Verwaltungsrecht

Ausschussbesetzung, Berechnungsverfahren, Ausschussgröße, Auflösung einer Pattsituation

Aktenzeichen  4 ZB 21.1776

Datum:
21.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 33618
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GO § 33 Abs. 1 S. 2 und 3

 

Leitsatz

Die kommunalen Vertretungskörperschaften sind bei der Auswahl eines der zulässigen Berechnungsverfahren für die Ausschussbesetzung auch dann frei, wenn das gewählte Verfahren zu einer Pattsituation zwischen zwei in gleicher Stärke im Gremium vertretenen Parteien und Wählergruppen führt (Art. 33 Abs. 1 Satz 3 GO). Eine Pattsituation zwingt auch nicht dazu, die Ausschussgröße zu verändern.

Verfahrensgang

M 7 K 20.3447 2021-05-12 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Beteiligten streiten über die Besetzung von drei Ausschüssen des Gemeinderats der Beklagten.
Aufgrund der Kommunalwahl am 15. März 2020 entfielen von den insgesamt 24 Sitzen im Gemeinderat der Beklagten auf die CSU neun Sitze, auf die SPD und Bündnis 90/DIE GRÜNEN je vier Sitze, auf die Junge Union drei und auf die Vereinigte Freie Wählergemeinschaft sowie die FDP je zwei Sitze.
In der konstituierenden Sitzung am 11. Mai 2020 änderte der (neue) Gemeinderat der Beklagten die Satzung zur Regelung von Fragen des örtlichen Gemeindeverfassungsrechts dahingehend, die Zahl der ständigen Ausschüsse (von zuletzt fünf) auf vier zu verringern und den Bauausschuss, den Ferienausschuss und den Hauptausschuss mit jeweils zehn (statt bisher elf) ehrenamtlichen Gemeinderatsmitgliedern zuzüglich des Vorsitzenden zu besetzen. Gleichzeitig gab sich der Gemeinderat der Beklagten eine Geschäftsordnung, in der bestimmt wurde, dass die Ausschusssitze (wie bisher) nach dem Verfahren Hare-Niemeyer verteilt werden und dass bei gleichem Anspruch auf einen Ausschusssitz die größere Zahl der bei der Gemeinderatswahl auf die Wahlvorschläge der betroffenen Parteien oder Wählergruppen abgegebenen Stimmen entscheidet. Die Geschäftsordnung wurde mit 19 zu sechs Stimmen beschlossen. Den Antrag der Klägerin, für die Besetzung der Ausschüsse das Berechnungsverfahren nach Sainte-Laguë/Schepers anzuwenden, und den später gestellten Antrag der Klägerin, die genannten drei Ausschüsse mit elf anstatt mit zehn Sitzen auszustatten, lehnte der Gemeinderat der Beklagten mit jeweils 19 zu sechs Stimmen ab.
Unter Anwendung des Verfahrens Hare-Niemeyer erhielten in diesen drei Ausschüssen die CSU vier, die SPD zwei und die Klägerin sowie die drei weiteren im Gemeinderat der Beklagten vertretenen Parteien und Wählergruppen je einen Sitz. Da die SPD und die Klägerin die gleiche Anzahl von Sitzen im Gemeinderat erreicht haben, erhielt die SPD den zusätzlichen Ausschusssitz aufgrund der größeren Zahl der auf sie abgegebenen Wählerstimmen.
