Verwaltungsrecht

Anforderung an den grundrechtlichen Schutz der Familie vor Abschiebung

Aktenzeichen  M 9 E 17.1561

Datum:
4.5.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60a Abs. 2
GG GG Art. 6
EMRK EMRK Art. 8 Abs. 1

 

Leitsatz

Die Berufung auf den Schutz der Ehe und Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK zur Vermeidung einer Abschiebung ist nur statthaft, wenn ein Familienmitglied auf die Lebenshilfe des abzuschiebenden Familienmitglieds angewiesen ist.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf EUR 2.500 festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt Sicherungsmaßnahmen wegen seiner bevorstehenden bzw. wegen einer von ihm befürchteten Abschiebung.
Der am 6. August 1982 geborene Antragsteller ist senegalesischer Staatsangehöriger (siehe Pass des Senegals, Bl. 35 d. Behördenakts – i.F.: BA – und carta d’identità, Bl. 11 d. BA). Nach Aktenlage besaß er in Italien eine bis 29. Juli 2013 gültige Aufenthaltsgenehmigung (permesso di soggiorno, Bl. 42 d. BA). Nachdem er – laut eigener Aussage (vgl. Bl. 51 d. BA) am 28. November 2014 – ohne Visum (vgl. Bl. 18 und Bl. 116 d. BA) von Italien kommend nach Deutschland eingereist war, stellte er am 8. Januar 2015 Asylantrag (Bl. 18 d. BA). Dieser wurde mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (i.F.: Bundesamt) vom 11. Januar 2017 – nach Abschlussmittteilung vom 24. Februar 2017: bestandskräftig (Bl. 69 d. BA) – als offensichtlich unbegründet abgelehnt (Bl. 50ff. d. BA). Hiernach ist der Antragsteller vollziehbar ausreisepflichtig.
Der Antragsteller heiratete am 6. Februar 2017 die deutsche Staatsangehörige Fr. C. B. (Bl. 99 d. BA). Daraufhin stellte er zuletzt unter dem 25. März 2017 einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 AufenthG (Bl. 113ff. d. BA).
Die Zentrale Ausländerbehörde bei der Regierung von Oberbayern, die mit Schreiben vom 14. März 2017 die Zuständigkeit für die Sache wieder an sich gezogen hatte (Bl. 74 d. BA), hörte den Antragsteller mit Schreiben vom 6. April 2017 zur beabsichtigen Ablehnung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an.
Daraufhin hat die Bevollmächtigte des Antragstellers mit Schriftsatz vom 11. April 2017 Eilantrag nach § 123 VwGO gestellt. Sie beantragt,
1.den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO zu verpflichten, die Abschiebung des Antragstellers bis zur Entscheidung über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wegen Ehegattennachzug auszusetzen;
2.dem Antragsgegner mitzuteilen, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen bis zur Entscheidung über den Antrag nicht durchgeführt werden dürfen;
3.den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO zu verpflichten, dem Antragsteller eine Duldung gemäß § 60a AufenthG zu erteilen.
Der Anordnungsanspruch im Sinne von § 123 VwGO ergebe sich aus § 60a Abs. 2 AufenthG i.V.m. Art. 6 Abs. 1 und 2 GG. Es sei in der Rechtsprechung anerkannt, dass im Hinblick auf eine Ehe ein Rechtsanspruch auf die Erteilung einer Duldung bestehe. Eine solche sei auch deswegen zu erteilen, weil der Antragsteller zurzeit keinen Aufenthaltstitel besitze, das Bundesgebiet tatsächlich nicht verlassen könne und ihm bei Aufgriff sonst eine Bestrafung drohe. Im Rahmen der im Hinblick auf Art. 6 GG anzustellenden Verhältnismäßigkeitsprüfung sei zu berücksichtigen, dass der Antragsteller einen Anspruch auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG habe. Dessen besondere Erteilungsvoraussetzungen erfülle der Antragsteller, es fehle ihm lediglich an der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG. Der Antragsteller erfülle weiter auch die Voraussetzungen von § 60a AufenthG, da er während seines Aufenthalts in Deutschland einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben habe. Deswegen habe der Antragsteller zum jetzigen Zeitpunkt zumindest einen Duldungsanspruch. Damit sei § 39 Nr. 5 AufenthV erfüllt. § 5 Abs. 1 AufenthG werde auch im Übrigen nachgekommen; der Lebensunterhalt sei aufgrund des Einkommens der Ehefrau gesichert, ausreichender Wohnraum sei vorhanden und der Antragsteller könne als Malerhelfer arbeiten. Eine Ausreise sei dem Antragsteller unzumutbar; dies würde bedeuten, dass dieser vor Ablauf von zehn Monaten nicht wieder einreisen könne. Auch ein Anordnungsgrund bestehe, da die Abschiebung eingeleitet sei und da die Ausländerbehörde dem Antragsteller gegenwärtig keinerlei Papiere ausgestellt habe, sodass er bei einer allgemeinen Personenkontrolle sofort verhaftet werden könne. Den Bescheid des Bundesamts habe der Antragsteller nicht erhalten, dies sei Postproblemen geschuldet.
