Verwaltungsrecht

Asyl Aserbaidschan, Unglaubhafter Sachvortrag, Wehrdienst in Aserbaidschan

Aktenzeichen  AN 16 K 17.30013

Datum:
4.4.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 10765
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, 7

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 29. Dezember 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Dem Kläger steht weder ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter gemäß Art. 16a Abs. 1 GG noch ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG oder des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG zu. Ein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG besteht ebenfalls nicht.
Auch im Übrigen stößt der angegriffene Bescheid auf keine rechtlichen Bedenken.
1. Vorliegend ist kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 4, Abs. 1 AsylG und aufgrund der Identität der Schutzgüter auch kein Anspruch nach Art. 16a Abs. 1 GG auf Anerkennung als Asylberechtigte gegeben.
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder in welchem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
Ergänzend hierzu bestimmt § 3a AsylG die Verfolgungshandlungen, § 3b AsylG die Verfolgungsgründe, § 3c AsylG die Akteure, von den Verfolgung ausgehen kann, § 3d AsylG die Akteure, die Schutz bieten können und § 3e AsylG den internen Schutz.
Mit Rücksicht darauf, dass sich der Schutzsuchende vielfach hinsichtlich asylbegründender Vorgänge außerhalb des Gastlandes in einem gewissen sachtypischen Beweisnotstand befindet, genügt bezüglich dieser Vorgänge für die nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO gebotene richterliche Überzeugungsgewissheit in der Regel die Glaubhaftmachung. Dies bedeutet, dass das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen darf, sondern sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit begnügen muss, der auch nicht völlig auszuschließende Zweifel mit umfasst (vgl. BVerwG, U.v. 29.11.1977 – 1 C 33/71 – BVerwGE 55,82 – juris Rn. 15). Dabei ist der Beweiswert der Aussage des Asylbewerbers im Rahmen des Möglichen wohlwollend zu beurteilen. Er muss jedoch auch andererseits von sich aus unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen, detaillierten und widerspruchsfreien Sachverhalt schildern, der seine Verfolgungsfurcht für den Fall der Rückkehr in sein Heimatland begründet. Ein glaubhaftes Vorbringen liegt daher in der Regel nicht vor, wenn der Schutzsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnisse entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint, sowie auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert (vgl. BVerwG, U.v. 30.10.1990 – 9 C 72/89 – juris Rn. 15). Insbesondere bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag kann dem Schutzsuchenden nur bei einer überzeugenden Auflösung der Unstimmigkeiten geglaubt werden (vgl. BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – NVwZ 1990, 171 – juris Rn. 3).
Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht des Betroffenen vor Verfolgung begründet ist im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG gilt einheitlich der Prognosemaßstab der tatsächlichen Gefahr („real risk“). Erforderlich ist eine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass der Betroffene bei einer Rückkehr verfolgt werden wird. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Sachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb die dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25/10 – BVerwGE 140,22 – juris Rn. 24; U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – BVerwGE 146,67 – juris Rn. 32).
Die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie (RL 2011/95/EU) in Form einer widerlegbaren Vermutung ist im Asylverfahren erst zu beachten, wenn der Kläger frühere Verfolgungshandlungen oder Bedrohungen mit Verfolgung als Anhaltspunkt für die Begründetheit seiner Furcht geltend macht und dass sich die Verfolgung im Falle der Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werde.
