Verwaltungsrecht

Anschluss-Sicherstellung nach mehreren Jahren; Ermessensfehler; Ergänzung von Ermessensentscheidungen

Aktenzeichen  1 K 532/21.MZ

Datum:
2.6.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG Mainz 1. Kammer
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:VGMAINZ:2022:0602.1K532.21.MZ.00
Normen:
§ 90 BGB
§ 29 BtMG
§ 1 Abs 7 PolG RP
§ 22 Nr 1 PolG RP
§ 25 Abs 1 S 1 PolG RP
§ 114 S 2 VwGO
§ 88 VwGO
Spruchkörper:
undefined

Leitsatz

1. Liegt zwischen der erstmaligen Sicherstellung/Beschlagnahme und der Anordnung einer Anschluss-Sicherstellung ein Zeitraum von mehreren Jahren, stellt es einen Ermessensfehler (Ermessensausfall) dar, wenn es an einer aktualisierten Tatsachenfeststellung bzw. Prognoseentscheidung im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses fehlt.(Rn.37)

2. Entsprechende Ermessenserwägungen können nicht gemäß § 114 Satz 2 VwGO nachgeholt oder ergänzt werden, da die aktuelle Situation für die Beurteilung der Gefahrenprognose einen wesentlichen Ermessensaspekt darstellt.(Rn.41)

Tenor

Der Bescheid des Beklagten vom 8. Februar 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. August 2021 wird aufgehoben. Der Beklagte wird verurteilt, den sichergestellten Bargeldbetrag in Höhe von 2.800,00 € an den Kläger herauszugeben.
Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages, wenn nicht der Kläger seinerseits Sicherheit in dieser Höhe leistet.

Tatbestand


Der Kläger wendet sich gegen die polizeiliche Sicherstellung von Bargeld in Höhe von 2.800,00 € durch den Beklagten.
Bei einer strafprozessualen Durchsuchung des Klägers sowie seines Zimmers, seines angemieteten Kellerabteils sowie seines Fahrzeugs (BMW X5) am 7. Juni 2017 wurden neben Waffen, Munition, Betäubungsmitteln (mehr als 3.000 g Kokain und Amphetamin) und Uhren auch Bargeld in Höhe von 2.800,00 € aufgefunden. Der Kläger teilte bei der Durchsuchung gegenüber den Polizeibeamten mit, er habe 2.000,00 € (Stückelung 3x 100,00 €, 29x 50,00 €, 12x 20,00 €, 1x 10,00 €) an diesem Tage von seinem Vater erhalten. Weitere 500,00 € (Stückelung 6x 50,00 €, 3x 20,00 €, 3x 10,00 €, 2x 5,00 €) habe er gerade von einem Bankautomaten abgehoben. Außerdem habe er „400,00 €“ (sic!) (Stückelung 3x 50,00 €, 3x 20,00 €, 9x 10,00 €, d.h. tatsächlich waren es nur 300,00 €) „einfach so“ bei sich getragen. Das Geld wurde gemäß §§ 94, 98, 111b der Strafprozessordnung – StPO – als auch nach § 22 Nr. 1 des Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes – POG – sichergestellt.
Nachdem die Staatsanwaltschaft Mainz das Geld am 4. September 2020 freigegeben hatte, ordnete der Beklagte mit Bescheid vom 8. Februar 2021 (zugestellt am 11. Februar 2021) die Anschlusssicherung gemäß § 1 Abs. 7 i.V.m. § 22 Nr. 1 POG an. Zugleich wurde die sofortige Vollziehung der Sicherstellung und der Inverwahrungnahme gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – angeordnet. Die Sicherstellung des Geldes wurde damit begründet, dass der Kläger trotz mehrmaliger Aufforderung keine aussagekräftigen Belege oder eine plausible Erklärung für die Herkunft des Geldes vorgelegt habe. Zwar habe der Kläger Kontobelege für das Bargeld in Höhe von 500,00 € vorgelegt. Insofern sei jedoch nicht erklärt, woher das Geld konkret stamme. Warum ihm sein Vater 2.000,00 € und seine Mutter 400,00 € gegeben hätten, habe er nicht begründet. Nicht nachvollziehbar sei ferner, wofür er das Geld benötigt habe. Dass er das Geld zur Begleichung von Spielschulden gebraucht habe, sei nicht nachprüfbar, da weder die Gläubiger benannt noch die Spielschulden näher bezeichnet worden seien. Angesichts des Umstandes, dass der Kläger im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität auffällig geworden sei, sei es denkbar, dass das Bargeld aus Drogengeschäften stamme oder dafür eingesetzt werden sollte. Es bestehe somit die Gefahr, dass der Kläger das sichergestellte Geld erneut in den illegalen Kreislauf des Glücksspiels oder der Betäubungsmittelkriminalität bringen werde, wenn er es zurückerhalten würde. Dann träten erneut die Gründe einer Sicherstellung ein. Eine Herausgabe sei mithin ausgeschlossen.
