Aktenzeichen M 6 S 17.35642
AslyG § 10 Abs. 2 S. 4, § 32 S. 1, § 33 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 1, § 38 Abs. 2, § 75 Abs. 1
Leitsatz
Voraussetzung für den Eintritt der Zustellungsfiktion des § 10 Abs. 2 S. 4 AsylG ist, dass der erfolglose Zustellversuch ordnungsgemäß erfolgt ist, was unter anderem dann nicht der Fall ist, wenn an der letzten bekannten Anschrift nach den allgemeinen Regeln des Verwaltungszustellungsgesetzes hätte ordnungsgemäß zugestellt werden können, dies aber zu Unrecht unterblieben ist (ebenso VG Düsseldorf BeckRS 2015, 42372). (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers (M 6 K 17.35453) gegen die in Nr. 3 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 11. März 2017 (Gesch.-Z. …) enthaltene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist eigenen Angaben zufolge afghanischer Staatsangehöriger und reiste angeblich am 19. November 2015 nach Deutschland ein.
Mit Bescheid vom 2. Dezember 2015, eingegangen bei der Antragsgegnerin am selben Tag, wies die Regierung von …- Regierungsaufnahmestelle für Asylbewerber – den Antragsteller ab 3. Dezember 2015 der Stadt M. zu. Als künftiger Wohnsitz werde ihm eine Unterkunft in der H. Straße in M. zugewiesen.
Am 27. Juni 2016 stellte der Antragsteller Asylantrag.
Mit Schreiben vom 26. Oktober 2016 wurde der Antragsteller zur persönlichen Anhörung am 21. November 2016 geladen. Laut Vermerk der Antragsgegnerin wurde die Ladung am 26. Oktober 2016 zur Post gegeben. Ein Zustellnachweis befindet sich nicht in der Akte.
Mit Schreiben vom 25. November 2016 wurde der Antragsteller erneut zur persönlichen Anhörung am 8. Dezember 2016 geladen.
Ausweislich der am 5. Dezember 2016 bei der Antragsgegnerin eingegangen Postzustellungsurkunde vom 29. November 2016 konnte die Ladung nicht zugestellt werden. Die an den Antragsteller unter seiner Anschrift H. Straße in M. gerichtete Postzustellungsurkunde enthält den angekreuzten Vermerk: „Adressat unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln“.
Mit Bescheid des Bundesamts für … (Bundesamt) vom 11. März 2017 wurde das Asylverfahren eingestellt. Der Asylantrag gelte als zurückgenommen (Nr. 1 des Bescheids). Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des AufenthG lägen nicht vor (Nr. 2). Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Sollte der Antragsteller die Ausreisefrist nicht einhalten, werde er nach Afghanistan oder in einen anderen Staat abgeschoben, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei (Nr. 3). Die gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4). Zur Begründung wurde ausgeführt, dass dem Antragsteller der 8. Dezember 2016 als Termin zur persönlichen Anhörung mitgeteilt worden sei. Er sei jedoch ohne genügende Entschuldigung nicht erschienen. Es werde daher gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 AsylG vermutet, dass er das Verfahren nicht betreibe. Folglich gelte der Asylantrag als zurückgenommen. Daher sei gemäß § 32 AsylG festzustellen, dass das Asylverfahren eingestellt sei.
Der an die Anschrift H. Straße in M. adressierte Bescheid wurde laut Vermerk der Antragsgegnerin als Einschreiben am 16. März 2017 zur Post gegeben. Ein Zustellnachweis befindet sich nicht in der Akte.
Mit Schreiben vom 17. März 2017 teilte der Sozialdienst des … e.V. der Antragsgegnerin mit, dass der Antragsteller diesem mitgeteilt habe, dass er keine schriftliche Einladung vom Bundesamt erhalten habe. Der Antragsteller bitte das Bundesamt, die Zustellung der Einladung zum Anhörungstermin zu bestätigen.
Am 20. März 2017 erhob der Antragsteller zur Niederschrift des Urkundsbeamten beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage gegen den Bescheid des Bundesamts vom 11. März 2017 (M 6 K 17.35453) und beantragte,
die aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich der Ausreiseaufforderung und der Abschiebungsandrohung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
Zur Begründung führte er aus, dass er den Anhörungstermin am 8. Dezember 2016 nicht wahrnehmen habe können, weil er die Ladung hierfür nicht erhalten habe. Auf das Schreiben des Sozialdiensts der … e.V. vom 17. März 2017 werde Bezug genommen.
Am 6. April 2017 legte die Antragsgegnerin die Akte vor, ohne sich in der Sache zu äußern.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakten im vorliegenden Antragsverfahren und im Klageverfahren M 6 K 17.35453 und die Behördenakte der Antragsgegnerin ergänzend Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat Erfolg, weil er zulässig und begründet ist.
