Verwaltungsrecht

Asylbewerber aus Guinea, Verfolgungsgeschehen unsubstantiiert, junger, gesunder Mann, kein Abschiebungsverbot

Aktenzeichen  W 5 K 22.30059

Datum:
2.6.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 16834
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 4
AufenthG § 60 Abs. 5
AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben

Gründe

Die zulässige Klage, über die nach § 102 Abs. 2 VwGO auch in Abwesenheit eines Vertreters der Beklagten verhandelt und entschieden werden durfte, ist unbegründet. Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf die begehrten Entscheidungen des Bundesamts. Der streitgegenständliche Bescheid vom 20. Januar 2022 ist insoweit rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO.
Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist das Gericht auf die zutreffenden Ausführungen des Bescheids vom 20. Januar 2022 und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG). Lediglich ergänzend weist das Gericht mit Blick auf das Vorbringen des Klägers im gerichtlichen Verfahren auf folgende Gesichtspunkte hin:
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus gemäß § 4 Abs. 1 AsylG.
Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht (§ 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG).
1.1. Dem Kläger droht nach Überzeugung des Gerichts nicht die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG. Er hat hierzu in der mündlichen Verhandlung keine Tatsachen vorgetragen. Im Übrigen ist die Todesstrafe in Guinea seit der Novellierung des Strafgesetzbuches 2016 nicht mehr als gesetzliche Strafe vorgesehen. Sie wurde bereits zuvor aufgrund eines Moratoriums im Einklang mit den von Guinea ratifizierten Römischen Statuten des Internationalen Gerichtshofs seit Jahren nicht mehr vollstreckt (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Guinea vom 7.4.2021, S. 14).
1.2. Der Kläger hat auch keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht, dass ihm in ihrem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden durch Folter oder durch unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG droht.
Der Begriff der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG ist im Gesetz nicht näher definiert. Da die zuletzt genannte Vorschrift der Umsetzung der Qualifikationsrichtlinie 2011/95/EU vom 13. Dezember 2011 (ABl L 337, S. 9) – QRL – dient, ist dieser Begriff jedoch in Übereinstimmung mit dem entsprechenden Begriff in Art. 15b QRL auszulegen. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) legt Art. 15b QRL wiederum in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg zu Art. 3 EMRK aus (z.B. EuGH, U.v. 17.2.2009 – Elgafaji, C – 465/07 – juris Rn. 28; ebenso BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 22 ff. m.w.N.). Danach ist eine unmenschliche Behandlung die absichtliche, d.h. vorsätzliche Zufügung schwerer körperlicher oder seelischer Leiden (EGMR, U.v. 21.1.2011 – 30696/09 – ZAR 2011, 395, Rn. 220 m.w.N.; Jarass, Charta der Grundrechte, Art. 4 Rn. 9; Hailbronner, Ausländerrecht, § 4 AsylVfG Rn. 22 ff.), die im Hinblick auf Intensität und Dauer eine hinreichende Schwere aufweisen (EGMR, U.v. 11.7.2006 – Jalloh, 54810/00 – NJW 2006, 3117/3119 Rn. 67; Jarass a.a.O.; Hailbronner a.a.O.). Es muss zumindest eine erniedrigende Behandlung in der Form einer einen bestimmten Schweregrad erreichenden Demütigung oder Herabsetzung vorliegen. Diese ist dann gegeben, wenn bei dem Opfer Gefühle von Furcht, Todesangst und Minderwertigkeit verursacht werden, die geeignet sind, diese Person zu erniedrigen oder zu entwürdigen und möglicherweise ihren psychischen oder moralischen Widerstand zu brechen. Eine Bestrafung oder Behandlung ist nur dann als unmenschlich oder erniedrigend anzusehen, wenn die mit ihr verbundenen Leiden oder Erniedrigungen über das in der Bestrafungsmethode enthaltene, unausweichliche Leidens- oder Erniedrigungselement hinausgehen, wie z.B. bei bestimmten Strafarten wie Prügelstrafe oder besonders harten Haftbedingungen.
