Verwaltungsrecht

Anordnungen zur Hundehaltung – Ablehnung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

Aktenzeichen  10 ZB 21.1726, 10 ZB 21.1728, 10 ZB 21. 1729

Datum:
20.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 22504
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 57 Abs. 2, § 60 Abs. 1, § 124a Abs. 4 S. 4, S. 5

 

Leitsatz

1. Bei der Anfertigung von Rechtsmittelschriften handelt es sich um eine eigenverantwortliche Tätigkeit des Rechtsanwalts. Dieser trägt deshalb für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung einschließlich seiner (korrekten) Adressierung an das Gericht, bei dem die Begründung einzureichen ist die alleinige Verantwortung, die er selbst dann nicht auf sein Büropersonal verlagern kann, wenn dieses zuverlässig und gut geschult ist. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Rechtsmittelgericht hat auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (nur) dann zu gewähren, wenn eine Rechtsmittelfrist versäumt wird, obwohl der Schriftsatz so rechtzeitig bei dem vorbefassten unzuständigen Gericht eingegangen ist, dass die rechtzeitige Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang noch ohne weiteres erwartet werden konnte. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 1 K 20.180, B 1 K 20.1254, B 1 K 20.1255 2021-04-20 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Die Antragsverfahren 10 ZB 21.1726, 10 ZB 21.1728 und 10 ZB 21.1729 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II. Die Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist für die Begründung der Anträge auf Zulassung der Berufung werden abgelehnt.
III. Die Anträge auf Zulassung der Berufung werden abgelehnt.
IV. Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren 10 ZB 21.1726 auf 5.000,- Euro, für das Zulassungsverfahren 10 ZB 21.1728 auf 200,- Euro und für das Zulassungsverfahren 10 ZB 21.1729 auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

