Verwaltungsrecht

Asylbewerber aus Algerien, Abschiebungsverbot (verneint)

Aktenzeichen  W 5 K 22.30186

Datum:
2.6.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 16835
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 113 Abs. 5
AufenthG § 60 Abs. 5
AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Gründe

Die zulässige Klage, über die gemäß § 102 Abs. 2 VwGO entschieden werden konnte, obwohl die Beklagtenseite in der mündlichen Verhandlung nicht erschienen war, ist unbegründet.
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 21. Februar 2022 ist in den Ziffern 4 bis 6 rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf die zuletzt begehrte Feststellung nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Algerien (§ 113 Abs. 5 VwGO). Darüber hinaus sind die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sowie das angeordnete Einreise- und Aufenthaltsverbot einschließlich dessen Befristung rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Das Gericht nimmt Bezug auf die zutreffende Begründung des angegriffenen Bescheides (§ 77 Abs. 2 AsylG), welche sich mit der bestehenden Erkenntnislage deckt (insbesondere Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien vom 11.7.2020; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staateninformation, Algerien vom 26.6.2020), macht sich diese aus eigener Überzeugung zu Eigen und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer nochmaligen Darstellung ab.
Ergänzend ist lediglich auszuführen:
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
1.1. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK liegt nicht vor. Dem Kläger droht zur Überzeugung des Gerichts bei einer Rückkehr nach Algerien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK.
Eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung kommt vorliegend unter Berücksichtigung des klägerischen Vorbringens und der bestehenden Erkenntnismittellage allenfalls aufgrund humanitärer Verhältnisse in Betracht. Die humanitären Verhältnisse in Algerien stellen sich aber nicht als derartig defizitär dar, als dass aufgrund dessen unterschiedslos für alle Personen bzw. den Personenkreis, dem der Kläger angehört, von einer Verletzung von Art. 3 EMRK auszugehen ist. Es wird diesbezüglich auf die Feststellungen und rechtlichen Ausführungen im angegriffenen Bescheid Bezug genommen, die sich das Gericht kraft eigener rechtlicher Einschätzung zu eigen macht (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Insbesondere geht das Gericht im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt davon aus, dass der Kläger nach der Rückkehr in der Lage sein wird, sich eine Lebensgrundlage zumindest am Rande des Existenzminimums gegebenenfalls unter Inanspruchnahme des – zwar nicht europäischem Niveau entsprechenden, jedoch für die Möglichkeiten des Landes aufwendigen – algerischen Sozialsystems zu sichern. Algeriens Sozialsystem wird aus Öl- und Gasexporten finanziert. Das Land war als einiges der wenigen in der Lage in den letzten 20 Jahren eine Reduzierung der Armutsquote von 25% auf 5% zu erreichen. Gesundheitsfürsorge ist kostenlos. Energie, Wasser und Grundnahrungsmittel werden stark subventioniert. Ein Menschenrecht auf Wohnraum wird anerkannt. Für Bedürftige wird Wohnraum kostenlos zur Verfügung gestellt (vgl. hierzu ausführlich BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Algerien vom 26.6.2020, S. 22). Der 41- jährige Kläger ist gesund und arbeitsfähig. Er hat nach eigenen Angaben beim Bundesamt die Schule in Algerien mit dem Abitur beendet und an der Universität in Algier ein Sportstudium abgeschlossen. Er hat nach eigener Einlassung auch mit Basketballspielen Geld verdient und in den Ferien als Sicherheitskraft gearbeitet. Das Ausüben einer vergleichbaren Tätigkeit ist dem Kläger auch nach seiner Rückkehr möglich und zumutbar. Im Übrigen kann der Kläger gegebenenfalls auf familiäre Hilfen sowie Rückkehr- und Integrationshilfen zurückgreifen. Der Kläger kann sich hinsichtlich letzteren auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass Start- und Reintegrationshilfen ganz oder teilweise nur für freiwillige Rückkehrer gewährt werden, also teilweise nicht bei einer zwangsweisen Rückführung. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann ein Asylbewerber, der durch eigenes zumutbares Verhalten – wie insbesondere durch freiwillige Rückkehr – im Zielstaat drohende Gefahren abwenden kann, nicht die Feststellung eines Abschiebungsverbots verlangen (vgl. BVerwG, U.v. 3.11.1992 – 9 C 21/92 – BVerwGE 91, 150; U.v. 15.4.1997 – 9 C 38.96 – BVerwGE 104, 265; VGH BW, U.v. 26.2.2014 – A 11 S 2519/12 – juris). Dementsprechend ist es dem Kläger möglich und zumutbar, gerade zur Überbrückung der ersten Zeit nach einer Rückkehr nach Algerien freiwillig Zurückkehrenden gewährte Reisehilfen sowie Reintegrationsleistungen in Anspruch zu nehmen.
