Verwaltungsrecht

Asylverfahren – Angabe einer falschen Identität und unglaubhafte Schilderung einer Einberufung

Aktenzeichen  W 6 K 16.32490

Datum:
8.11.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3
AsylG AsylG § 4
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1

 

Leitsatz

1 Allein durch die Angabe einer anderen Identität im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, vorliegend eines anderen Familiennamens mit (geringfügig abweichenden) Geburtsdaten, ändert sich nicht die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung des Bundesamtes, wenn die Kläger erklärt haben, dass sich an ihrem Sachvortrag nichts geändert habe. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ob die im verwaltungsgerichtlichen Verfahren korrigierten Namen und Geburtsdaten tatsächlich die korrekten sind, ist für das vorliegende gerichtliche Verfahren unerheblich, da die angefochtene Entscheidung des Bundesamtes im Hinblick auf die korrekte Beurteilung des Vorliegens von asyl-, flüchtlings- oder sonst schutzrelevanten Belangen zu überprüfen ist. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
3 In der Ukraine können und dürfen Einberufungsbescheide ausschließlich persönlich an den Betroffenen zugestellt und ausgehändigt werden. Daher ist der Vortrag, ein Einberufungsbescheid sei an Familienangehörige zugestellt worden, unplausibel. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
4 Ausweislich der Auskunftslage ist die Mobilisation der ukrainischen Armee vollständig abgeschlossen und eine weitere Mobilisierung nicht vorgesehen. Eine Einberufung des Klägers erscheint daher nach derzeitiger Lage äußerst unwahrscheinlich. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet, da der Bescheid des Bundesamts vom 28. November 2016 nicht rechtswidrig ist und die Kläger dadurch (schon deswegen) nicht in ihren Rechten verletzt sind (§ 113 Abs. 5 VwGO), insbesondere ist der Bescheid nicht formell rechtswidrig (1.). Darüber hinaus haben die Kläger keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG (2.). Ebenso wenig besteht ein Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG bzw. auf die Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen (3.).
1. Durch die Angabe einer anderen Identität, vorliegend eines anderen Familiennamens mit (geringfügig abweichenden) Geburtsdaten, ändert sich nicht die inhaltliche Richtigkeit der verfahrensgegenständlichen Entscheidung des Bundesamtes.
Die Kläger haben auf Nachfrage des Gerichts bestätigt, dass sich an ihrem Sachvortrag nichts geändert habe; sie hätten anfangs aus Angst andere Familiennamen und etwas andere Geburtsdaten angegeben, weil sie nicht gewusst hätten, bei welcher behördlichen Stelle sie was sagen könnten. Nachdem die Kläger weiterhin Ukrainer sind und durch die Verschleierung ihrer wahren Identität offenkundig keinen Vorteil haben, da ihr Vorbringen hinsichtlich ihrer Fluchtgründe gleich geblieben ist, kann davon ausgegangen werden, dass diese neue Identität zutreffend sein kann. Eine Überprüfung der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Unterlagen auf Manipulation oder Fälschung ist nicht möglich, nachdem es sich hierbei um reine Kopien der Inlandspässe bzw. Geburtsurkunden handelt. Ob die neuen Namen und Geburtsdaten tatsächlich die korrekten sind, ist jedenfalls für das vorliegende gerichtliche Verfahren unerheblich, da die angefochtene Entscheidung des Bundesamtes im Hinblick auf die korrekte Beurteilung des Vorliegens von asyl-, flüchtlings- oder sonst schutzrelevanten Belangen zu überprüfen ist. An diesen entscheidungserheblichen Belangen und damit auch an der dem Bundesamt bekannten Tatsachengrundlage hat sich mit Berichtigung des Namens und der Geburtsdaten nichts geändert. Es ist demzufolge ausreichend und gerade in Asylverfahren üblich die Kläger unter zusätzlichen Alias-Namen zu führen. Auch waren die Kläger die richtigen Inhaltsadressaten für die Bekanntgabe der Entscheidung, da es genau sie und ihre Fluchtgründe betraf.
2. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl 1953 II S. 559, 560), wenn er sich (1.) aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (2.) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, (a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder (b) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Nach § 3c AsylG kann eine solche Verfolgung ausgehen von (1.) dem Staat, (2.) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder (3.) nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, i.S. des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Aus § 3a AsylG ergibt sich, welche Handlungen als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten. Zwischen derartigen Handlungen und den in § 3b AsylG näher definierten Verfolgungsgründen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG).
Die Furcht vor Verfolgung ist begründet (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG), wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris; BVerwG, U.v. 5.11.1991 – 9 C 118/90 -, BVerwGE 1989, 162 f.; BVerwG, U.v. 15.3.1988 – 9 C 278/86 -, BVerwGE 1979, 143 f.).