Der Beklagte beantragt,
den Eilantrag abzulehnen.
Auf die Antragserwiderung vom 27. April 2017 wird Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug genommen auf die Gerichtssowie die beigezogene Behördenakte.
II.
Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist auch im Hinblick auf die Sicherung eines etwaigen materiellen Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG statthaft, § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Subsidiaritätsklausel des § 123 Abs. 5 VwGO greift nicht, da eine Ablehnungsentscheidung nach § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG (noch) nicht ergangen ist, gegen die nur mehr der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zulässig wäre. Für einen etwaigen Anspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG ist der – gewählte – Antrag nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO der allein zulässige Rechtsbehelf.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ergehen, wenn diese Regelung nötig erscheint, um u.a. wesentliche Nachteile abzuwenden. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist jeweils, dass sowohl ein Anordnungsgrund als auch ein Anordnungsanspruch hinreichend glaubhaft gemacht werden. Eine Vorwegnahme der Hauptsache im Rahmen des § 123 VwGO kommt nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht. In diesem Rahmen ist das Gewicht des Anordnungsgrunds entscheidend für eine mögliche Vorwegnahme der Hauptsache. Voraussetzung dafür ist, dass eine bestimmte Regelung zur Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes notwendig ist und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg auch in der Hauptsache spricht.
Es ist bereits fraglich, ob im Hinblick darauf, dass eine Abschiebung noch nicht geplant ist (vgl. Antragserwiderung, S. 10) und angesichts dessen, dass eine Ablehnung des Antrags auf Aufenthaltserlaubnis noch aussteht, ein Anordnungsgrund gegeben ist.
Jedenfalls aber hat der Antragsteller keinen Anordnungsanspruch für eine vorläufige Aussetzung der Abschiebung glaubhaft gemacht, § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO (vgl. BayVGH, B.v. 25.4.2014 – 10 CE 14.650 – juris). Er hat nach summarischer Prüfung weder einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG (1.) noch einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, der im Wege einer einstweiligen Anordnung gesichert werden könnte/müsste (2.).
1. Ein materieller Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 AufenthG, über dessen Bestehen im Eilverfahren in der Sache vollumfänglich entschieden wird (ausdrücklich VGH BW, B.v. 19.11.1993 – A 16 S 2002/93 – juris und Hailbronner, Asyl- und Ausländerrecht, Stand: 4. Auflage 2017, Rn. 1263), ist nicht gegeben.
§ 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG bestimmt, dass die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen ist, solange sie aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und dem Ausländer keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung des Antragstellers ist vorliegend nicht deshalb aus rechtlichen Gründen unmöglich, weil dadurch der Schutz von Ehe und Familie sowie des Privat- und Familienlebens nach Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK in unverhältnismäßiger Weise beeinträchtigt würde. Zwar umfasst der Schutz von Ehe und Familie im Sinne von Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK grundsätzlich auch das Recht auf ein eheliches und familiäres Zusammenleben. Jedoch gewähren weder Art. 6 GG noch Art. 8 EMRK einen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt. Auch aus Art. 8 EMRK ergibt sich keine allgemeine Verpflichtung für die Konventionsstaaten, die Wahl des Aufenthaltsstaates durch Zuwanderer anzuerkennen und eine Familienzusammenführung zu ermöglichen. Mit den in den genannten Bestimmungen enthaltenen wertentscheidenden Grundsatznormen ist es deshalb grundsätzlich vereinbar, Ausländer, die nicht mit dem erforderlichen Visum eingereist sind, auf die Einholung dieses Visums zu verweisen. Anderes würde nur gelten, wenn die Familie die Funktion einer Beistandsgemeinschaft erfüllt, weil ein Familienmitglied auf die Lebenshilfe eines anderen Familienmitglieds angewiesen ist und dieser Beistand nur in Deutschland erbracht werden kann, weil einem beteiligten Familienmitglied ein Verlassen der Bundesrepublik nicht zumutbar ist (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 25.4.2014 – 10 CE 14.650 – juris und B.v. 22.10.2013 – 10 C 13.1629 – juris, jeweils m.w.N.).
