Aktenzeichen M 10 K 16.2188
Leitsatz
1 Im Falle der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an einen Familienangehörigen zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte ist dem Wesen der Vorschrift des § 36 Abs. 2 AufenthG immanent, dass die Gemeinschaft der Krankenversicherten für die Behandlung einer Erkrankung aufkommen muss. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2 Es ist für denjenigen, der aufgrund seiner Erkrankungen nicht in der Lage ist, in sein Heimatland zurückzukehren, nicht zumutbar, das Visumverfahren im Heimatland nachzuholen. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Bescheid der Beklagten vom 18. April 2016 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zu erteilen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die Klage hat Erfolg, denn sie ist zulässig und begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 18. April 2018 ist rechtswidrig; der Kläger hat einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (§ 113 Abs. 1 und 5 VwGO).
Anspruchsgrundlage ist § 36 Abs. 2 AufenthG. Danach kann sonstigen Familienangehörigen, gegenüber den in Abs. 1 geregelten Eltern minderjähriger Ausländer, zum Familiennachzug eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn es zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist. Die außergewöhnliche Härte liegt im Fall des Klägers vor (dazu unter 1.). Er erfüllt die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen (dazu unter 2.). Schließlich liegt eine Ermessensreduzierung auf Null vor (dazu unter 3.).
1. Eine außergewöhnliche Härte ist anzunehmen, wenn im konkreten Einzelfall gewichtige Umstände vorliegen, die unter Berücksichtigung des Schutzgebots des Art. 6 GG und im Vergleich zu den sonst geregelten Fällen des Familiennachzugs ausnahmsweise die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug gebieten (BeckOK AuslR/Tewocht AufenthG § 36 Rn. 9-10). Die mit der Versagung der Aufenthaltserlaubnis eintretenden Schwierigkeiten für den Erhalt der Familiengemeinschaft müssen nach ihrer Art und Schwere so ungewöhnlich und groß sein, dass im Hinblick auf den Zweck der Nachzugsvorschriften, die Herstellung und Wahrung der Familieneinheit zu schützen, die Ablehnung der Erlaubnis schlechthin unvertretbar ist. Dies setzt grundsätzlich voraus, dass der im Bundesgebiet oder der im Ausland lebende, die Aufenthaltserlaubnis beantragende Familienangehörige allein ein eigenständiges Leben nicht führen und die familiäre Lebensgemeinschaft nur im Bundesgebiet geführt werden kann (BVerwG EZAR NF 34 Nr. 47; VG Düsseldorf BeckRS 2011, 46861 unter Berufung auf: BVerwG Buchholz 402.240 § 22 AuslG 1990 Nr. 4; VGH Kassel FamRZ 1999, 994 L; VG Hamburg InfAuslR 2006, 459; Hailbronner AuslR Rn. 12). Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für pflege- oder betreuungsbedürftige Eltern wurde bereits vor Inkrafttreten des AufenthG als typische Fallkonstellation der außergewöhnlichen Härte angesehen, sofern der im Ausland lebende Familienangehörige allein ein eigenständiges Leben nicht mehr führen kann, sondern auf die Gewährung von familiärer Lebenshilfe angewiesen ist und diese Hilfe zumutbar nur im Bundesgebiet erbracht werden kann (Hailbronner, AuslR, Stand: April 2014, § 26 Rn. 22 m.w.N. zur Rspr.). Grundsätzlich sind an den Nachweis, auf familiäre Hilfe angewiesen zu sein, strenge Anforderungen zu stellen. Ein Kläger kann aber dann nicht auf die grundsätzlich vorrangige Möglichkeit verwiesen werden, im Heimatland professionelle oder Nachbarschaftshilfe in Anspruch zu nehmen, wenn nach objektiven Maßstäben nachvollziehbar ein pflegebedürftiger Angehöriger nur in der familiären Geborgenheit und Nähe dasjenige Maß an Fürsorge erhalten kann, das angesichts seines Alters und Krankheitszustands geboten ist (Hailbronner, a.a.O.; BVerwG, B.v. 18.4.2013 – 10 C 10.12 – juris). Es muss ein persönliches Vertrauensverhältnis bestehen, nicht ein bloßes Dienstleistungsverhältnis.
