Verwaltungsrecht

Asyl, Pakistan, Glaubhaftigkeit, Politische Verfolgung, Sipah-e-Sahaba (SeS), Taliban, Keine Gruppenverfolgung der Schiiten, Inländische Fluchtalternative

Aktenzeichen  M 5 K 17.38166

Datum:
4.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 35352
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3e
AsylG § 4 Abs. 3

 

Leitsatz

Tenor

I.Die Klage wird abgewiesen.
II.Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.  

Gründe

Die zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg.
1. Das Gericht konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten über die Sache verhandeln und entscheiden, da die Beklagte ordnungsgemäß geladen war und in der Ladung darauf hingewiesen wurde, dass bei Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entscheiden werden kann (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
2. Der streitgegenständliche Bescheid stellt sich im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Asylgesetz – AsylG) als rechtmäßig dar und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat auch unter Einbeziehung seines Vorbringens in der mündlichen Verhandlung weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG) noch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG), § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO. Ebenso wenig liegen Abschiebungsverbote (§§ 60 Abs. 5 und 7 Aufenthaltsgesetz – AufenthG) vor. Auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes erweist sich als rechtmäßig.
Das Gericht folgt der zutreffenden Begründung des streitgegenständlichen Bescheids und sieht daher von einer über die nachfolgenden Ausführungen hinausgehende eigenständige Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).
a) Dem Kläger stehen die geltend gemachten Schutzansprüche nicht zu.
aa) Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG) oder des subsidiären Schutzstatus (§ 4 AsylG) vorliegen, da dem Kläger eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung steht (§§ 3e, 4 Abs. 3 AsylG). Hiernach wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutz nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass es sich dort niederlässt. Bestehen zum Zeitpunkt der Ausreise und zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Flüchtlingsanerkennung unverändert innerstaatliche Fluchtalternative fort, führt dies auch unter Geltung des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie (RL 2011/95/EU des europäischen Parlaments und des Rates v. 13.12.2011) zur Versagung der Anerkennung (BVerwG, U.v. 19.1.2009 – 10 C 52/07 – juris Rn. 29).
In den Städten Pakistans – vor allem in den Großstädten R* …, L* …, K* … P* … oder M* … – leben potentiell Verfolgte nach den vorliegenden Erkenntnissen aufgrund der dortigen Anonymität sicherer als auf dem Lande. Selbst Personen, die wegen Mordes von der Polizei gesucht werden, können in einer Stadt, die weit genug von ihrem Heimatort entfernt liegt, unbehelligt leben (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes zu Pakistan vom 29.9.2020, Stand: Juni 2020, S. 19). In einem flächen- und bevölkerungsmäßig großen Land wie Pakistan ist es grundsätzlich möglich, bei Aufenthalt in einer der größeren Städte dauerhaft der Aufmerksamkeit der lokalen Behörden zu entgehen (Auswärtiges Amt, Stellungnahme an VG Leipzig vom 15.1.2014). Gemäß der Auskunft von Accord vom 5. Februar 2015 führt der Ermittlungsbericht des Vertrauensanwalts der österreichischen Botschaft in I* … vom Juli 2013 aus, dass selbst eine Person, die von einem Konfliktherd mit Taliban fliehe, durchaus in einer pakistanischen Stadt in den Provinzen S* … oder P* … Zuflucht finden könne. Hinsichtlich der Sicherheit würden in Pakistan – schon aufgrund der Größe des Landes – interne Fluchtalternativen bestehen (vgl. allgemein zur Annahme einer inländischen Fluchtalternative: VG Augsburg, U.v. 30.3.2015 – Au 3 K 14.30437; VG Regensburg, U.v. 9.1.2015 – RN 3 K 14.30674; VG Köln, U.v. 10.9.2014 – 23 K 6317/11.A; VG Ansbach, U.v. 7.8.2014 – AN 11 K 14.30589; VG Regensburg, U.v. 10.12.2013 – RN 