Verwaltungsrecht

Beachtlichkeit der Wiederaufnahmegründe bei einem Zweitantrag nach erfolglosem Asylverfahren in Rumänien

Aktenzeichen  M 2 S 17.47605

Datum:
23.10.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
AsylG AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 36, 71a Abs. 1, Abs. 4
VwVfG VwVfG § 51

 

Leitsatz

Die Beachtlichkeit eines Antrags auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens wegen nachträglicher Änderung der Sachlage zu Gunsten des Asylbewerbers kann nur bejaht werden, wenn dieser eine solche Änderung im Verhältnis zu der der früheren Asylentscheidung zu Grunde gelegten Sachlage glaubhaft und substantiiert vorträgt und die Änderung geeignet ist, sich möglicherweise zu Gunsten des Betroffenen auszuwirken. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 7. September 2017, Az. M 2 K 17.47604, gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 1. September 2017, Az. …, wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist afghanischer Staatsangehöriger, paschtunischer Volks- und sunnitischer Religionszugehörigkeit. Ein erster – am 7.10.2014 in Rumänien gestellter – Asylantrag wurde am 3.12.2014 abgelehnt. Der Antragsteller reiste von Rumänien aus nach Deutschland. Am 13.1.2015 stellte er beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) einen Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens. Zur Begründung brachte er im Wesentlichen vor, dass sein Vater im Jahr 2012 von den Taliban getötet worden sei und er auf dem Weg zur Beerdigung in sein Heimatdorf von Taliban verprügelt worden sei.
Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 1. September 2017, nach Angaben der Bevollmächtigten des Antragstellers zugestellt am 5.9.2017, lehnte das Bundesamt den Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens als unzulässig ab (Nr. 1). Weiter stellte es fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen (Nr. 2). Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheids zu verlassen. Bei Nichteinhaltung der Ausreisefrist wurde ihm die Abschiebung nach Afghanistan oder in einen anderen Staat, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 36 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
Am 7. September 2017 erhob der Antragsteller im Verfahren M 2 K 17.47604 durch seinen Bevollmächtigten Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid. Mit weiterem Schriftsatz vom 7. September 2017 ließ er beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage gem. § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
Zur Antragsbegründung wird im Wesentlichen ausführt, die tatsächliche Situation in Afghanistan habe sich im Vergleich zu der Situation in Afghanistan im Jahr 2014, als das Erstverfahren in Rumänien durchgeführt wurde, so erheblich verschlechtert, dass zum jetzigen Zeitpunkt eine für den Antragsteller günstigere Entscheidung möglich erscheine.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten in diesem sowie im Hauptsacheverfahren M 2 K 17.47604 und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist zulässig.
Der Antrag ist jedoch unbegründet, da keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Vollziehung des streitbefangenen Bescheids i.S.d. § 71a Abs. 4 i.V.m. § 36 Abs. 4 Asylgesetz (AsylG) bestehen. Es sprechen erhebliche Gründe dafür, dass die Ablehnung des Zweitantrags als unzulässig einer rechtlichen Prüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit standhält, weil die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Asylverfahrens des Antragstellers nicht vorliegen.
Gegenstand des Eilverfahrens nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 71a Abs. 4, 36 Abs. 3 und 4 AsylG gegen eine Abschiebungsandrohung nach Ablehnung des Asylantrages als unzulässig gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG ist die unter Setzung einer Ausreisefrist von einer Woche (§ 36 Abs. 1 AsylG) ausgesprochene Abschiebungsandrohung, beschränkt auf die von Gesetzes wegen gegebene sofortige Vollziehbarkeit (§ 75 Abs. 1 AsylG).
Da der Antragsteller bereits ein erfolgloses Asylverfahren in Rumänien, einem sicheren Drittstaat gem. § 26a AsylG, geführt hat, richtet sich der Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach § 71a AsylG (Zweitantrag). Nach Aktenlage bestehen keine Anhaltspunkte, dass das in Rumänien eingeleitete Asylverfahren als nicht erfolglos abgeschlossen i.S.v. § 71a Abs. 1 AsylG zu betrachten sein könnte, weil das Verfahren wegen stillschweigender Antragsrücknahme oder Nichtbetreiben des Verfahrens eingestellt worden ist (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16). Auch der Antragsteller hat diesbezüglich innerhalb offener Frist nichts vorgetragen.
Nach Art. 16a Abs. 4 Satz 1 Grundgesetz (GG), § 71a Abs. 4 i.V.m. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass diese einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166). Prüfungsgegenstand ist dabei die Entscheidung, den früheren Bescheid nicht abzuändern, weil die Voraussetzungen des § 71a Abs. 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) nicht gegeben sind und weil auch keine zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen. Voraussetzung einer nach § 71a Abs. 4 i.V.m. § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG und § 59 AufenthG erlassenen Abschiebungsandrohung ist, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG hinsichtlich der Durchführung eines Folgeverfahrens und auch die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen (§ 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG).
Das Bundesamt ist zur Überzeugung des Gerichts voraussichtlich zutreffend davon ausgegangen, dass der Folgeantrag gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG unzulässig ist, da die Zulässigkeitsanforderungen der § 71a Abs. 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorliegen und Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht gegeben sind. Das Gericht nimmt insoweit auf die Begründung des Bundesamts im streitgegenständlichen Bescheid Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Zusammenfassend und ergänzend ist folgendes festzustellen:
Die Beachtlichkeit eines Antrags auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens wegen nachträglicher Änderung der Sachlage zu Gunsten des Asylbewerbers kann nur bejaht werden, wenn dieser eine solche Änderung im Verhältnis zu der der früheren Asylentscheidung zu Grunde gelegten Sachlage glaubhaft und substantiiert vorträgt (vgl. BVerfG vom 11.5.1993, DVBl 1994, 38) und die Änderung geeignet ist, sich möglicherweise zu Gunsten des Betroffenen auszuwirken. Das Gericht ist dabei nicht befugt, andere als die vom Asylbewerber selbst geltend gemachten Gründe für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens der Prüfung des Antrags zu Grunde zu legen (BVerwG vom 30.8.1988, EZAR 212 Nr. 6, BVerwG vom 21.4.1982, Buchholz 316 § 51 VwVfG Nr. 11). Die Voraussetzungen des § 71a Abs. 1, Abs. 4 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG sind unter Berücksichtigung dieser Grundsätze vorliegend nicht gegeben. Der Kläger hat sich bei Antragstellung lediglich pauschal auf die im Erstverfahren vorgetragenen Gründe bezogen. Er hat seinen Zweitantrag mit keinerlei konkretem, auf seine individuelle Situation bezogenem Vortrag unterlegt. Eine nachträgliche Änderung der Sachlage zu Gunsten des Klägers ist damit weder vorgetragen noch erkennbar.
Aus den gleichen Gründen liegen die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens hinsichtlich der nationalen Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vor. Auch vor dem Hintergrund der vom Vertreter des Antragstellers unter Verweis auf die jüngste Lagebeurteilung des Auswärtigen Amtes vom 28.7.2017 vorgetragenen Änderung der Sicherheitslage in Afghanistan ergibt sich keine andere Beurteilung. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof geht in seiner aktuellen Rechtsprechung auch unter Berücksichtigung der maßgeblichen Erkenntnismittel weiterhin davon aus, dass für ganz Afghanistan die Voraussetzungen einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG nicht vorliegen und dass die Lage in Afghanistan auch nicht derart ist, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und subsidiärer Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG oder ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG anzunehmen wären (vgl. BayVGH, B.v. 21.8.2017 – 13a ZB 17.30529 – juris Rn. 14 f.; B.v. 4.8.2017 – 13a ZB 17.30791 – juris Rn. 6 ff. m.w.N.; B.v. 25.7.2017 – 13a ZB 17.30727 – juris Rn. 16,17 m.w.N.; B.v. 6.4.2017 – 13a ZB 17.30254 – juris Rn. 9). Auch in Bezug auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit nicht vom Vorliegen einer extremen Gefahrenlage auszugehen, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung der genannten Vorschrift führen würde (vgl. BayVGH aaO).
Schließlich führt auch das zwischenzeitliche Absehen von Abschiebungen nach Afghanistan nicht zu offenen Erfolgsaussichten in der Hauptsache. Denn diese Entscheidungen basieren nicht auf rechtlichen, sondern auf politischen Erwägungen (vgl. BayVGH, B.v. 6.4.2017 – 13a ZB 17.30254 – juris Rn. 9).
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG).
Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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