Aktenzeichen M 21 K 17.43379
Leitsatz
1 Das Offensichtlichkeitsurteil iSv § 30 Abs. 1 AsylG erfordert besondere Sorgfalt im Hinblick auf die Wahrheitserforschung und die Feststellung, dass sich nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Abweisung der Klage geradezu aufdrängt. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2 Hinsichtlich nationaler Abschiebungsverbote sind insbesondere sämtliche zum Gesundheitszustand vorliegenden qualifizierten ärztlichen Stellungnahmen zu würdigen und zu prüfen, ob eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung vorliegt, die durch die Abschiebung wesentlich verschlechtert würde. (Rn. 21 – 23) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird als offensichtlich unbegründet abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
Über die Klage, die hinsichtlich des nahe liegenden Verzichts auf ihren Verpflichtungsteil in der mündlichen Verhandlung unproblematisch nur berichtigend klargestellt worden ist (vgl. Ortloff/Riese in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juni 2017, § 91 Rn. 11 m.w.N.), konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten verhandelt und entschieden werden (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die Klage ist offensichtlich unbegründet. Das Gericht folgt zunächst der Begründung des Gerichtsbescheids vom 15. Februar 2018 und sieht daher von der weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 84 Abs. 4 VwGO).
Ergänzend ist nur Folgendes auszuführen.
Bei allen Klageabweisungen, die in den Anwendungsbereich des AsylG fallen – also auch hier -, ist eine Klageabweisung als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet möglich. Nur in reinen ausländerrechtlichen Streitigkeiten, die Asylsuchende betreffen und auf der Grundlage von Vorschriften des AufenthG geführt werden, findet der Berufungsausschluss keine Anwendung (vgl. Hailbronner, AuslR, Stand Juni 2011, § 78 AsylVfG Rn. 3 m.w.N; Marx, AsylVfG, 8. Aufl. 2014, § 78 AsylVfG Rn. 6 m.w.N.).
Bei der Abweisung einer Asylklage als offensichtlich unbegründet, welche die Unanfechtbarkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils zur Folge hat (§ 78 Abs. 1 AsylG), sind nach der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts besondere Anforderungen an die Sachverhaltsermittlung und an die Urteilsbegründung zu stellen. Es muss sich die auf der Hand liegende Aussichtslosigkeit der Klage zumindest eindeutig aus der Entscheidung selbst ergeben (vgl. nur BVerfG, B.v. 21.7.2000 – 2 BvR 1429/98 – juris Rn. 3). Das Bundesverfassungsgericht hat zudem den unbestimmten Rechtsbegriff der Offensichtlichkeit in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dahin ausgelegt, dass Offensichtlichkeit im Sinne des § 30 Abs. 1 AsylG dann vorliegt, wenn im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (hier: § 77 Abs. 1 Halbs. 1 AsylG) an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Gerichts vernünftigerweise kein Zweifel bestehen kann und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung (nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre) die Abweisung der Klage geradezu aufdrängt. Dieselben Anforderungen sind auch an eine gerichtliche Entscheidung über das offensichtliche Nichtvorliegen eines Anspruchs auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß §§ 3 ff. AsylG und an die Abweisung der Klage auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Absatz 7 Satz 1 AufenthG als offensichtlich unbegründet zu stellen (vgl. zu all dem nur BVerfG, B.v. 21.7.2000 – 2 BvR 1429/98 – juris Rn. 3 m.w.N.; BVerfG, B.v. 27.9.2007 – 2 BvR 1613/07 – juris Rn. 18 m.w.N.). Die Darlegung, worauf das Offensichtlichkeitsurteil im Einzelnen gestützt wird, erfordert vor allem dann besondere Sorgfalt, wenn das Bundesamt den Antrag lediglich als (schlicht) unbegründet abgelehnt hat (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2006 – 2 BvR 2063/06 – juris Rn. 10 m.w.N.). Steht, wie im Fall der Abweisung der Klage als offensichtlich unbegründet (§ 78 Abs. 1 AsylG), nur eine Instanz zur Verfügung, so verstärkt dies die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung des Verfahrens im Hinblick auf die Wahrheitserforschung (vgl. nur BVerfG, B.v. 7.11.2008 – 2 BvR 629/06 – juris Rn. 12 m.w.N.).
Gemessen an diesen Maßstäben ist die Klage als offensichtlich unbegründet abzuweisen.
