Verwaltungsrecht

Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (abgelehnt), Titelerteilungssperre, Nigerianischer Staatsangehöriger, Zwei Kinder im Bundesgebiet, Ein Kind im Asylverfahren, Lebensgefährtin und weiteres Kind mit nigerianischer Staatsangehörigkeit, jeweils in Besitz von Aufenthaltstiteln, Nachholung des Visumsverfahrens

Aktenzeichen  M 24 K 20.647

Datum:
25.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 24897
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 166
ZPO § 114
AufenthG § 5, § 10 Abs. 3, § 25 Abs. 5, § 36
GG Art. 6

 

Leitsatz

Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Frau Rechtsanwältin … wird abgelehnt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt mit seiner Klage die Verpflichtung zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, die ihm mit dem streitgegenständlichen Bescheid des Landratsamts Erding vom 3. Februar 2020 versagt worden ist.
Der Antragsteller ist nigerianischer Staatsangehöriger, geboren am … Dezember 1976. Er reiste am 12. August 2015 unerlaubt in das Bundesgebiet ein und meldete sich als Asylsuchender. Am 26. August 2016 stellte er formell einen Asylantrag, der vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit Bescheid vom 22. Mai 2017 abgelehnt wurde. Mit Urteil vom 16. April 2019 (M 21 K 17.43069) wies das Verwaltungsgericht München die hiergegen erhobene Klage ab. Der Bescheid des BAMF wurde am 12. Juni 2019 rechtskräftig. Der Antragsteller ist somit seit Ablauf der ihm gewährten Ausreisefrist vollziehbar zur Ausreise verpflichtet.
Der Antragsteller besitzt das alleinige Sorgerecht für seinen Sohn V. …, geboren am … Oktober 2014. Dieser ist ebenfalls nigerianischer Staatsangehöriger, befindet sich im laufenden Asylverfahren und lebte mit dem Kläger zuletzt gemeinsam in einer Asylunterkunft in … W. … Am … Juni 2018 wurde zudem in S. … die Tochter des Antragstellers, L. …, geboren, für die der Antragsteller die Vaterschaft anerkannt und eine Erklärung über die gemeinsame elterliche Sorge abgegeben hat. L. … besitzt ebenfalls die nigerianische Staatsangehörigkeit. Sie ist in Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 33 AufenthG und lebt gemeinsam mit der Kindsmutter, der Lebensgefährtin des Antragstellers, die in Besitz einer Niederlassungserlaubnis ist, in … S. …
Mit Urteil des Amtsgerichts Erding vom 16. Februar 2017, rechtskräftig seit 6. April 2017 wurde der Antragsteller wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tatmehrheit mit Urkundenfälschung zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 30,00 EUR verurteilt.
Mit Eingang bei der Ausländerbehörde am 22. Juli 2019 beantragte der Antragsteller die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Der Antragsteller nahm später diesen Antrag wieder zurück. Der Antragsteller ist derzeit in Besitz einer Duldung aufgrund Passlosigkeit und aus familiären Gründen. Am 1. August 2019 beantragte er die Wohnsitznahme bei seiner Lebensgefährtin, der Mutter seiner Tochter L. … in S. …
Mit Schreiben vom 21. November 2019, eingegangen bei der Ausländerbehörde am 25. November 2019 beantragte die Bevollmächtigte des Antragstellers für diesen erneut die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis unter Verweis auf Art. 6 Grundgesetz (GG) und Art. 8 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK).
2. Nach Anhörung erließ das Landratsamt Erding am 3. Februar 2020 den streitgegenständlichen Bescheid, mit dem der Antrag vom 21. November 2019 auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis abgelehnt wurde. Auf die Begründung des Bescheids wird verwiesen.
3. Mit Schreiben vom 14. Februar 2020, eingegangen bei Gericht am 17. Februar 2020, ließ der Antragsteller durch seine Bevollmächtigte Klage zum Verwaltungsgericht München erheben, mit dem Ziel, den Antragsgegner zu verpflichten, die begehrte Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Zugleich beantragt der Antragsteller
Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Bevollmächtigten zu bewilligen.
Der Antragsteller begründete Klage und Antrag mit Schriftsatz vom 15. April 2020 und ergänzendem Schriftsatz vom 24. April 2020, auf deren Inhalt verwiesen wird.