Der Widerspruch des Klägers vom 11. März 2021 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 18. Juni 2021 zurückgewiesen. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Sicherstellung habe eine gegenwärtige Gefahr im Sinne des § 22 Nr. 1 POG vorgelegen, weil der Kläger das sichergestellte Geld im Falle einer Herausgabe mit hoher Wahrscheinlichkeit unmittelbar zur Begehung von Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz verwenden würde. Sowohl die „szenetypische“ Stückelung des Bargeldes, als auch die Auffindesituation und der Umstand, dass die Herkunft des Geldes nicht nachgewiesen und ein Verwendungszweck nicht hinreichend benannt worden sei, lägen hinreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass das aufgefundene Bargeld aus Drogengeschäften stamme und auch wieder für den Ankauf von Drogen eingesetzt werden sollte. Zudem seien über 3.000 g Kokain und Amphetamin im Kellerraum des Klägers aufgefunden worden, sodass nicht von einem Eigenkonsum und einer legalen Herkunft des Geldes ausgegangen werden könne. Zu berücksichtigen sei ferner, dass der Kläger monatlich 1.200,00 € bis 1.700,00 € verdiene und hiervon die Kellermiete in Höhe von 450,00 €, die Raten für sein Auto in Höhe von 600,00 € sowie seine Spielsucht finanzieren müsse.
Der Kläger hat am 23. Juli 2021 Klage erhoben. Die Sicherstellung des Bargeldes sei rechtswidrig und verletze den Kläger in seinen Rechten, denn es bestehe nicht die Gefahr, dass er das Geld zur Begehung einer Straftat verwenden werde. Er habe das Geld nicht durch eine rechtswidrige Tat, insbesondere nicht durch Drogenhandel erlangt und beabsichtige auch nicht, das Geld für eine solche Tat einzusetzen. Das Geld sei ihm teilweise von seinem Vater und seiner Mutter zur Verfügung gestellt worden, was auch nicht ungewöhnlich sei. Die Bargeldabhebung sei durch die Vorlage eines Kontoauszugs nachgewiesen, wie auch im Widerspruchsbescheid bestätigt werde. Für die Gefahrenprognose seien bloße Vermutungen und vage Verdachtsgründe nicht ausreichend. Insofern sei insbesondere zu berücksichtigen, dass seit der strafprozessualen Sicherstellung des Geldes mehr als vier Jahre vergangen seien und der Kläger vom Vorwurf des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz rechtskräftig freigesprochen worden sei. Der Beklagte habe nicht nachgewiesen, dass sich der Kläger im Drogenmilieu bewege. Selbst wenn der Kläger einen gehobenen Lebensstil hätte, könne daraus nicht geschlossen werden, dass er das sichergestellte Geld für Drogengeschäfte verwenden würde.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Bescheid des Beklagten vom 8. Februar 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. August 2021 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den sichergestellten Bargeldbetrag in Höhe von 2.800,00 € an den Kläger herauszugeben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er trägt vor, dass trotz des Freispruchs des Klägers die Voraussetzungen für eine präventivpolizeiliche Sicherstellung vorlägen. Es reiche aus, dass – wie hier – aufgrund verbliebener Verdachtsgründe weiterhin die hinreichende Gefahr bestehe, dass die sichergestellte Sache in Zukunft für Straftaten verwendet werde. Auch wenn ein Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz nicht mit völliger Gewissheit habe nachgewiesen werden können, seien gewichtige Verdachtsmomente gegen den Kläger verblieben. Während im Strafverfahren aufgrund der Unschuldsvermutung Alternativgeschehen (wie die etwaige Benutzung der Kellerräume durch Dritte) zu berücksichtigen seien, komme es bei der präventivpolizeilichen Gefahrenprognose auf eine Gesamtwürdigung der Verdachtsmomente an. Dabei sei hier von Bedeutung, dass eine hohe Summe Bargeld in szenetypischer Stückelung in den Hosentaschen des Klägers aufgefunden wurde, dessen Herkunft und Verwendungszweck nicht hinreichend erläutert worden seien. Da zudem in dem Kellerraum, den der Kläger angemietet habe, Drogen gefunden wurden und möglicherweise unerlaubtes Glücksspiel betrieben worden sei, bestehe insgesamt weiterhin die Gefahr, dass das sichergestellte Geld bei Drogengeschäften verwendet werde. Der Widerspruchsbescheid sei im Übrigen so zu verstehen, dass der Kläger zwar versucht habe, eine legale Herkunft eines Teils des Bargeldes nachzuweisen, dieser Nachweis aber nicht gelungen sei. Selbst wenn der legale Erwerb des Geldes nachgewiesen wäre, sprächen die Verdachtsmomente dafür, dass es im Falle einer Rückgabe an den Kläger in den Betäubungsmittelkreislauf gelangen bzw. zu rechtswidrigen Zwecken verwendet würde.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakte (1 Band) verwiesen, die vorlagen und Gegenstand der Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe


Das Gericht konnte gemäß § 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten ihr Einverständnis hierzu erklärt haben.