Diese Voraussetzungen liegen vor. Aus dem vom Gericht in Auftrag gegebenen Gutachten sowie aus den zuvor vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen ergibt sich, dass der Kläger nicht alleine in der Ukraine leben kann. Nach dem Befund des Gutachters kann der Kläger nur mit Hilfe gehen, er sei nach Aussagen seiner Tochter immer wieder gestürzt. Es besteht der Verdacht auf eine leichte kognitive Störung bei beginnender Demenz mit Kurzzeitgedächtnisstörungen und organischer Wesensveränderung. Der Kläger ist nach einem Schädelhirntrauma eingeschränkt. Die Multiple Sklerose einerseits sowie Diabetes und Hypertonie andererseits bringen das Risiko mit sich, dass der Kläger transitorisch-ischämische Attacken erleidet. So berichtete seine Tochter bereits von einem „kleinen Schlaganfall“. In diesem Zustand ist der Kläger bewegungsunfähig und vollständig hilflos. Auch ein sehr starker Anstieg der Blutdruckwerte ist möglich, insbesondere in Stresssituationen. Der Gutachter hält einen schweren depressiven Einbruch für möglich, wenn der Kläger von der Trennung von seiner Tochter erfahren sollte. Unter diesen umfassend medizinisch begründeten Umständen geht das Gericht nicht davon aus, dass der Kläger alleine in der Ukraine leben kann. Bereits ohne besondere Vorkommnisse ist der Kläger durch seine Depression, seine kognitiven Beschwerden und seine Gehbehinderung stark eingeschränkt, wenn er sich selbst versorgen muss. Vor allem jedoch besteht die Gefahr von anfallartigen Verschlechterungen der Durchblutung oder des Blutdrucks. In solchen Situationen wäre der Kläger alleine unter Umständen in einer lebensgefährlichen Situation. Auch die Depression und Suizidalität sprechen dagegen, dass der Kläger psychisch in der Lage ist, sein Leben alleine zu gestalten und sich zu versorgen, selbst wenn er in einer Pflegeeinrichtung ärztliche Versorgung hätte.
Ebenfalls geht das Gericht davon aus, dass zwischen dem Kläger und seiner Tochter nicht ein bloßes Dienstleistungsverhältnis besteht, sondern ein vertrauensvolles Zusammenleben. Nach den glaubhaften Angaben der Tochter des Klägers in der mündlichen Verhandlung und nach dem übrigen Vortrag der Klägerseite ergibt sich das Bild einer gelebten Beistandsgemeinschaft. Die Tochter ist die Betreuerin des Klägers und übernimmt für ihn nicht nur Kosten, sondern pflegt ihn und regelt seine Angelegenheiten. Nach Einschätzung des Gutachters ist die Tochter für den Kläger eine so wichtige Bezugsperson, dass er in eine depressive Krise stürzen würde, wenn er von einer Trennung erführe.
Die beschriebene Lebenshilfe erbringt die Tochter des Klägers zuverlässig und umsichtig. Sie hat mit den eingereichten Stellungnahmen nachgewiesen, dass der Kläger auch dann betreut ist, wenn sie ihrer beruflichen Tätigkeit nachgeht. Zwar ist der Beklagten zuzugeben, dass eine Verschlechterung des körperlichen Zustands die Familie des Klägers vor Herausforderungen stellen wird. Jedoch werden auch die Enkel der Klägerin bald in einem Alter sein, in dem sie weniger Betreuung durch die Mutter benötigen und selbst mehr unterstützende Tätigkeiten übernehmen können. Zudem ist nach der gutachterlichen Stellungnahme das hauptsächliche Problem nicht die reguläre Pflegetätigkeit, die mit Fortschreiten der Multiplen Sklerose und Bluthochdruck vermutlich zunehmen wird. Sondern es geht vor allem um die psychische Betreuung und Unterstützung bei organisatorischen Tätigkeiten und die Gefahr von Attacken bzw. Krisen, die zu einer akuten Gefahr werden können. In diesem Fall wäre der Kläger auf ärztliche Betreuung und Entscheidungshilfe durch eine Vertrauensperson angewiesen. Dass hierbei die Gemeinschaft der Krankenversicherten für Kosten aufkommen muss, ist dem Wesen des § 36 Abs. 2 AufenthG immanent. Der Kläger ist als Beitragszahler zu diesen Leistungen berechtigt.