Aufgrund des Vortrags des Klägers in der persönlichen Anhörung durch das Bundesamt sowie in seiner informatorischen Anhörung in der mündlichen Verhandlung steht für das Gericht nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit fest, dass er im Falle seiner Rückkehr nach Guinea der Gefahr eines ernsthaften Schadens durch unmenschliche oder erniedrigende Behandlung ausgesetzt wäre. Das Vorbringen des Klägers ist nicht geeignet, eine in seinem Heimatland bestehende, relevante Verfolgungs- oder Bedrohungslage aufzuzeigen.
Eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG resultiert nicht aus den individuellen Fluchtgründen des Klägers.
Der Vortrag des Klägers hinsichtlich der familiären Auseinandersetzung und der daraus resultierenden Bedrohung durch die Familie seines Onkels ist sowohl vor dem Bundesamt als auch in der mündlichen Verhandlung in weiten Teilen ausgesprochen vage und oberflächlich geblieben. Der Kläger hat durch seine Darlegungen keine relevante Verfolgungssituation in Bezug auf seine Person aufzeigen können. Zwar mag es familiäre Auseinandersetzungen gegeben haben. Allerdings ist nicht in schlüssiger und nachvollziehbarer Weise dargestellt worden, dass der verfeindete Familienteil dem damals 14-jährigen Kläger ernsthaft nach dem Leben trachten würde. Vielmehr schilderte der Kläger schon vor dem Bundesamt, dass der andere Familienteil sie bedroht habe anzugreifen, wenn sie die Familie nicht verließen. Dem ist der Kläger gemeinsam mit seinem Bruder und seiner Mutter aber nachgekommen und zur Familie seiner Mutter gezogen. Auch konnte der Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht schildern, an welchen Umständen er genau festmache, dass der verfeindete Familienteil ihn töten wolle. Dem Gericht erscheint es auf der Grundlage des klägerischen Vortrags als sehr fragwürdig, dass der Kläger einer ausreichend intensiven Gefahrensituation ausgesetzt war, zumal keine gewaltsamen Handlungen unmittelbar gegen seine Person gerichtet waren. Auch seine Mutter lebte in Guinea noch längere Zeit ohne von dem gegnerischen Familienteil behelligt zu werden. Nach dem in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Gesamteindruck liegt es vielmehr nahe, dass der Kläger nicht verfolgungsbedingt, sondern aufgrund der allgemeinen Lebensverhältnisse bzw. aufgrund seiner persönlichen Lebenssituation das Land verlassen hat. Insgesamt erscheint der Vortrag des Klägers nicht geeignet, eine relevante Verfolgungs- oder Bedrohungslage in seinem Heimatland aufzuzeigen.
Jedenfalls besteht – selbst wenn man von einer relevanten Verfolgungs- oder Bedrohungslage in Bezug auf die Person des Klägers ausgehen würde – eine inländische Fluchtalternative im Sinne des § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e AsylG.
Nach § 3e AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft bzw. der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Hierbei sind die allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsland und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Art. 4 der Qualifikationsrichtlinie zu berücksichtigen.
Das Gericht geht – auch unter Berücksichtigung des Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU – davon aus, dass der Kläger in Guinea internen Schutz erlangen kann und dort keine Verfolgungsgefahr zu befürchten hat. Es spricht nämlich vieles dagegen, dass der Kläger dort von einer solchen Verfolgung bedroht würde, wie er sie in seinem Asylverfahren vorgetragen hat. Nach dem Vorbringen des Klägers ist nicht davon auszugehen, dass sein Onkel und dessen Familie ein besonderes Interesse daran haben könnten, den Kläger in einer anderen Stadt Guineas ausfindig zu machen und dort gegen diesen vorzugehen. Jedenfalls bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger in einem anderen Landesteil Guineas überhaupt ausfindig gemacht werden könnte.