Die Klage hat Erfolg. Sie ist zulässig (I.) und begründet (II.).
I. Sie ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage zulässig. Der anwaltlich vertretene Kläger hat in der Klageschrift ausdrücklich zwar nur einen Leistungsantrag gestellt. Da er aber zuvor den Sicherstellungsbescheid durch einen Widerspruch angegriffen und in der Klagebegründung ausgeführt hat, dass der Bescheid rechtswidrig sei und den Kläger in seinen Rechten verletze, konnte der Antrag erweiternd dahingehend gemäß § 88 VwGO ausgelegt werden, dass neben der Herausgabe des sichergestellten Geldes auch die Aufhebung der Sicherstellungsverfügung (in Gestalt des Widerspruchsbescheides) begehrt wird.
II. Die Klage ist begründet, da sich die Sicherstellungsverfügung vom 8. Februar 2021 und der Widerspruchsbescheid vom 18. August 2021 als rechtswidrig erweisen und den Kläger in seinen Rechten verletzen, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO (1.). Der Kläger hat daher einen Anspruch auf Herausgabe des Geldes (2.).
1. Rechtsgrundlage für die Sicherstellung des Bargelds ist vorliegend § 22 Nr. 1 POG. Demnach kann eine Sache sichergestellt werden, um eine gegenwärtige Gefahr abzuwehren.
Bedenken gegen die formelle Rechtmäßigkeit der Sicherstellungsverfügung bestehen nicht und wurden von Seiten des Klägers auch nicht vorgetragen.
Die Anordnung der Sicherstellung ist jedoch materiell rechtswidrig. Unter Anwendung (b)) des für die Sicherstellung von Bargeld geltenden Rechtsmaßstabs (a)) erweist sich die vorliegende Sicherstellungsverfügung als rechtswidrig.
a) Der Sachbegriff des § 22 POG entspricht dem des § 90 BGB und umfasst sämtliche körperlichen Gegenstände (vgl. VG Mainz, Urteil vom 3. Juli 2018 – 1 K 1228/17.MZ –, juris, Rn. 33 unter Verweis auf BremOVG, Urteil vom 24. Juni 2014 – 1 A 255/12 –, juris, Rn. 23). Bargeld ist als körperlicher Gegenstand, sei es in Form von Banknoten oder in Form von Münzen, taugliches Objekt einer Sicherstellung (vgl. BremOVG, a.a.O.; siehe allgemein zu der präventiv-polizeilichen Sicherstellung von Bargeld: De Clerck/Schmidt/Pitzer/Baunack, Polizei- und Ordnungsbehördengesetz Rheinland-Pfalz, 23. Erg., Februar 2016, § 22, S. 10 f.). Die Gefahrenlage braucht nicht in einer Eigenschaft der sicherzustellenden Sache begründet zu sein (vgl. OVG RP, Beschluss vom 8. Mai 2015 – 7 B 10383/15 –, juris, Rn. 11; Urteil vom 30. Oktober 2009 – 7 A 10723/09 –, juris, Rn. 28), sondern kann sich auch aus der Verwendung der Sache ergeben (vgl. BremOVG, a.a.O.; Nds. OVG, Urteil vom 2. Juli 2009 – 11 LC 4/08 –, juris, Rn. 36).
Die Sicherstellung von Bargeld, das sich bereits in öffentlicher Verwahrung befindet, ist gemäß § 22 Nr. 1 POG grundsätzlich nur dann zulässig, wenn die zum Zeitpunkt der Sicherstellung bekannten Tatsachen die Prognose rechtfertigen, dass das Geld im Falle einer Rückgabe an den früheren Gewahrsamsinhaber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit für die Begehung von Straftaten verwendet werden wird (vgl. BremOVG, Urteil vom 24. Juni 2014 – 1 A 255/12 –, juris, Rn. 25); ob im maßgeblichen Zeitpunkt der angefochtenen Sicherstellungsverfügung solche hinreichenden Verdachtsmomente vorlagen, hat der Beklagte nicht hinreichend ermittelt.