Hinweise darauf, dass der Antragsteller, der sich derzeit illegal im Bundesgebiet aufhält, seine berufstätige Ehefrau betreuen müsste oder dass diese sich nicht ausreichend um sich selbst kümmern könnte (vgl. dazu BayVGH, B.v. 13.5.2013 – 10 CE 13.658 – juris), sind nicht ersichtlich. Es ist dem Antragsteller mithin zumutbar, sich für einen überschaubaren Zeitraum – die Bevollmächtigte selbst hält eine Zeitspanne von (nur) zehn Monaten für realistisch – von seiner Ehefrau zu trennen und den Ehegattennachzug über die Einholung des erforderlichen Visums gemäß § 6 Abs. 2 AufenthG herzustellen.
Auch eine Ermessensduldung wegen Vorliegens dringender humanitärer oder persönlicher Gründe gemäß § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG kommt nicht in Betracht, da der Antragsteller die Duldung zum einen aus Gründen begehrt, die nicht nur eine weitere vorübergehende Anwesenheit bedingen würden, und zum anderen der von ihm geltend gemachte Grund – seine eheliche Lebensgemeinschaft – nicht so gewichtig ist, dass er das öffentliche Interesse an der sofort möglichen und zulässigen Aufenthaltsbeendigung eindeutig überwiegt (vgl. BayVGH, B.v. 22.10.2013 – 10 C 13.1629 – juris).
2. Ein etwaig zu sichernder Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG besteht nach summarischer Prüfung nicht.
Voraussetzung eines derartigen Anspruchs ist nicht nur, dass die besonderen Erteilungsvoraussetzungen erfüllt sind, sondern auch, dass den Anforderungen des § 5 AufenthG (allgemeine Erteilungsvoraussetzungen) entsprochen wird. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels setzt nach dem damit zu beachtenden § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG voraus, dass der Betroffene mit dem erforderlichen Visum – vorliegend notwendig: ein nationales Visum nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AufenthG i.V.m. § 6 Abs. 3 Satz 1 AufenthG für einen längerfristigen Aufenthalt – eingereist ist. Dem ist der Antragsteller vorliegend nicht nachgekommen.
Nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG kann vom Erfordernis eines nationalen Visums und damit von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG zwar abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder besondere Umstände – Verhältnismäßigkeitsprüfung – ein Absehen vom Visumsverfahren ermöglichen. Das Tatbestandsmerkmal „Anspruch auf Erteilung“ meint dabei aber nur einen strikten Rechtsanspruch; ein solcher Rechtsanspruch liegt nur dann vor, wenn alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind und die Behörde kein Ermessen mehr auszuüben hat (BVerwG, U.v. 10.12.2014 – 1 C-15/14 – juris m.w.N.). Mit anderen Worten setzt § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG also voraus, dass ein gebundener Anspruch nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG i.V.m. § 5 AufenthG besteht, was dann, wenn § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG – der lediglich eine im Ermessen der Behörde stehende Ausnahme von einer regelhaft zu erfüllenden Tatbestandsvoraussetzung normiert – zur Anwendung gebracht werden muss, weil das Visumsverfahren nicht beachtet wurde (und andere Befreiungstatbestände wie § 39 Nr. 5 AufenthV nicht greifen, siehe dazu unten), eben gerade nicht der Fall ist (vgl. zu diesem „zirkelschlüssig“ anmutenden, aber in der Rechtsprechung anerkannten Argument z.B. BayVGH, B.v. 23.9.2016 – 10 C 16.818 – juris; B.v. 21.7.2015 – 10 CS 15.859 – juris; VG München, U.v. 24.11.2016 – M 12 K 16.2271 – juris; B.v. 19.7.2016 – M 10 E 16.3015 – juris; VG Saarland, B.v. 23.8.2016 – 6 L 1114/16 – juris). Weiter fehlt es im Hinblick auf die – wegen des Fehlens eines Visums – illegale Einreise und den – nach Auslaufen der Aufenthaltsgestattung – nunmehr wieder illegalen Aufenthalt des Antragstellers auch an der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG i.V.m. § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG i.V.m. § 95 Abs. Nr. 2 AufenthG (vgl. BVerwG, a.a.O. und weiter auch BVerwG, U.v. 17.12.2015 – 1 C-31/14 – juris). Hintergrund dieser Lösung ist, dass der Einhaltung der Visumvorschriften im