Der Tochter und Betreuerin des Klägers ist angesichts ihrer beiden in Deutschland verwurzelten Kinder nicht zuzumuten, den Kläger in der Ukraine zu pflegen.
Schließlich ist der Kläger auf eine Weise erkrankt, die den Wunsch nach Betreuung durch die eigene Tochter objektiv nachvollziehbar macht. Er kann nicht auf die bestehenden professionellen Pflegemöglichkeiten in der Ukraine verwiesen werden. Denn der Kläger benötigt vertrauensvolle Unterstützung auf Grund seiner geistigen Einschränkungen. Der Kläger ist sowohl körperlich als auch psychisch eingeschränkt, das Gutachten spricht von psychischer Behinderung. Der Gutachter hat beim Kläger eine Depression sowie Wesensveränderungen festgestellt. Auch bemerkt das Gutachten mehrfach, dass der Kläger selbst ärztliche Behandlungen und Medikamentierung in der Vergangenheit abgelehnt hat. Er benötigt eine Vertrauensperson, welche ihn von der Notwendigkeit solcher Untersuchungen überzeugen kann. Laut Betreuungsbeschluss vom 9. November 2016 ist der Kläger nicht in der Lage, seine Angelegenheiten ausreichend zu besorgen. Die Tochter des Klägers ist auch seine Betreuerin und regelt für ihn in seinem Sinne seine Angelegenheiten. Hierfür sind ein Vertrauensverhältnis und ein ständiger Kontakt notwendig. Auch mental unterstützt die Anwesenheit der Tochter und der Enkel den psychisch schwer beeinträchtigten und depressiven Kläger. Anders als die Beklagte sieht das Gericht dieses verständliche Bedürfnis auch nicht widerlegt, weil Freundinnen der Tochter diese bei der Pflege unterstützen. Denn es macht für den Kläger objektiv einen Unterschied, ob er nur tagsüber unter der Woche von familienfremden Personen betreut wird, die Tochter aber in der Nähe und erreichbar ist, etwa mit Ärzten für ihn sprechen kann und sich jeden Tag mit ihm austauschen kann, oder ob er vollständig in einer Pflegeeinrichtung lebt und nur gelegentlich von seiner Tochter besucht wird. Auch die Gewissheit, dass sie sich um seine finanziellen und behördlichen Angelegenheiten kümmern kann, ist ein stabilisierender Faktor. Gerade hinsichtlich der Suizidalität und der Depression ist zudem die tägliche Anwesenheit der Familie unabdingbar.
2. Die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen liegen vor.
a. Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1a bis Nr. 4 AufenthG sind die Identität und Staatsangehörigkeit des Klägers geklärt, es besteht kein Ausweisungsinteresse, sein Aufenthalt beeinträchtigt oder gefährdet nicht aus einem sonstigen Grund Interessen der Bundesrepublik Deutschland und die Passpflicht ist erfüllt.
b. Der Kläger ist nicht mit dem erforderlichen Visum eingereist. Das Gericht teilt die Einschätzung der Beklagten, dass der Kläger und seine Tochter bereits bei Einreise einen langfristigen Verbleib des Klägers im Bundesgebiet beabsichtigten. Jedoch ist dem Kläger nicht zumutbar, das Visumsverfahren nachzuholen. Laut dem Gutachten vom 13. August 2017 ist der Kläger höchstens in einem medizinisch entsprechend gerüsteten Spezialflugzeug unter Begleitung eines Arztes und einer Pflegeperson zur Reise in die Ukraine in der Lage, wobei selbst dann psychische Komplikationen nicht auszuschließen sind. Unter diesen Umständen ist dem Kläger nicht zumutbar, das Visumsverfahren in der Ukraine nachzuholen.