Maßgeblicher Zeitpunkt – nach materiellem Recht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. Juli 2006 – 5 B 90/05 –, juris, Rn. 6) – sowohl für die Tatsachenfeststellung als auch für die Prognoseentscheidung ist dabei der Zeitpunkt des Erlasses der Sicherstellungsverfügung (vgl. BayVGH, Urteil vom 22. Mai 2017 – 10 B 17.83 –, juris, Rn. 25; HessVGH, Beschluss vom 30. Juni 2015 – 8 A 103/15 –, juris, Rn. 19; BremOVG, Urteil vom 24. Juni 2014 – 1 A 255/12 –, juris, Rn. 25; OVG RP, Urteil vom 30. Oktober 2009 – 7 A 10723/09 –, juris, Rn. 43; VG München, Urteil vom 10. Dezember 2014 – M 7 K 12.4367 –, juris, Rn. 22). Auf den Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids kommt es insoweit nicht an (vgl. VGH BW, Urteil vom 18. Mai 2017 – 1 S 1193/16 –, juris, Rn. 52). Dies folgt aus dem Regelungsgefüge zu der Sicherstellung auf der einen (§ 22 POG) und der Herausgabe der Sache (§ 25 POG) auf der anderen Seite. Gemäß § 22 Nr. 1 POG kann die Polizei eine Sache sicherstellen, um eine gegenwärtige Gefahr abzuwehren. Dabei sieht § 25 Abs. 1 Satz 1 POG vor, dass sichergestellte Sachen, sobald die Voraussetzungen für die Sicherstellung weggefallen sind, an denjenigen herauszugeben sind, bei dem sie sichergestellt worden sind. Daraus folgt, dass für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Sicherstellungsverfügung auf den Zeitpunkt ihres Erlasses abzustellen ist; nachträgliche Änderungen der Sach- und Rechtslage werden im Rahmen des Herausgabeanspruchs (oder ggf. nach §§ 48, 49 des Verwaltungsverfahrensgesetzes – VwVfG –) berücksichtigt.
Indem der Gesetzgeber in § 25 Abs. 1 Satz 1 POG eine Herausgabepflicht für den Fall vorsieht, dass die Sicherstellungsvoraussetzungen wegfallen, begrenzt er die (Regelungs-)Wirkung der Sicherstellung als Dauerverwaltungsakt (vgl. HessVGH, Beschluss vom 30. Juni 2015 – 8 A 103/15 –, juris, Rn. 19). Mit nachträglichem Wegfall der im Zeitpunkt der Sicherstellung gegebenen Voraussetzungen nach § 22 POG endet das an den Verfügungsadressaten gerichtete Gebot zur Duldung des durch die rechtmäßige Sicherstellung begründeten hoheitlichen Gewahrsams (HessVGH, Beschluss vom 30. Juni 2015 – 8 A 103/15 –, juris, Rn. 19). Die Sicherstellungsverfügung erledigt sich dann im Sinne des § 1 Landesverwaltungsverfahrensgesetzes – LVwVfG – i.V.m. § 43 Abs. 2 VwVfG auf „andere Weise“ (vgl. dazu HessVGH, a.a.O.). Ohne dass es noch einer Aufhebung des Sicherstellungsverwaltungsakts bedarf, ist die Sache dann herauszugeben. Vor diesem Hintergrund besteht kein Bedürfnis, den Zeitpunkt der maßgeblichen Sach- und Rechtslage für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Sicherstellungsverfügung als Dauerverwaltungsakt abweichend vom im Gefahrenabwehrrecht allgemein geltenden Beurteilungszeitpunkt der Vornahme der Maßnahme auf einen späteren Zeitpunkt zu verlegen (vgl. HessVGH, a.a.O.).
Eine gegenwärtige Gefahr ist eine Gefahr, bei der die Einwirkung des schädigenden Ereignisses bereits begonnen hat oder bei der diese Einwirkung unmittelbar oder in allernächster Zeit mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit bevorsteht (vgl. etwa BremOVG, Urteil vom 24. Juni 2014 – 1 A 255/12 –, juris, Rn. 25; OVG RP, Urteil vom 30. Oktober 2009 – 7 A 10723/09 –, juris, Rn. 28; Kuhn, in: PdK RhPf K-30, Stand: August 2013, § 22 POG, Ziff. 6). Sie zeichnet sich damit durch einen besonders hohen Grad an Wahrscheinlichkeit und die besondere zeitliche Nähe zu dem befürchteten Schadenseintritt aus. Die Gefahrenprognose muss daher eine hohe Sicherheit aufweisen (vgl. BremOVG, a.a.O., Rn. 25; Nds. OVG, Urteil vom 2. Juli 2009 – 11 LC 4/08 –, juris, Rn. 38). Es bedarf zur Erfüllung des Tatbestandsmerkmals der gegenwärtigen Gefahr grundsätzlich der Prognose, dass das Geld bei Rückgabe in allernächster Zeit mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit zur Begehung von Straftaten verwendet werden wird (vgl. BremOVG, a.a.O., Rn. 22, 25). Bloße Vermutungen, vage Verdachtsgründe und Ähnliches reichen hierfür als Tatsachengrundlage jedenfalls nicht aus (vgl. VG München, Urteil vom 10. Dezember 2014 – M 7 K 12.4367 –, juris, Rn. 24). Es muss stets gewährleistet bleiben, dass Annahmen und Schlussfolgerungen einen konkret umrissenen Ausgangspunkt im Tatsächlichen haben (vgl. BVerfG, Urteil vom 27. Juli 2005 – 1 BvR 668/04 –, juris, Rn. 151).