Aufenthaltsrecht große Bedeutung zukommt, da nur so die Zuwanderung nach Deutschland wirksam gesteuert und begrenzt werden kann. Ausgehend von diesem Zweck sind Ausnahmen von der Visumpflicht nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG prinzipiell eng auszulegen; für Ausländer soll der Anreiz vermieden werden, nach illegaler Einreise Bleibegründe zu schaffen mit der Folge, dass ein solches Verhalten mit einem Verzicht auf das vom Ausland durchzuführende Visumverfahren honoriert würde (BVerwG, U.v. 10.12.2014 – 1 C-15/14 – juris). Soweit bei einem Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels ausnahmsweise auf das Visumerfordernis verzichtet werden kann, soll dies deswegen nur bei Ansprüchen gelten, die sich unmittelbar aus dem Gesetz ergeben. Dass dem Betroffenen im Ermessenswege eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden kann, reicht hierfür nicht, selbst wenn im Einzelfall das behördliche Ermessen zugunsten des Ausländers auf Null reduziert wäre (BVerwG, U.v. 16.12.2008 – 1 C 37.07 – juris). Ebenso wenig kommt es beim Nichtvorliegen einer Regelerteilungsvoraussetzung darauf an, ob die Voraussetzungen für eine Ausnahme vom Regelfall vorliegen (vgl. Fricke, jurisPR-BVerwG 5/2015 Anm. 3).
Auch die Befreiungstatbestände des § 39 AufenthV sind nicht einschlägig.
§ 39 Nr. 3 AufenthG ist nicht erfüllt, da der Senegal nicht in Anhang II der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 aufgeführt ist.
Für § 39 Nr. 4 AufenthV fehlt es seit 24. Januar 2017 (Bl. 110 d. BA) am Vorliegen einer Aufenthaltsgestattung nach dem Asylgesetz.
§ 39 Nr. 5 AufenthV schließlich setzt im – wohl – entscheidenden zeitlichen Moment der mündlichen Verhandlung (vgl. dazu BayVGH, B.v. 27.2.2014 – 10 ZB 11.2662 – juris m.w.N.), an dessen Stelle vorliegend der Zeitpunkt der Entscheidung tritt, voraus, dass der Antragsteller eine Duldung nach § 60a AufenthG besitzt. Dies ist vorliegend nicht der Fall und wird auch nicht behauptet. Die Bevollmächtigte geht fehl in der Annahme, dass allein ein Anspruch auf Erteilung einer Duldung – der im Übrigen auch nicht besteht, vgl. Ziffer 1. der hiesigen Entscheidung – ausreicht, um den Anforderungen des § 39 Nr. 5 AufenthV gerecht zu werden. Dem steht bereits der Wortlaut „…ausgesetzt ist“ entgegen. Nur ergänzend wird darauf hingewiesen, dass der Antragsteller auch im Zeitpunkt der Beantragung der Aufenthaltserlaubnis keine Duldung in diesem Sinne besaß. Da die Ausländerbehörde vorliegend schließlich auch keine verfahrensbezogene Duldung für das gerichtliche Verfahren erteilt hat – obwohl dies angezeigt gewesen wäre –, wird nur ergänzend darauf hingewiesen, dass auch eine derartige verfahrensbezogene Duldung jedenfalls keine ausreichende „Aussetzung der Abschiebung nach § 60a AufenthG“ i.S.v. § 39 Nr. 5 AufenthV darstellen würde (BayVGH, B.v. 27.2.2014 – 10 ZB 11.2662 – juris; VG Saarland, B.v. 7.4.2014 – 6 L 361/14 – juris). Der Antragsteller verfügt schlicht über keine Form einer Aufenthaltsberechtigung. Weiter steht ihm auch kein gebundener Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis zu, den auch § 39 Nr. 5 AufenthV voraussetzt (BVerwG, U.v. 10.12.2014 – 1 C-15/14 – juris). Da die Ehe vorliegend von vornherein keine rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung begründet, muss auf die Frage, ob die Eheschließung ohnehin nicht doppelt – d.h. bei § 60a AufenthG und bei § 39 Nr. 5 AufenthV – berücksichtigt werden könnte, nicht mehr eingegangen werden (vgl. OVG Bln-Bbg, B.v. 17.1.2011 – OVG 11 S. 51.10 – juris).
Auch § 10 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 AufenthG hilft dem Antragsteller vorliegend nicht weiter, da auch hier ein Anspruch auf einen Aufenthaltstitel vorausgesetzt wird, damit die Titelerteilungssperre des Satzes 1 nicht greift und der Antragsteller nicht ausreisen muss; einen solchen Anspruch gibt es vorliegend nicht, dem steht das Visumserfordernis entgegen, von dem nur nach Ermessen abgewichen werden kann (s.o.; BVerwG, B.v. 16.2.2012 – 1 B 22/11 – juris; U.v. 10.12.2014 – 1 C-15/14 – juris; BayVGH, B.v. 23.9.2016 – 10 C 16.818 – juris).
Zum Nichtvorliegen einer Unverhältnismäßigkeit nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG a.E. wird auf Ziffer 1. des hiesigen Beschlusses verwiesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG i.V.m. Nr. 8.3 Streitwertkatalog.


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