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe und unter Berücksichtigung der verfahrensgegenständlichen Erkenntnisquellen zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) ist das Gericht der Überzeugung, dass dem Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Aserbaidschan keine dem Schutzbereich des § 3 Abs. 1 AsylG unterfallende Gefährdungen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Zur Begründung nimmt das Gericht Bezug auf die Begründung der Beklagten im streitgegenständlichen Bescheid, der das Gericht folgt (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend gilt Folgendes:
Auch in der mündlichen Verhandlung vor Gericht vermochte der Kläger nicht, seinen Vortrag glaubhaft zu substantiieren und eine Verfolgung bei einer Rückkehr nach Aserbaidschan glaubhaft zu machen. Hierbei ist zunächst festzuhalten, dass die entsprechende Asylklage des Vaters des Klägers rechtskräftig abgewiesen wurde. Der Kläger selbst konnte keinerlei Umstände detailliert schildern, welche eine entsprechende Furcht bzw. Gefahr im Sinne des § 3 AsylG begründen könnten. Der Kläger gab hierzu an, dass er nichts über die Umstände und Beweggründe der Flucht des Vaters aus Aserbaidschan wisse. Dies ist bereits insoweit unglaubhaft, als der Vater des Klägers in dessen Asylverfahren entsprechende, damals als unglaubhaft bewertete Aussagen getätigt hat. Es ist daher nicht nachvollziehbar, wenn der Kläger angibt, dass der Vater nie darüber habe sprechen wollen und er daher nichts wisse. Der Kläger selbst hat angegeben, dass er nach der Ausreise der Eltern auch ohne Probleme und Komplikationen in Aserbaidschan habe leben können. Der einzige Grund, weshalb er noch drei Jahre nach der Flucht der Eltern in Aserbaidschan geblieben sei, sei gewesen, dass er noch in die Schule gegangen sei. Daraus lässt sich rückschließen, dass, unabhängig von der Glaubhaftigkeit des Vortrags des Vaters des Klägers, jedenfalls der Kläger selbst keiner Vorverfolgung in Aserbaidschan ausgesetzt gewesen ist. Es wurden auch keinerlei weitere Gründe vorgetragen, dass die Voraussetzungen des § 3 AsylG in Aserbaidschan für den Kläger vorliegen würden.
Eine Verfolgung des Klägers kann auch nicht deshalb angenommen werden, da er, wie er nun in der mündlichen Verhandlung erstmals vorträgt, bei einer Rückkehr zum Wehrdienst eingezogen würde oder in Bergkarabach sterben könnte.
Grundsätzlich ist festzustellen, dass jeder Staat das Recht hat, eine Streitkraft zu unterhalten, seine Staatsangehörigen zum Wehrdienst dieser Streitkraft heranzuziehen und Personen, die sich dem Wehrdienst entziehen, angemessen zu bestrafen. Eine asylrelevante Verfolgung nach § 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylG kann zwar auch in einer unverhältnismäßigen Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung bestehen, oder etwa dann angenommen werden, wenn die Heranziehung zum Wehrdienst als solche in diskriminierender Weise erfolgt. Beides ist vorliegend nicht der Fall.
Der Auskunftslage lassen sich keine Hinweise darauf entnehmen, dass die Heranziehung zum Militärdienst in diskriminierender Weise, d.h. in einer an ein asylrelevantes Merkmal im Sinne des § 3 AsylG anknüpfenden Weise erfolgt (vgl. Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan des Auswärtigen Amtes vom 22.2.2019, S. 11 f.). Soweit mit einer Bestrafung zu rechnen ist, knüpft auch diese nicht an ein asylrelevantes Merkmal an, sondern an die Verletzung einer staatsbürgerlichen Pflicht. Zudem stellen die Strafvorschriften Aserbaidschans wegen Wehrdienstentziehung keine unverhältnismäßige Bestrafung dar. Eine unverhältnismäßige Bestrafung wegen einer Wehrdienstentziehung kann regelmäßig nur dann angenommen werden, wenn der Betreffende durch die fehlende Möglichkeit der Verweigerung des Wehrdienstes aus Gewissensgründen und die darauffolgende Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung in seinem Recht aus Art. 9 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl. 1952 II, S. 685) – EMRK – verletzt wird (vgl. EGMR, U.v. 7.7.2011 – 23459/03 – juris). Dabei kommt es insbesondere darauf an, ob der Betroffene eine echte und aufrichtige Gewissensentscheidung gegen den Wehr- oder Kriegsdienst glaubhaft machen kann (vgl. BayVGH, B.v. 15.2.2016 – 11 ZB 16.30012 – juris).
Dies ist vorliegend abzulehnen, weil die diesbezüglichen Ausführungen des Klägers als Pauschalerwägungen und nicht als Ausdruck einer tiefgreifenden Gewissensentscheidung zu bewerten sind. Eine fehlende Bereitschaft, die mit dem Wehrdienst verbundenen Risiken für Leib und Leben einzugehen, ist nicht für eine Wehrdienstverweigerung aus pazifistischen Gewissensgründen ausreichend. Die diesbezüglichen Ausführungen des Klägers, die erstmals nun in der mündlichen Verhandlung vor Gericht erfolgten, blieben bezüglich des Wehrdienstes oberflächlich und vage. Der Kläger beließ es bei Ausführungen, dass er nicht in Bergkarabach getötet oder zum Wehrdienst eingezogen werden wolle. Dem Vorbringen des Klägers ist letztlich zu entnehmen, dass er nicht nach Bergkarabach eingesetzt werden wolle auf Grund des damaligen dortigen Kriegszustandes. Ob der Kläger insgesamt dem Wehr- oder Kriegsdienst abgeneigt ist, ließ er mit der Oberflächlichkeit seiner Aussagen offen. Es kann nicht von einer ernsthaften Gewissensentscheidung ausgegangen werden. Die in Aserbaidschan verhängten Strafen wegen Wehrdienstentziehung sind auch nicht unverhältnismäßig hoch. Hat sich eine Person nach Annahme eines Einberufungsbefehls dem Militärdienst entzogen, so hat sie bis zum Alter von 37 Jahren in der Armee zu dienen. Weiter muss mit Bestrafung gerechnet werden. Gemäß Art. 334 des aserbaidschanischen Gesetzbuches steht auf Desertion eine Haftstrafe von drei bis sieben Jahren, in Kriegszeiten und während Kampfhandlungen von fünf bis zehn Jahren (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Bayreuth vom 23.2.2011).
Darüber hinaus gelangt das Gericht unter Auswertung der Erkenntnismittel zu der Überzeugung, dass es innerhalb des aserbaidschanischen Militärs jedenfalls nicht mehr zu schutzrelevanten Handlungen kommt. Während sich in einem Lagebericht des Auswärtigen Amtes aus dem Jahre 2014 noch Hinweise auf Mobbing in der Armee entnehmen ließen, ist dies in aktuellen Lageberichten gerade nicht mehr der Fall und wohl auch der damals amtierende Verteidigungsminister wurde am 22. Oktober 2013 ausgewechselt (vgl. Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan des Auswärtigen Amtes vom 13.2.2014, S. 15, vom 18.6.2018, S. 11 und vom 22.2.2019, S. 11 f.).
Zudem ist festzuhalten, dass sich Aserbaidschan zum Zeitpunkt der Entscheidung insbesondere nicht mehr mit Armenien im Krieg hinsichtlich der Region Bergkarabach befindet. Der Konflikt aus dem Jahre 2020 wurde im Herbst 2020 insoweit beigelegt. Auf Grund der derzeitigen Umstände ist auch nicht davon auszugehen, dass der Kläger dort oder in einem anderen Kriegsgebiet eingesetzt würde.
Ein Anspruch gemäß § 3 Abs. 1 AsylG oder Art. 16a GG ist demnach nicht gegeben.
2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 AsylG.
Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär schutzberechtigt, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG).
Das Gericht nimmt Bezug auf die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid, denen es folgt (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Dem Kläger droht nach Auffassung des Gerichts insoweit kein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 AsylG. Diesbezüglich wird auf die obigen Ausführungen zu § 3 AsylG verwiesen.
3. Der Kläger kann die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht beanspruchen.
a) Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Insbesondere Art. 3 EMRK steht einer Abschiebung entgegen, wenn dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe droht.
Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG sind vorliegend nicht gegeben. Diesbezüglich wird auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheids Bezug genommen, der das Gericht folgt (§ 77 Abs. 2 AsylG). Zudem wird auf obige Ausführungen verwiesen.
b) Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG setzt eine einzelfallbezogene, erhebliche und konkrete Gefahrensituation voraus, wobei es nicht darauf ankommt, von wem die Gefahr ausgeht und wodurch sie hervorgerufen wird. Erheblich ist eine Gefahr, wenn sie von bedeutendem Gewicht ist, konkret, wenn ihre Verwirklichung mit einer auf stichhaltigen Gründen beruhenden beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG dabei nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch eine Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Konkret ist die durch eine Krankheit verursachte Gefahr, wenn die Verschlechterung des Gesundheitszustandes alsbald nach Rückkehr in das Herkunftsland eintreten würde, weil eine adäquate Behandlung dort nicht möglich ist. Es ist jedoch nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist, § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG. Maßgeblich sind vielmehr die dort üblichen Standards. Nicht zu prüfen ist deshalb, ob in Aserbaidschan eine medizinisch optimale Behandlung oder gar eine Heilung zu erreichen ist. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG liegt eine ausreichende medizinische Versorgung in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaates gewährleistet ist.
Im aserbaidschanischen Gesundheitssystem hat die Regierung in den letzten Jahren erhebliche Investitionen vorgenommen (vgl. Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan des Auswärtigen Amtes vom 17.11.2020, Stand: November 2020, S. 21). Zu Anfang des Jahres wurde eine allgemeine Krankenversicherung eingeführt, die auf eine Verbesserung der medizinischen Versorgung insgesamt abzielt. Ihre schrittweise verbindliche Einführung wurde wegen der Covid-19-Pandemie auf 2021, mithin auf dieses Jahr, verschoben.; theoretisch gibt es eine alle notwendigen Behandlungen umfassende kostenlose medizinische Versorgung. Dringende medizinische Hilfe wird in Notfällen gewährt, mittellose Patienten werden minimal versorgt, dann jedoch nach einigen Tagen „auf eigenen Wunsch“ entlassen, wenn sie die Behandlungskosten und „Zuzahlungen“ an die Ärzte und das Pflegepersonal nicht aufbringen können. In diesem Fall erfolgt dann die weitere Behandlung ambulant oder nach Kostenübernahme durch Dritte. Neben der staatlichen Gesundheitsversorgung bildete sich in den vergangenen Jahren ein florierender privater medizinischer Sektor heraus, der gegen Barzahlung medizinische Leistungen auf annähernd europäischem Standard bietet. Bei stationärer Behandlung sind alle Medikamente kostenfrei (vgl. IOM Länderinformationsblatt Aserbaidschan 2016, S. 2). Ambulante Patienten zahlen ihre Medikamente mit Ausnahme bei Krebserkrankungen und psychischen Erkrankungen selbst. Medikamente sind vergleichsweise teuer. Auch wenn die medizinische Versorgung noch nicht europäischen Standards entspricht, können verbreitete Erkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck, Asthma, Anämie, Gelenk- und Rückenschmerzen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie die coronare Herzkrankheit, Herzrhythmusstörungen, psychische Erkrankungen wie Depressionen, Drogenmissbrauch und posttraumatische Belastungsstörungen in Aserbaidschan adäquat behandelt werden. Bis auf wenige Ausnahmen sind die in Deutschland üblichen Medikamente auch in Aserbaidschan erhältlich (vgl. Information zur medizinischen Versorgung in Aserbaidschan der Botschaft Baku vom 29.4.2016). Nicht vorhandene Medikamente können in der Regel durch andere, wirkungsgleiche ersetzt werden.
Unter Zugrundelegung der genannten Maßstäbe und Erkenntnismittel erweist sich eine Abschiebung des Klägers nach Aserbaidschan weder gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG noch nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG als unzulässig. Zur Begründung wird vollumfänglich auf die zutreffenden Ausführungen der Beklagten in dem angefochtenen Bescheid Bezug genommen, denen das Gericht folgt (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Der Kläger hat keinerlei Erkrankungen vorgetragen bzw. entsprechende ärztliche Atteste vorgelegt. Auch anderweitig ist nicht ersichtlich, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG vorliegen könnten.
Auch im Hinblick auf § 60 Abs. 5 AufenthG ist festzuhalten, dass dessen Voraussetzungen im vorliegenden Fall nicht gegeben sind. Hierzu wird auf den streitgegenständlichen Bescheid und dessen Begründung Bezug genommen. Es ist davon auszugehen, dass der Kläger als junger, gesunder Mann mit einer entsprechenden schulischen Ausbildung in der Lage ist, sich seinen Lebensunterhalt finanziell zu sichern. Der Kläger besitzt zudem noch Familienangehörige in Aserbaidschan, von deren Unterstützung bei einer Rückkehr grundsätzlich auszugehen ist.
4. Auch die in dem angefochtenen Bescheid enthaltene Ausreiseaufforderung unter Abschiebungsandrohung begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Die Voraussetzungen der §§ 34 Abs. 1, 38 Abs. 1 AsylG liegen vor.
5. Gleiches gilt für die Befristung des in Ziffer 6 festgesetzten Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1, Abs. 2, 75 Nr. 12 AufenthG. Die Befristung steht dabei im Ermessen der Behörde, vgl. § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, womit das Gericht die Festsetzungen in zeitlicher Hinsicht nur auf, im vorliegenden Fall nicht ersichtliche, Ermessensfehler hin überprüft (vgl. § 114 Satz 1 VwGO).
6. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83b AsylG.


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