1. Der Antrag ist zulässig.
1.1 Er ist insbesondere statthaft, weil der Klage gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO -, § 75 Abs. 1, § 38 Abs. 2 Asylgesetz – AsylG – keine aufschiebende Wirkung zukommt, weil das Bundesamt das Verfahren des Antragstellers gestützt auf § 32 Satz 1, § 33 Abs. 1, § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 AsylG eingestellt und dem Antragsteller gemäß § 38 Abs. 2 AsylG eine Ausreisefrist von einer Woche gesetzt hat.
1.2 Dem Antrag fehlt es auch nicht am Rechtsschutzbedürfnis. Weder ist der angefochtene Bescheid vom 11. März 2017 bereits bestandskräftig geworden, noch lässt die Möglichkeit, gemäß § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens zu stellen, das Rechtsschutzbedürfnis entfallen.
Der angefochtene Bescheid ist nicht in Bestandskraft erwachsen, weil davon auszugehen ist, dass der Antragsteller gegen diesen Bescheid innerhalb der zweiwöchigen Klagefrist des § 74 Abs. 1 Halbs. 1 AsylG Klage erhoben hat. In der Akte befindet sich kein Zustellnachweis. Der Bescheid gilt somit gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 Verwaltungszustellungsgesetz – VwZG – frühestens am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post, hier also am 19. März 2017, als zugestellt, so dass die Klageerhebung am 20. März 2017 fristgerecht erfolgt ist.
Die Möglichkeit, gemäß § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens beim Bundesamt zu stellen, lässt das Rechtsschutzbedürfnis ebenfalls nicht entfallen. Das Interesse an gerichtlichen Rechtsschutz kann hier erst dann entfallen, wenn das mit dem Rechtsschutzbegehren verfolgte Ziel durch ein gleich geeignetes, keine anderweitigen rechtlichen Nachteile mit sich bringendes behördliches Verfahren ebenso erreicht werden kann wie in dem angestrebten gerichtlichen Verfahren. Hingegen reicht es nicht wenn der Gesetzgeber die Möglichkeit eröffnet, einen Antrag an die zuständige Behörde zu stellen, der andere Rechtsfolgen als eine gerichtliche Aufhebung des belastenden Verwaltungsakts zeitigt. Nach diesen Grundsätzen kann nicht von einem Wegfall des Rechtsschutzbedürfnis ausgegangen werden, wenn, wie es der Wortlaut des § 33 Abs. 5 Satz 6 Nr. 2 AsylG zumindest nahelegt, die erste Wiederaufnahmeentscheidung nach § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG ein späteres erneutes Wiederaufnahmebegehren selbst dann sperrt, wenn die erste Verfahrenseinstellung nach § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG rechtswidrig gewesen ist. In einer solchen Fallgestaltung verstößt es gegen das in Art. 19 Abs. 4 GG normierte Gebot des effektiven Rechtsschutzes, das Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag nach 80 Abs. 5 VwGO zu verneinen (BVerfG, B.v. 20.7.2016 – 2 BvR 1385/16 – juris Rn. 8).
2. Der Antrag ist auch begründet.
2.1 Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Fall des hier einschlägigen § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft hierbei eine eigene Ermessensentscheidung. Es hat abzuwägen zwischen dem sich aus § 75 AsylG ergebenden öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids und dem privaten Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei der Abwägung sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Eilverfahren nur erforderliche und mögliche summarische Prüfung, dass die Klage voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers, vom Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts zunächst verschont zu bleiben, zurück. Erweist sich umgekehrt der Bescheid nach vorläufiger Prüfung als rechtswidrig, wird das Gericht die aufschiebende Wirkung in der Regel anordnen, da kein öffentliches Interesse an der Vollziehung eines voraussichtlich rechtswidrigen Bescheids besteht. Ist der Ausgang des Verfahrens nicht absehbar, bleibt es bei der allgemeinen Interessenabwägung.
2.2 Gemessen an diesen Grundsätzen überwiegt vorliegend das private Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung, da nach vorläufiger Prüfung davon auszugehen ist, dass die erhobene Anfechtungsklage erfolgreich sein wird. Denn der angefochtene Bescheid erweist sich bei summarischer Prüfung als rechtswidrig und verletzt den Antragsteller in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Voraussetzungen für den Erlass einer Abschiebungsandrohung nach § 34 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 38 Abs. 2 AsylG liegen nicht vor, da sich die Feststellung des Bundesamts, dass der Asylantrag als zurückgenommen gilt und das Asylverfahren eingestellt sei, nach derzeitigem Sach- und Streitstand als rechtswidrig erweist.