Vor diesem Hintergrund geht das Gericht davon aus, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Algerien keine gegen Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung droht.
Auch die weltweite COVID-19-Pandemie und hiermit gegebenenfalls verbundene negative wirtschaftliche Auswirkungen führen nicht zum Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG für den Kläger. Das Gericht hat zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG) keine triftigen Anhaltspunkte, geschweige denn konkrete Belege, dass sich die Lebensverhältnisse und die humanitären Lebensbedingungen infolge der COVID-19-Pandemie in Algerien in der Weise verschlechtert hätten oder alsbald verschlechtern werden, dass generell für jeden Rückkehrenden davon ausgegangen werden müsste, dass diesem bei einer Rückkehr eine gegen Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung droht. Dass etwaige negative wirtschaftliche Auswirkungen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie für den Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine existenzielle materielle Not begründen, ist für das Gericht nicht ersichtlich.
1.2. Die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor.
Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Gefahren nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen.
Anhaltspunkte für eine erhebliche und konkrete individuelle Gefahr für Leib und Leben des Klägers i.S.v. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor. Insbesondere hat der Kläger im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keine Erkrankung geltend gemacht. Auch die derzeitige weltweite COVID-19 Pandemie begründet keinen Umstand, der im Ausnahmefall ein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründen könnte. Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass in Algerien – auch im Vergleich zu Deutschland – eine erhöhte Gefahr der Ansteckung oder gar schweren oder lebensbedrohlichen Erkrankung mit dem Coronavirus bestünde (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Kurzinformation der Staatendokumentation, Afrika, COVID-19 – aktuelle Lage, vom 9. Juli 2020, S. 14 f.), so dass nicht ersichtlich ist, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Algerien krankheitsbedingt einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt wäre. Selbst bei unterstellter Infektion besteht jedenfalls keine hohe Wahrscheinlichkeit eines schweren oder gar tödlichen Verlaufs der Erkrankung. Der Kläger muss sich letztlich gegebenenfalls mit den Behandlungsmöglichkeiten in Algerien behelfen. Darüber hinaus bestehen – wie auch in anderen Staaten – individuell persönliche Schutzmöglichkeiten, wie das Tragen einer Gesichtsmaske oder die Wahrung von Abstand zu anderen Personen, um das Risiko einer Ansteckung durch eigenes Verhalten zu minimieren. Durchgreifende Gründe für eine relevante Gefahr sind auch sonst nicht ersichtlich.
2. Hinsichtlich der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung in Nr. 5 des Bescheids und die entsprechende Begründung wird auf den angefochtenen Bescheid vom 21. Februar 2022 Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung abgesehen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Nicht zu beanstanden ist auch die in Nr. 6 des Bescheids ausgesprochene Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 6 Monate ab dem Tag der Abschiebung. Ermessensfehler (§ 114 Satz 1 VwGO) sind weder ersichtlich noch vorgetragen. Insbesondere ist mit Blick auf die derzeit nicht vorhandene Vater-Kind-Beziehung nicht ersichtlich, dass die Befristung unangemessen lang wäre oder infolge einer Ermessensreduzierung auf Null komplett entfallen müsste.
3. Eventuelle inlandsbezogene Abschiebungshindernisse bleiben von der Entscheidung unberührt.
4. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzuweisen.


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