3 K 13.30374; VG Göttingen, U.v. 7.2.2017 – 2 A 304/15; VG München, U.v. 19.5.2016 – M 23 K 14.31121 – juris Rn. 46 m.w.N.; U.v. 12.6.15 – M 23 K 13.31345 – juris Rn. 21 ff. m.w.N.). Eine Einschränkung der politischen Opposition findet in Pakistan nicht statt (Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 10 f.). Politische Parteien können weitgehend frei operieren (Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 10 f.). Eine nachhaltige und ein anderes Ergebnis rechtfertigende Änderung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse in Pakistan zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt legen die verfahrensgegenständlichen Erkenntnismittel nicht nahe.
bb) Diese Möglichkeit internen Schutzes steht hier auch dem Kläger zur Verfügung; individuelle Ausschlussgründe ergeben sich insoweit weder aus Gründen der Sicherheit noch aus wirtschaftlichen Zwängen. Es ist zu erwarten, dass der Kläger in den Großstädten und anderen – nicht weit von seinem Heimatort entfernten – Landesteilen vor seinen behaupteten Verfolgern geschützt ist, zumal an ihm kein persönlich-individuelles Interesse besteht, das ihn einer landesweiten Verfolgung bzw. ernsthaften Gefahr aussetzen würde. So hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung selbst bestätigt, dass jede Moschee einen eigenen Generalsekretär habe und er nicht wisse, wie viele Generalsekretäre es gäbe und wie groß die Organisation sei. Ein landesweites Verfolgungsinteresse, aus seiner Stellung als Generalsekretär der Organisation „Anjuman Imamia“ für seine Region zu schlussfolgern liegt dem Gericht fern. Auch auf Grund der Tätigkeit des Klägers für die Organisation „Tehrik-e-Nifaz-e-Fiqh-e-Jafaria“ lässt sich kein landesweites Verfolgungsinteresse schlussfolgern. Der Kläger führt zwar aus, dass er im Rahmen seiner Funktion als Generalsekretär landesweit an schiitischen Veranstaltungen teilgenommen habe und nicht nur in seiner Heimatstadt bekannt sei, sondern auch in anderen Regionen. Eine landesweite Bekanntheit dahingehend, dass auch Sunniten den Kläger landesweit erkennen würden – wie vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgetragen – vermag das Gericht nicht zu erkennen. Der Kläger hat vielmehr im Rahmen der mündlichen Verhandlung zunächst ausgesagt, dass die Taliban von einer möglichen Rückkehr seinerseits erfahren wurden, da er (nur) in der Gegend bekannt sei. Insbesondere im Distrikt S* … sei der Kläger bekannt. Auch soweit der Kläger von einer Verfolgung durch die Taliban und der Sipah-e-Sahaba berichtet hat, erkennt das Gericht kein landesweit bestehendes Interesse am Kläger. Dies hat der Kläger mit seiner Religionszugehörigkeit und seinem Auftreten auf schiitischen Veranstaltungen begründet. Insofern ist aber nicht erkennbar, dass der Kläger als Schiit oder in seiner politischen Stellung derart exponiert aufgetreten ist, dass die benannten Organisationen ein ernsthaftes und landesweites Verfolgungsinteresse an den Tag legen. Auch liegen die vom Kläger vorgetragenen Vorfälle der Mordversuche aus den 1990er Jahren und die Bedrohungen direkt vor der Ausreise im Jahr 2014 längere Zeit zurück. Es ist nicht erkennbar, dass bei den benannten Organisationen auch nach dieser längeren Zeitspanne (noch) ein ernsthaftes und landesweites Verfolgungsinteresse hinsichtlich des Klägers besteht.
cc) Auch als schiitischer Moslem steht dem Kläger die Möglichkeit zu, in den Großstädten Pakistans bzw. in anderen Landesteilen Zuflucht zu finden und sein Existenzminimum sicherzustellen. Dabei kann sich der Kläger insbesondere nicht auf eine Gruppenverfolgung allein aufgrund seiner als wahr unterstellten muslimisch-schiitischen Glaubenszugehörigkeit berufen. Die Gefahr einer gegen Schiiten gerichteten Gruppenverfolgung durch nichtstaatliche Akteure in Gestalt sunnitischer Extremisten scheitert offensichtlich daran, dass die hierzu notwendige Verfolgungsdichte nach den vorliegenden Erkenntnissen nicht vorliegt: Die Bevölkerung Pakistans wird auf etwa 196 bzw. 201 Millionen geschätzt (vgl. EASO, Pakistan Länderüberblick, 2015, S. 19; Home Office, Pakistan: Background information, including actors of protection, and internal relocation, 2017, S. 8). Über 95% davon sind Muslime. Der Anteil der Schiiten wird auf 5 bis 25% der Gesamtbevölkerung (vgl. Home Office, Pakistan: Shia Muslims, 2015, S. 7; UNHCR, Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, 2017, S. 54) bzw. 20 bis 25% der Muslime (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der islamischen Republik Pakistan, Stand 20.10.2017, S. 1 und EASO, Pakistan Länderüberblick, 2015, S. 20) geschätzt.
