Verwaltungsrecht

Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage wegen drohender Haft im Senegal

Aktenzeichen  M 16 S 16.31341

Datum:
23.6.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
AsylG AsylG § 3, § 4 Abs. 1, § 25, § 29a, § 36 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 S. 1, § 75 Abs. 1
GG GG Art. 16a Abs. 3 S. 1
AufenthG AufenthG § 11 Abs. 7, § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Da die Haftbedingungen im Senegal “problematisch” sind und es Berichte von Folter in der Haft gibt, ist die aufschiebende Wirkung einer Klage anzuordnen, wenn der Vortrag des Asylsuchenden, ihm drohe eine Inhaftierung, trotz Widersprüchen in einzelnen Punkten im Wesentliche stimmig ist, der Überprüfung durch seine Anhörung im Hauptsacheverfahren bedarf und die Gewährung subsidiären Schutzes in Betracht kommt. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die in dem Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 2. Juni 2016 enthaltene Abschiebungsandrohung wird angeordnet.
II.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtschutz gegen einen Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt), mit dem sein Asylbegehren als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde.
Der Antragsteller ist Staatsangehöriger Senegals. Er reiste nach eigenen Angaben erstmals am 7. Februar 2015 in das Bundesgebiet ein. Am 20. Mai 2015 stellte er bei dem Bundesamt einen Asylantrag.
Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt gemäß § 25 AsylG am 1. März 2016 gab der Antragsteller im Wesentlichen an, er habe sein Herkunftsland im Juni 2014 verlassen. Er habe eine Ausbildung zum Maurer gemacht und bis zu seiner Ausreise in diesem Beruf gearbeitet. Er sei 2013 in Belgien gewesen und habe dort einen negativen Asylbescheid bekommen. Er sei danach wieder in Senegal gewesen, seine Frau habe ihm dann die Lage noch einmal geschildert und er sei dann nach Mauretanien gegangen. Er habe in seiner Heimat eine eigene Firma gehabt. 2006 sei er wegen eines Bauprojekts, das ihm angeboten worden sei, nach Mali gegangen. Er sei mit seinen Mitarbeitern und seiner Familie sowie mit Material für die Arbeit dorthin gegangen. Er habe in Senegal 30 Mio. F Cfar Kredit für junge Firmengründer beantragt. Mit dem Geld habe er ein Gerüst, zwei Maschinen und einen Bus gekauft und diese Ware nach Mali gefahren. Nach dem Regierungswechsel habe die neue Regierung die sofortige Rückzahlung des Kredits gefordert. Der Antragsteller hätte bereits 13 Mio. abbezahlt. Als 2012/2013 der Krieg in Mali ausgebrochen sei, seien die Djihadisten zu ihm nach Hause gekommen. Sie hätten das Auto, das Gerüst und die zwei Maschinen mitgenommen. Seine beiden älteren Kinder seien nicht von der Schule nach Hause gekommen, sie seien umgebracht worden. Er sei dann zurück in den Senegal gereist. Dies sei 2012 gewesen. Er habe dann den Staat als seinen Gläubiger über den Vorfall informiert. Sie hätten gesagt, dass jeder, der dem Staat Geld schulde, sofort zahlen solle oder es drohe Gefängnis. Er habe seinen Kredit nicht mehr bezahlen können und er hätte niemanden gehabt, der ihm diesen abbezahlt hätte. Im Gefängnis erwarte ihn Folter, an der man sterben könnte. Der Richter, der ihn verurteilt habe, habe zu ihm gesagt, wenn er nicht zahle, sterbe er im Gefängnis. Er kenne auch andere Unternehmensgründer, die im Gefängnis seien, zwei seien tot.
Mit Bescheid vom 2. Juni 2016, zugestellt am 9.6.2016, lehnte das Bundesamt sowohl den Antrag auf die Anerkennung als Asylberechtigter (Nr. 2 des Bescheids) als auch den Antrag auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1 des Bescheids) als offensichtlich unbegründet ab. Ebenso wurde der Antrag auf Zuerkennung subsidiären Schutzes abgelehnt (Nr. 3 des Bescheids). Das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG wurde verneint (Nr. 4 des Bescheids). Der Antragsteller wurde zur Ausreise aufgefordert, die Abschiebung wurde bei nicht fristgerechter Ausreise angedroht (Nr. 5 des Bescheids). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 7 AufenthG wurde auf 10 Monate ab dem Tag der Ausreise befristet (Nr. 6 des Bescheids), das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot für das Bundesgebiet ab dem Tag der Abschiebung auf 30 Monate (Nr. 7 des Bescheids).