Gegen die Besetzung der (genannten drei) Ausschüsse erhob die Klägerin Klage zum Verwaltungsgericht München. Das Spiegelbildlichkeitsprinzip des Art. 33 Abs. 1 Satz 2 GO sei verletzt, wenn von zwei im Gemeinderat mit der gleichen Anzahl von Sitzen vertretenen Parteien die eine Partei zwei Ausschusssitze und die andere nur einen Ausschusssitz bekomme oder wenn eine Partei, hier die CSU, die mit neun Sitzen im Gemeinderat vertreten sei, vier Sitze in den Ausschüssen und die Klägerin mit vier Sitzen im Gemeinderat nur einen Ausschusssitz erhalte. Diese unterschiedliche Behandlung hätte vermieden werden können, wenn der Gemeinderat das Verfahren nach Sainte-Laguë/Schepers angewandt hätte. Dann hätten die beiden gleich stark im Gemeinderat vertretenen Parteien zulasten einer dritten (CSU) je zwei Ausschusssitze erhalten. Dies hätte dem Spiegelbildlichkeitsprinzip insgesamt am ehesten entsprochen. Das wäre auch der Fall gewesen, wenn man die Größe der Ausschüsse von elf Mitgliedern, wie sie seit 1996 bestanden habe, beibehalten hätte. Die von der Beklagten genannten Gründe für die Verringerung der Größe der Ausschüsse seien vorgeschoben. In der Vergangenheit habe es kaum Pattsituationen in den Ausschüssen gegeben. Auch die Arbeitsfähigkeit der Ausschüsse werde durch die Verringerung um einen Sitz nicht verbessert. Die Kombination der Verringerung der Zahl der Ausschusssitze von elf auf zehn und der Anwendung des Verfahrens Hare-Niemeyer führe hier zu einem Verstoß gegen das Gebot der Spiegelbildlichkeit nach Art. 33 Abs. 1 Satz 2 GO. Die Regelungen zur Ausschussgröße und zur Ausschussbesetzung seien bewusst erlassen worden, um der Klägerin den ihr zustehenden Ausschusssitz vorzuenthalten. Nach dem im Spiegelbildlichkeitsprinzip verkörperten Demokratieprinzip seien die Regelungen zur Größe der Ausschüsse und zum Berechnungsverfahren gemäß der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts so zu wählen, dass die einzelnen Parteien und Wählergruppen in den Ausschüssen entsprechend ihrer Stärke im Gemeinderat vertreten seien. Davon sei hier bewusst und in Diskriminierungsabsicht zulasten der Klägerin abgewichen worden. Auch der Gesetzgeber habe bei den Kommunalwahlen dem Verfahren Sainte-Laguë/Schepers den Vorzug gegeben, weil dieses das gerechteste Verfahren zur Umsetzung von Wahlergebnissen sei. Das gleiche gelte für die Ausschussbesetzung anhand der bei der Wahl erreichten Sitze im Gemeinderat gerade bei einer Konstellation, wie sie hier vorliege.
Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Urteil vom 12. Mai 2021 ab. Die Klage sei zulässig, jedoch unbegründet. Die vom Gemeinderat der Beklagten bestimmten Regelungen für die Ausschussbesetzung seien rechtmäßig. Die Klägerin habe daher keinen Anspruch auf Neubesetzung der Ausschusssitze. Weder sei die Verringerung der Zahl der Sitze in den Ausschüssen rechtswidrig noch widerspreche das gewählte Verfahren zur Besetzung der Ausschüsse dem in Art. 33 Abs. 1 Satz 2 GO verankerten Spiegelbildlichkeitsprinzip. Auch eine unzulässige Diskriminierung der Klägerin durch die von der Beklagten gewählten Regelungen liege nicht vor.
Gegen das Urteil richtet sich der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung, indem sie das Klagevorbringen vertieft. Die Beklagte tritt dem Antrag entgegen; die Beigeladenen haben sich im Zulassungsverfahren nicht geäußert.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Behördenakten verwiesen.
II.
1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Der geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 1, 2, 3 und 4 VwGO sind nicht ausreichend dargelegt im Sinn von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO oder liegen nicht vor.
a) Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die Klägerin hat keinen einzelnen tragenden Rechtssatz und keine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt (zu diesem Maßstab BVerfG, B.v. 18.6.2019 – 1 BvR 587/17 – BVerfGE 151, 173 Rn. 32 m.w.N.).