Der Antragsgegner legte die Behördenakten vor und erwiderte auf die Klage mit Schreiben vom 26. Februar 2020. Auf den Inhalt der Klageerwiderung wird ebenfalls verwiesen. Einen Antrag im Hinblick auf das vorliegende Prozesskostenhilfeverfahren stellte der Antragsgegner nicht.
Mit Schreiben vom 28. Oktober 2020 wurden die Beteiligten gemäß § 84 Abs. 1 Satz 3 VwGO zur Entscheidung im Wege des Gerichtsbescheids angehört.
Inzwischen ist der Antragsteller nach positiver Entscheidung über seinen Umverteilungsantrag in S. … wohnhaft. Die nun zuständige Ausländerbehörde, das Landesverwaltungsamt – Zentrale Ausländerbehörde in … L. … hat der Weiterführung des vorliegenden Rechtsstreits durch die bisher zuständige Behörde am 25. Februar 2021 zugestimmt (§ 3 Abs. 3 SVwVfG bzw. Art. 3 Abs. 3 BayVwVfG).
Mit Beschluss der Kammer vom 4. März 2021 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe bleibt ohne Erfolg.
1. Nach § 114 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 166 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder -verteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Eine hinreichende Erfolgsaussicht ist dabei bereits dann gegeben, wenn ein Obsiegen der Partei ebenso wahrscheinlich ist wie ihr Unterliegen. Die Erfolgsaussichten des gerichtlichen Verfahrens müssen im Zeitpunkt der Bewilligungsreife als offen zu beurteilen sein (BayVGH, B.v. 23.10.2005 – 10 C 04.1205 – juris). Prozesskostenhilfe ist bereits dann zu gewähren, wenn im gerichtlichen Verfahren schwierige Rechtsfragen zu klären oder hinsichtlich der tatsächlichen Grundlage der zu treffenden Entscheidung Beweis zu erheben ist (vgl. VGH Baden-Württemberg, B.v. 23.11.2004 – 7 S 2219/04 – juris Rn. 4); dies gilt jedenfalls dann, wenn die Beweiserhebung nicht nur aus formalprozessualen Gründen erfolgt (vgl. hierzu etwa BVerfG, B.v. 21.3.2013 – 1 BvR 68/12, 1 BvR 965/12 – NJW 2013, 2013, juris Rn. 17), sondern aufgrund einer eigenen gerichtlichen Entscheidung des Gerichts im Rahmen von § 86 VwGO für eine bestimmte Beweiserhebung. Auch soll die Prüfung der Erfolgsaussichten nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlegen (BVerfG, B.v. 4.2.2004 – 1 BvR 596/03 – NJW 2004, 1789). Schwierige oder noch nicht geklärte Rechtsfragen können deshalb nicht im Prozesskostenhilfeverfahren einer Klärung zugeführt werden (BVerfG, B.v. 4.2.2004, a.a.O.; BayVGH, B.v. 23.10.2005, a.a.O.).
Zuständig für die Entscheidung ist nach dem Übertragungsbeschluss der Kammer vorliegend der Einzelrichter (§ 6 Abs. 1 VwGO).
2. Vorliegend war die beantragte Bewilligung von Prozesskostenhilfe abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichenden Aussichten auf Erfolg bietet. Die Klage wird sich bei summarischer Prüfung voraussichtlich als erfolglos erweisen.
2.1. Die Klage ist als Versagungsgegenklage zulässig. Insbesondere ist die Klagefrist eingehalten (§ 74 Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Verwaltungsgericht München ist trotz des Umzugs des Antragstellers örtlich zuständig (§ 52 Nr. 3 Satz 1, Satz 5 VwGO, § 17 Abs. 1 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz – GVG). Die neu zuständige Ausländerbehörde hat der Fortführung des Rechtsstreits durch den bisherigen Beklagten und Antragsgegner zugestimmt (§ 3 Abs. 3 SVwVfG bzw. Art. 3 Abs. 3 BayVwVfG).
2.2. Die Klage ist jedoch voraussichtlich unbegründet. Der Kläger besitzt keinen Anspruch auf die begehrte Aufenthaltserlaubnis.
