Verwaltungsrecht

Anforderungen an ein Offensichtlichkeitsurteil

Aktenzeichen  AN 3 S 17.30522

Datum:
13.2.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 30 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1, § 36 Abs. 4 S. 1

 

Leitsatz

Anders als in § 30 Abs. 1 und Abs. 2 AsylG, wo das Offensichtlichkeitsurteil an materielle Voraussetzungen geknüpft wird, ist die Grundlage des Offensichtlichkeitsurteils nach § 30 Abs. 3 AsylG die besonders schwerwiegende Verletzung von Mitwirkungspflichten. Die in § 30 Abs. 3 bis 7 AsylG aufgeführten Voraussetzungen zählen Gruppen unbegründeter Asylanträge auf, bei denen unkooperative, missbräuchliche oder verbotene Verhaltensweisen des Asylbewerbers zur Stützung eines Asylbegehrens festgestellt werden. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Ziffer 5 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 31. Januar 2017 wird angeordnet.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Der Gegenstandswert beträgt 2.500,00 EUR.

Gründe

I.
Der nach eigenen Angaben 1983 geborene Antragsteller ist äthiopischer Staatsangehöriger. Er erklärte, am 11. Mai 2015 aus Italien kommend in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland eingereist zu sein und stellte am 16. Juli 2015 einen Asylantrag.
In der Anhörung nach § 25 AsylG am 10. Oktober 2016 erklärte der Antragsteller, er habe in … einen Friseurladen betrieben. Seine Eltern, Brüder, Schwestern sowie die Großfamilie lebten in … Ihm sei seitens der Kebele-Verwaltung vorgeworfen worden, für die Opposition zu arbeiten. Seine Kunden hätten Flugblätter verteilt – so der Vorwurf – und er habe Namen nennen sollen. Deswegen sei er mehrere Monate inhaftiert gewesen und schließlich gegen eine Kaution von 3.500 Birr freigelassen worden. Es habe noch eine Gerichtsverhandlung stattfinden sollen. Sein Geschäft habe bis dahin geschlossen bleiben sollen. Er habe sich dann aber zur Flucht entschlossen und sei in den Sudan ausgereist. Er sei inzwischen Mitglied der Ginbot 7.
Die Anhörung zu den Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 AufenthG erfolgte im Rahmen dieser Anhörung.
Mit Bescheid vom 31. Januar 2017 (ohne Nachweis der Zustellung) lehnte die Antragsgegnerin den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als offensichtlich unbegründet ab (Ziffer 1), lehnte den Antrag auf Asylanerkennung als offensichtlich unbegründet ab (Ziffer 2), lehnte den Antrag auf Zuerkennung subsidiären Schutzes als offensichtlich unbegründet ab (Ziffer 3), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen (Ziffer 4), drohte dem Antragsteller für den Fall der Nichtausreise binnen einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung die Abschiebung nach Äthiopien oder in einen anderen zur Rücknahme bereiten oder verpflichteten Staat an (Ziffer 5) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 6).
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, es spreche nichts dafür, dass der vom Antragsteller geschilderte Sachverhalt auf tatsächlich Erlebtem beruhe. Offensichtlich habe er sich eine Geschichte mit möglicher Asylrelevanz für das Asylverfahren zurechtgelegt. Seine Schilderungen seien detailarm, vage, verallgemeinernd und oberflächlich. Außerdem entspreche sein Vortrag dem vieler Asylbewerber in Deutschland. Die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet wurde auf § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylG gestützt.
Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten, das am 6. Februar 2017 beim Verwaltungsgericht Ansbach einging, ließ der Antragsteller Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid erheben (AN 3 K 17.30523). Im Wesentlichen bezieht er sich zur Begründung auf sein Vorbringen aus dem Verfahren vor dem Bundesamt. Weiterhin gibt er an, Mitglied der EPPFG zu sein.
Gleichzeitig ließ er beantragen,
die aufschiebende Wirkung dieser Klage gegen Ziffer 5 des Bescheides anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogenen Behörden- und Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag, die gemäß § 75 AsylG ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung in Ziffer 5 des streitgegenständlichen Bescheides des Bundesamtes nach § 80 Abs. 5 der VwGO anzuordnen, ist zulässig und begründet.
Die Wochenfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG wurde eingehalten.
Der Antrag hat Erfolg, da ernstliche Zweifel an der Offensichtlichkeitsentscheidung bestehen, § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG.
Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens ist gemäß § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG die unter Setzung einer Ausreisefrist von einer Woche (§ 36 Abs. 1 AsylG) ausgesprochene Abschiebungsandrohung. Die mit dieser Verwaltungsentscheidung intendierte umgehende Beendigung des Aufenthalts des Asylbewerbers im Bundesgebiet stützt sich auf die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet und ist deren Folge. Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes daher auch die Einschätzung des Bundesamtes, dass der geltend gemachte Anspruch auf Asylanerkennung bzw. auf Zuerkennung des internationalen Schutzes offensichtlich nicht besteht, zum Gegenstand seiner Prüfung zu machen.