Es ist auch unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens der Klägerin nicht ernstlich zweifelhaft, dass die Regelungen der Beklagten hinsichtlich der Größe und Besetzung ihrer Ausschüsse rechtmäßig sind.
aa) § 2 der Satzung der Beklagten zur Regelung von Fragen des örtlichen Gemeindeverfassungsrechts, in dem in der konstituierenden Sitzung des neu gewählten Gemeinderats festgelegt wurde, die Zahl der Mitglieder in den maßgeblichen drei Ausschüssen auf zehn festzusetzen, begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Für die Größe der – hier streitgegenständlichen – Ausschüsse gibt es keine gesetzlichen Vorgaben. Es liegt im Organisationsermessen der Beklagten und ihres Vertretungsorgans, die Größe der Ausschüsse entsprechend ihrer Aufgabe festzulegen (vgl. BVerwG, U.v. 9.12.2009 – 8 C 17.08 – BayVBl 2010, 632 = juris Rn. 29). Das Verwaltungsgericht weist in seinem Urteil (UA S. 28) zu Recht darauf hin, dass das Ziel einer effektiven, das Gemeinderatsgremium entlastenden Ausschussarbeit wesentliches Kriterium bei der Festlegung der Ausschussgröße sein soll. Die Mitgliederzahl eines Ausschusses darf lediglich nicht so gering bemessen werden, dass ansehnlich große Fraktionen und Gruppen von einer Vertretung im Ausschuss ausgeschlossen wären, sodass der Ausschuss kein Spiegelbild der Zusammensetzung des Gemeinderats mehr darstellen würde. Denn Art. 33 Abs. 1 Satz 2 GO verlangt nicht die Festlegung einer im Sinne des Spiegelbildlichkeitsgebots optimierten Ausschussgröße, sondern verbietet lediglich grobe Verzerrungen der Stärkeverhältnisse im Plenum (vgl. BayVGH, B.v. 12.9.2006 – 4 ZB 06.535 – juris Rn. 10; U.v. 17.3.2004 – 4 BV 03.1159 – BayVBl 2004, 429 = juris Rn. 15), die bei der hier festgelegten Ausschussgröße bei keinem Berechnungsverfahren eintreten können. Angesichts der Gesamtzahl der Gemeinderatsmitglieder (24) ist die Größe dieser Ausschüsse sehr großzügig gewählt, sodass auch kleinere Parteien und Wählergruppen, hier sogar alle im Gemeinderat der Beklagten vertretenen Parteien und Wählergruppen, mindestens einen Sitz erhalten.
Rechtliche Bedenken bestehen auch nicht im Hinblick darauf, dass die Ausschussgröße in der vergangenen Wahlperiode bei elf Mitgliedern lag. Der neugewählte Gemeinderat hat nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, sich eine neue Geschäftsordnung zu geben oder – wie hier – die Satzung zur Regelung von Fragen des örtlichen Gemeindeverfassungsrechts entsprechend seinem Willen zu bestätigen oder zu ändern. Die Geschäftsordnung des Gemeinderats gilt nicht über das Ende seiner Wahlzeit hinaus (vgl. BayVGH, B.v. 10.12.2020 – 4 C 20.2271 – BayVBl 2021, 273 Rn. 20). Der Gemeinderat der vergangenen Wahlperiode kann keine Geschäftsordnungsregelungen für die neue Wahlperiode treffen. Der neugewählte Gemeinderat ist daher auch nicht an die vom Gemeinderat der vergangenen Wahlperiode erlassenen Regelungen gebunden. Das gilt auch für die Ausschussgröße.
Die Größe der Ausschüsse kann grundsätzlich auch unabhängig davon bestimmt werden, welches Berechnungsverfahren zur Besetzung der Ausschusssitze angewendet wird. Das gilt erst recht, wenn die Ausschüsse wie hier so viele Mitglieder haben, dass über 40% der Mitglieder des Gemeinderats darin vertreten sind. Angesichts der Größe der Ausschüsse im Verhältnis zur Größe des Gemeinderats ist es unter keinem Gesichtspunkt zu beanstanden, wenn die Zahl der Ausschussmitglieder von elf auf zehn verringert wird. Ohne dass es einer weiteren Rechtfertigung bedarf, ist auch die weitere Begründung der Beklagten für die Festlegung einer geraden Zahl der Ausschussmitglieder neben dem Vorsitzenden, nämlich die Vermeidung einer Pattsituation, objektiv nachvollziehbar und zwar unabhängig davon, wie oft es in der vergangenen Wahlperiode unter Berücksichtigung der damaligen Besetzung zu solchen Pattsituationen gekommen ist, weil das Abstimmungsverhalten nach der Neuwahl des Gemeinderats nicht vorhersehbar ist.
bb) Auch das von der Beklagten gewählte Verfahren nach Hare-Niemeyer für die Besetzung der Ausschüsse ist, was das Verwaltungsgericht ebenfalls zutreffend zugrunde legt, rechtmäßig.
