Verwaltungsrecht

Asylrecht, Herkunftsland: Pakistan, Folgeantrag, Ahmadiyya, offene Erfolgsaussichten

Aktenzeichen  M 23 E 22.30178

Datum:
12.4.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 11678
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 71
AufenthG § 60 Abs. 5 und 7 S. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Antragsgegnerin wird im Wege einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO verpflichtet, gegenüber der zuständigen Ausländerbehörde zu erklären, dass die Abschiebung des Antragstellers bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren (M 23 K 21.31025) vorläufig nicht vollzogen werden darf.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für dieses Verfahren wird abgelehnt.

Gründe

I.
Der Asylantrag des Antragstellers, pakistanischer Staatsangehöriger, der Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya zugehörig, wurde vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (kurz: Bundesamt) mit Bescheid vom 10. November 2016 abgelehnt und ihm die Abschiebung nach Pakistan angedroht. Eine gegen diesen Bescheid erhobene Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München wurde abgewiesen.
Am 17. März 2021 stellte der Antragsteller einen Folgeantrag beim Bundesamt. Durch die geänderte Praxis der Beantragung eines pakistanischen Personalausweises in seinem Heimatland seien nunmehr die Mitglieder der Ahmadiyya-Gemeinschaft gezwungen, sich entweder zu ihrem Glauben zu bekennen oder diesen zu verleugnen, um am Rechtsverkehr in Pakistan teilnehmen zu können.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 15. April 2021 lehnte die Antragsgegnerin den Folgeantrag des Antragstellers als unzulässig ab (Nr. 1). Der Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 10. November 2016 hinsichtlich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG wurde ebenso abgelehnt (Nr. 2). Auf die Begründung des Bescheides wird verwiesen.
Über eine hiergegen gerichtete Klage vom 30. April 2021 wurde bislang nicht entschieden (M 23 K 21.31025). Am 26. Januar 2022 ließ der Antragsteller über seinen neuen Prozessbevollmächtigten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes beim Bayerischen Verwaltungsgericht München beantragen,
der Antragsgegnerin wird aufgegeben, der zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass vorläufig keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen in Bezug auf den Antragsteller durchgeführt werden dürfen.
Außerdem wurde beantragt,
dem Antragsteller ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Unterzeichners zu bewilligen.
Auf die Begründung des Antrags wird verwiesen. Dem Antragsteller sei nur noch eine Grenzübertrittsbescheinigung ausgestellt worden, offenbar werde seine Abschiebung vorbereitet.
Die Antragsgegnerin legte die Behördenakten in elektronischer Form vor und beantragte unter dem 22. Oktober 2021 (im Klageverfahren),
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag hat in der Sache Erfolg, da die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren als offen zu bewerten sind.
Der Antrag ist zulässig. Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamts enthält keine erneute Abschiebungsandrohung, sodass Grundlage der drohenden Abschiebung des Antragstellers die im Asylerstverfahren erlassene und vollziehbare – da bestandskräftig gewordene – Abschiebungsandrohung ist, wobei die Abschiebung nach § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG erst nach einer Mitteilung des Bundesamts an die Ausländerbehörde, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorliegen, vollzogen werden darf. Zwar ist im Falle der Ablehnung eines Folgeantrags als unzulässig in der Hauptsache die Anfechtungsklage zu erheben (BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris). Die Ablehnung des Antrags hat aber keinen vollzugsfähigen Inhalt. Einstweiliger Rechtsschutz ist in diesen Fällen daher entsprechend dem Rechtsschutzbegehren des Antragstellers, eine Abschiebung auf Grundlage der alten Abschiebungsandrohung verbunden mit der Mitteilung nach § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG zu verhindern, dadurch zu gewähren, dass die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO verpflichtet wird, der Ausländerbehörde mitzuteilen, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen vorläufig nicht ergriffen werden dürfen (vgl. OVG RhPf, B.v. 14.1.2019 – 7 B 11544/18.OVG – BeckRS 2019, 371; VGH BW, B.v. 29.11.2018 – 12 S 2504/18 – BeckRS 2018, 32545; HessVGH, B.v. 13.9.2018 – 3 B 1712/18.A – NVwZ-RR 2019, 342; VG München, B.v. 4.12.2017 – M 6 E 17.49487 – BeckRS 2017, 137445; Dickten in BeckOK Ausländerrecht, Stand 1.3.2020, § 71 AsylG Rn. 37).
Der Antrag ist auch begründet. Die negativen Folgen einer Abschiebung des Antragstellers überwiegen im vorliegenden Einzelfall die seines vorläufigen Verbleibs im Bundesgebiet. Hinsichtlich der – von der Antragsgegnerin nicht in Zweifel gezogenen – Zugehörigkeit des Antragstellers zur Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya und der diesbezüglichen Lage im Herkunftsland ist eine Überprüfung im Rahmen des Hauptsacheverfahrens, für das eine noch nicht vorliegende Beauskunftung eines Beweisbeschlusses des OVG NRW entscheidungserheblich ist, angezeigt, für die das Verfahren im einstweiligen Rechtschutz im vorliegenden Einzelfall keinen Raum bietet.
Auch ein Anordnungsgrund liegt vor. Dieser folgt aus dem – vom Gericht als wahr unterstellten – Sachvortrag, dass die Ausländerbehörde dem Antragsteller zuletzt nur noch eine Grenzübertrittsbescheinigung ausgestellt hat.
Nach alldem hat der Antrag Erfolg.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe bleibt erfolglos, weil der Antragsteller die notwendige Erklärung zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen – weder in diesem noch im Klageverfahren – bislang vorgelegt hat (§ 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.


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