Es kann von dem Kläger auch vernünftigerweise erwartet werden, dass er sich in einem anderen Teil Guineas niederlässt. Erforderlich ist hierfür, dass am Ort des internen Schutzes die entsprechende Person durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem angemessenen Lebensunterhalt Erforderliche erlangen kann. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder im Bausektor, ausgeübt werden können. Nicht zumutbar ist hingegen jedenfalls die entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder der Teilnahme an Verbrechen besteht. Der Zumutbarkeitsmaßstab geht im Rahmen des internen Schutzes über das Fehlen einer im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beachtlichen existenziellen Notlage hinaus (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris; OVG NRW, B.v. 6.6.2016 – 13 A 18182/15.A – juris).
Die diesbezügliche Lage in Guinea stellt sich wie folgt dar:
Guinea zählt mit einem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf und Jahr von 850 US$, zu den am wenigsten entwickelten und den stark verschuldeten armen Staaten. Die Wirtschaftsstruktur ist schwach und infolge einer Konzentration auf den Rohstoffexport weltmarktabhängig. Förderprogramme von IWF und Weltbank konnten nur schwer umgesetzt werden. Die Wirtschaft leidet unter Misswirtschaft und Korruption und wurde durch den globalen Wirtschaftsrückgang im Jahr 2014/15 und die die Ebola-Epidemie 2013 bis 2016 mit ca. 2500 Toten im Land ausgebremst. Deren Abflauen Ende 2015, eine erhöhte Weltmarktnachfrage nach Bauxit und ein damit verbundener Bauboom führten in den Jahren 2016 und 2017 jedoch zu einem BIP-Wachstum von 10 bzw. 8 Prozent (VG Berlin, U.v. 19.9.2019 – 31 K 397.19 A – juris m.w.N.). Derzeit reicht das Wachstum zwar nicht aus, um die im Land verbreitete Armut zurückzudrängen, Möglichkeiten verstärkter wirtschaftlicher Dynamik (mineralische Ressourcen, gute Böden, Wasserreichtum) sind freilich gegeben (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Guinea vom 7.4.2021, S. 16).
In der Landwirtschaft arbeiten 76 Prozent der Einwohner, in den Städten sind die Menschen zumeist im informellen Wirtschaftssektor tätig und haben oft mehrere Arbeitsverhältnisse um die Lebenshaltungskosten zu decken (VG Berlin, U.v. 19.9.2019 – 31 K 397.19 A – juris m.w.N.). Kinder arbeiten in hoher Zahl im informellen Sektor, meist als Straßenverkäufer oder Haushaltshilfe, leiden häufig unter Gewalt, Missbrauch und Ausbeutung und haben oft weder Zugang zu medizinischer Versorgung, noch zu Bildungsangeboten. Nach jüngsten Schätzungen von UNICEF sind über 60% aller Kinder im Alter von 5 bis 14 Jahren von Kinderarbeit betroffen; Kinder arbeiten in hoher Zahl im informellen Sektor, meist als Straßenverkäufer und Haushaltshilfen (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Guinea vom 7.4.2021, S. 10). Die Weltbank beziffert die Arbeitslosenquote in Guinea für das Jahr 2017 mit 4,5%, in den Städten mit 16% (Amnesty International, Auskunft vom 29.5.2018, S. 8). Etwa 50% der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsschwelle, staatliche Unterstützung für bedürftige Personen ist nicht gegeben (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Guinea vom 7.4.2021, S. 16). In Guinea, das seine Bevölkerung nicht aus eigener Kraft ernähren kann und von Nahrungsmittelimporten abhängig ist, galten 2018 19,7% der Bevölkerung als unterernährt und 32,4% aller Kinder unter fünf Jahren als untergewichtig oder körperlich unterentwickelt (VG Berlin, U.v. 19.9.2019 – 31 K 397.19 A – juris m.w.N.). Wie sich durch die Ebola-Epidemie deutlich gezeigt hat, ist das staatliche Gesundheitswesen unzureichend. Ärzte sind oftmals schlecht ausgebildet, Patienten müssen ihre Medikamente, Operationen und Krankenhausaufenthalte selbst finanzieren. Dies gilt sowohl für die staatlichen als auch die privaten Krankenhäuser, deren Ausstattung mangelhaft ist. Insbesondere im Falle chronisch Kranker steht im Regelfall die gesamte erweiterte Familie in der Pflicht, für die Behandlungskosten aufzukommen. Das Angebot an meist aus Frankreich importierten Medikamenten ist für die verbreitetsten Krankheiten ausreichend, allerdings übersteigen die Preise die Kaufkraft der großen Bevölkerungsmehrheit erheblich. Auf dem Schwarzmarkt zirkuliert daher eine Vielzahl gefälschter und meist unsauber hergestellter Generika (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Guinea vom 7.4.2021, S. 16).