Dem gegenüber zu stellen ist die Zahl der Verfolgungshandlungen. Dazu finden sich in den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnismitteln insbesondere folgende Angaben: Nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes kommt es in Pakistan zwischen radikalen und gemäßigten Sunniten sowie vor allem zwischen radikalen Sunniten und der schiitischen Minderheit immer wieder zu Gewaltakten. 2015 seien bei religiös motivierten Anschlägen 220 Menschen getötet und 283 Personen verletzt worden. Zu besonderen Feiertagen der Glaubensgemeinschaften setze die Polizei große Kontingente ein, um Übergriffe zu verhindern; radikale Prediger erhielten mitunter Redeverbot. Die Regierung gehe verstärkt gegen die illegale Nutzung von Moscheelautsprechern für kriegerische Botschaften sowie gegen Hassprediger vor und habe in erheblichem Umfang Material beschlagnahmt, das zu interreligiöser Intoleranz und Hass aufrufe sowie religiös motivierte Gewaltanwendung verherrliche (Lagebericht, a.a.O. S. 15). Das britische Home Office stellt fest, dass schiitische und sunnitische Gemeinschaften im Allgemeinen integriert sind und im Alltag Seite an Seite leben. Eine erhebliche Anzahl Schiiten ist danach in vielen Landesteilen zu finden; große schiitische Gemeinschaften gibt es in vielen urbanen Zentren Pakistans, einschließlich K* …, L* …, R* …, I* …, P* …, M* …, J* … und S* … Es gebe viele Städte ohne interkonfessionelle Spannungen. Im Allgemeinen seien die pakistanischen Behörden auch gewillt, Schiiten zu beschützen, insbesondere während des für die Schiiten besonders wichtigen Monats Muharram, und auch schiitischen Pilger auf dem Weg in den und aus dem Iran sei Schutz gewährt worden. Begrenzt werde die Schutzfähigkeit durch knappe Ressourcen (Home Office, Pakistan: Shia Muslims, 2015, S. 5). Gleichwohl habe das South Asia Terror Portal im Jahr 2013 eine Zahl von 81 gegen Schiiten gerichteten Ereignissen mit 504 Toten und 965 Verletzten aufgezählt (Home Office, Pakistan: Shia Muslims, 2015, S. 7 f.). In den meisten Fällen gebe es für Schiiten die Möglichkeit, in andere Teile Pakistans auszuweichen (a.a.O. S. 5). Einem Bericht des Home Office über interreligiöse Gewalt aus dem Jahr 2014 lässt sich entnehmen, dass diese seit 2010 stark angestiegen und im Wesentlichen auf Q* …, K* …, Teile K* …s und G* … B* … konzentriert ist. Die Mehrheit der Anschläge sei gegen die schiitische Gemeinschaft gerichtet. Antischiitische und militante Gruppen stellten die größte Gefahr für Schiiten in Pakistan dar, dazu gehöre unter anderem die Gruppe Sipa-e-Sahaba (Home Office, Pakistan: Fear of the Taliban and other militant groups, 2014, S. 10). Nach Auskunft des European Asylum Support Office sind Schiiten in größerer Zahl zu finden in P* …, K* …, H* … und D* … I* … K* … in K* … P* …, in den Agenturen K* … und O* … in den FATA (Stammesgebieten unter Bundesaufsicht), in und um Q* … und an der M …Küste in B* …, in Gebieten im Süden und der Mitte von P* … und im ganzen S* … Große Schiitengemeinschaften fänden sich in vielen Städten in Pakistan. Der schiitische Glaube sei in Pakistan nicht auf bestimmte ethnische, sprachliche oder Stammesgruppen beschränkt. Mit Ausnahme der Hazaras ließen sich pakistanische Schiiten äußerlich oder sprachlich nicht von den pakistanischen Sunniten unterscheiden. Überall im Land seien sunnitische und schiitische Gemeinschaften im Allgemeinen gut integriert, lebten in gemischten Dörfern und heirateten auch untereinander. Auch wenn die Mehrheit der