Verwaltungsrecht

Berufungszulassung wegen rechtsfehlerhafter Ablehnung eines Beweisantrags im Asylprozess

Aktenzeichen  20 ZB 18.30844

Datum:
17.5.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 11866
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 74 Abs. 2, § 78 Abs. 3 Nr. 3
VwGO § 87b Abs. 3, § 138 Nr. 3
ZPO § 114, § 115, § 119, § 121

 

Leitsatz

1 Die fehlerhafte Ablehnung eines bedingten Beweisantrags kann nur dann eine Gehörsrüge nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG iVm § 138 Nr. 3 VwGO begründen, wenn in der Sache die Nichtberücksichtigung wesentlichen Sachvortrags geltend gemacht wird. Denn allein bei einem behaupteten Verstoß gegen die gesetzliche Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO würde es sich nicht um einen absoluten Revisionsgrund nach § 138 VwGO handeln, der von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG erfasst wäre (wie BayVGH  BeckRS 2018, 1331). (Rn. 4) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Unberührt von der Begründungspflicht des Asylbewerbers aus § 74 Abs. 2 S. 1 AsylG bleibt die sich aus dem Untersuchungsgrundsatz des § 86 Abs. 1 VwGO ergebende Verpflichtung der Gerichte, die allgemeine politische Lage im Herkunftsland des Asylbewerbers soweit erforderlich von Amts wegen zu ermitteln. (Rn. 12) (red. LS Clemens Kurzidem)

Verfahrensgang

Au 5 K 17.34830 2018-03-06 Ent VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Den Klägern wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt … …, bewilligt.
II. Die Berufung wird zugelassen.