Es steht insbesondere hinreichend gesichert fest, dass auch zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. nur BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris Rn. 13 unter Verweis auf § 77 Abs. 1 AsylG) die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) nicht vorliegen. Insbesondere hat sich weder die der Erstantragsablehnung zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Klägers geändert (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG) noch liegen neue Beweismittel vor, die eine ihm günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG).
Im Kern hat der Kläger im vorliegenden Zusammenhang in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht, von der Gruppierung „Black Axe“ bedroht zu werden.
Zur nachträglichen Änderung der Sach- oder Rechtslage reichen keine bloße Behauptungen, vielmehr ist ein substantiierter Vortrag zu den Veränderungen erforderlich (vgl. nur Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 51 Rn. 90 m.w.N.), an dem es fehlt.
Wäre der Kläger wirklich wegen einer Gefahr durch Mitglieder der „Black Axe“ ausgereist, läge insoweit jedenfalls schon keine nachträgliche Änderung der Sachlage vor. Diese Sachlage hätte dann schon im Zeitpunkt der Erstantragsablehnung in Italien vorgelegen.
Das Gericht glaubt dem Kläger zudem mit der erforderlichen Überzeugungsgewissheit nicht, dass er wegen einer Gefahr durch Mitglieder der „Black Axe“ oder wegen einer sonst im weitesten Sinne asylrechtlich relevanten Gefahr ausgereist ist oder dass eine solche Gefahr nach seiner Ausreise für ihn entstanden ist (§ 28 Abs. 1 Buchst. a AsylG).
In der Bundesamtsanhörung am 7. September 2016 hat der Kläger nur die „Cults“ „Eyes“ und „Arubaga“ erwähnt, die ihm nach seiner angeblichen Beobachtung eines durch diese Gangmitglieder begangenen Mordes nachgestellt haben sollen. Nicht nachvollziehbar ist auch, inwiefern der Kläger vor diesen Gangmitgliedern in der Millionenstadt Abuja in den Busch weggerannt sein soll und woher der Kläger die Wohnorte und Namen dieser Täter kennen sollte. Vollkommen unglaubhaft ist auch die offensichtlich konstruierte „Anschlussgeschichte“ des Klägers, nach der er sich erfolglos an die Polizei gewandt, von ihr hingegen sogar als vermeintlicher Terrorist verhaftet und dann wohl aus dem Polizeigewahrsam „eines Nachts“ durch ein Toilettenfenster geflohen sein soll. Gäbe es den angeblichen Onkel des Klägers und hätte er irgendeine Bedeutung für die Verfolgungsgeschichte, hätte der Kläger dazu bereits in der Bundesamtsanhörung substantiiert vortragen können und müssen, was jeweils nicht einmal ansatzweise geschehen ist. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger nur unvermittelt behauptet, sein Onkel sei zwischenzeitlich von der Polizei verhaftet worden, weil sie habe wissen wollen, wo der Kläger sei.
Hinsichtlich nationaler Abschiebungsverbote, die vorliegend nur als materiell-rechtliche Voraussetzung der Abschiebungsandrohung, gegen die sich die Anfechtungsklage richtet, zu prüfen sind (vgl. Berlit, NVwZ-Extra 6/2018, S. 10), sind insbesondere sämtliche zum Gesundheitszustand des Klägers vorliegenden Stellungnahmen zu würdigen. Das Ergebnis dieser Würdigung ist, dass der Kläger insbesondere aus gesundheitlichen Gründen offensichtlich kein nationales Abschiebungsverbot für sich in Anspruch nehmen kann.
Die Vermutung, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen (§ 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG) ist offensichtlich nicht widerlegt, weil offensichtlich keine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft gemacht ist (§ 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG).
Dem vorläufigen Entlassbrief des Klinikums Fünfseenland Gauting lässt sich schon kein Ansatzpunkt für eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung des Klägers entnehmen (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Es fehlt auch an jeglicher Aussage dazu, dass sich eine solche Krankheit durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde. Die Suizidalität, von der sich der Kläger nach dieser Bescheinigung glaubhaft distanziert hat, kann einmal im Rahmen der Prüfung eines inlandsbezogenen Vollstreckungshindernisses eine Rolle spielen, ist aber für die hier insbesondere vorzunehmende Prüfung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG unerheblich.
Kosten: § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Das Urteil ist unanfechtbar (§ 78 Abs. 1 Satz 1 AsylG).