Verwaltungsrecht

Anordnung zur Hundehaltung, Maulkorbpflicht (in Kombination mit Anleinpflicht)

Aktenzeichen  10 CS 22.865

Datum:
24.5.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 12052
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
LStVG Art. 18 Abs. 1, Abs. 2

 

Leitsatz

Verfahrensgang

B 1 S 22.166 2022-03-17 Bes VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Mit ihrer Beschwerde verfolgen die Antragsteller ihren Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage bezüglich einer Anordnung zur Hundehaltung weiter.
Die Antragsteller sind Halter der Hunde „Thor“ (Tschechoslowakischer Wolfshund) und „Freya“ (Tschechisch-American Wolfshund). Nach mehreren Vorkommnissen, zuletzt einem Beißvorfall im Dezember 2021, bei dem ein anderer Hund der Rasse Chihuahua verletzt wurde, traf die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 20. Januar 2022 mehrere Anordnungen zur Hundehaltung hinsichtlich beider Hunde (Anleinpflicht im Innenbereich, Maulkorbpflicht im Innen- und Außenbereich, Anleinpflicht im Außenbereich bei Kontakt mit Menschen oder Tieren, Anforderungen an Hundeführer, Haltungsanforderungen zur Unterbindung des freien Umherlaufens außerhalb des Halteranwesens). Die sofortige Vollziehung wurde jeweils angeordnet, für den Fall der Zuwiderhandlung wurden jeweils Zwangsgelder angedroht.
Mit Beschluss vom 17. März 2022 lehnte das Bayerische Verwaltungsgericht Bayreuth den Antrag auf Wiederherstellung aufschiebenden Wirkung der allein gegen die Maulkorbpflicht (Nr. 2 des angegriffenen Bescheids) erhobenen Klage (B 1 K 22.167) ab. Hiergegen richtet sich die Beschwerde.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die von den Antragstellern dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Abänderung der angegriffenen Entscheidung in dem beantragten Umfang.
Nach Art. 18 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 LStVG können Gemeinden zur Verhütung von Gefahren für Leben, Gesundheit und Eigentum Anordnungen für den Einzelfall zur Haltung von Hunden treffen. Eine solche Anordnung darf jedoch nur verfügt werden, wenn im zu betrachtenden Einzelfall eine konkrete Gefahr für die genannten Schutzgüter vorliegt. Der Senat bejaht dabei in ständiger Rechtsprechung grundsätzlich die Möglichkeit, einen Leinenzwang in bewohnten Gebieten anzuordnen. Eine zusätzliche Maulkorbpflicht bzw. ein kombinierter Leinen- und Maulkorbzwang kann jedoch nur verfügt werden, wenn es im Einzelfall zur effektiven Gefahrenabwehr notwendig ist, wenn also ein bloßer Leinenzwang zur Abwehr der von dem konkreten Hund ausgehenden Gefahr nicht genügt (vgl. BayVGH, B.v. 4.2.2019 – 10 ZB 17.802 – juris Rn. 3 ff.; B.v. 20.8.2014 – 10 ZB 14.1184 – juris Rn. 5; B.v. 31.7.2014 – 10 ZB 14.688 – juris Rn. 9; B.v. 5.2.2014 – 10 ZB 13.1645 – juris Rn. 4; B.v 17.4.2013 – 10 ZB 12.2706 – juris Rn. 5).
Das Verwaltungsgericht hat die streitgegenständliche Verpflichtung zum Anlegen eines Maulkorbs für voraussichtlich rechtmäßig erachtet, soweit sie den Hund „Thor“ betrifft. Die Anordnung sei formell rechtmäßig. Zwar seien die Antragsteller nicht angehört worden, dieser Mangel sei aber durch den Schriftwechsel im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren geheilt worden. Von dem Hund „Thor“ gehe eine konkrete Gefahr aus. Unterstreitig habe er im Dezember 2021 außerhalb der Ortschaft einen anderen Hund gebissen, obwohl er dabei