Demnach darf die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an dem Offensichtlichkeitsurteil oder der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung im Übrigen bestehen (§ 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG). Ernstliche Zweifel liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Abschiebungsandrohung – insbesondere das Offensichtlichkeitsurteil des Bundesamtes – einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält.
Derartige Zweifel bestehen vorliegend.
Die Ablehnung der Anträge in den Ziffern 1 bis 3 des angefochtenen Bescheides als offensichtlich unbegründet findet ihre Grundlage weder in der von der Antragsgegnerin der Entscheidung zugrunde gelegten Norm des § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylG noch in der des § 30 Abs. 1 AsylG.
1. Nach § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylG ist ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn in wesentlichen Punkten das Vorbringen des Ausländers nicht substantiiert oder in sich widersprüchlich ist, offenkundig den Tatsachen nicht entspricht oder auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel gestützt wird. Anders als in § 30 Abs. 1 und 2 AsylG, wo das Offensichtlichkeitsurteil an materielle Voraussetzungen geknüpft wird, ist die Grundlage des Offensichtlichkeitsurteils nach § 30 Abs. 3 AsylG die besonders schwerwiegende Verletzung von Mitwirkungspflichten. Die in § 30 Abs. 3 bis 7 AsylG aufgeführten Voraussetzungen zählen Gruppen unbegründeter Asylanträge auf, bei denen unkooperative, missbräuchliche oder verbotene Verhaltensweisen des Asylbewerbers zur Stützung eines Asylbegehrens festgestellt werden (vgl. BT-Drs. 12/4152, 4; Art, 16 a Abs. 4 GG) und sanktioniert diese wegen subjektiver Vorwerfbarkeit (§ 10 Abs. 3 Satz 2 AsylG).
Bereits die Systematik des § 30 AsylG verbietet es, aus einem Vorbringen, das möglicherweise als offensichtlich unbegründet im Sinne des § 30 Abs. 1 oder 2 AsylG zu qualifizieren ist, ohne Hinzutreten besonderer Umstände einen groben Verstoß gegen Mitwirkungspflichten im Sinne des § 30 Abs. 3 AsylG herzuleiten. Vielmehr ist dafür nötig, dass bestimmte Umstände hinzukommen und vom Bundesamt dargelegt werden, die die mit der Ablehnung als offensichtlich unbegründet im Sinne des § 30 Abs. 3 AsylG verbundene Sanktion (vgl. § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG) rechtfertigen.
Hinsichtlich des anspruchsbegründenden Vorbringens des Antragstellers sind die Voraussetzungen des § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylG – in Konkretisierung und Präzisierung des § 30 Abs. 1 AsylG – dann erfüllt, wenn das Vorbringen im Kern nicht nur aus Rechtsgründen ungeeignet ist, um den Anspruch auf Asyl- oder Flüchtlingszuerkennung zu gewähren, sondern auch unsubstantiiert und widersprüchlich ist, wobei das Bundesamt vor seiner Entscheidung gehalten ist, Ungereimtheiten und Widersprüche aufzuklären (Hailbronner, Ausländerrecht, Oktober 2016, § 30 Rn. 68, 69).
Derartige Gründe hat das Bundesamt im streitgegenständlichen Bescheid nicht dargelegt. Vielmehr hat die Antragsgegnerin ihre Offensichtlichkeitsentscheidung gar nicht begründet, sondern nur Ausführungen dazu gemacht, dass sie den Sachvortrag des Antragstellers für unglaubhaft halte. Sie ergeben sich auch nicht aus dem Vorbringen oder dem Verhalten des Antragsstellers ausweislich der vorliegenden Behördenakten.
2. Darüber hinaus kann das Offensichtlichkeitsurteil auch nicht auf § 30 Abs. 1 AsylG gestützt werden.
Nach der Generalklausel des § 30 Abs. 1 AsylG ist der Antrag dann offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Zuerkennung internationalen Schutzes (§§ 3 und 4 AsylG) offensichtlich nicht vorliegen. Dies ist anzunehmen, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Bundesamtes vernünftigerweise keine Zweifel bestehen und sich bei einem solchen Sachverhalt die Ablehnung geradezu aufdrängt (BVerfG, B.v. 20.12.2006 – 2 BvR 2063/06).
Auch am Vorliegen dieser Voraussetzungen bestehen nach Auffassung der Einzelrichterin Zweifel.
Denn der Vortrag des Antragstellers, der von der Antragsgegnerin nach dem Inhalt der Akten zutreffend als wenig detailreich und vage eingeschätzt wurde, ist an sich nicht schon von vornherein ungeeignet, eine Asylanerkennung bzw. die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz zu tragen. Er entspricht – wie das Bundesamt selbst ausführt – dem Vorbringen, mit dem eine Vielzahl von Asylbegehrenden aus Äthiopien im behördlichen und im gerichtlichen Verfahren ihren Asylantrag begründet. Dies allein rechtfertigt aber – wie oben dargelegt – noch nicht den Schluss einer Offensichtlichkeitsentscheidung nach § 30 Abs. 1 AsylG.
Demnach war dem Antrag stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1, die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83 b AsylG.
Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 RVG.
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG nicht mit der Beschwerde angreifbar.


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