Der Landesgesetzgeber hat zu dieser Frage keine näheren Vorgaben gemacht und insbesondere nicht das für die Kommunalwahlen geltende Divisorverfahren nach Sainte-Laguë/Schepers (vgl. Art. 35 Abs. 2 GLKrWG) verbindlich vorgeschrieben. Die kommunalen Gremien haben daher grundsätzlich die Auswahl unter den verschiedenen Berechnungsverfahren, die den aus dem Prinzip der repräsentativen Demokratie und aus dem Gebot der Wahlgleichheit folgenden ungeschriebenen Anforderungen gerecht werden (BayVGH, U.v. 17.3.2004 – 4 BV 03.1159 – VGH n.F. 57, 49/51 = BayVBl 2004, 429 m.w.N.). Zu diesen verfassungsrechtlich zulässigen Verfahren gehört nach ständiger Rechtsprechung nicht nur das Höchstzahlverfahren nach d’Hondt, sondern auch das Verfahren nach Hare-Niemeyer (vgl. BayVGH, U.v. 17.3.2004 a.a.O. Rn.16; VerfGH vom 10.6.1994, VerfGH 47, 154/156 = BayVBl. 1994, 656 m.w.N.), das im Vergleich zum Verfahren nach d`Hondt kleinere Parteien und Wählergruppen begünstigt, auch wenn es die Erfolgswertgleichheit nicht in exakt gleichem Maße erfüllt wie etwa das in neuerer Zeit vielfach verwendete Verfahren nach Sainte-Laguë/Schepers (vgl. BayVGH, B.v. 15.12.2020 – 4 CE 20.2166 – juris Rn. 21).
Einen Anspruch auf Anwendung dieses aus Sicht der Klägerin vorzugswürdigen Verfahrens gibt es jedoch nicht. Der Kommunalgesetzgeber hat, nachdem sich mit keinem der Verfahren eine exakte Spiegelbildlichkeit der Sitzverteilung erreichen lässt, ebenso wie der Verfassungsgeber darauf verzichtet, die örtlichen Volksvertretungen auf die Wahl des jeweils „bestmöglichen“ Verfahrens festzulegen (vgl. BayVGH, U.v. 8.5.2015 – 4 BV 15.201 – VGH n.F. 68, 112 Rn. 30 = BayVBl 2015, 712; VerfGH, E.v. 26.10.2009, a.a.O., 206; VerfGH RhPf, U.v. 23.1.2018 – VGH O 17/17 – NVwZ-RR 2018, 546 Rn. 71 m.w.N.; Lohner/Zieglmeier, BayVBl 2007, 481/487 f.; a. A. Schreiber, BayVBl 1996, 134 ff., 170 ff.).
Die kommunalen Vertretungskörperschaften sind daher frei, eines der zulässigen Berechnungsverfahren für die Ausschussbesetzung zu wählen. Die Beweggründe der Gemeinde- oder Stadtratsmitglieder sind grundsätzlich unerheblich. Maßgebend für die Wahl eines bestimmten Verfahrens können je nach Konstellation im Gremium grundsätzliche Erwägungen sein, wie etwa der Wunsch, die Mehrheit im Gemeinde- oder Stadtrat auch in den Ausschüssen, vor allem den beschließenden Ausschüssen abzubilden oder die Beteiligung möglichst vieler Parteien und Wählergruppen auch in den Ausschüssen anzustreben. Als legitim können aber auch eigennützige Gründe anzusehen sein, wie etwa die Wahl desjenigen Verfahrens, das der eigenen Partei oder Wählergruppe oder (kommunal-)politisch nahestehenden Parteien oder Wählergruppen eine größere Zahl an Ausschusssitzen einbringt (vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v. 15.12.2020 – 4 CE 20.2166 – juris Rn. 22).
