Verwaltungsrecht

Anfechtungsklage wegen Verfahrenseinstellung wegen Nichtwahrnehmung eines Anhörungstermins

Aktenzeichen  Au 5 K 16.32019

Datum:
2.11.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 33

 

Leitsatz

Die gesetzliche Fiktion der Asylantragsrücknahme setzt eine ordnungsgemäße Belehrung über die Rechtsfolge der Rücknahmefiktion iSd § 33 Abs. 4 AsylG voraus. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 23. September 2016 wird aufgehoben.
II.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Der Einzelrichter (§ 76 Abs. 1 AsylG) konnte über die Klage ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten übereinstimmend mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt haben (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Die zulässige Klage ist begründet.
Der Bescheid des Bundesamtes vom 23. Februar 2016 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Der Bescheid des Bundesamtes vom 23. September 2016 war auf die Klage des Klägers vom 4. Oktober 2016 hin aufzuheben, da die Voraussetzungen für eine Rücknahme des Asylantrages des Klägers und eine Verfahrenseinstellung auf der Grundlage der §§ 32, 33 Abs. 1 AsylG nicht vorliegen.
Gemäß § 33 Abs. 1 AsylG gilt der Asylantrag als zurückgenommen, wenn der Ausländer oder die Ausländerin das Verfahren nicht betreibt. Das Nichtbetreiben wird gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 AsylG gesetzlich vermutet, wenn der Ausländer bzw. die Ausländerin einer Aufforderung zur Anhörung nach § 25 AsylG nicht nachgekommen ist. Diese Vermutung gilt nach Satz 2 der Vorschrift aber dann nicht, wenn unverzüglich nachgewiesen wird, dass das Versäumnis auf Umstände zurückzuführen war, auf die der Asylbewerber oder die Asylbewerberin keinen Einfluss hatte. Gemäß § 33 Abs. 4 AsylG sind die Betroffenen auf diese Rechtsfolge schriftlich und gegen Empfangsbekenntnis hinzuweisen.
Die schwerwiegende Folge der Zurücknahme der Asylanträge und deren Einstellung setzt seitens des Klägers eine gröbliche Verletzung der Mitwirkungspflichten voraus, was wiederum nur dann der Fall ist, wenn dem Asylbewerber eine „besonders schwerwiegende“ Verletzung seiner Mitwirkungspflichten anzulasten ist, die „ohne weiteres“ den Schluss auf eine missbräuchliche Inanspruchnahme des Asylrechts zulässt (vgl. Marx, Asylverfahrensgesetz, 8. Aufl. 2014, § 30 Rn. 59, Hailbronner, Ausländerrecht, Band 2, § 30 Asylverfahrensgesetz, Rn. 85, 94).
Ob der Kläger die gesetzliche Vermutung des § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG entsprechend § 33 Abs. 2 Satz 2 AsylG widerlegen kann, kann vorliegend dahinstehen. Die gesetzliche Fiktion der Asylantragsrücknahme greift jedenfalls nicht, weil der Kläger nicht ordnungsgemäß über die Rechtsfolge des § 33 Abs. 1 AsylG belehrt wurde. § 33 Abs. 4 AsylG ist durch das Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 am 17. März 2016 in Kraft getreten. Gleichwohl ist festzustellen, dass eine Belehrung des Klägers über die Rechtsfolge des § 33 Abs. 1 AsylG zu keinem Zeitpunkt erfolgt ist. Das Bundesamt hat mit der Belehrung über die Mitwirkungspflichten und der Mitteilung der allgemeinen Verfahrenshinweise bei Erstantragstellung nicht auf die mögliche Rechtsfolge der Verfahrenseinstellung bei Nichtbetreiben hingewiesen. In der damaligen Belehrung wurde nur der Hinweis erteilt, das Nichterscheinen zum Anhörungstermin könne für das Asylverfahren nachteilige Folgen haben, insbesondere könne eine Entscheidung ohne persönliche Anhörung ergehen. Dies entsprach der damaligen Rechtslage, da die geltende Fassung des § 33 AsylG erst am 17. März 2016 in Kraft getreten ist. Die Belehrung nach alter Rechtslage ist hingegen keine ausreichende Belehrung i. S. d. § 33 Abs. 4 AsylG, der ausdrücklich eine Belehrung über die Rücknahmefiktion selbst verlangt (vgl. VG Köln, B.v. 19.5.2016 – 3 L 1060/16.A -, juris Rn. 42; VG Oldenburg, B.v. 22.6.2016 – 5 B 2876/16 -, juris Rn. 20).
Jedoch wurde der erforderliche Nachweis i. S. d. § 33 Abs. 4 AsylG auch nachfolgend nicht erteilt. Der Ladung zur Anhörung vom 14. Juni 2016 ist jedenfalls ein solcher ausdrücklicher Hinweis nicht zu entnehmen. Auch insoweit ist lediglich ausgeführt, dass bei Nichtwahrnehmung des Termins über den Asylantrag ohne persönliche Anhörung entschieden werden kann, wenn nicht vorher rechtzeitig schriftlich dem Bundesamt Hinderungsgründe mitgeteilt wurden.
Überdies lässt sich eine Zustellung des Ladungsschreibens an die damalige Bevollmächtigte/Vormund des Klägers nicht nachweisen. In der von der Beklagten vorgelegten Verfahrensakte ist jedenfalls ein entsprechender Zustellungsnachweis nicht enthalten.
Bereits die unterbliebene Belehrung führt zur Rechtswidrigkeit der Einstellung des Asylverfahrens nach §§ 32, 33 AsylG und damit der erlassenen Abschiebungsandrohung. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut und der Systematik des § 33 AsylG. Die Hinweispflicht nach § 33 Abs. 4 AsylG schreibt nicht lediglich die Belehrung vor, sondern verlangt darüber hinaus, dass sie schriftlich und gegen Empfangsbestätigung zu erfolgen hat. Dieses Erfordernis, das Beweiszwecken dient, wäre überflüssig, wenn die Verfahrenseinstellung auch ohne vorherigen Hinweis rechtmäßig bliebe. Weiter bleibt zu berücksichtigen, dass die Annahme einer fiktiven Rücknahme Ausnahmecharakter besitzt und für den Schutzsuchenden weitreichende Konsequenzen entfaltet. Vor diesem Hintergrund ist es erforderlich, dass dem Asylbewerber durch eine erläuternde Belehrung mit der gebotenen Deutlichkeit vor Augen geführt wird, welche Obliegenheiten ihn treffen und welche Folgen bei deren Nichtbeachtung entstehen können (vgl. BVerfG, B.v. 10.3.1994 – 2 BvR 2371/93 -, juris Rn. 21). Nur in diesem Fall sind die nachteiligen Folgen, die mit einer Rücknahmefiktion einhergehen, gerechtfertigt.
Da darüber hinaus keinerlei Nachweise vorliegen, dass der Kläger wirksam zur festgesetzten Anhörung am 27. Juni 2016 geladen worden ist, ist dem Kläger ein erneuter Termin zur persönlichen Anhörung nach § 25 AsylG einzuräumen.
Nachdem sich die vom Bundesamt vorgenommene Verfahrenseinstellung als rechtsfehlerhaft erweist, kann auch die auf der Grundlage des § 32 Satz 1 AsylG getroffene Entscheidung über das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG keinen isolierten Bestand haben. Dem folgend war der Bescheid des Bundesamtes vom 23. September 2016 vollumfänglich auf die Klage des Klägers hin aufzuheben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Als im Verfahren unterlegen hat die Beklagte die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO.


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