Verwaltungsrecht

Beurteilung waffenrechtlicher (Un-) Zuverlässigkeit aufgrund Zugehörigkeit zur so genannten „Reichsbürgerbewegung”

Aktenzeichen  M 7 S 17.1331

Datum:
5.9.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
WaffG WaffG § 45 Abs. 2 Satz 1
WaffG WaffG § 5 Abs. 1 Nr. 2

 

Leitsatz

1 Bei der im Eilverfahren nur möglichen summarischen Prüfung erscheint fraglich, ob bloße verbale oder auch verschriftliche Sympathiebekundungen in Bezug auf die sog. “Reichsbürgerbewegung” für sich alleine bereits die Prognose einer waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit rechtfertigen können, sofern nicht weitere Indizien bzw. Umstände hinzutreten, die hinsichtlich der Rechtstreue Zweifel aufkommen lassen. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2 Wird hingegen nach außen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland als Staat verneint und damit sogleich die darin bestehende Rechtsordnung offensiv abgelehnt, erscheint nicht hinreichend gesichert, dass ein waffenrechtlicher Erlaubnisinhaber die maßgeblichen Regelungen des Polizei- und Waffenrechts für sich als bindend ansieht und sein Verhalten danach ausrichtet. Konkreter Verstöße gegen waffenrechtliche Vorschriften bedarf es dann nicht. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 29. März 2017, Az. …, gegen den Bescheid des Landratsamts Traunstein vom 14. März 2017, Az. …, wird angeordnet bzw. wiederhergestellt.
II. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen den Widerruf ihres Kleinen Waffenscheins.
Auf Antrag vom 15. Oktober 2015 erteilte das Landratsamt Traunstein (im Folgenden: Landratsamt) der Antragstellerin am 26. Oktober 2015 den Kleinen Waffenschein mit der laufenden Nr. … zum Führen von Schreckschuss-, Reizstoff- und Signalwaffen („PTB“).
Am 23. März 2016 beantragte die Antragstellerin einen Staatsangehörigkeitsausweis beim Landratsamt. In den vorgelegten Formularen gab sie zum Erwerb ihrer deutschen Staatsangehörigkeit neben der Abstammung vom Vater unter „Sonstiges“ an, dass sie diese durch
„Abstammung gemäß RuStAG Stand 1913 §§ 1, 3 Nr. 1, 4 (1)“ erlangt habe. Zur Frage einer weiteren Staatsangehörigkeit neben der Deutschen gab sie weiter an, seit Geburt die Staatsangehörigkeit des „Königreichs Bayern“ durch „Abst. gem. RuStAG Stand 1913 §§ 1, 3 Nr. 1, 4 (1)“ erworben zu haben. Auch in der Anlage „Vorfahren“ zum Antrag bezog sie sich zweimal in gleicher Weise auf die Abstammung ihres 1942 geborenen Vaters nach „RuStAG Stand 1913“ und gab an, dass dieser ebenfalls von Geburt an die weitere Staatsangehörigkeit des „Königreichs Bayern“ erworben habe. Ihrem Antrag fügte sie als (eigene) Anlage 2 zudem Hinweise bei, dass „Schreibweise der Vornamen und des Familiennamens in exakter Übereinstimmung (Groß-/Kleinschreibung, Sperrsatz) aus diesem Antrag […] zu übernehmen“ seien und dass „das Siegel auf dem Staatsangehörigkeitsausweis auf zwölf Uhr auszurichten“ sei. Siegel und Unterschrift seien zudem erst bei Abholung der Urkunde in ihrem Beisein anzubringen. Zudem wies sie auf die „Mitteilung gemäß § 33 (1) (Ru) StAG an das Register der Entscheidungen in Staatsangehörigkeitsangelegenheiten (EStA)“ hin. Sie bat darum, dass „dort alle Angaben im Bereich ‘Sachverhalt‘ befüllt werden, insbesondere ‘Deutsche Staatsangehörigkeit erworben am‘ und ‘Erworben durch‘“.