Der Begriff „gegenwärtige Gefahr“ stellt grundsätzlich strenge Anforderungen an die zeitliche Nähe und den Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. Es bedarf für die Prognoseentscheidung, dass der Geldbetrag in allernächster Zeit für rechtswidrige Taten, wie beispielsweise Betäubungsmittelgeschäfte, verwendet wird, konkreter Anhaltspunkte. Allein aus der deliktischen Herkunft des Geldes folgt dies nicht (vgl. VG München, Urteil vom 10. Dezember 2014 – M 7 K 12.4367 –, juris, Rn. 25 unter Verweis auf OVG Bremen, Beschluss vom 14. Juli 2014 – 1 PA 77/14 –, juris, Rn. 6). Es kommt aber auch auf die Schwere des drohenden Schadens und die Intensität des Eingriffs an. Je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist, umso geringer sind die Anforderungen, die an die Wahrscheinlichkeit gestellt werden können. Bei gefährlichen und schwer zu bekämpfenden Straftaten wie dem Rauschgifthandel sind deshalb die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeitsprognose nicht zu hoch anzusetzen (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 7. März 2013 – 11 LB 438/10 –, juris, Rn. 36 m.w.N.).
Für die Herkunft eines sichergestellten Bargeldbetrages aus dem Drogenhandel können Gesichtspunkte wie ein hoher Geldbetrag, das Versteckthalten oder zumindest die Aufbewahrung des Geldes an einem ungewöhnlichen Ort, eine szenetypische Stückelung der Geldscheine, eine nicht plausibel erklärte Herkunft der Mittel, Verdachtsmomente aus der organisierten Kriminalität, einschlägige strafrechtliche Ermittlungsverfahren bzw. Verurteilungen sprechen. Ist anhand dieser Indizien davon auszugehen, dass das Geld offensichtlich aus Drogengeschäften stammt, kommt diesem Umstand bei der Prüfung der Frage, ob eine gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit vorliegt, ein erhebliches Gewicht zu. Denn es entspricht kriminalistischer Erfahrung, dass das aus Drogengeschäften gewonnene Geld in der Regel zumindest teilweise wieder in die Beschaffung von Betäubungsmitteln investiert wird (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 7. März 2013 – 11 LB 438/10 –, juris, Rn. 37 f. m.w.N.).
b) Bei Erlass der Sicherstellungsverfügung am 8. Februar 2021 lagen unter Anwendung des oben dargestellten Rechtsmaßstabs keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme vor, dass eine gegenwärtige Gefahr insoweit besteht. Es ist mangels hinreichender Tatsachengrundlage nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass der Kläger das zuvor beschlagnahmte Geld im Falle einer Herausgabe unmittelbar zur Begehung von Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz verwenden wird.
Zwar sprechen hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass eine Gefahr bzw. eine hohe Wahrscheinlichkeit für die Begehung von Straftaten mit dem aufgefundenen Bargeld vorlagen, als das Bargeld im Juni 2017 erstmalig beschlagnahmt wurde (aa)). Der Beklagte hat es jedoch versäumt aufzuklären, ob sich die tatsächlichen Verhältnisse zwischenzeitlich bis zum Erlass der Sicherstellungsverfügung im Februar 2022 geändert hatten, sodass der Bescheid ermessensfehlerhaft ist (bb)):
aa) Zum Zeitpunkt der Beschlagnahme bzw. erstmaligen Sicherstellung des Bargeldes im Juni 2017 lagen gewichtige Anhaltspunkte dafür vor bzw. war die gegenwärtige Gefahr begründet, dass der Kläger das aufgefundene Bargeld für rechtswidrige Zwecke, insbesondere für (weitere) Drogengeschäfte einsetzen würde.
