Aktenzeichen M 10 E 17.3439
Leitsatz
Der drohende Verlust eines Ausbildungsplatzes stellt keinen schweren irreparablen Nachteil dar, der eine Vorwegnahme der Hauptsache im vorläufigen Rechtsschutzverfahren rechtfertigen könnte, wenn weder substantiiert dargetan noch anderweitig ersichtlich ist, dass der Antragsteller nicht nach Abschluss des Hauptsacheverfahren einen anderen Ausbildungsplatz finden kann. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der malische Antragsteller begehrt eine Ausbildungserlaubnis zur Aufnahme einer Metzgerausbildung ab dem 1. August 2017.
Der Asylantrag des Antragstellers ist rechtskräftig abgelehnt, der passlose Antragsteller hat eine Aufenthaltsduldung.
Der Antragsteller hat einen Ausbildungsvertrag mit einer Metzgerei, der ab 1. August 2017 beginnen soll. Er hat eine Ausbildungserlaubnis bei der Antragsgegnerin beantragt, der Zeitpunkt ist umstritten; nach Angaben des Antragstellers hat er den Antrag Anfang Juni gestellt, nach Angaben der Antragsgegnerin am 7. Juli 2017.
Am 25. Juli 2017 hat die Bevollmächtigte des Antragstellers Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erhoben und beantragt,
die Antragsgegnerin zu verpflichten, dem Antragsteller eine Ausbildungserlaubnis zu erteilen, hilfsweise, die Antragsgegnerin zu verpflichten, den Antrag des Antragstellers auf Erteilung einer Ausbildungserlaubnis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
Zudem hat sie beantragt,
der Antragsgegnerin eine einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO aufzugeben, dem Antragsteller eine Ausbildungserlaubnis zu erteilen.
Zur Begründung wird ausgeführt und hinsichtlich des Tatsächlichen vom Antragsteller eidesstattlich versichert: Der Antragsteller habe beim Honorarkonsulat der Republik Mali versucht, einen Pass zu beantragen. Er sei nach Berlin zur Botschaft von Mali gereist, um einen Pass zu beantragen. Er habe sich weiterhin telefonisch und per Mail sowie durch Internetrecherche in näher dargelegtem Umfang weiterhin um Dokumente bemüht. Der Antragsteller habe einen Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis (gemeint wohl: Ausbildungserlaubnis), er habe seinen Mitwirkungspflichten genügt und alles Zumutbare unternommen, indem er beim Generalkonsul und in der Malischen Botschaft in Berlin vorgesprochen habe. Die Eilbedürftigkeit liege vor, da der Ausbildungsbeginn am 1. August 2017 sei. Wenn der Antragsteller den Ausbildungsplatz nicht wahrnehmen könne, müsse er ein Jahr warten.
Die Antragsgegnerin hat beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wird ausgeführt: Der Antragsteller habe zwar bei der Auslandsvertretung vorgesprochen, es sei aber nur aktenkundig, dass er sich um einen Identitätsnachweis, nicht wie erforderlich um einen Pass bemüht habe. Daher müsse eine Erlaubnis zur Berufsausbildung abgelehnt werden.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichts- und Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag ist unbegründet, weil der Antragsteller eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache begehrt.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sog. Sicherungsanordnung) oder auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes, wenn dies nötig erscheint, um wesentliche Nachteile für den Antragsteller abzuwenden (sog. Regelungsanordnung). Wesentliche Nachteile sind u.a. wesentliche rechtliche, wirtschaftliche oder ideelle Nachteile, die der Antragsteller in Kauf nehmen müsste, wenn er das Recht im langwierigen Hauptsacheprozess erstreiten müsste (vgl. Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 123, Rn. 23). Nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 Abs. 1 ZPO sind sowohl ein Anordnungsanspruch, d.h. der materielle Grund, für den der Antragsteller vorläufig Rechtsschutz sucht, als auch ein Anordnungsgrund, der insbesondere durch die Eilbedürftigkeit der Regelung begründet wird, glaubhaft zu machen. Maßgeblich sind die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
Eine einstweilige Anordnung ist nicht nur zu erlassen, wenn mit zweifelsfreier Sicherheit feststeht, dass das materielle Recht besteht, dessen Sicherung der Antragsteller im Fall des § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO erstrebt oder dessen Regelung er im Sinn von § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO erreichen will. Es genügt vielmehr, dass das Bestehen dieses Rechts überwiegend wahrscheinlich ist, so dass der Rechtsschutzsuchende in der Hauptsache voraussichtlich obsiegen würde (vgl. BayVGH, B.v. 16.8.2010 – 11 CE 10.262 – juris Rn. 20 m.w.N.). Grundsätzlich darf das Eilverfahren die Hauptsache nicht vorwegnehmen.
1. Der auf Erlass einer Regelungsanordnung gerichtete Antrag bleibt bereits ohne Erfolg, weil er auf eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet ist.
