Verwaltungsrecht

Anordnung einer Wohnungsdurchsuchung zum Zwecke der Sicherstellung von Waffenbesitzkarte und Schusswaffen

Aktenzeichen  M 7 E 16.4822

Datum:
27.10.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG GG Art. 13 Abs. 1, Abs. 2
VwZVG VwZVG Art. 19 Abs. 1, Abs. 2, Art. 34 S. 1, Art. 36 Abs. 1 S. 2, Art. 37 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 S. 1
WaffG WaffG § 5 Abs. 2 Nr. 1a, § 46 Abs. 1, Abs. 2
VwGO VwGO § 117 Abs. 3, § 123, § 154 Abs. 1
BayVwVfG BayVwVfG Art. 28 Abs. 1

 

Leitsatz

Eine Wohnungsdurchsuchung nach Art. 37 Abs. 3 S. 1 VwZVG unterliegt dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Durchsuchung des Einfamilienhauses einschließlich vorhandener Keller- und Garagenräume von Herrn … durch Bedienstete des Landratsamts München und Polizeibeamte wird gestattet. Verschlossene Türen und Behältnisse dürfen geöffnet werden. Die Gestattung gilt sechs Monate ab Beschlussdatum und nur für die zwangsweise Sicherstellung des Originaldokumentes der am …2009 vom Landratsamt München ausgestellten Waffenbesitzkarte Nr. … und folgender darin eingetragener Schusswaffen samt ggf. vorhandener Munition:
ArtHerstellerKaliberHerst.Nr.
BockdoppelflinteZbrojovka Brno16/65; 16/6542872
BockbüchsflinteBrno Arms7x57R; 12/70407440,3-440047
Repetier-BüchseZbrojovka Brno7x6412094
II.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des gerichtsgebührenfreien Verfahrens.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt die Anordnung einer Hausdurchsuchung zum Zwecke der Sicherstellung der Waffenbesitzkarte des Antragsgegners sowie der darin eingetragenen drei Schusswaffen und ggf. vorhandener Munition.
Die Waffenbesitzkarte Nr. …, in die drei Langwaffen mit Munitionserwerbsberechtigung eingetragen sind, wurde dem Antragsgegner am … 2009 erteilt. Mit Bescheid vom 21. März 2016 widerrief der Antragsteller die Waffenbesitzkarte wegen waffenrechtlicher Unzuverlässigkeit nach § 5 Abs. 2 Nr. 1a WaffG aufgrund einer rechtskräftigen Verurteilung durch das Amtsgericht München vom 30. Juli 2015 zu 60 Tagesätzen (Nummer 1). Er gab dem Antragsgegner auf, die in seinem Besitz befindlichen Waffen samt ggf. vorhandener Munition bis spätestens einen Monat nach Zustellung des Bescheids einem Berechtigten zu überlassen oder dauerhaft unbrauchbar zu machen und dem Landratsamt München dies nachzuweisen (Nummer 2) sowie die Waffenbesitzkarte innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung des Bescheids dem Landratsamt München zu übergeben (Nummer 3). In Nummer 4 wurde die sofortige Vollziehung der Nummern 2 und 3 des Bescheids angeordnet und in Nummer 5 ein Zwangsgeld in Höhe von 250,00 Euro angedroht für den Fall der nicht fristgerechten Erfüllung der in Nummer 3 angeordneten Rückgabeverpflichtung des Erlaubnisdokuments. Am 18. Mai 2016 setzte der Antragsteller das im Bescheid vom 21. März 2016 angedrohte Zwangsgeld fest und drohte ein erneutes Zwangsgeld in Höhe von 500,00 Euro für den Fall der Nichterfüllung der Rückgabepflicht bis spätestens einen Monat nach Zustellung des Bescheids an. Schließlich erließ der Antragsteller am 29. Juni 2016 einen weiteren Bescheid, in dem das mit Bescheid vom 18. Mai 2016 angedrohte Zwangsgeld festgesetzt wurde und ein erneutes Zwangsgeld in Höhe von 750,00 Euro für den Fall der Nichterfüllung der Rückgabepflicht bis spätestens einen Monat nach Zustellung des Bescheids angedroht wurde. Der Antragsgegner legte gegen keinen der Bescheide einen Rechtsbehelf ein.
Am 1. September 2016 suchten Mitarbeiter des Landratsamts den Antragsgegner zu Hause auf, um das weitere Vorgehen zu klären. Der Antragsgegner erklärte, dass er bis 12. September 2016 einen Nachfolger für die vorhandenen Waffen mitteilen werde. Dies erfolgte nicht. Mit Schreiben vom 13. September 2016 stellte der Antragsteller das Zwangsgeld in Höhe von 750,00 Euro zur Zahlung fällig und drohte dem Antragsgegner bei Nichterfüllung der Rückgabeverpflichtung der Waffenbesitzkarte und der Waffen samt ggf. vorhandener Munition bis spätestens 16. Oktober 2016 die behördliche Sicherstellung des Dokuments und der Waffen an unter Hinweis auf die Möglichkeit der Durchsuchung der Wohnung mit richterlichem Beschluss.