c. Auch der Lebensunterhalt des Klägers ist mittlerweile gesichert. Der Lebensunterhalt eines Ausländers ist nach § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG gesichert, wenn er ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Dabei bleiben die in § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG aufgeführten öffentlichen Mittel außer Betracht. Erforderlich ist mithin die positive Prognose, dass der Lebensunterhalt des Ausländers in Zukunft auf Dauer ohne Inanspruchnahme anderer öffentlicher Mittel gesichert ist. Dies erfordert einen Vergleich des voraussichtlichen Unterhaltsbedarfs mit den nachhaltig zur Verfügung stehenden Mitteln. Dabei richten sich sowohl die Ermittlung des zur Verfügung stehenden Einkommens als auch der Unterhaltsbedarf bei erwerbsfähigen Ausländern und Personen, die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft leben, grundsätzlich nach den entsprechenden Bestimmungen des Sozialgesetzbuchs (SGB) Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – SGB II (grundlegend Urteil vom 26. August 2008 – BVerwG 1 C 32.07 – BVerwGE 131, 370 Rn. 19 ff.). Konsequenterweise bemessen sich Einkommen und Unterhaltsbedarf bei nicht (mehr) erwerbsfähigen Ausländern wie dem Kläger, der die Altersgrenze des § 7a SGB II überschritten hat und daher gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II keine Leistungen nach dem SGB II beanspruchen kann, grundsätzlich nach den Bestimmungen des Sozialgesetzbuchs (SGB) Zwölftes Buch – Sozialhilfe – SGB XII. Nach § 19 Abs. 2 Satz 1 SGB XII erhalten Personen, die wie der Kläger die – mit § 7a SGB II korrespondierende – Altersgrenze nach § 41 Abs. 2 SGB XII erreicht haben, Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII, sofern sie ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, bestreiten können. Für Ausländer gelten insoweit keine anderen Regelungen (§ 23 Abs. 1 Satz 2 SGB XII). Unerheblich ist, ob Leistungen tatsächlich in Anspruch genommen werden; nach dem gesetzlichen Regelungsmodell kommt es nur auf das Bestehen eines entsprechenden Anspruchs an (BVerwG, U.v. 18.4.2013 – 10 C 10/12 –, BVerwGE 146, 198-217, Rn. 13). Auch kommt es nicht darauf an, ob der Kläger die Versicherung bereits abgeschlossen hat. Der Gesetzgeber hat das Bestehen ausreichenden Krankenversicherungsschutzes im Aufenthaltsrecht gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG der Lebensunterhaltssicherung zugeordnet. Folglich genügt für die von § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG geforderte Prognoseentscheidung, dass der Ausländer diese Voraussetzung nach der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erfüllen kann und wird. Denn nach dem Zweck der Vorschrift, die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel zu verhindern, kommt es nur darauf an, ob während des Aufenthalts im Bundesgebiet ein Anspruch auf öffentliche Leistungen im Sinne von § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG besteht bzw. vermieden werden kann (vgl. zur vergleichbaren Situation vor Einreise BVerwG, U.v. 18.4.2013 – 10 C 10/12 –, BVerwGE 146, 198-217, Rn. 17).
Somit hat der Kläger nachgewiesen, dass er ausreichenden Krankenversicherungsschutz hat. Nach der Auskunft der Krankenversicherung fehlt noch der gültige Aufenthaltstitel, was nur so verstanden werden kann, dass nur noch der Aufenthaltstitel fehlt. Trotz mehrfacher Aufforderung hat die Klägerseite keinen Nachweis über die Art der Versicherung und deren Kosten vorgelegt. Nach Recherchen des Gerichts ergibt sich jedoch zweifelsfrei, dass die Bahn BKK nur gesetzliche Krankenversicherungen anbietet, keine privaten. Da dem Kläger im Schreiben der Versicherung vom 30. Mai 2018 eine elektronische Gesundheitskarte in Aussicht stellt und zwei Broschüren über den Umfang des Krankenversicherungsschutzes beigelegt waren, geht das Gericht davon aus, dass der Kläger eine gesetzliche Krankenversicherung dort beantragt hat.