Diese Grundsätze gelten unabhängig davon, welche Auswirkungen die Wahl des Berechnungsverfahrens auf die Zusammensetzung der Ausschüsse hat. Lediglich bei Anwendung des d`Hondtschen Verfahrens bestehen rechtliche Grenzen im Hinblick auf das Verbot der sog. Überaufrundung (vgl. BayVGH, U.v. 17.3.2004 – 4 BV 03.117 – BayVBl 2004, 432 = juris Leitsatz 2 und Rn. 46, 63). Eine Überaufrundung liegt vor, wenn eine Partei oder Wählergruppe eine Zahl von Sitzen im Ausschuss erhalten würde, die die aufgerundete Zahl aus der mathematischen Proportionalberechnung (Anzahl der Stadträte der jeweiligen Partei oder Wählergruppe multipliziert mit der Anzahl der zu vergebenen Ausschusssitze geteilt durch die Anzahl aller Stadtratssitze) übersteigen würde (BayVGH, B.v. 7.12.2020 – 4 CE 20.2032 – juris Rn. 41). Das Verbot der Überaufrundung gilt auch für beide der in Art. 33 Abs. 1 Satz 3 GO vorgesehenen Pattauflösungsregeln (vgl. BayVGH, U.v. 8.5.2015 – 4 BV 15.201 – BayVBl 2015, 712 Rn. 31). Zu einer Überaufrundung kann es bei der Anwendung des Hare-Niemeyer-Verfahrens systembedingt jedoch nicht kommen.
Abgesehen vom Verbot der Überaufrundung sind die Kommunen hinsichtlich der Wahl des Berechnungsverfahrens auch dann frei, wenn das gewählte Ausschussbesetzungsverfahren zu einer Pattsituation führt, die nach Art. 33 Abs. 1 Satz 3 GO aufzulösen ist, die aber durch die Wahl eines anderen Berechnungsverfahrens vermieden würde. Eine Pattsituation zwingt die Gemeinde auch dann nicht zur Wahl eines anderen Berechnungsverfahrens, wenn das gewählte Verfahren in Zusammenhang mit der Pattauflösung – wie hier – dazu führt, dass eine Partei oder Wählergruppe, die dieselbe Anzahl an Sitzen im Gemeinderat wie eine andere Partei oder Wählergruppe hat, über die Pattauflösungsregel die doppelte Anzahl von Sitzen (hier: 2:1) in den Ausschüssen erhält.
Die Auflösung einer Pattsituation ist in Art. 33 Abs. 1 Satz 3 GO gesetzlich geregelt. Die Vorschrift regelt nicht, dass eine Pattsituation durch die Wahl eines entsprechenden Berechnungsverfahrens möglichst zu vermeiden ist. Es ist bei allen genannten Berechnungsverfahren je nach Konstellation möglich, dass die mathematische Spiegelbildlichkeit nicht erreicht wird, sondern der prozentuale Anteil der Ausschussmitglieder vom prozentualen Anteil der Gemeinderatsmitglieder der einzelnen Parteien und Wählergruppen zum Teil erheblich abweicht, wie das Verwaltungsgericht in seinem Urteil auch tabellarisch dargestellt hat. Die Abweichung von der Spiegelbildlichkeit um maximal einen Sitz ist grundsätzlich hinzunehmen. Sie ist eine häufige Folge der im Gesetz vorgesehenen Pattauflösung.
cc) Die von der Gemeinderatsmehrheit gewählte Kombination der Reduzierung der Ausschusssitze von elf auf zehn unter gleichzeitiger Anwendung des Hare-Niemeyer-Verfahrens kann auch nicht als Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten angesehen werden.