2.2.1. Wie die Ausländerbehörde zunächst zutreffend ausführt, unterliegt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für abgelehnte Asylbewerber wie vorliegend den Kläger den Sperrwirkungen des § 10 Abs. 3 AufenthG. Einem Ausländer, dessen Asylantrag unanfechtbar abgelehnt worden ist, darf vor der Ausreise ein Aufenthaltstitel nur nach Maßgabe des Abschnitts 5 des Aufenthaltsgesetzes erteilt werden (§ 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Sofern der Asylantrag nach § 30 Abs. 3 Nr. 1 bis 6 des Asylgesetzes (AsylG) als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, darf vor der Ausreise kein Aufenthaltstitel erteilt werden (§ 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG). Die Sätze 1 und 2 finden im Falle eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels keine Anwendung (§ 10 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 AufenthG).
Der mit der Klage geltend gemachte Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ist im vorliegenden Fall an § 10 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 1 AufenthG zu messen, wonach einem Ausländer, dessen Asylantrag unanfechtbar abgelehnt worden ist, vor der Ausreise ein Aufenthaltstitel nur für den Fall, dass ein gesetzlicher Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht oder nach Maßgabe des Abschnitts 5 des Aufenthaltsgesetzes, d. h. aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen (§§ 22-26 AufenthG), erteilt werden darf.
2.2.2. Zunächst besteht kein Rechtsanspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Sinne von § 10 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 1 AufenthG.
Anspruch in diesem Sinne ist nur ein Anspruch, der sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Ein derart strikter Rechtsanspruch setzt voraus, dass alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind, weil nur dann der Gesetzgeber selbst eine Entscheidung über das zu erteilende Aufenthaltsrecht getroffen hat. § 10 Abs. 3 S. 3 Halbs. 2 AufenthG hätte es nicht bedurft, wenn auch Regelansprüche oder Ansprüche auf Grund von Soll-Vorschriften dem Begriff des Anspruchs im Sinne des § 10 Abs. 3 S. 3 Halbs. 1 AufenthG unterfielen. Ebenso wenig liegt ein Anspruch im vorstehenden Sinn im Falle einer Ermessensreduzierung auf Null vor (vgl. BVerwG, U.v. 26.5.2020 – 1 C 12/19 – juris Rn. 52 m.w.d.Rspr.; U.v. 17.12.2015 – 1 C 31.14 – juris Rn. 20 f.).
Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller keinen strikten Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen. Insoweit fehlt es bereits an den besonderen Erteilungsvoraussetzungen. Ein Anspruch auf Ehegattennachzug (§ 30 AufenthG) scheidet schon deshalb aus, weil eine Ehe zwischen dem Antragsteller und der Mutter seiner Tochter nicht besteht. § 36 Abs. 1 AufenthG ist ebenfalls nicht einschlägig. Denn keines der Kinder des Antragstellers ist in Besitz einer dort in Bezug genommenen Aufenthaltserlaubnis.
Darüber hinaus ist die Regelerteilungsvoraussetzung des fehlenden Ausweisungsinteresses (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) nicht erfüllt. In der Person des Antragstellers besteht ein Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG, weil er einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen hat. Mit Urteil des Amtsgerichts Erding vom 16. Februar 2017 wurde er wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tatmehrheit mit Urkundenfälschung zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 30,00 EUR verurteilt. Dieser Verstoß ist nicht geringfügig, zumal zwei Delikte tatmehrheitlich verwirklicht wurden. Das Ausweisungsinteresse ist auch noch aktuell. Dass hier ein atypischer Fall vorliegen würde, bei dem diese Voraussetzungen nicht zum Tragen kommen würden, ist nicht ersichtlich. Weiter fehlt die Voraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, wonach für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis die Einreise mit dem hierfür erforderlichen Visum erforderlich ist. Der Ausnahmetatbestand des § 39 Nr. 5 Aufenthaltsverordnung (AufenthV) greift seinerseits nicht, da kein Rechtsanspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis gegeben ist. Im Sinne der o.a. höchstrichterlichen Rechtsprechung liegt damit ein gesetzlicher Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis im Sinne von § 10 Abs. 3 AufenthG nicht vor.
