Verwaltungsrecht

Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen eine Abschiebungsanordnung nach Ungarn

Aktenzeichen  AN 3 S 17.50268

Datum:
23.2.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2 UAbs. 3
VwGO VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Abs. 5 S. 1
AsylG AsylG § 75 Abs. 1
EMRK EMRK Art. 3

 

Leitsatz

Die Erfolgsaussichten einer Klage im sog. Dublin-Verfahren gegen eine Abschiebungsanordnung nach Ungarn sind derzeit als offen anzusehen. Ob in Ungarn systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen vorliegen, bedarf noch näherer Aufklärung.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 6. Februar 2017wird angeordnet.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Der Gegenstandswert beträgt 2.500,00 EUR.

Gründe

I.
Der nach eigenen Angaben 1997 geborene Antragsteller ist irakischer Staatsangehöriger und Yezide. Er reiste am 2. November 2016 in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 14. November 2016 einen Asylantrag, welchen er im Rahmen seiner Anhörung gemäß § 25 AsylG am 12. Dezember 2016 auf die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz beschränkte.
Nachdem ein Eurodac-Treffer für Ungarn (Blatt 39 der Akte des Bundesamtes vom 12. Oktober 2016) vorlag, richtete das Bundesamt am 16. November 2016 ein Übernahmeersuchen an die ungarischen Behörden, welches unbeantwortet blieb.
Mit Bescheid vom 6. Februar 2017, welcher mit Schreiben vom selben Tag sowohl an den Antragsteller persönlich als auch an seinen Prozessbevollmächtigten versandt wurde, lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2), ordnete die Abschiebung nach Ungarn an (Ziffer 3) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG auf 6 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4).
In Ungarn bestünden keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen, auch Anhaltspunkte für das Bestehen von Abschiebungsverboten ergäben sich nicht, insbesondere nicht wegen der behaupteten (nicht behandlungsbedürftigen) Brustschmerzen und wegen der Tatsache, dass der Bruder und die Schwägerin des Antragstellers sich in Deutschland aufhielten. Dem Antragsteller drohe keine Verletzung der in § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG genannten Rechtsgüter, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht auszuüben, seien nicht ersichtlich. Im Übrigen wird auf die Begründung des Bescheides Bezug genommen.
Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten, der am 13. Februar 2017 beim Verwaltungsgericht Ansbach einging, ließ der Antragsteller Klage gegen den ablehnenden Bescheid des Bundesamtes erheben (AN 3 K 17.50269). Gleichzeitig beantragte er,
die aufschiebende Wirkung dieser Klage anzuordnen.
Die Antragsgegnerin hat bislang keinen Antrag gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogenen Behörden- und Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO, die aufschiebende Wirkung gegen die in Ziffer 3 des angefochtenen Bescheides ausgesprochene Abschiebungsanordnung anzuordnen, ist wegen als offen zu beurteilender Erfolgsaussichten in der Hauptsache auch begründet.
Das Interesse des Antragstellers überwiegt im Rahmen der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung das gesetzlich angeordnete Vollzugsinteresse nach § 75 Abs. 1 AsylG, weshalb die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen ist, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO.
Das Verwaltungsgericht Ansbach ging bis Dezember 2016 in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass hinsichtlich Ungarn die Schwelle zur Annahme des Bestehens systemischer Mängel nach Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO mangels tatsächlicher Anhaltspunkte und Nichtbestehens des “real risk“ nicht überschritten werde, weshalb eine Verpflichtung zum Selbsteintritt der Antragsgegnerin abgelehnt wurde, Art. 3 Abs. 2 UA 3 Dublin III-VO.
Nach Urteilen des VGH Baden-Württemberg vom 13. Oktober 2016 – A 11 S 1596/16 -, juris und des OVG Lüneburg vom 15. November 2016 – 8 LB 92/15 -, juris ist derzeit vom Bestehen systemischer Mängel in Ungarn auszugehen. Die Entscheidungen stützen sich im Wesentlichen auf die Missachtung von Verfahrensrechten im Rahmen der Anordnung von Asylhaft und bei der Durchführung des Asylverfahrens.
Die Kammer sieht derzeit weiteren Aufklärungsbedarf und hat eine entsprechende Anfrage an das Auswärtige Amt und den UNHCR gerichtet. Die notwendige Aufklärung kann im Rahmen des Eilverfahrens nicht durchgeführt werden, weshalb die Erfolgsaussichten der Klage des Antragstellers derzeit als offen zu beurteilen sind.
Mittlerweile hat auch der BayVGH die Berufung gegen ein klageabweisendes Urteil der Kammer mit Beschluss vom 25. Januar 2017 (13 a ZB 16.50076) zugelassen.
Wegen der möglicherweise betroffenen hohen Rechtsgüter des Antragstellers aus Art. 3 EMRK fällt die Interessenabwägung zu seinen Gunsten aus, weshalb die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83 b AsylG, der Gegenstandswert aus § 30 Abs. 1 2. Halbsatz RVG.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde angreifbar, § 80 AsylG.


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