Die gemäß § 93 Satz 1 VwGO zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Anträge auf Zulassung der Berufung, mit denen die Kläger ihre in erster Instanz erfolglose Klagen gegen Anordnungen des Beklagten zur Haltung ihrer deutschen Dogge „Mira“ (10 ZB 21.1726) sowie gegen die Fälligstellung angedrohter und die Androhung erneuter Zwangsgelder bezüglich Anordnungen zur Haltung der Dogge „Mira“ und des Huskys „Blue“ (10 ZB 21.1728, 10 ZB 21.1729) weiterverfolgen, sind unzulässig. Denn die Anträge sind nicht fristgerecht begründet worden (1.) und die Voraussetzungen für die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Begründungsfrist liegen nicht vor, weshalb auch die jeweiligen Wiedereinsetzungsanträge der Kläger ohne Erfolg bleiben (2.).
1. Die Anträge auf Zulassung der Berufung in den oben genannten Verfahren sind nicht fristgerecht begründet worden.
Gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils darzulegen. Die Begründung ist, soweit sie wie hier nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, beim Oberverwaltungsgericht einzureichen (§ 124a Abs. 4 Satz 5 VwGO).
Ausweislich der bei den Gerichtsakten befindlichen Empfangsbekenntnisse sind die mit einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrungversehenen Urteile in den oben genannten Verfahren gemäß § 56 Abs. 2 VwGO in Verbindung mit § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO den Klägern jeweils am 12. Mai 2021 zugestellt worden. Die Zweimonatsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO für die Begründung der Anträge auf Zulassung der Berufung endete damit gemäß § 57 Abs. 2 VwGO in Verbindung mit § 222 Abs. 1 ZPO sowie § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB mit Ablauf des 12. Juli 2021.
Die jeweils mit Schriftsatz der Bevollmächtigten vom 12. Juli 2021 erfolgten Begründungen der Zulassungsanträge waren jedoch entgegen § 124a Abs. 4 Satz 5 VwGO nicht an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, sondern an das Bayerische Verwaltungsgericht Bayreuth und damit dafür unzuständige Erstgericht adressiert, wo sie ausweislich der entsprechenden Fax-Kennungen am 12. Juli 2021 in der Zeit von 16:39 bis 16:46 Uhr eingegangen sind. Beim Verwaltungsgerichtshof sind die mit Schreiben des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 13. Juli 2021 weitergeleiteten bzw. „nachgereichten“ Begründungen der Zulassungsanträge erst am 15. Juli 2021 und daher verspätet eingegangen.
2. Den Klägern ist auch nicht nach § 60 Abs. 1 VwGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezüglich der gesetzlichen Frist zur Begründung der Zulassungsanträge zu gewähren. Ihre jeweils mit Schriftsatz der Bevollmächtigten vom 15. Juli 2021 gestellten, dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof per Telefax am 19. Juli 2021 übermittelten Anträge auf Wiedereinsetzung sind abzulehnen, weil die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung nicht erfüllt sind.
Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm zwar nach § 60 Abs. 1 VwGO auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Kläger waren jedoch nicht ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist zur Begründung der Zulassungsanträge gehindert. Denn die Versäumung dieser Frist beruht auf einem Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten, das ihnen nach § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist.
Bei der Anfertigung von Rechtsmittelschriften wie der Begründung eines Antrags auf Zulassung der Berufung handelt es sich um eine eigenverantwortliche Tätigkeit des Rechtsanwalts. Dieser trägt deshalb für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung einschließlich seiner (korrekten) Adressierung an das Gericht, bei dem die Begründung einzureichen ist (s. § 124a Abs. 4 Satz 5 VwGO) die alleinige Verantwortung, die er selbst dann nicht auf sein Büropersonal verlagern kann, wenn dieses zuverlässig und gut geschult ist (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 16.11.1982 – 9 B 14473.82 – juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 24.9.2002 – 7 ZB 02.412 – juris Rn. 9; B.v. 28.5.2013 – 10 ZB 13.559 – juris Rn. 7; B.v. 27.10.2014 – 8 ZB 14.1142 – juris Rn. 8; SächsOVG, B.v. 26.11.2020 – 3 B 323/20 – juris Rn. 11). Daher muss ein Rechtsanwalt vor der abschließenden Unterzeichnung eines solchen Schriftsatzes persönlich prüfen, ob er an das zuständige Gericht adressiert ist, und darf diese Prüfung nicht seinem Büropersonal überlassen (NdsOVG, B.v. 15.12.2005 – 2 LA 1242/04 – juris Ls. 2 und Rn.13). Dabei kann von einem Rechtsanwalt erwartet werden, dass er mit Blick auf die klare Regelung in § 124a Abs. 4 Satz 5 VwGO weiß oder jedenfalls ermitteln kann, bei welchem Gericht der Rechtsmittelschriftsatz – hier die Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung – einzureichen ist. Dies gilt umso mehr, wenn – wie hier – die Entscheidung mit einer (zutreffenden) Rechtsmittelbelehrungversehen ist, die ausdrücklich darauf hinweist, dass die Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof einzureichen ist.
Dieser Prüfungspflicht ist die Prozessbevollmächtigte der Kläger nicht in ausreichendem Maße nachgekommen. Sie hat zur Begründung der Wiedereinsetzungsanträge der Kläger zwar vorgetragen, die Schriftsätze mit den jeweiligen Begründungen der Zulassungsanträge seien aufgrund eines Versehens der Referatssekretärin Frau B.-K., die seit 30 Jahren absolut beanstandungsfrei und zuverlässig in der Kanzlei tätig und der ein solcher Fehler noch nie unterlaufen sei, versehentlich an das Bayerische Verwaltungsgericht Bayreuth adressiert worden, obwohl sie „an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof diktiert“ gewesen seien. Die Prozessbevollmächtigte der Kläger hätte sich jedoch vor der abschließenden Unterzeichnung der Schriftsätze zur Begründung der Zulassungsanträge persönlich von der Richtigkeit und Vollständigkeit der ihr vorgelegten Schriftsätze und damit auch der korrekten Adressierung überzeugen müssen.
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezüglich der versäumten Begründungsfrist ist auch nicht im Hinblick darauf zu gewähren, dass die Schriftsätze mit den Begründungen der Zulassungsanträge beim zwar insoweit unzuständigen, aber mit den Streitverfahren vorbefassten Erstgericht am 12. Juli 2021 in der Zeit von 16:39 bis 16:46 Uhr, und damit noch kurz vor Ablauf der Begründungsfrist eingegangen sind. Denn nach ständiger Rechtsprechung hat das Rechtsmittelgericht auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (nur) dann zu gewähren, wenn eine Rechtsmittelfrist versäumt wird, obwohl der Schriftsatz so rechtzeitig bei dem vorbefassten unzuständigen Gericht eingegangen ist, dass die rechtzeitige Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang noch ohne weiteres erwartet werden konnte (vgl. z.B. BVerfG, B.v. 17.3.2005 – 1 BvR 950/04 – juris Rn. 10 f.). Das ist hier bei den nur wenige Stunden vor Ablauf der Begründungsfrist beim Verwaltungsgericht Bayreuth eingegangenen Schriftsätzen mit Blick auf die im ordentlichen Geschäftsgang erforderlichen dienstlichen Tätigkeiten und Abläufe (Zuleitung zur und Bearbeitung durch die zuständige Geschäftsstelle, ggf. Vorlage an den Richter, Rücklauf an die Geschäftsstelle und Versand im Postaustausch) offensichtlich aber nicht der Fall.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 39 Abs. 1 sowie § 52 Abs. 1 und 2 GKG in Verbindung mit Nr. 1.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung der Anträge werden die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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