angeleint gewesen sei. Auf die Frage, ob die Leine aufgrund einer von den Antragstellern behaupteten Materialermüdung gerissen sei, komme es nicht an, da die Leine jedenfalls den Beißvorfall nicht verhindert habe. Aufgrund der Stärke des Hundes sei eine neuerliche Materialermüdung oder ein Losreißen des Hundes nicht auszuschließen. Auf die Frage, ob die Antragstellerin zu 2. in der Lage sei, den Hund an der Leine zu halten, komme es damit ebenfalls nicht an. Dass der gebissene Hund den Hund „Thor“ provoziert haben könnte, sei für das Vorliegen einer konkreten Gefahr ebenfalls unbeachtlich. Dass ein Hundetrainer beiden Hunden der Antragsteller schriftlich bescheinigt habe, keine „innerartliche Aggression“ zu zeigen, ändere daran nichts. Es sei bereits die Kompetenz des Trainers fraglich. Zudem handele es sich bei der Einschätzung nur um eine Momentaufnahme. Ermessensfehler seien nicht ersichtlich.
Hinsichtlich der Hündin „Freya“ sei bei summarischer Prüfung offen, ob der Maulkorbzwang rechtmäßig sei. Es sei nicht klar, ob und wie das Tier in den Beißvorfall im Dezember 2021 verwickelt gewesen sei. Fest stehe allerdings, dass die Hündin sich einmal aus ihrem Geschirr befreit habe und bei einem anderen Mal beim Anleinen „entwischt“ sei und ein Reh gerissen haben. Dies sei ausreichend, um sowohl eine konkrete Gefahr als auch die Verhältnismäßigkeit der Maulkorbpflicht im Innen- und Außenbereich anzunehmen. Zwar möge es sich bei dem Reh um ein herrenloses Tier gehandelt haben, ohne die Anordnung des Maulkorbzwangs hänge es aber vom Zufall ab, ob die Hündin auf ein Reh oder Haustier treffe. Angesichts der unklaren Beteiligung des Hundes „Freya“ am Beißvorfall im Dezember 2021 sei offen, ob die Ermessenserwägungen der Antragsgegnerin insoweit rechtmäßig seien. Sollte die Hündin daran tatsächlich nicht beteiligt gewesen sei, sei eine Ergänzung der Ermessenserwägungen durch die Antragsgegnerin möglich. Nach alledem ergebe eine ergänzende Abwägung des Gerichts, dass das öffentliche Interesse an einem wirksamen Schutz vor einem potentiell gefährlichen Hund das Interesse der Antragsteller überwiege.
Mit ihrer Beschwerde machen die Antragsteller geltend, das Verwaltungsgericht habe nicht ausreichend zwischen ihren beiden Hunden differenziert. Es sei verkannt worden, dass die Vorwürfe ausschließlich von der Halterin des gebissenen Hundes ausgegangen seien. Diese lasse ihre Hündin in unverantwortlicher Weise frei herumlaufen, obwohl die Hündin aggressiv auf andere Hunde reagiere. Die Antragsgegnerin verkenne das Gefahrenpotential dieses Hundes. Die Vorfälle hätten es nicht gerechtfertigt, vor Bescheiderlass auf eine Anhörung zu verzichten. Zudem fehle es an einer konkreten Gefahr, insbesondere bei der Hündin „Freya“. Die Kompetenz des Hundetrainers, der die beiden Tiere der Antragsteller begutachtet habe, stehe außer Frage. Hinsichtlich der Hündin „Freya“ hätte das Verwaltungsgericht dem Eilantrag stattgeben müssen, diese habe noch nie einen Menschen oder einen anderen Hund verletzt. Dass sie einmal aus dem Brustgeschirr geschlüpft sei, rechtfertige nicht die Anordnung einer Maulkorbpflicht, zumal insofern mildere Mittel wie eine Verpflichtung zur Verwendung eines schlupfsicheren Geschirrs denkbar seien. Die Maulkorbpflicht sei auch deswegen unverhältnismäßig, weil die Tiere der Antragsteller die Sportart „Cani-Cross“ betrieben und der Maulkorb sie dabei am erforderlichen Hecheln hindere. Seit den streitgegenständlichen Vorfällen führe die Antragstellerin zu 2. die Hunde nur noch zusammen mit dem Antragsteller zu 1. aus.