Mit Schreiben vom 20. Oktober 2016, beim Verwaltungsgericht München eingegangen am 24. Oktober 2016, beantragte der Antragsteller,
die Durchsuchung des Einfamilienhauses von Herrn … in der …, zum Zwecke der Sicherstellung des Originaldokumentes der Waffenbesitzkarte (Nr. … ausgestellt am …2009 vom Landratsamt München) sowie die Sicherstellung der vorhandenen Waffen samt ggf. Munition anzuordnen und die Mitarbeiter des Landratsamtes München ggf. unter Mithilfe der Polizei zu ermächtigen, alle verschlossenen Türen, Räume (auch ggf. vorhandene Keller- und Garagenräume) sowie Behältnisse zum Zweck der zwangsweisen Sicherstellung zu öffnen.
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die Waffenbesitzkarte wegen fehlender Zuverlässigkeit des Antragsgegners mit seit 24. April 2016 bestandskräftigem Bescheid widerrufen worden sei. Die Bescheide mit den Vollstreckungsandrohungen seien zugestellt worden und die gesetzte Erfüllungsfrist bis 16. Oktober 2016 sei abgelaufen. Es bestehe die Gefahr, dass der Antragsgegner das Dokument und die Waffen nicht freiwillig herausgeben werde, da er bereits viermal ergebnislos aufgefordert worden sei, der Anordnung nachzukommen. Ein weiteres Zwangsgeld erscheine nicht erfolgsversprechend, da sich der Antragsgegner seit fünf Monaten passiv verhalte. Die beantragte Anordnung der Durchsuchung zum Zwecke des Auffindens und der Sicherstellung der Waffenbesitzkarte und der Waffen samt ggf. vorhandener Munition sei verhältnismäßig. Der Antragsgegner sei als im waffenrechtlichen Sinn ungeeignete Person ohne die dafür nötige Erlaubnis im Besitz des Dokuments, das ihm das Führen von erlaubnispflichtigen Schusswaffen gestatte. Dies stelle aus Gründen der allgemeinen Sicherheit einen nicht hinnehmbaren Zustand dar. Über mehr als fünf Monate hinweg sei ihm mehrmals die Möglichkeit gegeben worden, das Dokument und dessen Waffen samt Munition herauszugeben, was er jedoch nicht getan habe.
Wegen weiterer Einzelheiten wird gemäß § 117 Abs. 3 VwGO analog auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf richterliche Anordnung der Wohnungsdurchsuchung nach Art. 13 Abs. 2 GG ist zulässig und begründet.
Der Antrag ist statthaft. Im Hinblick auf Art. 13 Abs. 1 und 2 GG dürfen Wohnungsdurchsuchungen außer bei Gefahr im Verzug nur auf der Grundlage einer richterlichen Anordnung erfolgen (vgl. BVerfG, B. v. 3.4.1979 – 1 BvR 994/76 – BVerfGE 51, 97/106 ff. m. w. N.; B. v. 16.6.1981 – 1 BvR 1094/80 – BVerfGE 57, 346/355; BayVGH, B. v. 23.2.2000 – 21 C 99.1406 – juris Rn. 24).
Der Antrag hat auch in der Sache Erfolg.
Aus Art. 13 Abs. 2 GG folgt für den Prüfungsmaßstab und -umfang, dass die sich aus der Verfassung und dem einfachen Recht ergebenden Voraussetzungen der Durchsuchung als solche in richterlicher Unabhängigkeit geprüft werden müssen (BVerfG, B. v. 16.6.1981 – 1 BvR 1094/80 – BVerfGE 57, 346/356; BayVGH, B. v. 23.2.2000 – 21 C 99.1406 – juris Rn. 25). Notwendig und ausreichend ist es daher zu prüfen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Durchführung der Vollstreckungsmaßnahme vorliegen und ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist, insbesondere, ob die zu vollstreckende Maßnahme den schwerwiegenden Eingriff in die Unverletzlichkeit der Wohnung rechtfertigt (BayVGH, B. v. 23.2.2000 a. a. O. Rn. 25 m. w. N.).
Rechtsgrundlage für die Durchsuchung der Wohnung – hier des Einfamilienhauses des Antragsgegners – zur Sicherstellung der waffenrechtlichen Erlaubnis und der Waffen samt ggf. vorhandener Munition nach fruchtlosem Ablauf der zur Erfüllung der waffenrechtlichen Verpflichtung eingeräumten Fristen ist Art. 37 Abs. 3 Satz 1 VwZVG.