Bevölkerung in Pakistan sunnitisch sei, hätten Schiiten immer herausragende und machtvolle Positionen innegehabt und Einfluss auf Struktur und Entwicklung des pakistanischen Staates genommen. Der Gründer Pakistans, Mohammed Al Jinnah, habe der schiitischen Gemeinschaft zugehört, genauso wie der politisch wohlbekannte Bhutto-Clan. Schiiten könnten Regierungsämter übernehmen und hätten hohe Ämter inne, so wie der frühere Präsident Asif Ali Zadari. Sie seien vertreten im pakistanischen Council of Islamic Ideology, dem in der Verfassung vorgesehenen Organ, das die Regierung in Fragen der islamischen Rechtsprechung und Praxis berate. Es gebe keine Gesetze oder Regierungsstrategien, die Schiiten diskriminierten. Auch werde die freie Religionsausübung der Schiiten durch kein Gesetz eingeschränkt. Es gebe wenig gesellschaftliche Diskriminierung, die Schiiten in ihrem Alltag einschränken könne. Gelegentlich komme es aber zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Gemeinschaften der Sunniten und Schiiten. Anschläge sunnitischer extremistischer Gruppen gegen die Schiitengemeinschaft hätten zahlreiche Todesopfer gefordert (EASO, Pakistan Länderüberblick, 2015, S. 108 ff.). Der UNHCR berichtet ebenfalls von konfessioneller Gewalt zwischen Sunniten und Schiiten, zwischen 2012 und 2015 seien 1.270 Menschen Opfer interkonfessioneller Gewalt geworden, zwischen Januar und gegen Ende November 2016 seien 24 Schiiten getötet und drei verletzt worden (UNHCR, Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, 2017, S. 58 f.).
Bei Würdigung und Bewertung dieser Erkenntnismittel im Wege einer Gesamtschau ist das Gericht der Überzeugung, dass Schiiten allein aufgrund ihrer Glaubenszugehörigkeit, also ohne hinzukommende persönlich-erhebliche Gefährdungsmerkmale, in Pakistan keiner hieran anknüpfenden landesweiten gruppengerichteten religiösen oder politischen Verfolgung durch extremistische Sunniten ausgesetzt sind und dementsprechend die Glaubenszugehörigkeit einer inländischen Fluchtalternative nicht entgegensteht. Eine religiöse oder politische Verfolgung von Schiiten durch die derzeitige pakistanische Regierung – in Gestalt eines staatlichen Verfolgungsprogramms – ist nach der Auskunftslage nicht ersichtlich und wird auch vom Kläger nicht behauptet. Die in den Erkenntnismitteln berichteten Übergriffe durch radikale und terroristische Organisationen der mehrheitlichen Sunniten erreichen nach der Anzahl der Rechtsverletzungen im Verhältnis zur Gesamtzahl dieser Gruppe offensichtlich nicht die Schwelle, ab der eine für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche erhebliche Verfolgungsdichte anzunehmen wäre. Zwar ist die schiitische Bevölkerungsminderheit Terroraktionen durch sunnitische Extremisten ausgesetzt. Nach den zuvor zitierten Auskünften kann gleichwohl nicht festgestellt werden, dass für die Mehrheit der Schiiten in Pakistan eine aktuelle Gefahr eigener und persönlicher Betroffenheit besteht. Dies ergibt sich insbesondere unter Berücksichtigung des Verhältnisses der Größe der Bevölkerungsgruppe zur Anzahl der von Anschlägen betroffenen Personen. Danach ist festzustellen, dass bei einer wertenden Betrachtungsweise nicht für jeden Schiiten in Pakistan ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit besteht. Angesichts des Verhältnisses von Bevölkerungsgruppe und Übergriffen liegt nicht für jedes Gruppenmitglied im flüchtlingsrechtlichen Sinn eine aktuelle und hinreichend konkrete Gefahr, Opfer eines Anschlages zu werden, vor (vgl. auch VG Köln, U. v. 3.7.2015 – 23 K 581/14.A – juris; VG Augsburg, U.v. 22.8.2013 – Au 6 K 13.30182 – juris; VG München, U.v. 8.6.2011 – M 23 K 07.50966 – juris). Eine nachhaltige und ein anderes Ergebnis rechtfertigende Änderung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse in Pakistan zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt legen die verfahrensgegenständlichen Erkenntnismittel nicht nahe.