Das Gericht muss dabei die volle Überzeugung von der Wahrheit des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Schicksals und hinsichtlich der zu treffenden Prognose, dass dieses die Gefahr politischer Verfolgung begründet, erlangen. Angesichts des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich Asylsuchende insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Verfolgerland befinden, kommt dabei dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden und dessen Würdigung für die Überzeugungsbildung eine gesteigerte Bedeutung zu (BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109/84 -, Buchholz 402.25, § 1 AsylVfG Nr. 32). Demgemäß setzt ein Asyl- oder Flüchtlingsanspruch voraus, dass der Schutzsuchende den Sachverhalt, der seine Verfolgungsfurcht begründen soll, schlüssig darlegt. Dabei obliegt es ihm, unter genauer Angabe von Einzelheiten und gegebenenfalls unter Ausräumung von Widersprüchen und Unstimmigkeiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Asylbzw. Flüchtlingsbegehren lückenlos zu tragen (BVerwG, U.v. 8.5.1984 – 9 C 141/83 -, Buchholz, § 108 VwGO Nr. 147).
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Wie bereits vom Bundesamt zutreffend festgestellt, führt der Vorfall mit der Manipulation der Wahlzettel in Luhansk und der damit zusammenhängenden angeblichen Bedrohung des Klägers zu 1) nicht zu einer Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft, da es an einer schwerwiegenden Verletzung der grundlegenden Menschenrechte und damit an einer Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a AsylG fehlt. Ungeachtet der Tatsache, dass die vermeintliche Bedrohung insgesamt nur sehr pauschal und detailarm geschildert wurde und es ihr an hinreichender Substanz fehlt, haben sich die Kläger durch einen Umzug innerhalb der Ukraine dieser Bedrohung entziehen können, denn in Winnyzja kam es zu keinem weiteren Vorfall. Eine begründete Furcht vor Verfolgung lag zu dem Zeitpunkt jedenfalls nicht mehr vor.
Soweit der Kläger zu 1) in der mündlichen Verhandlung erstmals vorgetragen hat, am 11. Januar 2014 einen Einberufungsbescheid erhalten zu haben, welcher seiner Mutter in Winnyzja zugestellt worden war, so ist dieses Vorbringen unglaubhaft. Aufgrund der Tatsache, dass im Rahmen der Anhörung beim Bundesamt dies vom Kläger zu 1) nicht erwähnt wurde und im Rahmen der Klagebegründung lediglich vorgebracht wurde, dass der Kläger zu 1) eine Einberufung in die ukrainischer Armee fürchte, erscheint dieses neue Vorbringen in der mündlichen Verhandlung widersprüchlich. Dies gilt umso mehr als das Datum, an welchem der Einberufungsbescheid angeblich gekommen sei, der 11. Januar 2014 war, und der Kläger zu 1) nach seiner eigenen Aussage in der mündlichen Verhandlung den Bescheid bereits in Winnyzja erhalten habe (vgl. Niederschrift, S. 3). Nach seinen Angaben sowohl in der Anhörung beim Bundesamt, als auch in der mündlichen Verhandlung ereignete sich der Vorfall mit der Manipulation der Wahlzettel und der darauffolgende Umzug der Kläger nach Winnyzja jedoch (erst) im Oktober 2014. Ungeachtet der Widersprüchlichkeit hinsichtlich der zeitlichen Komponente ist überdies nach der allgemeinen Auskunftslage bekannt, dass Einberufungsbescheide ausschließlich persönlich an den Betroffenen zugestellt und ausgehändigt werden können und dürfen. Daher ist auch der Vortrag, der Einberufungsbescheid wäre an seine Mutter zugestellt worden, unplausibel. Im Übrigen ist ausweislich der Auskunftslage die Demobilisation der ukrainischen Armee vollständig abgeschlossen und eine weitere Mobilisierung nicht vorgesehen (vgl. Lagebericht AA v. 7.2.2017, S. 9), sodass eine Einberufung des Klägers nach derzeitiger Lage äußerst unwahrscheinlich erscheint.
3. Die Kläger können sich auch nicht mit Erfolg auf subsidiären Schutz berufen.
Die Ausführungen der Kläger vermögen eine subsidiäre Schutzberechtigung nicht zu begründen; stichhaltige Gründe im Sinne von § 4 AsylG wurden nicht vorgebracht und es wurde nicht dargelegt, welche ernsthaften und erheblichen Gefahren den Klägern bei einer Rückkehr in die Ukraine drohen könnten. Im Übrigen sind auch keine nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ersichtlich.
Insoweit wird zunächst auf die zutreffenden Ausführungen des Bundesamts im angegriffenen Bescheid Bezug genommen, denen das Gericht folgt (§ 77 Abs. 2 AsylG), und im Übrigen auf die obigen Ausführungen verwiesen (vgl. 2.).
Ergänzend ist anzumerken, dass zwar davon auszugehen ist, dass im Osten der Ukraine (Donbass) in den Gebieten Donezk und Luhansk ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt besteht. Durch den Umzug in die westliche Zentralukraine nach Winnyzja, der Heimatstadt des Klägers zu 1), konnten sich die Kläger jedenfalls diesem bewaffneten Konflikt entziehen. Nachdem sie dort über vier Monate gelebt haben, ohne dass ihnen etwas passiert war oder irgendwelche Bedrohungen aufgetreten sind, ist davon auszugehen, dass den Klägern eine Rückkehr in die Ukraine zuzumuten ist. Es wurde weder vorgetragen noch ist es ersichtlich, weshalb dies anders sein sollte bzw. was die Kläger zu befürchten hätten. Der Kläger zu 1) war nach seinen eigenen Angaben in dieser Zeit in Winnyzja dort auch berufstätig, er hatte am Bau gearbeitet, daher ist davon auszugehen, dass im Falle einer Rückkehr den Klägern ein hinreichendes Auskommen möglich ist.
4. Daher sind auch die Ausreiseaufforderung und die Abschiebungsandrohung in die Ukraine rechtmäßig. Auch gegen die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung bestehen keine Bedenken. Ermessensfehler sind nicht ersichtlich.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).


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