Dem Wesen und Zweck einer einstweiligen Anordnung entsprechend kann das Verwaltungsgericht in einem Eilverfahren nach § 123 VwGO grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und dem Betroffenen nicht schon in vollem Umfang – wenn auch nur auf beschränkte Zeit und unter Vorbehalt einer Entscheidung in der Hauptsache – das gewähren, was er nur in einem Hauptsacheprozess erreichen könnte. Durch die einstweilige Erteilung der Berufsausbildungserlaubnis würde die Hauptsache in der beschriebenen Weise vorweggenommen. Der Antragsteller begehrt in der Hauptsache die Verpflichtung des Antragsgegners, ihm eine Genehmigung zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zu erteilen. Das identische Ziel verfolgt der Antragsteller letztlich auch mit seinem Eilantrag. Hieran ändert nichts, dass die im einstweiligen Anordnungsverfahren erstrebte Rechtsstellung unter der auflösenden Bedingung des Ergebnisses des Klageverfahrens stünde. Denn auch die vorläufige Vorwegnahme der Hauptsache vermittelt dem Antragsteller die mit dem Klageverfahren erstrebte Rechtsposition und stellt ihn vorweg so, als wenn er im Klageverfahren bereits obsiegt hätte (vgl. VG München, B.v. 25.8.2015 – M 4 E 15.3554 – juris; OVG Lüneburg, B.v. 29.7.2015 – 8 ME 33/15 – juris Rn. 11 m.w.N.).
Das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache gilt zwar nicht uneingeschränkt. Aufgrund des verfassungsrechtlichen Gebotes effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG ist eine Vorwegnahme dann zulässig, wenn dem Betroffenen ein Abwarten bis zu der Entscheidung über die Hauptsache unzumutbar ist, da er sonst schwere irreparable Nachteile erleiden wurde (BVerfG, B.v. 25.10.1988 – 2 BvR 745/88 – BVerfGE 79, 69; BayVGH, B.v. 17.2.2014 – 7 CE 13.2514 – juris Rn. 8 ff.).
Dies ist indes nicht der Fall. Der Antragsteller hat lediglich vorgetragen, dass ihm der Verlust des Ausbildungsplatzes droht. Derzeit verfügt der Antragsteller nicht über eine Erlaubnis zur Aufnahme einer Berufsausbildung oder einen entsprechenden Aufenthaltstitel. Er will in der Hauptsache und im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes seinen Rechtskreis erweitern. Er hat hinzunehmen, dass er die beabsichtigte Berufsausbildung als Metzger in dem konkreten Ausbildungsbetrieb zu dem geplanten Zeitpunkt nicht wird aufnehmen können. Es ist weder substantiiert dargetan noch anderweitig ersichtlich, dass er nicht – nach einem für ihn ggf. erfolgreichen Abschluss des Hauptsacheverfahrens – einen anderen Ausbildungsplatz finden kann. Der Antragsteller hat zu einem etwaigen besonderen Interesse an dem konkreten Ausbildungsplatz in dem konkreten Betrieb nichts vorgetragen. Der Antragsteller hat auch keine Gefährdung seiner sozialen, beruflichen oder wirtschaftlichen Existenzgrundlage dargetan. Die bloße zeitliche Verzögerung der Aufnahme einer Arbeitstätigkeit stellt auch unter Berücksichtigung des durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Rechts auf allgemeinen Handlungsfreiheit keinen unzumutbaren Nachteil dar, der die Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigen würde. Auf das Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 GG kann der Antragsteller als malischer Staatsangehöriger sich nicht berufen. Dass die baldige Aufnahme einer Berufsausbildung für den Antragsteller vorteilhaft wäre und zur Entlastung der öffentlichen Hand beitragen würde, lässt ein Abwarten bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache nicht unzumutbar erscheinen (vgl. VG München, B.v. 26.10.2016 – M 4 E 16.4408 – juris; B. v. 25.1.2016 – M 10 E 15.5827 – juris; B.v. 25.8.2015 – M 4 E 15.3554 – juris).
2. Auf Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch kommt es mithin nicht an. Somit ist im Eilverfahren auch nicht die Frage zu beantworten, ob der Antragsteller die Eilbedürftigkeit selbst herbeigeführt hat, indem er zu spät seinen Antrag gestellt hat, und ob sich die Ermessenentscheidung des § 4 Abs. 3 Satz 2 AufenthG wegen § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG zu einem Anspruch des Antragstellers verdichtet hat (vgl. dazu IMS vom 1. September 2016, S. 12) oder ob dieser Ermessensreduktion der Ausschlusstatbestand des § 60a Abs. 6 Nr. 2 AufenthG entgegensteht, weil der Antragsteller keinen Nachweis vorgelegt hat, dass er einen malischen Pass beantragt hat.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. dem Streitwertkatalog.