Damit werden die tragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts nicht durchgreifend in Frage gestellt. Hinsichtlich der unterlassenen Anhörung hat das Verwaltungsgericht angenommen, die Anhörung sei mit heilender Wirkung nachgeholt worden (Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BayVwVfG). Dem tritt die Beschwerde nicht entgegen. Das gleiche gilt für die Annahme des Verwaltungsgerichts, gutachterliche Stellungnahmen zur Gefährlichkeit eines Hundes stellten immer nur eine nicht hinreichend aussagekräftige Momentaufnahme dar. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats kann eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass es zu einem anderen Zeitpunkt oder in einer anderen Situation nicht doch zu aggressivem Verhalten des Hundes kommt, durch eine derartige Begutachtung regelmäßig nicht aufgezeigt werden (vgl. BayVGH, B.v. 12.5.2020 – 10 B 20.439 – juris Rn. 21; B.v. 20.1.2011 – 10 B 09.2966 – juris Rn. 18; U.v. 9.11.2010 – 10 BV 06.3053 – juris Rn. 24). Schließlich legt auch der Verweis auf ein eventuell provozierendes Verhalten des gebissenen Hundes keinen relevanten Fehler des Erstgerichts dar. Denn das Verwaltungsgericht hat hierzu ausgeführt, dass von einem Hund auch dann eine konkrete Gefahr ausgehe, wenn seine Reaktion auf das Verhalten anderer Personen oder Tiere ein hundetypisches Verhalten darstelle (S. 11 des BA). Auch hierzu verhält sich das Beschwerdevorbringen nicht.
Zum Hund „Thor“ enthält das Beschwerdevorbringen keine weiteren Ausführungen, zur Hündin „Freya“ greift das weitergehende Vorbringen in der Sache nicht durch. Das Verwaltungsgericht hat unter Auswertung der im Hinblick auf die „Hündin Freya“ unstreitigen Umstände (Entweichen aus dem Geschirr, „Entwischen“ vor dem Anleinen, Reißen eines Rehs) angenommen, von der Hündin gehe eine konkrete Gefahr aus, hat der Klage im Hinblick auf die Ermessensausübung durch die Antragsgegnerin jedoch offene Erfolgsaussichten eingeräumt und sieht insbesondere im Hinblick auf den Beißvorfall vom Dezember 2021 weiteren Aufklärungsbedarf. Angesichts dessen hat das Erstgericht im Rahmen einer ergänzenden, originären Ermessenentscheidung aufgrund der genannten und mit der Beschwerde nicht mehr angegriffenen tatsächlichen Umstände zu Recht dem öffentlichen Interesse am Schutz bedeutender Rechtsgüter vor den Gefahren eines potentiell gefährlichen Hundes den Vorrang vor den Interessen der Antragssteller eingeräumt. Die Antragsteller gehen weder auf die Feststellungen zur konkreten Gefahr noch auf die Interessenabwägung substantiiert ein. Es trifft bereits nicht zu, dass die Anordnung nur ergangen wäre, weil die Hündin einmal aus ihrem Geschirr entschlüpft wäre, vielmehr haben die Antragsgegnerin und das Verwaltungsgericht auch darauf abgestellt, dass das Tier bereits einmal bei dem Versuch, ihr eine Leine anzulegen „entwischt“ sei. Der Hinweis der Antragsteller auf die Unzumutbarkeit des Maulkorbtragens im Hinblick auf das Hecheln verfängt nicht. Es obliegt den Antragstellern einen der – auf dem Markt ohne Weiteres erhältlichen – Maulkörbe, die eine artgerechtes Hecheln ermöglichen, zu verwenden.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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