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Antragsteller stamme aus einem sicheren Herkunftsstaat im Sinne von § 29a Abs. 2 AsylG. Er habe nichts glaubhaft vorgetragen oder vorgelegt, was zu der Überzeugung gelangen ließe, dass entgegen der Einschätzung der allgemeinen Lage in seinem Herkunftsstaat in seinem Fall die Voraussetzungen für die Annahme einer begründeten Furcht vor Verfolgung oder die Gefahr eines ernsthaften Schadens erfüllt seien. Selbst wenn sein Vorbringen als wahr angenommen werde, sei daraus weder eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungshandlung noch ein flüchtlingsrechtlich relevantes Anknüpfungsmerkmal ersichtlich. Sowohl sein Vorbringen zu seinem Lebenshintergrund als auch zu den Gründen für seine Ausreise seien in wesentlichen Punkten voneinander abweichend und unplausibel. Es sei ihm nicht gelungen, seine Asylgründe glaubhaft vorzutragen. Folter sei in Senegal verfassungsrechtlich untersagt und strafbar, die Todesstrafe sei abgeschafft worden. Dem Antragteller drohe kein ernsthafter Schaden. Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Senegal führten nicht zu der Annahme, dass bei Abschiebung des Antragstellers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Die hohen Anforderungen an den Gefahrenmaßstab seien nicht erfüllt. Es drohe dem Antragsteller auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG führen würde. Auf die Begründung des Bescheids wird im Einzelnen verwiesen.
Gegen diesen Bescheid erhob der Antragstellers am 10. Juni 2016 Klage mit dem Antrag, den Bescheid in Nr. 1 und in Nrn. 3 bis 7 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorliegen, die Antragsgegnerin zu verpflichten, den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen und sie zu verpflichten festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und, Abs. 7 Satz 1 AufenthG bestehen. Zudem beantragte er,
hinsichtlich der Abschiebungsandrohung die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
Zur Begründung nahm er auf seine bisherigen Angaben gegenüber dem Bundesamt Bezug.
Das Bundesamt beantragte mit Schreiben vom 18. Juni 2016,
den Antrag abzulehnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die Gerichtsakte im Klageverfahren M 16 K 16.31340 sowie auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag, die kraft Gesetzes (§ 75 Abs. 1 AsylG) ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung im streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamts nach § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen, ist zulässig. Insbesondere wurde die Wochenfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG eingehalten.
Der Antrag ist auch begründet, da ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen (vgl. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG).
Gemäß § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG kann das Verwaltungsgericht auf Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO die Aussetzung der Abschiebung anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Im Hinblick auf den Vortrag des Antragstellers, nach dem in seinem Fall die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes im Sinne von § 4 AsylG vorliegen könnten, bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der insoweit seitens des Bundesamts getroffenen Entscheidung. Es sprechen erhebliche Gründe dafür, dass die angefochtene Maßnahme jedenfalls in dem für diese Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält.
Nach dem Vortrag des Antragstellers stand ihm in seinem Herkunftsland eine Verurteilung bzw. Inhaftierung bevor, da er ein staatliches Darlehen nicht zurückzahlen konnte. Es droht ihm nach seinem Vorbringen eine Inhaftierung und die Gefahr von Folter im Gefängnis. Damit könnten die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG erfüllt sein.
Zwar weist das Vorbringen des Antragstellers in einzelnen Punkte Widersprüchlichkeiten auf, die Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit begründen könnten. In wesentlichen Punkten stimmen die Aussagen jedoch überein und der Antragsteller nennt auch Einzelheiten. Bereits vor der Anhörung hatte er eine ausführliche schriftliche Stellungnahme abgegeben. Zudem ist zu berücksichtigen, dass der Antragsteller auf einen Sprachmittler angewiesen (vgl. auch BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris Rn. 121) ist. Es erscheint daher möglich, dass das Vorbringen des Antragstellers trotz einzelner Widersprüche bzw. verbliebener Unklarheiten als glaubhaft anzusehen ist.
Bei Wahrunterstellung des Vorbringens lägen nicht unerhebliche Anhaltspunkte dafür vor, dass die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 AsylG vorliegen könnten. Auch in dem Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 21. November 2015 wird ausgeführt (vgl. S. 14), dass die Haftbedingungen problematisch seien. Inhaftierten werde auch gewöhnlich nicht erlaubt, sich zu beschweren bzw. Untersuchungen zu den Haftbedingungen zu beantragen. Amnesty International verweise in seinem Bericht auf Fälle von Folter in der Polizei- und Untersuchungshaft, teilweise mit Todesfolge, die nicht strafrechtlich verfolgt worden seien. Die bisherige Regierung habe sie als Einzelfälle eingestuft.
Die nähere Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen und eine informelle Anhörung des Antragstellers sowie ggf. eine Beweisaufnahme müssen daher dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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