. a. mit, aufgrund einer Nachkorrektur der Prüfungsleistungen des Klägers habe sich das Gesamtergebnis im Prüfungsteil B auf 77 Punkte verbessert. Mit E-Mail an den Kläger vom 17. Juli 2014 erklärte die Beklagte weiter, in der Ganzheitlichen Aufgabe I werde das Ergebnis in diesem Prüfungsbereich von 59 auf 68 Punkte angehoben, so dass sich das Gesamtergebnis im Prüfungsteil B auf 81 Punkte erhöhe.
Mit Schreiben an die Beklagte vom 21. Juli 2014 forderte der Kläger eine detaillierte Begründung der Bewertung seiner Projektarbeit und der dazugehörigen Dokumentation. Mit weiterem Schreiben vom 23. September 2014 beantragte der Kläger eine erneute Bewertung dieses Prüfungsteils. Die Beklagte teilte dem Kläger hierzu mit Schreiben vom 23. Dezember 2014 u. a. mit, auf dessen Wunsch hin habe sich der Prüfungsausschuss um eine Überprüfung unter Berücksichtigung der Einwände des Klägers bemüht; der Prüfungsausschuss sei hierzu um schriftliche Stellungnahme gebeten worden. Ein Anspruch auf Neubewertung oder gar Nachkorrektur seitens des Teilnehmers bestehe nicht. Die Bewertung bleibe unverändert.
Am 21. Juli 2015 erhob der Kläger Klage betreffend die Bewertung seiner im Prüfungsteil A erbrachte Leistung, mit dem vorrangigen Ziel einer darauf bezogenen Neubewertung. Die von ihm begehrte Prozesskostenhilfe hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 17. Oktober 2016 mangels hinreichender Erfolgsaussichten seiner Rechtsverfolgung abgelehnt. Eine vom Kläger gegen diesen Beschluss eingelegte Beschwerde legte das Verwaltungsgericht nach seiner Nichtabhilfeentscheidung dem Verwaltungsgerichtshof vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die beigezogenen Behördenakten verwiesen.
II. Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht, denn die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
1. Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht angenommen, dass die am 21. Juli 2015 erhobene Klage, welche aus der Ergebnismitteilung der Beklagten vom 27. Januar 2014, die mit einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung versehen war, die Bewertung zu Prüfungsteil A betrifft, bereits unzulässig ist. Dies betrifft alle in diesem Zusammenhang gestellten Haupt- und Hilfsanträge, insbesondere zur Erstellung bestimmter Bewertungen, zur Neuverbescheidung hinsichtlich des Prüfungsergebnisses oder zu einer Wiederholungsprüfung (vgl. insbesondere Nr. 2 bis 6 sowie Nr. 8 im Schriftsatz vom 1.9.2015). Der Kläger hat bezüglich des Prüfungsteils A weder rechtzeitig Widerspruch eingelegt noch verwaltungsgerichtliche Klage erhoben.
a) Das Schreiben des Klägers vom 20. Februar 2014 betraf lediglich die Bewertung des Prüfungsteils B. Diesem Schreiben (Anlage K 3) sind nur Einwendungen des Klägers zu einzelnen Fragen im Rahmen der „Ganzheitlichen Aufgaben“ I und II zu entnehmen. Auch spätere Schreiben des Klägers an die Beklagte bestätigen diese Beschränkung des klägerischen Begehrens. So betrifft auch der klägerische „Nachtrag“ vom 28. April 2014 (Anlage K 5) nur die vorgenannten Prüfungsbereiche. Erstmals in seinem Schreiben vom 21. Juli 2014 (Anlage K 7) forderte der Kläger eine „detaillierte Begründung zu der Bewertung“ seiner Projektarbeit mit Dokumentation. Als Hintergrund dieses Anliegens nahm er Bezug auf die von der Beklagten gewährte Anhebung der Punktezahlen im Prüfungsteil B. Das Gesamtergebnis in diesem Prüfungsteil wurde von anfangs (vgl. Ergebnismitteilung vom 27.1.2014) 75 Punkten (Note 3, befriedigend) auf zuletzt 81 Punkte (Note 2, gut) verbessert (vgl. Mitteilung der Beklagten vom 17.7.2014, Anlage K 6). Die Projektarbeit mit Dokumentation war demgegenüber gemäß der Ergebnismitteilung vom 27. Januar 2014 mit einer Punktezahl von 53 (Note 4, ausreichend) bewertet worden. Der Kläger meinte hierzu im Schreiben vom 21. Juli 2014, da er eine derart starke Abweichung bei der Anerkennung von Prüfungsleistungen nicht für möglich gehalten habe, müsse er den Prüfungsteil A jetzt doch genauer „unter die Lupe nehmen.“ Ein Widerspruch im Sinne eines bestimmten Änderungsverlangens lag darin aber immer noch nicht.
