Verwaltungsrecht

Anforderungen an die Widerlegung der gesetzlichen Zugangsfiktion eines Einschreibens

Aktenzeichen  Au 1 S 17.31606

Datum:
7.4.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 57 Abs. 2, § 80 Abs. 5
AsylG AsylG § 10, § 31 Abs. 1 S. 3, § 74 Abs. 1
VwZG VwZG § 4 Abs. 2 S. 2
BGB BGB § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2
ZPO ZPO § 222

 

Leitsatz

Die Dreitagesfiktion des § 4 Abs. 2 S. 2 VwZG kann nicht durch die bloße Behauptung widerlegt werden, dass der Verwaltungsakt erst zu einem späteren Zeitpunkt zugestellt worden sei, sondern die Widerlegung der Zugangsfiktion erfordert die substantiierte Darlegung von Tatsachen, aus denen schlüssig die nicht entfernt liegende Möglichkeit hervorgeht, dass ein Zugang des Bescheids erst nach dem vermuteten Zeitpunkt erfolgte. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung für dieses Verfahren wird abgelehnt.

Gründe

I.
Der am … 1982 geborene Antragsteller ist gambischer Staatsangehöriger. Er wendet sich gegen die sofortige Vollziehung der Androhung seiner Abschiebung nach Gambia.
Er reiste im Juli 2013 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 10. Juli 2013 einen förmlichen Asylantrag. In der Folgezeit kam er weder der Ladung zur persönlichen Anhörung beim Bundesamt noch der Aufforderung zur schriftlichen Stellungnahme zu seinen Fluchtgründen nach.
Mit Bescheid vom 24. Februar 2017 stellte die Antragsgegnerin fest, dass der Asylantrag des Antragstellers als zurückgenommen gilt und das Asylverfahren eingestellt ist (Ziff. 1). In Ziff. 2 stellte sie fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen und drohte dem Antragsteller in Ziff. 3 die Abschiebung nach Gambia an. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde in Ziff. 4 auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Zur Begründung verwies sie darauf, dass der Antragsteller das Asylverfahren nicht betreibe. Das Vorliegen von Abschiebungsverboten sei weder vorgetragen noch ersichtlich. Ausweislich eines entsprechenden Vermerks in den Akten wurde der Bescheid am 3. März 2017 als Einschreiben zur Post gegeben.
Am 22. März 2017 ließ der Kläger gegen den Bescheid Klage erheben (Au 1 K 17.31604), über die noch nicht entschieden ist. Gleichzeitig beantragt er Eilrechts 1 schutz. Die Zustellung des streitgegenständlichen Bescheids sei am 9. März 2017 erfolgt. Er habe zusammen mit seiner deutschen Verlobten ein gemeinsames Kind, für das er die Vaterschaft anerkannt habe. Gambia sei ein Bürgerkriegsland. Er habe wegen eines Umzugs den Termin beim Bundesamt nicht wahrnehmen können, was er telefonisch mitgeteilt habe.
Der Antragsteller lässt beantragen,
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung wird angeordnet.
Für dieses Verfahren begehrt er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe.
Das Bundesamt legte die Behördenakten vor, äußerte sich jedoch nicht zum Verfahren.
Im Übrigen wird wegen der Einzelheiten des Sachverhalts auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid der Antragsgegnerin vom 24. Februar 2017 ist unzulässig, da der angefochtene Bescheid bereits unanfechtbar geworden ist und Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand weder vorgetragen noch ersichtlich sind.
1. Gemäß § 74 Abs. 1 AsylG war die Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid innerhalb von 2 Wochen nach Zustellung der Entscheidung zu erheben. Voraussetzungen für das In-Gang-Setzen der Klagefrist ist gemäß § 31 Abs. 1 Satz 3 AsylG zunächst eine wirksame Zustellung. Die Zustellung erfolgt, soweit sich aus der Sondervorschrift des § 10 AsylG nichts anderes ergibt, nach den allgemeinen Zustellungsvorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes (§ 1 VwZG). Im vorliegenden Fall konnte die Antragsgegnerin die Zustellung durch die Post mittels Einschreiben vornehmen. Nach § 4 Abs. 1 VwZG kann ein Dokument durch die Post mittels Einschreiben durch Übergabe oder mittels Einschreiben mit Rückschein zugestellt werden. Im vorliegenden Fall hat die Antragsgegnerin die Variante des Übergabeeinschreibens gewählt. Für dieses greift nach § 4 Abs. 2 Satz 2 VwZG eine gesetzliche Zugangsfiktion. Der Bescheid gilt am 3. Tag nach der Aufgabe zur Post als zugestellt, es sei denn, dass er nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist.
