Verwaltungsrecht

Asylrecht, Abschiebungsanordnung nach Portugal, Dublin-Verfahren, Systemische Mängel im portugiesischen Asylsystem (verneint)

Aktenzeichen  M 10 S 21.50710

Datum:
22.4.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 10520
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1
AsylG § 34a Abs. 1 S. 1
AsylG § 77 Abs. 2
VwGO § 80 Abs. 5
AufenthG § 60a Abs. 2c

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Die Antragsteller begehren vorläufigen Rechtsschutz gegen die drohende Überstellung nach Portugal im Rahmen des sogenannten „Dublin-Verfahrens“.
Die in Amman in Jordanien geborenen Antragsteller sind ungeklärter Staatsangehörigkeit und reisten am 30. Juli 2021 nach einem eineinhalb-jährigen Aufenthalt in Portugal in das Bundesgebiet ein. Von ihrem Asylgesuch erlangte das Bundesamt durch behördliche Mitteilung am 12. August 2021 Kenntnis. Die Antragsteller stellten am 3. September 2021 förmliche Asylanträge.
Auf ein Übernahmegesuch des Antragsgegners vom 13. September 2021 erklärten die zuständigen portugiesischen Behörden mit Schreiben vom 14. September 2021 die Zuständigkeit für die Bearbeitung der Asylanträge gem. Art. 18 Abs. 1 Buchst. b Dublin-III-VO.
Mit Bescheid vom 4. November 2021 lehnte das Bundesamt die Anträge als unzulässig ab (Nr. 1 des Bescheides), verneinte das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG (Nr. 2 des Bescheides), ordnete die Abschiebung nach Portugal an (Nr. 3 des Bescheides) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 12 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Nr. 4 des Bescheides). Den vorgelegten Behördenakten lässt sich nicht entnehmen, wann der Bescheid der Antragstellerin zu 1 zugestellt wurde.
Hinsichtlich des Sachverhalts nimmt das Gericht zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst Bezug auf die Feststellungen des angefochtenen Bescheids des Bundesamts vom 27. Oktober 2021 (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Die Antragsteller haben am 11. November 2021 in der Rechtsantragsstelle des Verwaltungsgerichts München Klage gegen den verfahrensgegenständlichen Bescheid erhoben (Az. M 10 K 21.50709). Gleichzeitig beantragen sie,
die aufschiebende Wirkung dieser Klage anzuordnen.
Mit Schriftsätzen vom 2. Dezember und 10. Dezember 2021 wandte sich die zwischenzeitlich bevollmächtigte Rechtsanwältin der Antragsteller an das Gericht und begründete die Klage und den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz. Insbesondere der Antragsteller zu 5 benötige eine umfassende medizinische Betreuung. Aus dem angefügten sozialpädiatrischen Bericht des …-Kinderzentrums vom 8. Dezember 2021 gehe hervor, dass der Antragsteller zu 5 unter einer kombinierten Entwicklungsstörung, einer generalisierten Epilepsie und einer nicht genauer klassifizierten Mikrozephalie leide. Die Anbindung an ein sozialpädiatrisches Zentrum mit stationärer Aufnahme werde empfohlen. Ferner sei zu sehen, dass die Antragsteller zu 3 bis 5 in Portugal regelmäßig keine Arzttermine bekommen hätten. Als sie einmal einen Termin bekommen hätten, sei dieser kurz davor abgesagt worden. Erforderliche Medikamente habe die Familie nicht erhalten.
Die Antragsgegnerin beantragt mit Schriftsatz vom 25. November 2021,
den Antrag abzulehnen.
Mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2021 erwiderte die Antragsgegnerin auf den Schriftsatz der Antragsteller vom 10. Dezember 2021, dass auch nunmehr keine hinreichenden Gründe für die Ausübung des Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Dublin-III-VO vorgetragen seien und am verfahrensgegenständlichen Bescheid festgehalten werde. Die geltend gemachten Erkrankungen stellten keine erhebliche Gefahr i.S.v. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dar. Soweit vorgetragen werde, dass den Antragstellern in Portugal kurzfristig Arzttermine abgesagt worden seien, sei anzumerken, dass es auch in deutschen Arztpraxen zu Terminabsagen kommen könne.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist zulässig, insbesondere innerhalb der nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG maßgeblichen Frist von einer Woche nach der Bekanntgabe des Bescheids gestellt. Der Antrag ist jedoch nicht begründet.
1. Entfaltet ein Rechtsbehelf – wie hier (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG) – von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung, kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung, bei der es abzuwägen hat zwischen dem sich aus § 75 AsylG ergebenden öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfes. Dabei sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Eilverfahren gebotene summarische Prüfung, dass die Klage voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück.
2. Gemessen an diesen Maßstäben geht die Interessenabwägung im vorliegenden Fall zu Lasten der Antragsteller aus. Nach summarischer Prüfung sind die Erfolgsaussichten ihrer Klage gegen die Abschiebungsanordnung im streitgegenständlichen Bescheid als gering anzusehen. Die Abschiebungsanordnung erweist sich mit hoher Wahrscheinlichkeit als rechtmäßig, da die Asylanträge zutreffend nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG in Verbindung mit Art. 18 Abs. 1 Buchst. b Dublin-III-VO als unzulässig abgelehnt worden sind.
Das Gericht sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, da es der Begründung des Bescheids vom 2. November 2021 folgt, § 77 Abs. 2 AsylG. Lediglich ergänzend wird ausgeführt:
Die Antragsteller haben auch im gerichtlichen Verfahren keine Umstände vorgetragen, welche die Rechtmäßigkeit des verfahrensgegenständlichen Bescheids infrage stellen. Insbesondere ist auch in der neueren verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass im portugiesischen Asylsystem keine systemischen Mängel i.S.v. Art. 3 Abs. 2 Uabs. 2 Dublin-III-VO vorliegen (vgl. jüngst VG München, B.v. 17.3.2022 – M 19 21.50769 – Rn. 25 ff., bisher unveröffentlicht; VG Aachen, U.v. 6.10.2021 – 7 K 1480/19.A – juris; VG München, B.v. 14.8.2020 – M 10 S 20.50407 – juris Rn. 42; VG Ansbach, B.v. 29.1.2020 – AN 17 S 19.51111 – juris Rn. 28). Ebenso wurden keine außergewöhnlichen humanitären Umstände dargelegt, die dazu führen würden, dass die Antragsgegnerin zum Selbsteintritt nach Art. 17 Dublin-III-VO verpflichtet wäre.
3. Gründe im Sinne des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG, dass die Abschiebung nicht durchgeführt werden könnte, liegen gleichfalls nicht vor. Die Überstellung nach Portugal ist tatsächlich möglich und rechtlich zulässig.
Insbesondere sind weder zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote, die die Antragsgegnerin zu berücksichtigen hätte, ersichtlich, noch liegen inlandsbezogene Abschiebungshindernisse vor. Diese sind im Rahmen einer Abschiebungsanordnung gem. § 34a Abs. 1 AsylG ausnahmsweise von der sonst allein auf die Prüfung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote beschränkten Antragsgegnerin auch noch nach Erlass der Abschiebungsanordnung zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 732/14 – AuAS 2014, 244; Bergmann in Dienelt/Bergmann, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 29 AsylG Rn. 37), da die Abschiebung nur durchgeführt werden darf, wenn sie rechtlich und tatsächlich möglich ist.
Ein Abschiebungsverbot ergibt sich dabei insbesondere nicht aus den vorgetragenen Erkrankungen hinsichtlich der Antragsteller zu 3 bis 5. Unabhängig davon, dass die Atteste vom 8. Dezember 2021 nicht i.S.v. § 60 Abs. 7 Satz 2, § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG geeignet sind, die Vermutung nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG zu widerlegen, ist anzumerken, dass diese keine „erhebliche“ Gefahr einer schwerwiegenden Verschlechterung des Gesundheitszustands der Antragsteller zu 3 bis 5 im Falle der Abschiebung nach Portugal aufzeigen. Die Antragsteller sind diesbezüglich an das portugiesische Gesundheitssystem zu verweisen (Serviço Nacional de Saúde, SNS), welches eine kostenfreie medizinische Grundversorgung, ambulante Vorsorgeuntersuchungen durch Allgemein- und Fachärzte, stationäre medizinische Versorgung sowie ergänzende Diagnoseverfahren und Therapien umfasst (VG München, B.v. 17.3.2022 – M 19 21.50769 – Rn. 29, mit Verweis auf aida, Country Report: Portugal, 2020 update, S. 117 ff.).
Soweit die Antragsteller abschließend ausführen, dass ihnen in Portugal kurzfristig Arzttermine abgesagt worden seien, führt die Antragsgegnerin zurecht aus, dass dies genauso in deutschen Arztpraxen passieren kann.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 31 Abs. 1 GKG. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.


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