b) In dem Schreiben des Klägers vom 20. Februar 2014 ist zwar ein fristgerecht eingelegter Widerspruch im Sinn eines bestimmten Abänderungsverlangens zu sehen, aber nur bezüglich des Prüfungsteils B. Die Einlegung des Widerspruchs vom 20. Februar 2014 gegen die Ergebnismitteilung vom 27. Januar 2014, beschränkt auf die Prüfungsbewertung zu Prüfungsteil B, ist statthaft gewesen, da es sich bei dieser Bewertung um einen eigenständigen Verwaltungsakt im Sinne von Art. 35 Satz 1 BayVwVfG handelt.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (B. v. 25.3.2003 – 6 B 8/03 – DVBl 2003, 871 Rn. 3), welcher sich der Verwaltungsgerichtshof angeschlossen hat (B. v. 25.1.2010 – 7 ZB 08.1476 – BayVBl 2011, 212 Rn. 11 f.), kann der Bewertung einer einzelnen Prüfungsleistung ausnahmsweise in der jeweiligen Prüfungsordnung aufgrund einer besonderen Ausgestaltung des Prüfungsverfahrens eine selbstständige rechtliche Bedeutung zuerkannt sein, der die Behörde mit dem Erlass eines Verwaltungsakts Rechnung zu tragen hat. Solches kommt insbesondere dann in Betracht, wenn mit der Bewertung der einzelnen Prüfungsleistung zugleich über das Ergebnis der Prüfung insgesamt entschieden wird oder wenn die Prüfung in mehrere selbstständige Teile untergliedert ist, die je für sich zu bestehen sind und im Nichtbestehensfall wiederholt werden müssen. Die Voraussetzungen der letztgenannten Fallkonstellation sind hier gegeben.
Die Abschlussprüfung im Ausbildungsberuf „Fachinformatiker/Fachinformatikerin“ ist in die beiden Prüfungsteile A und B untergliedert. Das Bestehen der Gesamtprüfung setzt die Bewertung der beiden Prüfungsteile mit jeweils mindestens „ausreichend“ voraus (§ 15 Abs. 8 Satz 1 ITKTAusbV). Beide Prüfungsteile stellen jeweils eine selbstständige Prüfungsleistung dar, die abhängig von einem fristgebundenen Antrag des Prüflings nicht zu wiederholen ist, wenn zwar die Abschlussprüfung insgesamt nicht bestanden ist, der Prüfling im betreffenden Prüfungsteil jedoch mindestens mit ausreichend bewertete Leistungen erbracht hat (vgl. 29 Abs. 2 Satz 1 der Prüfungsordnung der Beklagten für die Durchführung von Abschluss- und Umschulungsprüfungen vom 2. Dezember 2013). Selbstständige Prüfungsleistungen sind solche, die thematisch klar abgrenzbar und nicht auf eine andere Prüfungsleistung bezogen sind sowie eigenständig bewertet werden (§ 23 Abs. 2 Satz 2 der vorbezeichneten Prüfungsordnung). Diese Voraussetzungen liegen hier jeweils für die Prüfungsteile A und B vor. Sie sind thematisch klar voneinander zu unterscheiden und werden unabhängig voneinander bewertet. Ohne dass es hier entscheidungserheblich darauf ankommt spricht dagegen einiges dafür, dass die einzelnen Prüfungsleistungen innerhalb des Prüfungsteils A mangels thematischer Eigenständigkeit keine selbstständigen Prüfungsleistungen in diesem Sinn darstellen. Die Präsentation, das Fachgespräch und die Dokumentation beziehen sich auf die betriebliche Projektarbeit (§ 15 Abs. 2 ITKTAusbV); diese Prüfungsleistungen sind also inhaltlich eng aufeinander bezogen. Bei den Leistungen im Prüfungsteil B ist die Eigenständigkeit vor allem deshalb fraglich, weil diese nicht zwingend mit jeweils mindestens „ausreichend“ bewertet werden müssen, damit die Abschlussprüfung bestanden werden kann; gemäß § 15 Abs. 7 ITKTAusbV kann eine „mangelhafte“ Leistung in bis zu zwei der drei Prüfungsbereiche des Teils B durch eine Ergänzungsprüfung unter Umständen gewissermaßen ausgeglichen werden, wenn zumindest in einem Prüfungsbereich die Leistung mit mindestens „ausreichend“ bewertet wurde (vgl. zu insoweit ähnlichen Fällen BayVGH, U. v. 15.3.2016 – 22 B 15.2564 – juris Rn. 39; B. v. 25.1.2010 – 7 ZB 08.1476 – BayVBl 2011, 212 Rn. 17).