Der Bescheid vom 21. März 2016 ist bestandskräftig und gemäß Art. 19 Abs. 1 VwZVG vollstreckbar. Die im Bescheid gesetzte Frist, innerhalb derer der Antragsgegner seine Waffenbesitzkarte abzugeben und seine Schusswaffen und ggf. vorhandene Munition einem Berechtigten zu überlassen oder dauerhaft unbrauchbar zu machen hat, ist abgelaufen (Art. 19 Abs. 2 VwZVG). Die Fristen im Ausgangsbescheid und in den weiteren Bescheiden waren jeweils angemessen im Sinne von Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG. Die Anwendung unmittelbaren Zwangs (Art. 34 Satz 1 VwZVG) erscheint nunmehr geboten. Mit Schreiben vom 13. September 2016 hat der Antragsteller die behördliche Sicherstellung bei Nichterfüllung der Verpflichtungen bis spätestens 16. Oktober 2016 angedroht und auf die Möglichkeit einer Wohnungsdurchsuchung hingewiesen. Weder das Einräumen einer längeren Frist zur Benennung eines Berechtigten zur Überlassung der Schusswaffen, wie es Mitarbeiter der Waffenbehörde bei einem Besuch am 1. September 2016 mit ihm besprochen hatten, noch die Androhung erhöhter Zwangsgelder haben den Antragsgegner dazu veranlasst, seine Waffenbesitzkarte zurückzugeben und seine Waffen und ggf. vorhandene Munition einem Berechtigten zu überlassen bzw. unbrauchbar zu machen und dies nachzuweisen.
Auch die weiteren Vollstreckungsvoraussetzungen sind gegeben. Eine vorangehende Androhung der Wohnungsdurchsuchung (Art. 36 VwZVG) bzw. Anhörung des Antragsgegners (Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG) ist nicht erforderlich. Die Sicherung gefährdeter Interessen kann in besonderen Gefahrenlagen einen sofortigen Zugriff notwendig machen, der die vorherige Anhörung ausschließt. In diesen Fällen ist eine Verweisung des Betroffenen auf eine nachträgliche Anhörung mit dem Recht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) vereinbar (BVerfG, B. v. 16.6.1981 – 1 BvR 1094/80 – BVerfGE 57, 346/358 ff.). Das Gericht teilt die glaubwürdig vorgetragene Einschätzung des Antragstellers, der Antragsgegner werde das Erlaubnisdokument und die Waffen samt ggf. vorhandener Munition nicht freiwillig herausgeben. Diese Annahme ist aufgrund der mehrmaligen ergebnislos gebliebenen Bemühungen des Antragstellers, ihn zur Einhaltung seiner waffenrechtlichen Verpflichtungen anzuhalten, gerechtfertigt.
Schließlich verstößt die Wohnungsdurchsuchung auch nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Nach Art. 37 Abs. 3 Satz 1 VwZVG sind die mit der Durchführung des Verwaltungszwangs beauftragten Bediensteten der Vollstreckungsbehörde und Polizeibeamten befugt, die Wohnung des Pflichtigen zu betreten und verschlossene Türen und Behältnisse zu öffnen, soweit der Zweck der Vollstreckung dies erfordert. Angesichts der erheblichen Gefahren, die von einsatzbereiten Waffen in der Hand von waffenrechtlich unzuverlässigen bzw. unberechtigten Personen ausgehen, hat der Antragsgegner Einschränkungen seines Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 GG auf der Grundlage der gesetzlichen Ermächtigung des Art. 37 Abs. 3 Satz 1 VwZVG hinzunehmen. Zwar werden die Bediensteten des Antragstellers bzw. der Polizei, bevor sie mit der Durchsuchung beginnen, vom Antragsgegner die Waffenbesitzkarte und die Waffen samt ggf. vorhandener Munition herausverlangen. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist die Durchsuchung zu beenden, sobald der Antragsgegner die Gegenstände freiwillig herausgibt (Art. 37 Abs. 4 Satz 1 VwZVG). Tritt dieser Fall nicht ein, bleibt keine andere Möglichkeit, als die Wohnung zu durchsuchen.
Dem Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
Um den Erfolg der Durchsuchung nicht zu gefährden, wird der Antragsteller beauftragt, diesen Beschluss im Wege der Amtshilfe gemäß § 14 VwGO unmittelbar bei Beginn der Durchsuchungsmaßnahme durch Übergabe zuzustellen.


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