Angesichts des Umstandes, dass der Kläger ein Einkommen von 1.200,00 € bis 1.700,00 € und zugleich monatliche laufende Kosten in Höhe von 1.050,00 € zu stemmen hatte, handelte es sich bei dem aufgefundenen Bargeld in Höhe von 2.800,00 € um einen relativ hohen Geldbetrag. Hierbei ist keine starre Grenze gesetzt, ab wann ein Geldbetrag als „hoch“ anzusehen ist. Vielmehr ist im konkreten Einzelfall zu berücksichtigen, in welchen Lebensverhältnissen der Betroffene lebt und ob in diesem Zusammenhang der sichergestellte Betrag als hoch anzusehen ist (vgl. VG Mainz, Urteil vom 3. Juli 2018 – 1 K 1228/17.MZ –, juris, Rn. 41).
Für den Verdacht, dass der Kläger das Bargeld aus Drogengeschäften gewonnen hat und es hierfür auch weiterverwerten wollte, spricht weiterhin die kleine, „szenetypische“ Stückelung der Geldscheine. Den Geldbetrag in Höhe von 2.800,00 € trug der Kläger vor allem in 50,00 €-, 20,00 €- und 10,00 €-Scheinen bei sich. Es entspricht kriminalistischen Erkenntnissen, dass Dealer Drogen in Konsumentenportionen an die Endverbraucher weiterleiten und dabei typischerweise Beträge in Höhe von 50,00 € verlangt werden. Mit diesem Erlös werden die Importeure bezahlt, die ihrerseits das Geld in der zusammengetragenen drogentypischen Stückelung zum Ankauf weiterer Drogen nutzen. Im vorliegenden Fall deutet die Stückelung des bei dem Kläger aufgefundenen Bargeldbetrages daher darauf hin, dass das Geld aus dem Drogenhandel herrührt. Selbst wenn der beim Kläger aufgefundene Bargeldbetrag hinsichtlich der Häufigkeit und Verteilung der Banknoten auf die einzelnen Nennwerte statistisch dem jeweiligen Anteil der einzelnen Note am gesamten Eurobanknotenumlauf entspräche, wäre nicht plausibel erklärt, warum der Kläger einen derart (in ca. 80 Banknoten) gestückelten Bargeldbetrag mit sich geführt hat (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 7. März 2013 – 11 LB 438/10 –, juris, Rn. 41; siehe auch VG Mainz, Urteil vom 3. Juli 2018 – 1 K 1228/17.MZ –, juris, Rn. 43).
Auch die ungewöhnliche Aufbewahrung des Geldes sprach hier für einen Gefahrenverdacht, da der Kläger das Bargeld in Höhe von 2.800,00 € in kleiner Stückelung in seinen Hosentaschen trug. Es ist nicht üblich, einen solch hohen Geldbetrag in vielen einzelnen Geldnoten in den Hosentaschen bei sich zu führen.
Der Kläger hat die Herkunft des Bargeldes nicht näher erklärt. Er hat zwar dem Beklagten einen Kontoauszug vorgelegt (der sich jedoch nicht in der dem Gericht vorliegenden Verwaltungsakte befindet), auf dem erkennbar sein soll, dass er 500,00 € von seinem Konto abgehoben hat. Außerdem hat er mitgeteilt, dass er 2.000,00 € von seinem Vater und 400,00 € (tatsächlich handelte es sich aber offenbar um nur 300,00 €) von seiner Mutter erhalten habe, was die Eltern auch bestätigt haben. Ungeklärt ist jedoch, weshalb die Eltern ihm zeitgleich solche hohen Geldsummen in bar und in kleiner Stückelung überlassen haben und aus welchen Quellen sie selbst diese Beträge finanzierten. Weder der Kläger noch seine Eltern haben sich auch auf mehrmaliges Nachfragen des Beklagten hierzu substantiiert geäußert. Damit lässt die Herkunft des Bargeldes weiterhin Fragen offen.
Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass im Zusammenhang mit der Personendurchsuchung des Klägers, bei welcher das Bargeld aufgefunden wurde, auch eine nicht unerhebliche Menge Betäubungsmittel gefunden wurden. Die Drogen wurden in einem Kellerraum aufgefunden, den der Kläger angemietet hat und zu dem er im Zeitpunkt der Durchsuchung einen Schlüssel besaß. Dass der Kläger bestritten hat, Kenntnis von den Betäubungsmitteln gehabt zu haben, veranlasst nicht zu einer für ihn günstigeren Einschätzung.
Bei der Wohnungsdurchsuchung wurden im Zimmer des Klägers und in seinem Kleiderschrank Schusswaffen, teilweise mit Magazin und Patronen, sowie ein Pfefferspray gefunden. Wenngleich der Kläger sein Eigentum an den Waffen bestritten hat und sich Zimmer und Schrank mit seinem Bruder teilt, besteht der Verdacht, dass der Kläger sich im kriminellen Milieu bewegt. Zudem bestand der Verdacht, dass der Kläger sich an illegalem Glücksspiel beteiligte, zumal er selbst angab, Spielschulden zu haben und spielsüchtig (gewesen) zu sein.