2.2.3. Die Tatbestandsvoraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach Maßgabe des 5. Abschnitts des Aufenthaltsgesetzes (Aufenthalt aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen, §§ 22 ff. AufenthG) liegen ebenfalls nicht vor.
Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass eine Aufenthaltserlaubnis auf Grundlage der §§ 22, 23, 24, 25a oder 25b AufenthG in Betracht kommt. Insoweit fehlt es an den jeweiligen Tatbestandsvoraussetzungen. § 25 Abs. 1 bis Abs. 3 AufenthG setzen einen positiven Ausgang des Asylverfahrens voraus und sind daher im vorliegenden Fall nicht einschlägig. § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG gewährt nur den vorübergehenden Aufenthalt und erfüllt daher nicht das Begehren des Antragstellers, das auf längerfristigen Aufenthalt gerichtet ist. § 25 Abs. 4 Satz 2 betrifft die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis und ist daher im vorliegenden Falle nicht anwendbar. Auch die besonderen Konstellationen der Abs. 4a und 4b des § 25 AufenthG liegen nicht vor.
Nach dem danach allein in Betracht kommenden § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG kann einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall des Ausreisehindernisses in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Dabei darf eine Aufenthaltserlaubnis nur erteilt werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist (§ 25 Abs. 5 Satz 3 AufenthG), wobei ein Verschulden insbesondere dann vorliegt, wenn der Ausländer zumutbare Anforderungen an die Beseitigung der Ausreisehindernisse nicht erfüllt.
Im Fall des Klägers, der in Besitz eines nigerianischen Reisepasses ist, ist kein tatsächliches Ausreisehindernis ersichtlich. Es liegt auch keine rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise aus Gründen der Wahrung der Familieneinheit (Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz, Art. 8 EMRK) vor, die im Wege der Ermessensreduzierung auf Null zu einem Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG führen könnte.
Der Herleitung eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG aus dem Recht auf Wahrung der Familieneinheit (Art. 6 GG) steht im vorliegenden Fall zunächst die Systematik des Aufenthaltsgesetzes entgegen. § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG kann nicht als allgemeine Auffangvorschrift für ein sich aus Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK ergebendes Ausreisehindernis herangezogen werden, wenn die Erteilungsvoraussetzungen der für die genannten Aufenthaltszwecke bestehenden Spezialnormen – vorliegend § 10 Abs. 3 Sätze 1 und 3 i.V.m. §§ 29, 30, 36 AufenthG – nicht erfüllt sind (vgl. Maaßen/Kluth, BeckOK Ausländerrecht, § 25 Rn. 134 ff; OVG Saarl, B.v. 20.4.2011 – BeckRS 2011, 50106; offenlassend: BayVGH, 24.1.2019 – 10 CE 18.1871, 10 CE 18.1874 – juris Rn 24 m.w.N; in diesem Sinn zum Verhältnis zu §§ 25a, 25b AufenthG: OVG Lüneburg, U.v. 8.2.2018 – 13 LB 43/17 – juris Rn. 82 ff., nachgehend offenlassend: BVerwG, B.v. 12.7.2018 – 1 B 32.18 – juris Rn. 12). Eine solche Auslegung würde die besonderen Erteilungsvoraussetzungen, die für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug für abgelehnte Asylbewerber geschaffen wurden (insbesondere § 10 Abs. 3 AufenthG), weitgehend unterlaufen. Anhaltspunkte für einen entsprechenden Willen des Gesetzgebers sind nicht ersichtlich. Das Recht auf Wahrung der Familieneinheit aus Art. 6 GG, Art. 8 EMRK vermag daher nur bei Vorliegen besonderer Umstände einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz zu begründen; solche besonderen Umstände sind jedoch im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Unabhängig hiervon begründet das Recht auf Wahrung der Familieneinheit aus Art. 6 GG, Art. 8 EMRK vorliegend auch kein absehbar dauerhaftes Ausreisehindernis.