Ausweislich des in den Akten befindlichen Vermerks wurde der streitgegenständliche Bescheid am 3. März 2017 als Einschreiben zur Post gegeben. Damit galt er gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 VwZG, § 57 VwGO, § 222 ZPO i.V.m. § 187 Abs. 1 BGB am 6. März 2017 als zugestellt. Die Klagefrist endete damit gemäß § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 ZPO i.V.m. § 188 Abs. 2 BGB mit Ablauf des 20. März 2017. Die am 22. März 2017 erhobene Klage ist damit verfristet. Soweit der Bevollmächtigte des Antragstellers in seinem Schriftsatz ausführt, der Bescheid sei dem Antragsteller erst am 9. März 2017 zugegangen, führt dies nicht zu einer abweichenden Beurteilung der Rechtslage. Denn die Dreitagesfiktion des § 4 Abs. 2 Satz 2 VwZG kann nicht durch die bloße Behauptung widerlegt werden, dass der Verwaltungsakt erst zu einem späteren Zeitpunkt zugestellt worden sei. Das Bestreiten des nach § 4 Abs. 2 Satz 2 VwZG vermuteten Zeitpunkts der Bekanntgabe erfordert die substantiierte Darlegung von Tatsachen, aus denen schlüssig die nicht entfernt liegende Möglichkeit hervorgeht, dass ein Zugang des Bescheids erst nach dem vermuteten Zeitpunkt erfolgte (OVG Nordrhein-Westfalen, B.v. 7.3.2001 – 19 A 4216/99 – juris Rn. 16 m.w.N.). Dies ist im vorliegenden Fall nicht erfolgt.
Gründe, die eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigen könnten, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung dieser Klage ist damit bereits unzulässig (Kopp/Schenke, VwGO, 22. Auflage 2016, § 80 Rn. 130).
2. Im Übrigen weist das Gericht darauf hin, dass der Eilantrag wohl auch in der Sache keinen Erfolg gehabt hätte. Der Antragsteller ist weder zur persönlichen Anhörung am 23. Dezember 2016 erschienen, noch nahm er schriftlich zu seinem Asylbegehren Stellung. Dies rechtfertigt gemäß § 33 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG die im streitgegenständlichen Bescheid ausgesprochene Rücknahmefiktion. Ein Umzug am Tag der Anhörung vermag sein Nichterscheinen nicht zu rechtfertigen. Vielmehr verlangt die Regelung des § 33 Abs. 2 Satz 2 AsylG das Vorliegen von Umständen, auf die der Antragsteller keinen Einfluss hatte. Dies ist bei einem bloßen Umzugstermin nicht der Fall.
Hinsichtlich des Vorbringens des Antragstellers, er habe die Vaterschaft für ein am 18. Februar 2017 geborenes Kind anerkannt, wird darauf hingewiesen, dass die Frage der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Familiennachzugs zu einem deutschen Kind auf entsprechenden Antrag von der zuständigen Ausländerbehörde zu prüfen ist. Die vom Bundesamt im Rahmen des Asylverfahrens durchzuführende Prüfung ist rein zielstaatsbezogen und beschränkt sich auf die Frage der Gefährdung des Antragstellers im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland.
Nach alledem war der Antrag mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
3. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung für dieses Verfahren war abzulehnen, da der Antrag keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 ZPO). Zur Begründung wird auf die Ausführungen unter den Nummern 1 und 2 dieses Beschlusses verwiesen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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