Der Kläger hat als Verwendungszweck für das mitgeführte Bargeld angegeben, dass dieses zur Begleichung von Spielschulden bei Gläubigern vorgesehen gewesen sei. Die vermeintlichen Gläubiger benannte er jedoch nicht und er erläuterte auch nicht, wie die Spielschulden entstanden sein sollen. Ein nachvollziehbarer Verwendungszweck ist damit nicht ersichtlich.
Laut der Bewertung der Kriminaldirektion Mainz vom 7. Dezember 2020 ist der Kläger im Zeitpunkt der erstmaligen Sicherstellung nicht nur unerheblich einschlägig vorbestraft gewesen (vgl. Verwaltungsakte Bl. 33).
b) Es fehlt jedoch an einer aktualisierten Tatsachenfeststellung bzw. Prognoseentscheidung des Beklagten im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der (Anschluss-)Sicherstellungsverfügung. Der Bescheid vom 8. Februar 2021 ist daher ermessensfehlerhaft.
Es ist schon nicht erkennbar, dass sich der Beklagte mit dem Umstand auseinandergesetzt hat, dass der Kläger mit Urteil des Amtsgerichts Mainz vom 12. März 2020 von dem Vorwurf, er habe sich des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß §§ 29 ff. des Betäubungsmittelgesetzes – BtMG – schuldig gemacht, aus tatsächlichen Gründen freigesprochen wurde, weil er der Tat nicht habe überführt werden können. In dem Urteil wird ausgeführt, dass der Kläger zwar den Kellerraum, in dem verschiedene Betäubungsmittel aufgefunden wurden, angemietet und auch einen entsprechenden Schlüssel besessen habe. Es sei jedoch nicht auszuschließen, dass auch Dritte Zugang zu dem Kellerraum gehabt haben könnten und die Betäubungsmittel dort deponierten.
Zwar steht der Rechtmäßigkeit des Sicherstellungsbescheides der Freispruch des Klägers nicht per se entgegen. Bei präventiv-polizeilicher Betrachtung kann trotz Einstellung eines Ermittlungsverfahrens oder eines Freispruchs allein aufgrund verbliebener Verdachtsmomente ein Bedürfnis für die Aufrechterhaltung von polizeilichem Gewahrsam an beschlagnahmtem Geld bestehen. Dies widerspricht auch nicht der in Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip sowie in Art. 6 Abs. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention – EMRK – verankerten Unschuldsvermutung. Die Unschuldsvermutung steht präventiv-polizeilichen Maßnahmen regelmäßig nicht entgegen, wenn trotz eines Freispruchs oder einer Verfahrenseinstellung die gegen den Betroffenen gerichteten Verdachtsmomente nicht ausgeräumt sind. Denn die Feststellung eines Tatverdachts ist etwas substantiell anderes als eine Schuldfeststellung. Der Freispruch oder die Verfahrenseinstellung bleiben andererseits aber auch nicht ohne Auswirkungen auf die Entscheidung über die Vornahme präventiv-polizeilicher Maßnahmen. Diese Umstände sind vielmehr im Rahmen der Prüfung des Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen der Maßnahme und insoweit insbesondere bei der Frage zu berücksichtigen, ob die konkrete Maßnahme dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung trägt (vgl. Nds. OVG Lüneburg, Urteil vom 7. März 2013 – 11 LB 438/10 –, juris, Rn. 50; siehe auch VG Mainz, Urteil vom 3. Juli 2018 – 1 K 1228/17.MZ –, juris, Rn. 47). Ob der Beklagte eine solche Prüfung vorgenommen hat, ist jedoch nicht im Ansatz zu erkennen. Schon aus diesem Grunde liegt ein Ermessensausfall vor.
