Verwaltungsrecht

Beurlaubung vom Studium wegen Krankheit – Personenbezogene Prüfungsentscheidung

Aktenzeichen  7 B 17.2437

Datum:
8.10.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BayVBl – 2019, 276
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayAGVwGO Art. 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 6
VwGO § 58, § 74

 

Leitsatz

Die Feststellung einer Hochschule, ein Studierender habe aufgrund Erzielens der Endnote „nicht ausreichend“ (= Note 5) in sechs Modulen auch die entsprechende Bachelor- bzw. Masterprüfung nicht bestanden, ist eine personenbezogene Prüfungsentscheidung i.S.v. Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AGVwGO. (Rn. 14)

Verfahrensgang

M 3 K 14.73 2018-04-12 Ent VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Berufung des Klägers, über die der Verwaltungsgerichtshof mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne weitere mündliche Verhandlung entscheiden kann, hat keinen Erfolg. Das streitgegenständliche Begehren, die Beklagte zu verpflichten, den Kläger für das Wintersemester 2013/2014 vom Studium zu beurlauben, ist unzulässig (geworden), weil ein entsprechendes und als allgemeine Zulässigkeitsvoraussetzung von Amts wegen in jeder Lage des Prozesses zu prüfendes Rechtsschutzinteresse (vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, vor § 40 Rn. 11) des Klägers entfallen ist. Der Rechtsstreit hat sich erledigt.
Der Bescheid der Hochschule vom 4. August 2017 in der Gestalt deren Widerspruchsbescheids vom 16. Oktober 2017, mit dem festgestellt wurde, dass der Kläger „bei den Prüfungsleistungen aus dem Sommersemester 2017“ in insgesamt sechs Modulen die Endnote „nicht ausreichend“ (= Note 5) erzielt und damit die Bachelor- bzw. Masterprüfung nicht bestanden hat, ist bestandskräftig. Der Kläger hat zwar nach dem in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat am 29. Mai 2018 erteilten rechtlichen Hinweis, der Rechtsstreit habe sich infolgedessen möglicherweise erledigt, unter dem 28. Juni 2018 gegen diese Bescheide Klage erhoben. Zu diesem Zeitpunkt war aber die seit Bekanntgabe der Bescheide jeweils laufende Monatsfrist (§ 74 Abs. 2 VwGO, Art. 41 Abs. 2 BayVwVfG) bereits verstrichen. Die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf beginnt zwar nur zu laufen, wenn der Beteiligte hierüber auch zutreffend belehrt worden ist (§ 58 VwGO). Entgegen der Auffassung des Klägers ist dies hier jedoch geschehen. Im Einzelnen:
Auch nach der weitgehenden Abschaffung des Widerspruchsverfahrens in Bayern kann nach Maßgabe des Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AGVwGO bei personenbezogenen Prüfungsentscheidungen weiterhin entweder Widerspruch eingelegt oder unmittelbar Klage erhoben werden. Der Gesetzgeber hat sich hierzu aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wegen des gerichtlich nicht überprüfbaren Beurteilungsspielraums der Prüfer entschlossen (LT-Drs. 15/7252, S. 8) und in der amtlichen Begründung ausgeführt, der Begriff der personenbezogenen Prüfungsentscheidungen erfasse neben allen berufsbezogenen Prüfungen, mit denen die Zulassung zur Ausübung eines bestimmten Berufs erworben werde, auch solche Entscheidungen, die nur mittelbar berufsbezogene Wirkungen entfalten könnten (LT-Drs. 15/7252, S. 12 f.; BayVGH, B.v. 1.3.2011 – 7 CE 11.376 – juris Rn. 16). Zwar ist der Bedeutungsgehalt des Begriffs „personenbezogene Prüfungsentscheidung“ an keiner Stelle der Rechtsordnung normativ bestimmt worden (vgl. BayVGH, B.v. 7.8.2008 – 11 CS 08.1854 – juris Rn. 10), der Verwaltungsgerichtshof hat sich aber in dieser Hinsicht bereits mehrfach ausführlich und konkretisierend geäußert: So fallen unter den Begriff der personenbezogenen Prüfungsentscheidungen nicht nur Examina im herkömmlichen Sinne, bei denen ein oder mehrere „Prüfer“ einen „Prüfling“ in einem normativ geregelten Verfahren schriftliche, mündliche oder praktische Leistungen erbringen lassen, die sie alsdann einer Beurteilung unterziehen, als deren Ergebnis dem Kandidaten eine Prüfungsnote oder eine sonstige Bewertung mitgeteilt wird (BayVGH, B.v. 7.8.2008 – 11 CS 08.1854 – juris Rn. 22), sondern z.B. auch strikt gebundenes Verwaltungshandeln, bei dem der Behörde kein Ermessens- (und erst recht kein Beurteilungs-) Spielraum zusteht (so ausdrücklich BayVGH, B.v. 7.8.2008 – 11 CS 08.1854 – juris Rn. 21). Um eine „personenbezogene Prüfungsentscheidung“ i.S.v. Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AGVwGO handelt es sich auch dann, wenn sich eine Behörde allein anhand der Aktenlage (etwa auf der Basis von Zeugnissen über durchlaufene Ausbildungen) über die Eigenschaften einer Person unterrichtet oder ihre Entscheidung gleichsam „arbeitsteilig“, d.h. anhand oder aufgrund der Einschätzung anderer eingeschalteter Personen, trifft (vgl. BayVGH, B.v. 7.8.2008 – 11 CS 08.1854 – juris Rn. 22 f., 33). Nicht unter den Begriff der „personenbezogenen Prüfungsentscheidung“ fallen dagegen Akte reiner Rechtsanwendung oder Entscheidungen, die zwar im Zusammenhang mit Prüfungsverfahren ergehen, die jedoch nicht die eigentliche personenbezogene Beurteilung von Leistungen, Fähigkeiten, Wissen, Können oder Dispositionen auf der Grundlage einer Prüfung zum Gegenstand haben (BayVGH, B.v. 1.3.2011 – 7 CE 11.376 – juris Rn. 16 m.w.N.).
Gemessen daran ist jedenfalls die in dem Bescheid vom 4. August 2017 enthaltene Feststellung, der Kläger habe aufgrund Erzielens der Endnote „nicht ausreichend“ (= Note 5) in sechs Modulen auch die entsprechende Bachelor- bzw. Masterprüfung nicht bestanden, eine personenbezogene Prüfungsentscheidung i.S.v. Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AGVwGO. Das hat zur Folge, dass gegen diese Entscheidung, wie in der streitgegenständlichen Rechtsmittelbelehrungvom 4. August 2017 mitgeteilt, sowohl im Wege der Einlegung eines Widerspruchs, als auch im Wege unmittelbarer Klageerhebung vorgegangen werden kann.
Der (sinngemäße) Einwand des Klägers, „eine Entscheidung über einen Antrag auf Verlängerung der Frist zur Anmeldung zur Magisterprüfung“ sei als ein Akt reiner Rechtsanwendung keine personenbezogene Prüfungsentscheidung i.S.v. Art. 15 Abs. 1 Nr. 6 AGVwGO, verfängt in diesem Zusammenhang schon deshalb nicht, weil die Hochschule im Bescheid vom 4. August 2017 keine solche Entscheidung getroffen hat. Sie hat vielmehr festgestellt, dass der Kläger im Sommersemester 2017 in sechs Modulen keine ausreichenden Leistungen (= Note 5) erbracht hatte, obwohl nach der Prüfungsordnung eine zweite Wiederholung nur in höchstens fünf Prüfungen zulässig ist. Sie hat daraus im Weiteren den zutreffenden Schluss gezogen, dass ein Bestehen des Klägers in der Bachelor- bzw. Masterprüfung nicht mehr möglich ist und damit eine berufsbezogene Entscheidung getroffen.
In diesem Zusammenhang ist unerheblich, dass sich der Kläger nach eigener Aussage lediglich zweien der notwendigen Modulprüfungen tatsächlich (ohne Erfolg) unterzogen und die anderen gar nicht erst bzw. nicht fristgerecht angetreten hat. Denn die Hochschule hat alle diese Umstände zutreffend berücksichtigt und daraufhin eine – abschließende und selbständige – Gesamteinschätzung der Leistungen, Kenntnisse und Fähigkeiten des Klägers vorgenommen, die entsprechend den dargestellten und vom Verwaltungsgerichtshof bereits entwickelten Grundsätzen den Charakter einen personenbezogenen Prüfungsentscheidung i.S.v. Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AGVwGO aufweist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der Gründe des § 132 VwGO vorliegt.
Rechtsmittelbelehrung
Nach § 133 VwGO kann die Nichtzulassung der Revision durch Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig angefochten werden. Die Beschwerde ist beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (in München Hausanschrift: Ludwigstraße 23, 0539 München; Postfachanschrift: Postfach 34 01 48, 0098 München; in Ansbach: Montgelasplatz 1, 1522 Ansbach) innerhalb eines Monats nach Zustellung dieser Entscheidung schriftlich einzulegen und innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieser Entscheidung zu begründen. Die Beschwerde muss die angefochtene Entscheidung bezeichnen. In der Beschwerdebegründung muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts, von der die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.
Vor dem Bundesverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten, außer in Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und Rechtslehrern an den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Hochschulen mit Befähigung zum Richteramt nur die in § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen. Für die in § 67 Abs. 4 Satz 5 VwGO genannten Angelegenheiten (u.a. Verfahren mit Bezügen zu Dienst- und Arbeitsverhältnissen) sind auch die dort bezeichneten Organisationen und juristischen Personen als Bevollmächtigte zugelassen. Sie müssen in Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht durch Personen mit der Befähigung zum Richteramt handeln.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 5.000,- Euro festgesetzt (§ 47 Abs. 1 Satz 1 und § 52 Abs. 2 GKG).


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