§§ 32 Satz 1, 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG bestimmen, dass das Bundesamt im Falle der Rücknahme des Antrags feststellt, dass das Asylverfahren eingestellt ist und ob ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegt. Letzteres ist gemäß § 32 Satz 2 AsylG in den Fällen des § 33 AsylG nach Aktenlage zu entscheiden. Gemäß § 33 Abs. 1 AsylG gilt der Asylantrag als zurückgenommen, wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibt. Letzteres wird gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 AsylG vermutet, wenn der Ausländer einer Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 AsylG nicht nachgekommen ist. Diese Vermutung gilt gemäß § 33 Abs. 2 Satz 2 AsylG nicht, wenn der Ausländer unverzüglich nachweist, dass das in § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG genannte Versäumnis auf Umstände zurückzuführen war, auf die er keinen Einfluss hatte. Führt der Ausländer diesen Nachweis, ist das Verfahren fortzuführen (§ 33 Abs. 2 Satz 3 AsylG).
Vorliegend ist davon auszugehen, dass das Nichterscheinen des Antragstellers zum (zweiten) Anhörungstermin – auf das die Antragsgegnerin den streitgegenständlichen Bescheid gestützt hat – auf Umstände zurückzuführen ist, auf die er keinen Einfluss hatte. Es bestehen erhebliche Zweifel daran, dass der Antragsteller ordnungsgemäß zur Anhörung am 8. Dezember 2016 geladen wurde. Die Ladung konnte dem Antragsteller nicht zugestellt werden. Auch die Zustellungsfiktion des § 10 Abs. 2 Satz 4 AsylG greift nach summarischer Prüfung nicht ein. Zwar muss gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 AsylG der Ausländer Zustelllungen und formlose Mitteilungen unter der letzten Anschrift, die der jeweiligen Stelle auf Grund seines Asylantrags oder seiner Mitteilung bekannt ist, gegen sich gelten lassen, wenn er für das Verfahren – wie hier – weder einen Bevollmächtigten bestellt noch einen Empfangsberechtigten benannt hat. Das gleiche gilt, wenn die letzte bekannte Anschrift, unter der der Ausländer wohnt oder zu wohnen verpflichtet ist, durch eine öffentliche Stelle mitgeteilt worden ist (§ 10 Abs. 2 Satz 2 AsylG). Kann die Sendung dem Ausländer nicht zugestellt werden, so gilt die Zustellung gemäß § 10 Abs. 2 Satz 4 AsylG mit der Aufgabe zur Post als bewirkt, selbst wenn die Sendung als unzustellbar zurückkommt.
Voraussetzung für den Eintritt der Fiktionswirkung ist jedoch, dass der erfolglose Zustellversuch ordnungsgemäß erfolgt ist, was unter anderem dann nicht der Fall ist, wenn an der letzten bekannten Anschrift nach den allgemeinen Regeln des Verwaltungszustellungsgesetzes hätte ordnungsgemäß zugestellt werden können, dieses aber zu Unrecht unterblieben ist (VG Düsseldorf, B.v. 5.2.2015 – 13 L 3079/14.A – juris Rn. 7 ff.). Hiervon ausgehend greift die Zustellungsfiktion vorliegend nicht ein, weil nach der hier allein möglichen summarischen Prüfung davon auszugehen ist, dass der Antragsteller zum Zeitpunkt des erfolglosen Zustellungsversuches unter der angegebenen Adresse, an die zugestellt werden sollte (H. Straße in M.), wohnhaft war, eine ordnungsgemäße Zustellung also hätte erfolgen können.
Etwas anderes folgt nicht aus der Beweiskraft der Postzustellungsurkunde (§ 173 VwGO, § 418 Abs. 1 Zivilprozessordnung – ZPO). Zwar ist die Postzustellungsurkunde – auch nach der Privatisierung der Deutschen Bundespost – eine öffentliche Urkunde mit der sich aus § 418 Abs. 1 ZPO ergebenden vollen Beweiskraft. Diese Beweiskraft erstreckt sich dabei auch darauf, dass der Antragsteller unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln war. Gemäß § 418 Abs. 2 ZPO ist aber der Beweis der Unrichtigkeit der mit der Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen zulässig. Dieser Gegenbeweis erfordert, dass Tatsachen substantiiert vorgetragen werden, die den beurkundeten Sachverhalt widerlegen. Er ist durch qualifiziertes Bestreiten zu führen, indem die in der Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen nicht nur in Abrede gestellt werden, sondern ihre Unrichtigkeit substantiiert und schlüssig dargelegt wird (VG Düsseldorf, B.v. 5.2.2015 – a.a.O. – juris Rn. 12 ff. m.w.N.).