In der Geschäftsordnung des Gemeinderats getroffene Organisations- oder Verfahrensregelungen sind willkürlich und daher unzulässig, wenn sie sich gegen eine bestimmte politische Gruppierung richten und das alleinige oder vorrangige Ziel verfolgen, deren Tätigkeit zu beeinträchtigen oder sie als unerwünschte politische Kraft auszuschalten (BayVGH, U.v. 16.2.2000 – 4 N 98.1341 – VGH n.F. 53, 64/68 = BayVBl 2000, 467 m.w.N.; B.v. 12.10.2010 – 4 ZB 10.1246 – BayVBl 2011, 269 Rn. 6; ebenso HessVGH, B.v. 4.8.1983 – 2 TG 40/83 – NVwZ 1984, 54; OVG SH, U.v. 15.3.2006 – 2 LB 48/05 – juris Rn. 55 ff.; Heusch, NVwZ 2017, 1325/1329). Ob eine solche vom Zweck der Geschäftsordnungsautonomie nicht mehr gedeckte diskriminierende Gestaltung des ratsinternen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesses vorliegt, beurteilt sich nicht allein anhand der offiziellen Erklärungen jener Fraktionen und Wählergruppen, die sich mehrheitlich für die betreffenden Bestimmungen ausgesprochen haben. Von Bedeutung sind darüber hinaus die äußeren Umstände, die dem Erlass der Vorschriften zugrunde liegen, sowie die möglichen Sachgründe, die sich für das gewählte Regelungskonzept anführen lassen. Je stärker von einer bisher überwiegend akzeptierten Handhabung abgewichen wird und je gezielter die gewählte Verfahrensgestaltung auf einen bestimmten (Ausgrenzungs-)Effekt hin zugeschnitten erscheint, desto gewichtiger müssen die sachbezogenen Argumente sein, die das Vorgehen der Ratsmehrheit rechtfertigen (vgl. zuletzt BayVGH, B.v. 7.12.2020 – 4 CE 20.2032 – juris Rn. 28).
Für die Annahme einer bewussten Diskriminierung der Klägerin gibt es keine Anhaltspunkte. Das Berechnungsverfahren für die Ausschussbesetzung wurde vom neugewählten Gemeinderat im Vergleich zum Verfahren der letzten Wahlperiode ohnehin nicht verändert. Die Verringerung der Zahl der Ausschusssitze um einen Sitz ist, wie ausgeführt, rechtlich nicht zu beanstanden. Daraus lässt sich kein vorrangiges Ziel der Gemeinderatsmehrheit ableiten, die Klägerin als unerwünschte politische Kraft zu schwächen. Die im neugewählten Gemeinderat vertretenen Parteien und Wählergruppen dürfen im rechtlich vorgegebenen Rahmen die Konstellation wählen, die ihnen oder ggf. ihnen (kommunalpolitisch) nahestehenden Parteien und Wählergruppen die größtmöglichen Vorteile bringen.
b) Der von der Klägerin ferner geltend gemachte Zulassungsgrund der besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten der Rechtssache (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegt ebenfalls nicht vor.
Die Rechtssache weist keine überdurchschnittliche Schwierigkeit auf, die das normale Maß übersteigt (vgl. BayVGH, B.v. 3.11.2011 – 8 ZB 10.2931 – BayVBl 2012, 147 = juris Rn. 28 m.w.N.). Der Zulassungsantrag wirft weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht Fragen auf, die von solcher Schwierigkeit wären, dass sich die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels nicht im Zulassungsverfahren, sondern erst im Rechtsmittelverfahren selbst klären ließen (vgl. OVG NW, B.v. 4.12.2020 – 15 A 4847/19 – juris Rn. 8; Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124 Rn. 108).
c) Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.
Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung setzt voraus, dass eine konkrete, bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert wird, die für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung (entscheidungserheblich) war, deren Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und der eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 72).
Die Klägerin hält die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob (ex post) Veränderungen der Ausschussgröße unter gleichzeitiger Beibehaltung des Hare-Niemeyer-Verfahrens zulasten einer einzigen Fraktion rechtmäßig sind.
Diese Frage ist nicht klärungsbedürftig, sondern in der Rechtsprechung des Senats geklärt. Der neu gewählte Gemeinderat bestimmt die Größe der Ausschüsse autonom und unabhängig vom Willen und der Praxis des Gemeinderats der vergangenen Wahlperiode, wie oben näher ausgeführt. Insoweit liegt schon keine „Ex-Post-Veränderung“ vor. Eine Ausschussgröße von zehn Sitzen begegnet bei einer Größe des Gemeinderats von 24 Mitgliedern in keiner Hinsicht rechtlichen Bedenken. Die Größe der Ausschüsse steht mit dem Berechnungsverfahren in keinem rechtlichen Zusammenhang. Die Reduzierung der Ausschussgröße um einen Sitz geht notwendigerweise zulasten (nur) einer im Gemeinderat vertretenen Partei oder Wählergruppe.