Bei einer Rückkehr nach Guinea ist weder mit Nachteilen noch mit Hilfen von Seiten des guineischen Staates zu rechnen (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Guinea vom 7.4.2021, S. 16). Die IOM hat in Zusammenarbeit mit der guineischen Regierung, Kinderschutz- und Ausbildungsorganisationen seit April 2017 rund 7.000 Rückkehrer betreut, von denen rund 2.500 soziökonomische und 500 psychosoziale Rückkehrhilfen erhielten. Seit April 2019 verfügt die IOM über ein Aufnahme-, Transit- und Orientierungszentrum mit einer Kapazität von 300 Plätzen. Freiwillige Rückkehrer erhalten eine Unterbringung für zwei Tage, finanzielle Soforthilfen und ein Telefon sowie Beratung über die soziale und wirtschaftliche Wiedereingliederung und Unternehmensgründung; sie können sich zudem vorab über ihre Wiedereingliederung beraten lassen. Vulnerable Personen können länger untergebracht werden, für sie wird ein individueller Wiedereingliederungsplan erarbeitet (VG Berlin, U.v. 19.9.2019 – 31 K 397.19 A – juris; Belgischer Flüchtlingsrat, S. 6, 10 f.).
Trotz dieser geschilderten schwierigen Bedingungen ist von dem Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vernünftigerweise zu erwarten, dass er sich in einer anderen Stadt Guineas niederlässt. Im Fall des Klägers liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass es ihm nicht möglich sein sollte, sich ggf. zunächst durch Gelegenheitsarbeiten im informellen Sektor, eine Existenz, wenn auch auf niedrigem Niveau, aufzubauen. Die individuellen Umstände legen vielmehr nahe, dass er in der Lage wäre, dort wieder Fuß zu fassen. Bei dem Kläger handelt es sich um einen jungen, arbeitsfähigen Mann, der auch in der mündlichen Verhandlung auf das Gericht den Eindruck einer ausreichend reifen und selbständigen Persönlichkeit gemacht hat. Der Kläger hat ausweislich seiner Angaben bei der Anhörung vor dem Bundesamt in Guinea vier Jahre lang die Schule besucht. In Deutschland besucht er die Berufsintegrationsklasse und strebt eine Ausbildung zur Altenpflege an. Im Fall seiner Rückkehr nach Guinea dürften ihm verschiedenartige Tagelöhnertätigkeiten oder Gelegenheitsarbeiten möglich sein. Im Weiteren ist zu berücksichtigen, dass der Kläger ledig ist und er keine Unterhaltslasten zu tragen hat. Er spricht die Sprachen Diakhankè und Susu sowie etwas Deutsch. Insgesamt ist davon auszugehen, dass er selbst ohne nennenswertes Vermögen und ohne familiären Rückhalt im Falle einer zwangsweisen Rückkehr nach Guinea in der Lage wäre, wenigstens ein kleines Einkommen zu erzielen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Kläger aufgrund gesundheitlicher Probleme nicht oder nur erheblich eingeschränkt in der Lage wäre, eine entsprechende Erwerbstätigkeit auszuüben. Die von ihm im gerichtlichen Verfahren vorgetragenen psychischen Probleme sind weder durch eine ärztliche Bescheinigung belegt worden noch ist erkennbar, ob und inwieweit sich die Probleme auf die Erwerbsfähigkeit des Klägers auswirken könnten. Im Übrigen kann der Kläger seine finanzielle Situation zumindest anfänglich dadurch verbessern, dass er Start- und Reintegrationshilfen in Anspruch nimmt.