Gründe

Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe beruht auf § 166 VwGO, § 114, § 115, § 119, § 121 ZPO. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg, nachdem die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 6. März 2018 zuzulassen ist und das materielle Ergebnis nicht feststeht.
Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts ist zuzulassen, weil der in § 138 Nr. 3 VwGO bezeichnete Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG). Durch die Nichtberücksichtigung des mit Schriftsatz vom 5. März 2018 in der mündlichen Verhandlung übergebenen Beweisantrags hat das Verwaltungsgericht das Recht der Kläger auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) verletzt.
Allerdings ist fraglich, wie der in der mündlichen Verhandlung übergebene schriftlich formulierte Beweisantrag rechtlich einzuordnen ist, denn in der Sitzungsniederschrift vom 5. März 2018 ist lediglich vermerkt, dass dem Gericht eine „Zusammenfassung der Fluchtgründe der Kläger und zur allgemeinen Situation der Christen im Irak“ übergeben worden ist.
Der Bevollmächtigte der Kläger geht in seinem Antrag auf Zulassung der Berufung selbst davon aus, dass der Beweisantrag lediglich schriftsätzlich gestellt wurde, so dass es sich um keinen förmlichen, nur durch Gerichtsbeschluss ablehnbaren Beweisantrag im Sinne des § 86 Abs. 2 VwGO gehandelt hat, sondern lediglich um einen sog. bedingten Beweisantrag (vgl. hierzu Schoch/Schneider/Bier/Dawin, § 86 Rn. 95 bis 96), so jedenfalls hat ihn das Verwaltungsgericht verstanden und in seinem Urteil verbeschieden. Die fehlerhafte Ablehnung eines bedingten Beweisantrags kann nur dann eine Gehörsrüge nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO begründen, wenn in der Sache die Nichtberücksichtigung eines wesentlichen Sachvortrags geltend gemacht wird (BayVGH, B.v. 17.1.2018 – 10 ZB 17.30723 – Rn. 11; Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 78 AsylG Rn. 30). Denn bei einem behaupteten Verstoß gegen die gesetzliche Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) handelt es sich schon nicht um einen absoluten Revisionsgrund nach § 138 VwGO, der von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG erfasst wäre (BayVGH, B.v. 17.1.2018 – 10 ZB 17.30723 – Rn. 11). Hier liegt jedoch eine solche Nichtberücksichtigung eines wesentlichen Sachvortrags vor. Das Verwaltungsgericht ging in seinem Urteil von einer wesentliche Änderung der seiner Entscheidung zugrunde zu legenden Sachlage aus, weil es seit Mitte/Ende des Jahres 2017 eine Verfolgungssituation für christliche Glaubenszugehörige aus der Heimatregion der Kläger nunmehr verneint hat (Rn. 57 des Urteils). Darauf hatte das Verwaltungsgericht bereits in seinem ablehnenden Prozesskostenhilfebeschluss vom 20. Februar 2017 hingewiesen. Insoweit war es für die Entscheidung des Rechtsstreits wesentlich, wie die aktuelle Lage der Christen in der Heimatregion der Kläger zu beurteilen ist.
Handelt es sich aber bei dem bedingten Beweisantrag um ein Beweisthema mit wesentlichem Inhalt wie hier, so darf das Gericht diesen nur mit Gründen ablehnen, die im Prozessrecht eine Stütze finden (OVG Sachsen, B.v. 6.5.2005 – 3 B 16/02 – NVwZ-RR 2006, 741). Dies ist nicht der Fall.
Die Kläger haben Folgendes beantragt,
„Ein aktuelles Gutachten über die gegenwärtige Situation der christlichen Minderheit im Irak, insbesondere in der Provinz Ninive des Landes mit folgenden Fragestellungen einzuholen:
1. Wie stellt sich die allgemeine Situation von Christen im Irak, insbesondere in der Provinz Ninive dar? Sind Christen vor politischer Verfolgung sicher?
a. Können Christen ihren Glauben ungehindert ausüben? Können sie ungehindert zu ihrer Glaubensüberzeugung in der Öffentlichkeit stehen?
b. Gibt es Übergriffe muslimischer Kurden oder Araber, wenn ja in welchem Umfang? Wie werden solche Übergriffe staatlicherseits verfolgt? Was sind die Hintergründe solcher Anschläge?
2. Wie stellt sich die Situation für rückkehrende Christen aus dem Bundesgebiet dar? Gibt es für den Kläger der mittellos und keine Verwandten mehr im Irak hat eine Existenzgrundlage? Ist das Existenzminimum in so einem Fall gewährleistet? “
Das Verwaltungsgericht hat hierzu ausgeführt, dass dem erstmals in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag nicht nachzukommen war, da zum einen der Beweisantrag außerhalb der in § 74 Abs. 2 Sätze 1 und 2 AsylG genannten Fristen geltend gemacht wurde. Über diese Frist seien die Kläger in ausreichender Weise belehrt worden. Zum anderen habe es keiner weitergehenden Beweiserhebung bedurft, da die Rechtsfrage des Vorliegens einer Gruppenverfolgung für christliche Glaubensangehörige in der Provinz Ninive bzw. in den kurdischen Autonomiegebieten mit den ins Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln in ausreichender Weise beantwortet werden könne.
Diese Begründung findet im Prozessrecht keine Stütze. Die Zurückweisung des bedingten Beweisantrags nach § 74 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 87 b Abs. 3 VwGO war unzulässig. Abgesehen davon, dass die vom Verwaltungsgericht gegebene Begründung bereits nicht den Begründungserfordernissen, welche die höchstrichterliche Rechtsprechung an die Zurückweisung von Vorbringen verlangt (vgl. BVerwG, B.v. 6.4.2000 – 9 B 50.00 – NVwZ 2000, 1042), entspricht, ist auch der Anwendungsbereich des § 74 Abs. 2 AsylG nicht eröffnet. Durch die in § 74 Abs. 2 AsylG festgelegte Begründungspflicht sollen die Mitwirkungspflichten des Asylsuchenden verstärkt und den Besonderheiten des asylgerichtlichen Verfahrens Rechnung getragen werden. Der Regelung liegt die Überlegung zugrunde, dass der Asylsuchende sich regelmäßig auf Umstände beruft, die in seinem persönlichen Lebensbereich liegen und daher nur von ihm selbst vorgetragen werden können. Auch die Beweismittel (z.B. Zeugen und Urkunden) können vielfach nur von dem Asylsuchenden selbst benannt werden. Kommt er seiner hieraus folgenden Mitwirkungspflicht nicht nach, führt dieses zu erheblichen Verfahrensverzögerungen. Dem soll durch die zwingende Begründungspflicht in § 74 Abs. 2 AsylG Rechnung getragen werden (vgl. OVG Lüneburg B.v. 9.10.1997 – 11 L 2877/97 – BeckRS 2005, 20633). Unberührt von dieser Darlegungspflicht bleibt allerdings die sich aus dem Untersuchungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) ergebende Verpflichtung der Gerichte, die allgemeine politische Lage im Herkunftsland des Asylbewerbers soweit erforderlich auch von Amts wegen zu ermitteln (vgl. BT-Drs. 12/2062, S. 40). Zudem hat das Verwaltungsgericht erst mit Beschluss vom 20. Februar 2018, dem Klägerbevollmächtigten am 22. Februar 2018 zugegangen, zu erkennen gegeben, dass es nunmehr von keiner Gruppenverfolgung von christlichen Glaubenszugehörigen in der Provinz Ninive ausgeht, also zu einem Zeitpunkt, als die den Klägern nach § 74 Abs. 2 Satz 2 AsylG mit der Ladung, welche am 19. Januar 2018 zugegangen war, gesetzte Wochenfrist abgelaufen war.
Die weiter vom Verwaltungsgericht gegebene Begründung, es habe keiner weiteren Beweiserhebung bedurft, weil die von den Klägern aufgeworfene Frage durch die in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen bereits hinreichend beantwortet werden könne, ist genauso wenig tragfähig. Das Verwaltungsgericht geht davon aus, dass sich die Frage der Gruppenverfolgung von christlichen Glaubensangehörigen in der Provinz Ninive jedenfalls ab Mitte/Ende 2017, anders als zuvor, verneinen lässt. Auf welche Tatsachengrundlage das Gericht diese Erkenntnis stützt, ist jedoch nicht ersichtlich. Die mit der Ladung übersandte Auskunftsliste „Erkenntnismaterial Irak“ ist zwar vom Stand 10. Januar 2018. In ihr sind jedoch fast ausschließlich Auskünfte aufgeführt, welche vor diesem Zeitraum datieren. Der vom Verwaltungsgericht herangezogene Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Irak vom 7. Februar 2017 (Stand Dezember 2016) ist hierzu offensichtlich nicht in der Lage.


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