Nach Auskunft des Bundesgesundheitsministeriums beträgt der allgemeine Beitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung 148,19 EUR. Die Mindestbemessungsgrundlage liegt bei 1.015 EUR (https://www.bundesgesundheitsministerium.de/beitraege-und-tarife.html#c4754). Die Bahn BKK erhebt einen Zusatzbeitrag von 1,4% (https://www.krankenkassen.de/gesetzliche-krankenkassen/krankenkasse-beitrag/zusatzbeitrag/), so dass sich unter zu Grunde legen der Mindestbemessungsgrundlage einen zusätzlichen Beitrag von 14,21 EUR ausmacht (insgesamt 162,40 EUR). Mittlerweile verdient die Tochter des Klägers 2.500 EUR brutto (1.719,44 EUR netto). Nach den Berechnungen der Beklagten (Aktenseite 64 ff.) überstieg der Bedarf des Klägers sein Einkommen um 346 EUR. Bei der Tochter und den Enkeln des Klägers (damaliges Nettoeinkommen: 889,99 EUR) überstieg der Bedarf das Einkommen um 193,18. Damals bestand also eine „Versorgungslücke“ von 539,18 EUR. Nachdem die Tochter des Klägers nunmehr ein um 829,45 EUR höheres Nettoeinkommen verdient, ist nicht nur diese Versorgungslücke abgedeckt, sondern auch der Krankenversicherungsbeitrag des Klägers kann hiervon bezahlt werden. Das Gericht folgt insofern den überzeugenden Bedarfsberechnungsgrundlagen der Beklagten.
3. Der Nachzug nach § 36 Abs. 2 AufenthG steht grundsätzlich unter dem Vorbehalt pflichtgemäßer Ermessensausübung. Im Rahmen der behördlichen Entscheidung sind die einzelnen widerstreitenden Interessen zu identifizieren, ihr jeweiliges Gewicht zu bestimmen und gegeneinander abzuwägen. Die Norm weist die Besonderheit auf, dass diese Abwägung bereits im Rahmen der Prüfung der außergewöhnlichen Härte vorgenommen wurde, so dass im Rahmen des behördlichen Ermessens weniger abwägender Spielraum verbleibt (Marx in Gemeinschaftskommentar AufenthG, § 36 Rn. 67, dort sogar „intendiert“). Bereits tatbestandlich sind Fälle geregelt, die hohe Voraussetzungen erfüllen müssen. Daher wird die außergewöhnliche Härte häufig unter Zuhilfenahme einer dringenden Notwendigkeit einer Aufenthaltserlaubnis definiert, welche durch eine ablehnende Ermessensentscheidung konterkariert würde. Besonders in der gegebenen Konstellation eines pflegebedürftigen Angehörigen setzt bereits der Tatbestand hohe Hürden, so dass die rechtmäßige Entscheidung vorgezeichnet ist. Im vorliegenden Fall liegen zudem darüber hinausgehende Besonderheiten vor, wodurch sich ausnahmsweise dieses intendierte Ermessen auf die einzig rechtmäßige Entscheidung verdichtet, die Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Das Gericht verkennt nicht, dass der Gesetzgeber ausdrücklich der Verwaltung gerade in Fällen Ermessen eingeräumt hat, in denen eine außergewöhnliche Härte besteht und somit allein aus den diese Härte begründenden Umständen nicht auf eine Ermessensreduzierung auf Null geschlossen werden kann. Jedoch liegen im vorliegenden Einzelfall besondere Umstände vor, welche die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus verfassungsrechtlichen Gründen gebieten. Der Kläger kann sich insofern auf seine Rechte aus Art. 1, 2 und 6 GG sowie aus Art. 8 EMRK berufen. Der Kläger befindet sich bereits seit weit über zwei Jahren in Deutschland. Er ist nach Auskunft des Gutachtens nicht reisefähig und wäre insofern auf Duldungen angewiesen. Seine Krankheit besteht dauerhaft und wird sich nicht verbessern. Über die außergewöhnliche Härte hinaus besteht beim Kläger die Besonderheit, dass eine fortschreitende dementielle Entwicklung es ihm zunehmend schwerer macht, sich in fremder Umgebung zurechtzufinden, eine Rückkehr in die Ukraine ihn also vor zusätzliche Schwierigkeiten stellte, zumal er nicht in seine bekannte Wohnung zurückkehren könnte. Der Kläger ist nicht nur physisch, sondern auch psychisch schwer beeinträchtigt. Seine suizidalen Gedanken hängen gerade auch mit dem Gefühl der Einsamkeit und der möglichen Rückkehr in die Ukraine zusammen. Seiner Tochter und seinen Enkeln wäre nur selten möglich, ihn zu besuchen. Vor dem Hintergrund dieser Besonderheiten wäre der Beklagten nicht rechtmäßig möglich, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.