Derzeit vermag das Gericht auch keine belastbaren Hinweise darauf zu erkennen, dass sich die gesellschaftlichen und sozio-ökonomischen Verhältnisse in Guinea durch den Militär-Putsch von Anfang September 2021 bereits derart verschlechtert haben oder sich absehbar so verschlechtern werden, dass nunmehr auch nicht besonderes vulnerablen Rückkehrern regelmäßig eine Art. 3 EMRK widersprechende materielle Notlage drohen würde. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt aber ergeben sich aus der allgemeinen Auskunftslage keine hinlänglichen Anhaltspunkte, die den Schluss erlauben würden, nach dem Militär-Putsch ließen die wirtschaftlichen, sozialen und humanitären Bedingungen in dem Land eine Rückkehr nach Guinea grundsätzlich nicht mehr zu.
Nach alledem kann der Kläger internen Schutz in Anspruch nehmen, so dass auch aus diesem Grund ein Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus ausscheidet.
1.3. Dem Kläger droht auch keine individuelle und konkrete Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG aufgrund der Sicherheitslage in Guinea.
Nach dieser Vorschrift ist subsidiärer Schutz zuzuerkennen, wenn der Ausländer stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden in Gestalt einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts droht. Vorliegend hat der Kläger keinerlei Anhaltspunkte vorgebracht, die für einen bewaffneten Konflikt i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG und einer daraus resultierenden ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt sprechen. Auch die aktuellen Informationen anlässlich des Militärputsches Anfang September 2021 weisen nicht darauf hin.
2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die weiter hilfsweise begehrte Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
2.1. Ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG kommt nicht in Betracht, da dem Kläger keine gegen Art. 3 EMRK oder ein anderes Grundrecht nach der EMRK verstoßende Behandlung droht.
In Konstellationen wie der vorliegenden, in der gleichzeitig über die Gewährung unionsrechtlichen und nationalen Abschiebungsschutzes zu entscheiden ist, scheidet bei Verneinung der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG regelmäßig aus denselben tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK aus, weshalb in der Sache divergierende Bewertungen kaum denkbar sind (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris zu § 60 Abs. 2 AufenthG a.F.; VG München, U.v. 8.5.2014 – M 15 K 12.30903 – juris Rn. 37).
Die allgemeine Versorgungslage in Guinea führt im Fall des Klägers ebenfalls nicht zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK. Zwar können bei entsprechenden Rahmenbedingungen auch schlechte humanitäre Verhältnisse eine entsprechende Gefahrenlage begründen. Ausgehend von den oben dargelegten Verhältnissen in Guinea gelangte das Gericht jedoch vorliegend nicht zu der Überzeugung, dass im Falle des Klägers nach den dargelegten Maßstäben ein ganz außergewöhnlicher Fall vorliegt, in dem humanitäre Gründe seiner Abschiebung im Sinne von Art. 3 EMRK zwingend entgegenstehen. Insoweit wird auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen (vgl. oben unter 1.2.).
2.2. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt ebenfalls nicht vor.
Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dies kann aus individuellen Gründen – etwa wegen drohender An- oder Übergriffe Dritter oder auf Grund von Krankheit – der Fall sein, kommt aber ausnahmsweise auch infolge einer allgemein unsicheren oder wirtschaftlich schlechten Lage im Zielstaat in Betracht (VGH Mannheim, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris).
Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG sind die Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde anordnen, dass die Abschiebung für längstens sechs Monate ausgesetzt wird. Eine Abschiebestopp-Anordnung besteht jedoch für die Personengruppe, der der Kläger angehört, nicht.
Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit strengeren Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Von einer solchen Unzumutbarkeit ist auszugehen, wenn der Ausländer ansonsten gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (BVerwG, U.v. 13.6.2013 – 10 C 13.12 – NVwZ 2013, 1489; U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris; vgl. zudem BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris Rn. 13).
Eine solche, extreme Gefahrenlage kann vorliegend nicht angenommen werden. Zum einen besteht – wie sich unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen bereits ergibt – keine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit des Klägers aus individuellen Gründen. Insbesondere bestehen in seiner Person keine hier zu berücksichtigenden Besonderheiten gesundheitlicher Art. Der Kläger hat keine Erkrankung belegt, infolge derer die Abschiebung nach Guinea eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit darstellen würde. Das gilt insbesondere bezüglich der im gerichtlichen Verfahren vorgetragenen psychischen Problemen, für die – wie vorerwähnt – schon keine ärztliche Bescheinigung beigebracht wurde, weshalb weder die Schwere der Erkrankung noch die Auswirkungen im Falle einer Rückführung in sein Heimatland in erkennbarer Weise dargelegt wurden. Zum anderen droht dem Kläger auch aufgrund der unzureichenden Versorgungslage in Guinea keine extreme Gefahr infolge einer Verdichtung der allgemeinen Gefahrenlage, die zu einem Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG führen könnte. Liegen die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen schlechter humanitärer Bedingungen nicht vor, so scheidet auch eine im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG relevante, extreme Gefahrenlage aus (BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31960; VGH Mannheim, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris). Vorliegend vermögen die – fraglos schlechten – Lebensverhältnisse nach den vorstehenden Ausführungen keinen Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu begründen.
Auch die derzeit weltweit verbreitete COVID 19-/Corona-Pandemie zieht kein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nach sich. Die Pandemie, von der auch Guinea betroffen ist, stellt allenfalls eine allgemeine Gefahr dar, die aufgrund der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG grundsätzlich nicht rechtfertigen kann. Dass Rückkehrer nach Guinea dort wegen der Pandemie mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wären, wie es in verfassungskonformer Auslegung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG für eine ausnahmsweise Gewährung von Abschiebungsschutz in Durchbrechung dieser Sperrwirkung erforderlich wäre (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – BVerwG 10 C 15/12 – juris Rn. 38), ist nicht festzustellen. Im Übrigen ist der Kläger gehalten, im Bedarfsfall die Möglichkeiten des guineischen Gesundheits- und Sozialsystems auszuschöpfen. Unerheblich ist insoweit, ob die medizinische Versorgung in Guinea mit der Versorgung in Deutschland gleichwertig ist (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG).
Dass gerade der Kläger als leistungsfähiger Mann mit den von ihm erworbenen Kenntnissen und Erfahrungen im Falle einer Rückkehr alsbald sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würde, vermag das Gericht danach nicht festzustellen.
3. Auch gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung einschließlich der Zielstaatsbestimmung (Nr. 5 des Bescheides) bestehen im Hinblick auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG keine Bedenken.
4. Schließlich sind auch gegen die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots gem. § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Nr. 6 des Bescheides) keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken vorgetragen worden oder sonst ersichtlich. Insbesondere sind keine Ermessensfehler des Bundesamts bei der Bemessung der Frist nach § 11 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 AufenthG zu erkennen.
5. Aus den genannten Gründen war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden gem. § 83b AsylG nicht erhoben.


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