c) Die Bewertung des Prüfungsteils A aus der Ergebnismitteilung der Beklagten vom 27. Januar 2014, die mit einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung versehen war und die Streitgegenstand der am 21. Juli 2015 erhobenen Verpflichtungsklage ist, ist bereits bestandskräftig geworden. Der Kläger hat hiergegen nicht innerhalb der Monatsfrist des § 70 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 58 Abs. 1 VwGO Widerspruch erhoben. Wiedereinsetzungsgründe im Sinne von § 60 Abs. 1 VwGO hat der Kläger weder konkret geltend gemacht, noch sind sonstige Anhaltspunkte hierfür ersichtlich.
d) Das Schreiben der Beklagten vom 23. Dezember 2014 betreffend die Bewertung im Prüfungsteil A stellt auch keinen Zweitbescheid dar, der wiederum Gegenstand von Rechtsbehelfen sein könnte (vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, 14 Aufl. 2014, § 70 Rn. 8 m. w. N.). Das Verwaltungsgericht weist in der angefochtenen Entscheidung (Beschlussabdruck S. 16) zutreffend darauf hin, dass aus diesem Schreiben deutlich hervorgeht, dass die Beklagte damit keine erneute Regelung treffen wollte. Die Beklagte hat dort vielmehr hervorgehoben, dass nur eine Stellungnahme des Prüfungsausschusses zu den Einwendungen des Klägers eingeholt wurde, jedoch kein Anspruch auf Neubewertung oder gar Nachkorrektur seitens des Prüfungsteilnehmers bestehe.
2. Gleichfalls zutreffend hat das Verwaltungsgericht (Beschlussabdruck S. 16 bis 18) ausgeführt, dass kein Anspruch des Klägers auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens (Art. 51 BayVwVfG) oder auf eine Rücknahme (Art. 48 Abs. 1 BayVwVfG) in Bezug auf die Prüfungsbewertung zu Teil A besteht und dass diese offensichtlich nicht nichtig ist (Art. 44 BayVwVfG). Ergänzend ist anzumerken, dass sich aus der Abhilfeentscheidung der Beklagten (§ 72 VwGO) zum Prüfungsteil B keine nachträgliche Änderung der dem Verwaltungsakt zugrunde liegenden Sachlage zugunsten des Klägers im Sinne von Art. 51 Abs. 1 Nr. 1 BayVwVfG ergibt, wie dieser meint. Das folgt schon daraus, dass nach den oben zitierten Vorgaben des § 15 ITKTAusbV die Bewertung der Leistungen im Prüfungsteil A einerseits und im Prüfungsteil B andererseits vollständig getrennt voneinander erfolgen.
3. Auch der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf „Herausgabe der Korrektur“ zum Prüfungsteil A (Nr. 1 im Schriftsatz vom 1.9.2015) entbehrt offensichtlich einer Anspruchsgrundlage, wie das Verwaltungsgericht (Beschlussabdruck S. 11 und 12) zutreffend ausgeführt hat. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass über die dem Kläger bereits im Wege der Akteneinsicht zugänglich gemachten Unterlagen weitere schriftliche Bewertungen der Mitglieder des Prüfungsausschusses existieren. Der Einwand des Klägers, dass die vorhandenen schriftlichen Bewertungen unzureichend seien, besagt nichts darüber, dass weitere Bewertungsunterlagen vorhanden sind. Er betrifft die mittlerweile bestandskräftige Prüfungsbewertung zu Teil A; der Kläger kann infolge dessen keinen Anspruch auf die Erstellung weiterer schriftlicher Bewertungen zu dieser Prüfungsleistung geltend machen (vgl. hierzu unter Nr. 1).
3. Hinsichtlich der vom Kläger thematisierten „Normenkontrolle“ bezüglich § 15 ITKTAusbV bzw. § 38 BBiG (Nr. 7 im Schriftsatz vom 1.9.2015) wird auf die Ausführungen hierzu im angefochtenen Beschluss verwiesen (Beschlussabdruck S. 18 und S. 19).
Kosten: § 154 Abs. 2 VwGO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben