Verwaltungsrecht

Beginn der Frist für die Beantragung von Familienasyl nach Anerkennung der Eltern als Flüchtlinge

Aktenzeichen  W 2 K 18.31007

Datum:
11.10.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 34567
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 26 Abs. 2, Abs. 5, § 71 Abs. 1
VwVfG § 51 Abs. 3 S. 1

 

Leitsatz

1 Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Wege des Familienasyls knüpft nach § 26 Abs. 2 iVm Abs. 5 S. 1 AsylG an die Unanfechtbarkeit der Flüchtlingsanerkennung der Eltern an, daher löst nicht schon die Rechtskraft des Verpflichtungsurteils hinsichtlich der Eltern die Wiederaufgreifensfrist des § 51 Abs. 3 S. 1 VwVfG aus, sondern erst die tatsächliche Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2 Da die Zuerkennung von abgeleitetem Flüchtlingsschutz unabhängig von der Ausstellung eines Flüchtlingsausweises ist, stellt die Ausstellung von Flüchtlingsausweisen für die Eltern keinen geeigneten Anknüpfungspunkt für den Fristbeginn der Wiederaufgreifensfrist des § 51 Abs. 3 S. 1 VwVfG dar. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Gemäß § 101 Abs. 2 VwGO kann das Gericht mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Entsprechende Einverständniserklärungen liegen mit dem Schreiben des Klägerbevollmächtigten vom 22. Juli 2018 und der allgemeinen Prozesserklärung des Bundesamts für … vom 27. Juni 2017 vor.
Zum gem. § 77 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz Asylgesetz (AsylG) maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ist die als isolierte Anfechtungsklage statthafte Klage zwar zulässig, jedoch unbegründet.
Die Ablehnung des Folgeantrags als unzulässig ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
Gem. § 71 Abs. 1 AsylG ist nach Ablehnung eines früheren Asylverfahrens ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 52 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. Gem. § 51 Abs. 3 Satz 1 VwVfG muss der Folgeantrag binnen drei Monaten gestellt werden. Die Frist beginnt gem. § 51 Abs. 3 Satz 2 VwVfG mit dem Tag an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erlangt hat.
Als Wiederaufnahmegrund ist im Folgeantrag vom 22. Februar 2018 lediglich die Beantragung von „Familienasyl“ benannt. Aus dem Kontext geht hervor, dass sich dies auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für die sorgeberechtigten Eltern des Klägers bezieht. Da § 26 Abs. 2 i.V.m. Abs. 5 Satz 1 AsylG an die Unanfechtbarkeit der Flüchtlingsanerkennung der Eltern anknüpft, löst nicht schon die Rechtskraft des Verpflichtungsurteils vom 20. Juli 2017 am 1. September 2017 die Wiederaufgreifensfrist des § 51 Abs. 3 Satz 1 VwVfG aus, sondern erst – wie auch im verfahrensgegenständlichen Bescheid angenommen – die tatsächliche Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft mit Bescheid vom 22. September 2017. Dies gilt unabhängig davon, ob ein Folgeantrag bereits auf der Grundlage eines rechtskräftigen verwaltungsgerichtlichen Verpflichtungsurteils im Vorgriff auf den zu erwartenden Bescheid bereits zulässigerweise gestellt werden kann.
Da die Zuerkennung von abgeleitetem Flüchtlingsschutz gem. § 26 Abs. 2 i.V.m. Abs. 5 Satz 1 AsylG unabhängig von der Ausstellung eines Flüchtlingsausweises ist, stellt die Ausstellung von Flüchtlingsausweisen für die Eltern des Klägers keinen geeigneten Anknüpfungspunkt für den Fristbeginn des § 51 Abs. 3 Satz 1 VwVfG dar. Es ist auch weder substantiiert vorgetragen noch ersichtlich, dass die rechtlich durch einen Anwalt beratenen Eltern sich bezüglich der unanfechtbaren Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft mit Bescheid vom 22. September 2017 im Unklaren waren. Dabei ist nicht nötig, dass sie diese Tatsachen rechtlich zutreffend als Grund für ein Wiederaufgreifen des Asylverfahrens des Klägers erfasst haben. Eine solche Subjektivierung des Fristbeginns würde Unsicherheiten bedingen, die dem Zweck der Frist zuwiderlaufen (ebenso: Sachs in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz 9. Aufl. 2018, § 51/Rn. 134).
Im Übrigen ist auch in der Parallelwertung der Laiensphäre nicht naheliegend, dass das Bundesamt als Erlassbehörde des Anerkennungsbescheides vom 22. September 2017 zum Beleg der Flüchtlingsanerkennung auf die rein als Identitätspapier relevanten Flüchtlingspässen abstellen sollte. Die Identität der Eltern des Klägers bzw. das Fehlen von aktuellen Ausweispapiere wurde seitens der Beklagten zu keinem Zeitpunkt problematisiert oder auch nur thematisiert. Es besteht somit unter keinem denkbaren Gesichtspunkt ein Anlass für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht auf den Anerkennungsbescheid sondern auf die Ausstellung von Flüchtlingspässen abzustellen. Ob für die Beantragung des „Familienasyls“ die daran anknüpfende Möglichkeit der Ausstellung eines Flüchtlingspasses ein ausschlaggebendes Motiv war, ist vom rechtlichen Grund des Folgeantrages, nämlich der Flüchtlingsanerkennung der Eltern, zu unterscheiden. Denn die Ausstellung eines Flüchtlingsreisepasses, die die Beantragung bzw. Verlängerung eines syrischen Reisepasses entbehrlich macht, ist lediglich eine ausländerrechtlich nachgelagerte Frage der Flüchtlingsanerkennung und kann einen Folgeantrag rechtlich nicht begründen. Es verbleibt deshalb dabei dass Anknüpfungspunkt für die Antragsfrist des § 71 Abs. 1 AsylG iV.m. § 51 Abs. 3 VwVfG der Anerkennungsbescheid vom 22. September 2017 ist.
Unter Zurechnung der Kenntnis ihres empfangsberechtigten Verfahrensbevollmächtigten erlangten die Eltern des Klägers, deren Wissen dem Kläger als seine gesetzlichen Vertreter seinerseits zuzurechnen ist, mit der Zustellung des Anerkennungsbescheides am 25. September 2018 somit Kenntnis von der unanfechtbaren Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Jedenfalls ist ohne weiteres davon auszugehen, dass sie auch zeitnah auch selbst tatsächlich Kenntnis vom Anerkenntnisbescheid genommen hatten. Jedenfalls sind weder Gründe vorgetragen, noch ersichtlich, die gegen eine Zurechnung der Kenntnis des die Eltern weiterhin vertretenden Rechtsanwalts sprechen würden. Insbesondere ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass den Eltern des Klägers der Anerkennungsbescheid vom 22. September 2018 nicht zeitnah zum Zustellungszeitpunkt bekannt gewesen oder nicht tatsächlich vom Rechtsanwalt zugeleitet worden sein soll. Da die Beklagte in ihrem angefochtenen Bescheid ebenfalls auf die Zustellung des Anerkennungsbescheides am 25. September 2018 abstellt, hätte ein entsprechender Vortrag zu tatsächlichen Umständen, die die Eltern des Klägers an der tatsächlichen Kenntnisnahme des am 25. September 2018 zugestellten Anerkennungsbescheides gehindert haben könnten, nahe gelegen, so dass es keines gesonderten richterlichen Hinweises dazu mehr bedurfte.
Mithin wurde der Folgeantrag vom 22. Februar 2018 jedenfalls nach Ablauf der Dreimonatsfrist des § 71 Abs. 1 i.V.m. § 51 Abs. 3 VwVfG gestellt, so dass die Beklagte ihn zurecht als unzulässig abgelehnt hat.
Dabei kann offen bleiben, ob bzw. in wieweit sich die Situation in Syrien innerhalb der letzten drei Monate vor Antragstellung tatsächlich geändert bzw. zugespitzt hat. Denn für den Kläger als Säugling bzw. Kleinkind kommt eine Anknüpfung an das alleine in Betracht kommende Flüchtlingsschutzrechtliche Merkmal der (unterstellten) politischen Gesinnung gerade nicht in Betracht. Denn unabhängig von den verschiedenen in der Rechtsprechung vertretenen Positionen wäre es lebensfremd den syrischen Sicherheitsbehörden zu unterstellen, sie würden einem Kleinkind bereits eine eigene politische Gesinnung zuschreiben. Soweit der Kläger eine gesteigerte Rückkehrgefährdung geltend macht, wurde ihr bereits im Rahmen des bereits zuerkannten subsidiären Schutzstatus Rechnung getragen, so dass sie als Anknüpfung für einen Folgeantrag im Hinblick auf die zusätzliche Zuerkennung von Flüchtlingsschutz gerade nicht in Betracht kommt – unabhängig, dass sich der Folgeantrag vom 22. Februar 2018 auch nicht darauf, sondern lediglich auf die abgeleitete Anerkennung gem. § 26 Abs. 2 i.V.m. Abs. 5 Satz 1 AsylG stützt.
Nach alldem ist die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO als unbegründet abzuweisen. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.


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