Art. 6 GG gewährt grundsätzlich keinen unmittelbaren Anspruch auf Einreise und Aufenthalt. Das Grundgesetz überantwortet die Entscheidung, in welcher Zahl und unter welchen Voraussetzungen der Zugang zum Bundesgebiet ermöglicht werden soll, weitgehend der gesetzgebenden und der vollziehenden Gewalt. Ebenso wenig gewährt das Recht auf Familienleben nach Art. 8 Abs. 1 EMRK ein Recht eines Ausländers, in ein bestimmtes Land einzureisen und sich dort aufzuhalten, sondern belässt den Staaten grundsätzlich das Recht, die Einreise fremder Staatsangehöriger in ihr Hoheitsgebiet zu kontrollieren. Allerdings verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach der der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde bei der Entscheidung über ein Aufenthaltsbegehren, die bestehenden familiären Bindungen des Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, zu berücksichtigen und entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG und dem Recht auf Familienleben nach Art. 8 EMRK ist es danach aber grundsätzlich vereinbar, den Ausländer auf die Einholung eines erforderlichen Visums zu verweisen. Das Visumverfahren bietet Gelegenheit, die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen zu überprüfen und so die Einreise von Ausländern in das Bundesgebiet zu kontrollieren. Der mit der Durchführung des Visumverfahrens üblicherweise einhergehende Zeitablauf ist von demjenigen, der die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland begehrt, regelmäßig hinzunehmen (BayVGH, B.v. 21.7.2015 – 10 CS 15.859 – juris Rn. 66 ff.; B.v. 19.6.2018 – 10 CE 18.993 – juris Rn. 5; BVerwG, Vorlagebeschluss v. 26.1.2017 – 1 C 1.16 – juris Rn. 36 mit Verweis auf BVerwG, U.v. 11.1.2011 – 1 C23.09 – juris Rn. 34; BVerfG, B.v. 1.12.2008 – 3 BvR 1830/08 – juris Rn. 25; B.v. 10.5.2008 – 2 BvR 588/08 – juris Rn. 11; B.v. 4.12.2007 – 2 BvR 2341/06 – juris Rn. 7; EGMR, U.v. 2.8.2001 – Boultif, Nr. 54273/00 – InfAuslR 2001, 476/477f.; EGMR, U.v. 18.10.2006 – Üner, Nr. 46410/99 – juris Rn. 54). Der Kläger hat es durch die Gestaltung seiner Ausreise selbst in der Hand, die für die Durchführung des Visumverfahrens erforderliche Dauer seiner Abwesenheit im Bundesgebiet möglichst kurz zu halten, indem er eine Vorabzustimmung der für ihn nunmehr zuständigen Ausländerbehörde am Wohnort seiner Lebensgefährtin und seines Kindes nach § 31 AufenthV einholt und bereits vor der Ausreise eine vorherige Überprüfung der erforderlichen Personenstandsurkunden veranlasst. Es liegt im Verantwortungsbereich des Klägers, die Nachholung eines Visumverfahrens – in Absprache mit der zuständigen Ausländerbehörde – so familienverträglich wie möglich zu gestalten. Hinsichtlich des Kindes L. … ist darauf zu verweisen, dass dieses nicht alleine im Bundesgebiet verbleiben wird, weil sich die Kindsmutter im Bundesgebiet aufhält. Hinsichtlich des im Jahr 2014 geborenen Kindes V. …, das sich nach den dem Gericht vorliegenden Unterlagen noch im Asylverfahren befindet und für das der Kläger das alleinige Sorgerecht besitzt, wird zwar eine längere Ausreise oder gar Rückführung des alleine sorgeberechtigten Klägers für den Zeitraum des laufenden Asylverfahrens des Kindes nicht in Betracht kommen. Es handelt sich dabei aber um einen vorübergehenden Zeitraum für die Dauer der Durchführung des Asylverfahrens, aus dem kein Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis des Vaters abgeleitet werden kann und kein dauerhaftes Ausreisehindernis. Sollte das Asylverfahren von V. … negativ ausgehen, so wird dieser gehalten sein, das Visumverfahren mit seinem Vater gegebenenfalls gemeinsam nachzuholen. Sollte das Asylverfahren positiv für V. … ausgehen, so wird die rechtliche Situation neu zu prüfen sein. Ein Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis lässt sich im Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung aus dieser bloßen zukünftigen Möglichkeit jedoch nicht ableiten.
Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG kommt daher im vorliegenden Fall wegen des vorrangig durchzuführenden Visumsverfahrens nicht in Betracht. Dafür, dass das Visumsverfahren unzumutbar lange dauern würde, bestehen – jenseits der derzeitigen vorübergehenden Einschränkungen aufgrund der Coronapandemie – keine Anhaltspunkte. Insoweit ist gerichtsbekannt, dass die Visaverfahren bei den deutschen Auslandsvertretungen in Nigeria, auch coronabedingt, derzeit teilweise lange dauern. Zum Entscheidungszeitpunkt spricht die einschlägige Internetseite von einer Wartezeit auf einen Termin von 11 Monaten nach Registrierung im Online-Terminvergabesystem (https://nigeria.diplo.de/ngen/service/visa, abgerufen am 25. Mai 2021). Dieser Zeitraum alleine stellt aber gerade im Fall des Antragstellers, der seine Ausreise schon aufgrund des laufenden Asylverfahrens des Sohnes längerfristig planen kann und planen konnte und in Ansprache mit der Ausländerbehörde den fraglichen Zeitraum im Bundesgebiet bei seiner Familie abwarten kann, keinen Umstand dar, der aus rechtlichen Gründen zu einer Unmöglichkeit der Ausreise im Sinne von § 25 Abs. 5 AufenthG führen würde. Die weitere auf der Internetseite der Terminregistrierung des Generalkonsulats Lagos genannte Bearbeitungszeit von bis zu 6 Monaten bis zur Erteilung des Visums (vgl. https://service2.diplo.de/rktermin/extern/choose_realmList.do?locationCode=lago& request_locale=en, abgerufen am 25. Mai 2021) ist ihrerseits ebenfalls nicht geeignet, im vorliegenden Fall eine Unzumutbarkeit des Visumverfahrens zu begründen. Wenngleich gerade bei sehr kleinen Kindern wie vorliegend dem Kind L. … eine lange Abwesenheit zur Nachholung des Visumverfahrens unzumutbar sein kann, weil für das Kind der Eindruck eines dauerhaften Verlusts entstehen kann, ist umgekehrt aber auch zu berücksichtigen, dass auch die Möglichkeit der Aufrechterhaltung einer regelmäßigen Kommunikation mit den heutigen Kommunikationsmitteln besteht, die es dem Vater während dieses sechsmonatigen Zeitraums ermöglicht, einem solchen Eindruck eines dauerhaften Verlusts bei seinem Kind entgegenzuwirken. Vor diesem Hintergrund erachtet das Gericht die für die Durchführung des Visumverfahrens erforderliche Trennung bei Nutzung der vor Ausreise bestehenden Möglichkeiten zur Vorbereitung und Verfahrensbeschleunigung als noch zumutbar, zumal es der Lebensgefährtin und der Tochter des Klägers als nigerianischen Staatsangehörigen auch zumutbar wäre, den Kläger vorübergehend nach Nigeria zu begleiten.
Mögliche derzeit aufgrund der Corona-Epidemie bestehende Reisebeschränkungen führen ihrerseits nicht zur Unmöglichkeit der Ausreise, weil mit dem Wegfall des Ausreisehindernisses in absehbarer Zeit zu rechnen ist, § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG (vgl. BayVGH, B.v. 4. Mai 2020, Az. 10 ZB 20.666, juris Rn 18f.).
Insofern kommt es nicht mehr darauf an, dass auch für eine Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG grundsätzlich die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen gegeben sein müssen, die im Fall des Antragstellers nicht erfüllt sind (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG). Gesichtspunkte, die einen atypischen Fall begründen oder im Hinblick auf § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG über eine Ermessensreduzierung auf Null ein Absehen von diesen Voraussetzungen gebieten würden, sind nach den vorstehenden Ausführungen nicht ersichtlich. 2.3. Da der Kläger damit voraussichtlich keinen Anspruch auf die begehrte Aufenthaltserlaubnis hat, bietet die Rechtsverfolgung vorliegend keine hinreichenden Aussichten auf Erfolg. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war daher abzulehnen.
3. Damit besteht auch keine Grundlage für eine Beiordnung von Frau Rechtsanwältin … (§ 166 VwGO, § 121 ZPO).
4. Die Entscheidung im Prozesskostenhilfeverfahren ergeht kostenfrei.


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