Vorliegend hat zwar der anwaltlich nicht vertretene Antragsteller lediglich vorgetragen, die Ladung zur Anhörung am 8. Dezember 2016 nicht erhalten zu haben, und keine Angaben dazu gemacht, wo er seinerzeit wohnhaft war. Doch wecken schon die sich aus der Akte der Antragsgegnerin ergebenden Umstände für sich genommen erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der mit der Postzustellungsurkunde bezeugten Tatsache, dass der Antragsteller am 29. November 2016 unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln gewesen sei. Denn dem Antragsteller, dem seit 3. Dezember 2015 eine Unterkunft unter dieser Anschrift zugewiesen ist, konnte dreieinhalb Monate später der als Einschreiben zur Post gegebene Bescheid vom 11. März 2017 offenbar ohne weiteres unter derselben Anschrift zugestellt werden. Auch Klage und Eilantrag wurden unter dieser Adresse erhoben. Es liegen daher gewichtige Anhaltspunkte dafür vor, dass der Antragsteller auch zum Zeitpunkt des Zustellversuchs am 29. November 2016 unter dieser Anschrift wohnhaft war. Bei diesen Gegebenheiten liegt ein Zustellungsfehler der Post nahe (so auch VG Augsburg, B.v. 24.3.2017 – Au 7 S. 17.30386 – juris Rn. 30 – in einer vergleichbaren Fallkonstellation). Ob und inwieweit eine Ersatzzustellung (vgl. § 10 Abs. 5 AsylG i.V.m. § 3 Abs. 2 Satz 1 VwZG i.V.m. § 177 ff. ZPO) versucht wurde, geht aus der Postzustellungsurkunde nicht hervor.
Die Annahme der Rücknahmefiktion ist auch nicht aus anderen als den von der Antragsgegnerin geltend gemachten Gründen gerechtfertigt. Nach Aktenlage ist der Antragsteller zwar schon mit Schreiben vom 26. Oktober 2016 zu einer (ersten) Anhörung am 21. November 2016 geladen worden. Laut Vermerk des Bundesamts wurde dieses Schreiben am 26. Oktober 2016 zur Post gegeben. Ein Zustellnachweis liegt jedoch nicht vor. Auch die Zustellungsfiktion des § 10 Abs. 2 Satz 4 AsylG greift hier nicht ein, weil keine Anhaltspunkte für einen erfolglosen Zustellungsversuch vorliegen. Ebenso wenig gilt die Ladung gemäß § 41 Abs. 2 Satz 1 VwVfG als bekanntgegeben, da diese Vorschrift keinen allgemeinen Rechtsgedanken enthält und daher auf andere behördliche Erklärungen als Verwaltungsakte nicht (analog) anwendbar ist (Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 41 Rn. 110). Eine auf das Nichterscheinen zur (ersten) Anhörung gestützte Einstellung des Asylverfahrens wäre somit mangels Zustellnachweises ebenfalls rechtswidrig (vgl. VG München, B.v. 3.8.2016 – M 4 S. 16.31854 – juris). Eine Zustellung der Ladung ist zwar nicht vorgeschrieben (Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 33 Rn. 5). Werden an das Nichterscheinen zur Anhörung aber derart weitreichende Konsequenzen wie die Einstellung des Asylverfahrens und die Entscheidung über das Bestehen von Abschiebungsverboten nach Aktenlage geknüpft (vgl. § 32 Satz 1 und 2 AsylG), erscheint dies – von den hier nicht einschlägigen Sonderreglungen in § 10 AsylG abgesehen – mit dem Rechtsstaatsgebot nur dann als vereinbar, wenn seitens des Bundesamts der Nachweis geführt werden kann, dass dem Ausländer die Ladung zugegangen ist. Daran fehlt es hier.
Nach alledem ist davon auszugehen, dass der Antragsteller im Hauptsacheverfahren erfolgreich den Nachweis führen können wird, dass er das Verfahren weiterhin betreibt, mit der Folge, dass das Verfahren fortzuführen sein wird (§ 33 Abs. 2 Satz 3 AsylG). Auf die (umstrittene) Frage zur Form der Belehrung gemäß § 33 Abs. 4 AsylG (vgl. etwa VG Minden, B.v. 28.2.2017 – 10 L 162/17.A – juris; VG Augsburg, U.v. 13.3.2017 – Au 3 K 16.32293 – juris) braucht daher vorliegend nicht näher eingegangen zu werden.
Dem Bundesamt sei anheimgestellt, den nach summarischer Prüfung rechtswidrigen streitgegenständlichen Bescheid bereits vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens aufzuheben und das Asylverfahren fortzuführen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).