Verwaltungsrecht

Außeruniversitäre Kapazitätsberechnung von Universitäten

Aktenzeichen  7 CE 17.10065

Datum:
29.6.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 117064
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
HZV § 54 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

1 Erst mit dem „neuen Chefarztrecht“, wonach Privatpatienten nicht mehr Patienten des Chefarztes, sondern Patienten des Klinikums sind, sind die betreffenden Privatbetten von der Universität als tagesbelegte Betten des Klinikums anzusehen und in die Kapazitätsberechnung einzubeziehen.  (redaktioneller Leitsatz)
2 Für die „Altfälle“ bleibt es bis zum Ausscheiden der Chefärzte, welche noch über einen Chefarztvertrag nach „Altrecht“ verfügen, unverändert dabei, dass deren Privatpatienten für den Unterricht am Krankenbett nicht zur Verfügung stehen und deshalb auch nicht in die Kapazitätsberechnung einzubeziehen sind. (redaktioneller Leitsatz)
3 § 54 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und 2 HZV verlangt lediglich eine Erhöhung der patientenbezogenen Aufnahmekapazität in dem Verhältnis, in dem sich die außeruniversitäre Klinik am Gesamtaufwand für die Ausbildung der Studierenden am Patienten im klinischen Teil des Studiengangs tatsächlich beteiligt. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 7 E 16.20210 2017-02-21 VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Die Beschwerden werden zurückgewiesen.
II. Die Antragsteller und Antragstellerinnen tragen jeweils die Kosten der Beschwerdeverfahren.
III. Der Streitwert für die Beschwerdeverfahren wird jeweils auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller und Antragstellerinnen (im Folgenden: Antragsteller) begehren im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Zulassung zum Studium der Humanmedizin im ersten klinischen Fachsemester an der J.-M1.-Universität W. (Universität) nach den Rechtsverhältnissen des Wintersemesters 2016/2017. Sie machen geltend, die Universität habe ihre tatsächliche Ausbildungskapazität nicht ausgeschöpft.
Das Bayerische Verwaltungsgericht Würzburg hat die Anträge mit Beschluss vom 21. Februar 2017 abgelehnt.
Mit ihren Beschwerden verfolgen die Antragsteller ihr Rechtsschutzziel weiter. Sie tragen vor, die Universität habe die patientenbezogene Kapazität (§ 54 HZV) nicht zutreffend ermittelt. Die Betten der Privatpatienten seien in voller Höhe in Ansatz zu bringen und nicht lediglich insoweit, als die Klinikleiter über Verträge nach „neuem Chefarztrecht“ verfügten. Ebenso sei zu beanstanden, dass die Universität von ihrer früheren Berechnungsmethode in Bezug auf die tagesbelegten Betten der außeruniversitären Klinik (Orthopädische Klinik des Bezirks Unterfranken) abgewichen sei. Schließlich seien auch die im zweiten klinischen Fachsemester frei gebliebenen Studienplätze für Studierende des ersten klinischen Fachsemesters zu verwenden. Auf die Schriftsätze des Bevollmächtigten der Antragsteller vom 15. März 2017 und 15. Mai 2017 wird verwiesen.
Der Antragsgegner widersetzt sich den Beschwerden.
Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerden haben keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen, auf das sich die Prüfung des Senats beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), begründet den geltend gemachten Anordnungsanspruch der Antragsteller nicht.
1. Das Verwaltungsgericht geht zu Recht davon aus, dass die Universität ihre Ausbildungskapazität im klinischen Teil des Studiengangs Humanmedizin (erstes klinisches Fachsemester) erschöpft hat. Die Antragsteller haben danach keinen Anspruch auf Zulassung, weil die Zahl der im Wintersemester 2016/2017 im ersten klinischen Fachsemester eingeschriebenen Studierenden die festgesetzte Zulassungszahl ausgeschöpft hat. Der Senat folgt den Gründen des angefochtenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts und nimmt hierauf Bezug (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Ergänzend ist zu bemerken:
Die im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Einwände der Antragsteller gegen die Berechnung der patientenbezogenen Aufnahmekapazität der Universität (§ 54 der Verordnung über die Hochschulzulassung an den staatlichen Hochschulen in Bayern [Hochschulzulassungsverordnung – HZV] vom 18.6.2007 [GVBl S. 401; BayRS 2210-8-2-1-1-K], zuletzt geändert durch Verordnung vom 27.4.2017 [GVBl S. 96]) greifen im Ergebnis nicht durch.
a) Die Universität hat die Privatbetten der Kinderklinik und Poliklinik (Kinderheilkunde) und der Klinik und Poliklinik für Strahlentherapie (Radiologie) zu Recht deshalb noch nicht in die Berechnung der tagesbelegten Betten (§ 54 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 HZV) einbezogen, weil die Klinikleiter noch über einen Chefarztvertrag nach „Altrecht“ verfügen und deren Privatpatienten deshalb nicht als Patienten des Universitätsklinikums anzusehen sind. Der Senat hat bereits in seiner Entscheidung vom 3. April 1985 (Az. 7 CE 85 B.182) ausgeführt, dass die Privatpatienten der seinerzeit im Rahmen einer dienstrechtlichen Nebentätigkeit liquidationsberechtigten Klinikärzte nicht Patienten der Universität, sondern Patienten des jeweiligen Arztes sind und deshalb für die Ausbildung der Studierenden (Unterricht am Krankenbett) von vorneherein nicht zur Verfügung stehen mit der Folge, dass die betreffenden Patientenbetten insoweit nicht als tagesbelegte Betten im Sinne des Kapazitätsrechts anzusehen sind. An dieser Rechtsprechung hat der Senat trotz der hiergegen erhobenen Einwände seitdem unverändert festgehalten und bestätigt, dass die Privatpatienten der liquidationsberechtigten Klinikärzte, welche von jenen aufgrund eines gesonderten Behandlungsvertrages behandelt werden, seit jeher nicht der Ausbildung der Studierenden (Unterricht am Krankenbett) dienen und ihre Einbeziehung in die Berechnung der patientenbezogenen Kapazität vom Verordnungsgeber auch nicht gewollt war (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 10.4.1987 – 7 CE 86.12013). Erst mit dem „neuen Chefarztrecht“, wonach Privatpatienten nicht mehr Patienten des Chefarztes, sondern Patienten des Klinikums sind, werden die betreffenden Privatbetten folgerichtig von der Universität als tagesbelegte Betten des Klinikums angesehen und in die Kapazitätsberechnung einbezogen. Für die „Altfälle“ bleibt es jedoch – worauf die Universität zu Recht hinweist – bis zum Ausscheiden der Chefärzte, welche noch über einen Chefarztvertrag nach „Altrecht“ verfügen, unverändert dabei, dass deren Privatpatienten für den Unterricht am Krankenbett nicht zur Verfügung stehen und deshalb auch nicht in die Kapazitätsberechnung einzubeziehen sind.
b) Entgegen der Ansicht der Antragsteller ist die von der Universität vorgenommene Änderung bei der Ermittlung der zusätzlichen patientenbezogenen Kapazität der Universität (§ 54 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 HZV) in Bezug auf die Beteiligung der außeruniversitären Klinik (Orthopädische Klinik des Bezirks Unterfranken) im klinischen Teil des Studiengangs Medizin gerichtlich nicht zu beanstanden.
§ 54 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 HZV bestimmt: Soweit in außeruniversitären Krankenanstalten Lehrveranstaltungen für diesen Studienabschnitt vereinbarungsgemäß und auf Dauer durchgeführt werden, erhöht sich die patientenbezogene jährliche Aufnahmekapazität entsprechend.
Die Universität hat in ihrer streitgegenständlichen Kapazitätsberechnung die auf der Grundlage des § 54 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 HZV anhand der tagesbelegten Betten und der poliklinischen Neuzugänge des Universitätsklinikums zutreffend ermittelte patientenbezogene jährliche Aufnahmekapazität in dem Verhältnis erhöht, in dem sich die außeruniversitäre Klinik (Orthopädische Klinik des Bezirks Unterfranken) vereinbarungsgemäß und auf Dauer an der Ausbildung der Studierenden im klinischen Teil des Studiengangs Medizin (Unterricht am Krankenbett) beteiligt. Die Approbationsordnung für Ärzte (ÄApprO) gibt eine Gesamtstundenzahl für den Unterricht am Krankenbett in Höhe von 476 vor (§ 2 Abs. 3 Satz 11 ÄApprO), an der sich die außeruniversitäre Klinik in einem Umfang von 12 Stunden beteiligt. Die von der Universität in diesem Verhältnis (12 : 476 = 2,52%) vorgenommene entsprechende Erhöhung ihrer zuvor nach § 54 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 HZV ermittelten patientenbezogenen Aufnahmekapazität steht nicht nur in Übereinstimmung mit dem Wortlaut der Bestimmung, sondern auch dem Sinn und Zweck der Regelung, die lediglich eine Erhöhung der patientenbezogenen Aufnahmekapazität in dem Verhältnis verlangt, in dem sich die außeruniversitäre Klinik am Gesamtaufwand für die Ausbildung der Studierenden am Patienten im klinischen Teil des Studiengangs tatsächlich beteiligt (in diesem Sinne z.B. auch Bahro/Berlin, Das Hochschulzulassungsrecht in der Bundesrepublik Deutschland, 4. Aufl. 2003, Kapazitätsverordnung § 17 Rn. 10; Zimmerling/Brehm, Hochschulkapazitätsrecht Band 2, Aufl. 2013, Rn. 764; SächsOVG, B.v. 7.7.2015 – 2 B 87/15.NC – juris Rn. 18; HessVGH, B.v. 23.6.2015 – 10 B 201/ 15.FM.W4 – juris Rn. 29).
Der Umstand, dass die Universität in der Vergangenheit die Beteiligung der außeruniversitären Klinik an der Ausbildung der Studierenden in einer aus Sicht der Antragsteller günstigeren Weise berechnet hat (anhand der tagesbelegten Betten und der poliklinischen Neuzugänge der außeruniversitären Klinik) ändert nichts daran, dass die nunmehr ermittelte Erhöhung der patientenbezogenen Aufnahmekapazität rechtlich nicht zu beanstanden ist.
c) Auf die Frage, ob im zweiten klinischen Fachsemester noch Studienplätze „frei“ sind, kommt es entgegen der Ansicht der Antragsteller für die gerichtliche Entscheidung nicht an, weil die streitgegenständliche patientenbezogene begrenzte Aufnahmekapazität der Universität (bereits) im ersten klinischen Fachsemester besteht und diese nicht durch etwaige Studienplätze höherer Fachsemester „aufgefüllt“ werden kann.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und Nr. 18.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der 2013 aktualisierten Fassung (abgedruckt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, Anhang) und entspricht der Streitwertfestsetzung im erstinstanzlichen Verfahren.
3. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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