Die Regelungen der Beklagten zur Besetzung der Ausschüsse widersprechen auch nicht der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aus seinem Urteil vom 9. Dezember 2009 (Az. 8 C 17.08 – juris). Vielmehr hat das Bundesverwaltungsgericht in dieser Entscheidung (Rn. 28) auf den Losentscheid hingewiesen, der häufig dazu führt, dass eine von zwei Parteien oder Wählergruppen, die mit gleicher Stärke im Gemeinderat vertreten sind, einen Sitz mehr erhält als die andere gleich starke Gruppierung.
d) Der Zulassungsgrund der Divergenz (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) ist nicht ausreichend dargelegt im Sinne von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO). Er liegt auch nicht vor. Das Urteil des Verwaltungsgerichts weicht nicht von einer Entscheidung eines in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO genannten Gerichts, insbesondere nicht vom Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Dezember 2009 (a.a.O.) ab.
Eine Divergenz im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO setzt voraus, dass ein Rechts- oder Tatsachensatz des Verwaltungsgerichts von einem tragenden Rechts- oder Tatsachensatz des Divergenzgerichts abweicht und die Entscheidung darauf beruht. Die divergierenden Sätze müssen einander so gegenübergestellt werden, dass die Abweichung erkennbar wird (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 73 m.w.N.). Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes bestehen. Dass in der angegriffenen Entscheidung ein in der Rechtsprechung der übergeordneten Gerichte aufgestellter Grundsatz lediglich übersehen, übergangen oder in sonstiger Weise nicht richtig angewendet wurde, ist nicht ausreichend (BVerwG, B.v. 20.7.2016 – 6 B 35.16 – juris Rn. 12 m.w.N.).
Die Klägerin stellt schon keine Rechtssätze gegenüber. Sie benennt auch keinen Rechtssatz, den das Verwaltungsgericht aufgestellt haben soll und der einem Rechtssatz in den vom Kläger (nur mit den Eckdaten) zitierten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts oder einem Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts im genannten Urteil widersprechen würde.
Die von der Klägerin zitierte Passage aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts lautet:
„Wenn aber, wie hier, durch eine moderate Erhöhung der Zahl der Mitglieder von fünf auf sieben bereits gesichert werden kann, dass sowohl der Spiegelbildlichkeitsgrundsatz als auch das Mehrheitsprinzip bei der Besetzung der Ausschüsse gewahrt sind, wäre dies eine Möglichkeit des schonenden Ausgleichs zwischen beiden Prinzipien.“
Bei dieser Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ging es um die Zulassung gemeinsamer Wahlvorschläge von Koalitionsfraktionen zur Sicherung des Mehrheitsprinzips, die das Bundesverwaltungsgericht für unzulässig gehalten hat. Das entspricht der Rechtsprechung des Senats, die nicht zulässt, dass Parteien oder Wählergruppen, die kraft eigener Stärke Anspruch auf einen Ausschusssitz haben, sich zum Zwecke des Erreichens einer größeren Zahl von Ausschusssitzen zusammenschließen (vgl. BayVGH, U.v. 8.1.1986 – 4 B 85 A.2700 – BayVBl 1986, 466; ebenso Raithel, BayGT 2020, 325).
Bei der von der Klägerin zitierten Aussage des Bundesverwaltungsgerichts handelt es sich um einen nicht entscheidungserheblichen Vorschlag zum schonenden Ausgleich des Mehrheitsprinzips einerseits und des Spiegelbildlichkeitsprinzips andererseits im Wege der praktischen Konkordanz im dort konkret vorliegenden Einzelfall, in dem die Größe der Ausschüsse mit nur fünf Mitgliedern bei 31 Mitgliedern im Vertretungsgremium äußerst gering gewählt war. Diese Aussage stellt schon keinen Rechtssatz dar und ist auch nicht verallgemeinerungsfähig.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Da die anwaltlich nicht vertretenen Beigeladenen keinen Antrag gestellt und sich damit keinem Kostenrisiko ausgesetzt haben, entspricht es der Billigkeit, dass sie ihre etwaigen außergerichtlichen Kosten selbst tragen (vgl. § 154 Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO). Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 2 GKG i.V.m Nr. 22.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
3. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben