Verwaltungsrecht

Asylrecht (Sierra, Leone)

Aktenzeichen  9 ZB 21.30431

Datum:
12.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 9534
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3

 

Leitsatz

Verfahrensgang

M 30 K 17.42961 2020-11-05 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Soweit sich der Kläger auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts beruft, liegt bereits kein im Asylverfahrensrecht vorgesehener Zulassungsgrund vor (vgl. BayVGH, B.v. 3.4.2020 – 9 ZB 20.30794 – juris Rn. 3). Dasselbe gilt, soweit der Kläger besondere rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache geltend macht (vgl. § 78 Abs. 3 AsylG).
2. Die Berufung ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG).
Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine konkrete noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen wird, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist eine Frage auszuformulieren und substantiiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird (vgl. BayVGH, B.v. 26.1.2021 – 9 ZB 21.30109 – juris Rn. 4 m.w.N.). Diesen Anforderungen genügt das Zulassungsvorbringen nicht.
Der Kläger ist der Auffassung, dass die streitentscheidenden asylrechtlichen Fragen über den Einzelfall des Klägers hinausgehende Bedeutung haben. Daraus ergeben sich schon keine konkreten Fragestellungen. Soweit der Kläger sich damit auf die von ihm formulierten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils bezieht und daraus grundsätzlich klärungsbedürftige Fragen abzuleiten versucht, genügt er jedenfalls nicht dem Darlegungsbot.
a) Ob Angehörigen von RUF-Kämpfern in Sierra Leone Sippenhaft oder Übergriffe drohen ist hier nicht entscheidungserheblich, weil das Verwaltungsgericht entsprechend der Angaben des Klägers beim Bundesamt und entgegen der anderslautenden Angaben des Klägers auf diesbezüglichen Vorhalt des Verwaltungsgerichts in der mündlichen Verhandlung davon ausging, dass der Kläger nicht den Namen seines Vaters führt, der für die RUF gekämpft haben sowie sehr bekannt und brutal gewesen sein soll, sondern den eines Freundes der Familie. Es vermochte daher sowie weil es in Sierra Leone kein zentrales Melderegister gibt, für den seit 1995 nicht mehr in Sierra Leone lebenden Kläger nicht nachzuvollziehen, wieso Regierung, Sicherheitsbehörden oder Angehörige von Opfern der Eltern des Klägers auf diesen aufmerksam werden sollten.
Das Zulassungsvorbringen setzt sich im Übrigen auch nicht mit den hilfsweisen Erwägungen des Verwaltungsgerichts auseinander, wonach den eingeführten Erkenntnismitteln nicht die beachtliche Wahrscheinlichkeit von Sippenhaft oder Übergriffen gegenüber Familienangehörigen ehemaliger Bürgerkriegskämpfer entnommen werden kann. Stützt sich das Verwaltungsgericht – wie hier – bei seiner Entscheidung auf bestimmte Erkenntnismittel oder gerichtliche Entscheidungen, ist erforderlich, dass das Zulassungsvorbringen zumindest einen überprüfbaren Hinweis auf andere Gerichtsentscheidungen oder auf vom Verwaltungsgericht nicht berücksichtigte sonstige Tatsachen- oder Erkenntnisquellen enthält, etwa entsprechende Auskünfte, Stellungnahmen, Gutachten oder Presseberichte, die den Schluss zulassen, dass die aufgeworfene Frage einer unterschiedlichen Würdigung zugänglich ist und damit einer Klärung im Berufungsverfahren bedarf (vgl. BayVGH, B.v. 13.11.2020 – 9 ZB 20.32156 – juris Rn. 4). Dem genügt der Hinweis auf eine klägerseits bereits erstinstanzlich eingeführte Erkenntnisquelle, auf die das Verwaltungsgericht in seinem Urteil auch eingegangen ist, nicht.