dd) Die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative ist dem Kläger auch wirtschaftlich zumutbar, selbst wenn hierfür mehr zu fordern ist, als die bloße Sicherung des Existenzminimums. Mit Blick auf die Zumutbarkeit innerstaatlicher Schutzalternativen ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass von dem Betroffenen nur dann vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in dem verfolgungsfreien Landesteil aufhält, wenn er am Zufluchtsort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfindet. Im Falle einer fehlenden wirtschaftlichen Sicherung ist eine interne Schutzmöglichkeit nicht gegeben; dies gilt auch dann, wenn im Herkunftsgebiet die Lebensverhältnisse gleichermaßen schlecht sind. Für die Frage, ob der Betroffene vor Verfolgung sicher ist und eine ausreichende Lebensgrundlage besteht, kommt es danach allein auf die allgemeinen Gegebenheiten im Zufluchtsgebiet und die persönlichen Umstände des Betroffenen an (BVerwG, U.v. vom 29.5.2008 – 10 C 11/07 – juris Rn. 32). Ein verfolgungssicherer Ort bietet erwerbsfähigen Personen das wirtschaftliche Existenzminimum in aller Regel dann, wenn sie dort, sei es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen können. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder auf dem Bausektor, ausgeübt werden können (BVerwG, U.v. 1.2.2007 – 1 C 24/06 – juris Rn. 11).
Zwar ist festzustellen, dass die wirtschaftliche Situation in Pakistan schwierig, aber dennoch relativ stabil ist. Insbesondere in den Städten, die hier als verfolgungsfreier Landesteil zur Verfügung stehen, gibt es Beschäftigungsmöglichkeiten (vgl. Home Office, Pakistan: Background Information, including actors of protection and internal relocation, Juni 2017, S. 35; EASO, Pakistan Länderüberblick, 2015, S. 43; vgl. zu den Anforderungen an die Sicherung des Existenzminimums auch BVerwG, U.v. 1.2.2007 – 1 C 24/06 – juris Rn. 11). Es ist daher davon auszugehen, dass der Kläger als erwachsener und arbeitsfähiger Mann mit Schulbildung und praktischer Berufserfahrung in den pakistanischen Großstädten bzw. in anderen Landesteilen seinen Lebensunterhalt sicherstellen kann, selbst wenn er zur Überwindung von Anfangsschwierigkeiten und gewissen Übergangszeiten auf die Hilfe durch das familiäre Netzwerk oder auch gemeinnützige Organisationen (vgl. dazu insb. den Fact Finding Mission Report des BFA vom September 2015, S. 41) zurückgreifen müsste. Dabei geht das Gericht nach dem oben genannten Risikoprofil davon aus, dass sich der Kläger nicht in Anonymität verstecken muss, sondern allenfalls in seinem Heimatgebiet eine gewisse Vorsicht walten lassen muss, sodass insbesondere die Teilnahme am Erwerbsleben möglich ist.
b) Die Voraussetzungen für ein nationales Abschiebungsverbot liegen ebenfalls nicht vor. Anhaltspunkte für eine Schutzgewährung nach § 60 Abs. 5 AufenthG sind nicht gegeben. Auch eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib, Leben und Freiheit des Klägers i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bei einer Rückkehr in sein Heimatland vermag das Gericht nicht zu erkennen; insbesondere ist der Kläger ein gesunder und arbeitsfähiger Mann mit praktischer Arbeitserfahrung und genügender Schulbildung. Vor diesem Hintergrund ist zu erwarten, dass er seinen Lebensunterhalt in Pakistan wird sichern können. Im Übrigen wird von einer eigenständigen Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen und der zutreffenden Begründung des streitgegenständlichen Bescheids gefolgt (§ 77 Abs. 2 AsylG).
c) Die in dem angefochtenen Bescheid verfügte Androhung der Abschiebung nach Pakistan stützt sich auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG, die festgesetzte Ausreisefrist auf § 36 Abs. 1 AsylG.
d) Auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes gemäß § 75 Nr. 12 AufenthG i.V.m. § 11 Abs. 2 und 3 AufenthG erfolgte ermessensgerecht. Auch insoweit wird auf die Ausführungen im Bescheid des Bundesamts verwiesen.
3. Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO und mit dem Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO) abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).


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