Auch im Übrigen fehlt es an einer Auseinandersetzung des Beklagten mit dem Umstand, dass zwischen der Anlasstat bzw. dem Auffinden des Bargelds und der Anschlusssicherstellung ein langer Zeitraum liegt. Zwischen der Beschlagnahme bzw. erstmaligen Sicherstellung des Bargelds im Juni 2017 und der (Anschluss-)Sicherstellung im Februar 2021 waren nahezu vier Jahre vergangen. Wenngleich die Auffindesituation zum damaligen Zeitpunkt hinreichende Anhaltspunkte für einen Gefahrenverdacht begründet hat, ist unklar, ob sich die Gefahrenlage zwischenzeitlich geändert hat. Es ist schließlich denkbar, dass es dem Kläger gelungen ist, sich aus dem kriminellen Milieu zu entfernen, in dem er sich mutmaßlich im Jahr 2017 befunden hat. Das damals beim Kläger vorhandene Bargeld konnte jedenfalls nicht unmittelbar in etwaige Drogengeschäfte neu investiert werden. Weder in der Sicherstellungsverfügung vom 8. Februar 2021 – deren Zeitpunkt für die Beurteilung maßgeblich ist – noch im Widerspruchsbescheid vom 18. Juni 2021 finden eine Auseinandersetzung mit dem Freispruch oder mit einer möglicherweise zwischenzeitlich veränderten Lebenssituation des Klägers statt. In beiden Bescheiden wird allein auf die tatsächliche Situation im Jahr 2017 abgestellt; dies begründet jedoch nicht, warum eine Anschluss-Sicherstellung im Jahr 2021 (noch) gerechtfertigt sein soll, mithin warum auch nach vier Jahren und insbesondere nach dem Freispruch des Klägers noch immer von einem Gefahrenverdacht ausgegangen werden muss. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn der Kläger auch in der Zwischenzeit wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz oder der Begehung sonstiger Straftaten verdächtig geworden und polizeilich in Erscheinung getreten wäre. Aus den Bescheiden wird nicht ersichtlich, ob der Beklagte entsprechende Ermittlungen durchgeführt und wie er diese ggf. bewertet hat. Indem der Beklagte den Gefahrenverdacht nicht aktualisiert und konkret auf die Situation im Zeitpunkt der Anschlusssicherstellung abgestellt hat, liegt ein Ermessensfehler (Ermessensausfall) vor.
Ein Nachholen oder Ergänzen von Ermessenserwägungen i.S.d. § 114 Satz 2 VwGO war vorliegend nicht möglich. Denn gemäß § 114 Satz 2 VwGO können zwar unvollständige Ermessenserwägungen ergänzt werden; dies ist jedoch unzulässig, wenn es an Ermessenserwägungen bisher fehlte, das Ermessen also noch gar nicht ausgeübt wurde oder wesentliche Teile der Ermessenserwägungen ausgetauscht oder erst nachträglich nachgeschoben werden müssen (vgl. Ruthig, in: Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 114, Rn. 50). Vorliegend wurde im Widerspruchsbescheid zwar ausgeführt, dass es auf die ex-ante-Sicht (Zeitpunkt der Sicherstellungsverfügung) ankomme. Es erfolgte aber weder im Ausgangsbescheid noch im Widerspruchsbescheid auch nur ansatzweise eine Auseinandersetzung mit dem erheblichen Zeitablauf von vier Jahren und der damit verbundenen Frage, ob sich die Verhältnisse zwischenzeitlich möglicherweise geändert haben. Es wurde jeweils allein auf die Auffindesituation im Jahr 2017 abgestellt. Ein wesentlicher Ermessensaspekt wurde damit vollkommen außer Acht gelassen. Daher ist es hier unzulässig, Ermessenserwägungen insofern – auch wenn im Übrigen möglicherweise Ermessenserwägungen angestellt wurden – nachzuholen bzw. zu ergänzen.
II. Der Kläger hat einen Anspruch auf Herausgabe des sichergestellten Geldes. Ob dieser Anspruch auf Grundlage des allgemeinen Folgenbeseitigungsanspruchs (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Juli 1984 – 3 C 81/82 –, juris) oder gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 POG auch bei – wie hier – bereits anfänglicher Rechtswidrigkeit der Sicherstellung besteht, kann dahinstehen, da die Voraussetzungen beider Anspruchsgrundlagen jedenfalls erfüllt sind (vgl. VG Mainz, Beschluss vom 26. November 2021 – 1 L 887/21.MZ –, juris, Rn. 39 ff.).
Sobald die Voraussetzungen für die Sicherstellung weggefallen sind, sind die Sachen gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 POG an denjenigen herauszugeben, bei dem sie sichergestellt worden sind. Dabei handelt es sich um einen gesetzlich geregelten Folgenbeseitigungsanspruch (vgl. Neuhäuser, in: BeckOK PolR Nds, 21. Ed. 1. November 2021, NPOG § 29 Rn. 4). Die Voraussetzungen einer Sicherstellung des Geldes liegen nicht vor (siehe oben unter I.), daher hat der Kläger einen Rückgabeanspruch.
Auch die Voraussetzungen eines Folgenbeseitigungsanspruchs liegen vor, da in der Sicherstellung des Geldes ein hoheitlicher Eingriff in das Eigentumsrecht des Klägers zu sehen ist, der fortdauernd und rechtswidrig ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 ff. ZPO.RMB 042
B e s c h l u s s
der 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Mainz
vom 2. Juni 2022
Der Streitwert wird auf 2.800,00 € festgesetzt (§ 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffer 35.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013).


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