b) Soweit der Kläger, der angibt, über keine familiären oder sozialen Kontakte in Sierra Leone zu verfügen, geltend macht, die humanitären Verhältnisse in Sierra Leone verhinderten es angesichts der hinzukommenden Einschränkungen in Folge der Covid 19-Pandemie, dass der Kläger im Fall der Rückkehr durch Gelegenheitsarbeiten seine Existenz sichern könne, außerdem drohe auch jüngeren infizierten Personen ohne Vorerkrankungen ein schwerer Verlauf, legt er für daraus ableitbare Fragestellungen jedenfalls die allgemeine, über den Einzelfall des Klägers hinausgehende Klärungsbedürftigkeit nicht ausreichend dar.
Dem Zulassungsvorbringen lässt sich nicht substantiiert entnehmen, dass trotz der vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegten äußerst schwierigen Lebensbedingungen in Sierra Leone zumindest begründete Zweifel daran bestehen, dass für junge, gesunde und arbeitsfähige Männer dort weiterhin die Möglichkeit besteht, ihren Lebensunterhalt – zumindest durch Gelegenheitsarbeiten – sicherzustellen und sie sich nicht unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befinden würden, weshalb eine Verletzung von Art. 3 EMRK zu besorgen und ein nationales Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 5 AufenthG festzustellen sein könnte (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45.18 – juris Rn. 12). Es ist auch nicht zu ersehen, dass eine in diesem Zusammenhang aufgeworfene Fragestellung überhaupt verallgemeinernd, zumindest im Hinblick auf Umstände bzw. Merkmale, die eine Person mit anderen Personen teilt, die Träger des gleichen Merkmals sind bzw. sich in einer im Wesentlichen vergleichbaren Lage befinden (vgl. VGH BW, U.v. 26.6.2019 – A 11 S 2108/18 – juris Rn. 30) und nicht nur nach Würdigung der konkreten Verhältnisse im Einzelfall beurteilt werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 29.7.2020 – 9 ZB 20.31477 – juris Rn. 4). Ferner fehlt es an einer Tatsachenfrage von verallgemeinerungsfähiger Tragweite auch deshalb, weil das weltweite Pandemiegeschehen weiterhin von einer großen Dynamik gekennzeichnet ist, die eine verlässliche Einschätzung seiner mittelfristigen Auswirkungen auf die Lebensbedingungen in einzelnen Ländern, wie etwa Sierra Leone, (noch) nicht erlaubt (vgl. BayVGH, B.v. 26.6.2021 – 9 ZB 21.30109 – juris Rn. 11 m.w.N; BayVGH, U.v. 1.10.2020 – 13a B 20.31004 – juris Rn. 48; OVG NW, B.v. 8.1.2021 – 2 A 3402/20.A – juris Rn. 7). Möglich wäre allenfalls eine Momentaufnahme, der sich indes keine belastbaren Rückschlüsse für zukünftige Entwicklungen entnehmen ließe, die deshalb nur von sehr begrenzter Aussagekraft wäre und eine verallgemeinerungsfähige grundsätzliche Klärung von Tatsachen gerade nicht ermöglichte (vgl. VGH BW, B.v. 8.5.2020 – A 4 S 1082/20 – juris Rn. 5).
In Bezug auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hat sich der Kläger nicht damit auseinandergesetzt, dass das Verwaltungsgericht ihn nicht über das allgemeine Risiko hinaus als gefährdet angesehen hat, und auch nicht dargetan, dass sich die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG trotz des Fehlens einer politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG wegen einer vorliegenden Extremgefahr, wegen der er „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen“ ausgeliefert würde, für ihn nicht auswirkt (vgl. BVerwG, U.v. 8.9.2011 – 10 C 14.10 – juris Rn. 20, 23; BayVGH, B.v. 26.1.2021 – 9 ZB 21.30109 – a.a.O. Rn. 9 m.w.N.).
Aktuelle Entwicklungen, die einer Abschiebung entgegenstehen, wären im Übrigen im Rahmen der Abschiebung von der Ausländerbehörde zu berücksichtigen (vgl. § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Ggf. wäre ihnen mit einem Folgeantrag zu begegnen (vgl. BayVGH, B.v. 26.1.2021 – 9 ZB 20.30109 – juris Rn. 12 m.w.N.; U.v. 17.12.2020 – 13a B 20.30957 – juris Rn. 40).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Mit der nach § 80 AsylG unanfechtbaren Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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