Mit Schreiben vom 21. November 2016 eröffnete das Landratsamt der Antragstellerin, dass man aufgrund ihrer möglichen Zugehörigkeit zur sog. Reichbürgerbewegung einen Widerruf des ihr erteilten Kleinen Waffenscheins prüfe.
Am 24. November 2016 antwortete die Antragstellerin daraufhin in einem gemeinsamen Schreiben mit ihrem Ehemann, dass es sich insoweit wohl um eine Verwechslung handeln müsse und sich das Ehepaar nicht der Reichsbürgerbewegung zugehörig fühle.
Mit Schreiben vom 29. November 2016 teilte das Landratsamt daraufhin mit, dass der Antrag auf Erteilung eines Staatsangehörigkeitsausweises und die darin gemachten Angaben und Äußerungen den Verdacht der Angehörigkeit zur Reichsbürgerbewegung begründen würden. Zudem habe die Antragstellerin nach Ausstellung des Staatsangehörigenausweises beim Ausländeramt des Landratsamts bemängelt, dass die Registerfächer ‘erworben am‘ und ‘erworben durch‘ nicht ausgefüllt seien, und um Ergänzung gebeten.
Daraufhin wandten sich die Antragstellerin und ihr Ehemann am 5. Dezember 2016 erneut an das Landratsamt und erklärten u.a. dass sie Steuern, Sozialabgaben, Rundfunkbeitrag („GEZ“) und Müllgebühren bezahlen würden, weder strafnoch irgendwie auffällig seien und sich gesetzes- und regeltreu verhalten würden. Sie würden die Bundesrepublik Deutschland auch als Staat anerkennen. Den Staatsangehörigkeitsausweis habe man beantragt, weil man von einem Bekannten erfahren habe, für einen – vom Ehepaar geplanten – Immobilienerwerb in den USA einen Staatsangehörigkeitsausweis zu benötigen. Man fühle sich in keiner Weise der Reichsbürgerbewegung zugehörig.
Auf ein Schreiben vom 15. Dezember 2016 mit der Bitte um Bewertung des geschilderten Sachverhalts teilte das Polizeipräsidium Oberbayern Süd, SG E 3 (Staatsschutz) dem Landratsamt am 8. Februar 2017 mit, dass bei der Antragstellerin eine Zugehörigkeit zur Ideologie der sog. „Reichsbürgerbewegung“ bzw. Staatsleugnung eindeutig erkennbar sei. Dies ergebe sich aus dem Antrag auf Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises unter Berufung auf das „Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz (RuStAG)“ und die weiteren, oben geschilderten Angaben bzw. Forderungen im Rahmen des Antrags.
Mit der Antragstellerin am 15. März 2017 zugestelltem Bescheid vom 14. März 2017 widerrief der Antragsgegner die Erteilung des Kleinen Waffenscheins Nr. … vom 26. Oktober 2015 (Nr. 1) und verpflichtete die Antragstellerin, diesen innerhalb einer Frist von vier Wochen nach Zustellung des Bescheides abzugeben (Nr. 2). Die sofortige Vollziehung der Nr. 2 des Bescheides wurde angeordnet (Nr. 3). Für den Fall der nicht fristgerechten Rückgabe werde ein Zwangsgeld in Höhe von 250 € zur Zahlung fällig (Nr. 4). Die Kosten für den Bescheid habe die Antragstellerin zu zahlen. Es wurden eine Gebühr von 200 € festgesetzt und Auslagen in Höhe von 4,12 € (Nr. 5) erhoben.
Den Widerruf stützte das Landratsamt auf § 45 Abs. 2 i.V.m. §§ 4 Abs. 1 Nr. 2, 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, b und c Waffengesetz – WaffG. Aufgrund der Angaben der Antragstellerin zu ihrem beantragten Staatsangehörigkeitsausweis und ihrem Verhalten lägen ausreichend Indizien vor, welche die Zugehörigkeit der Antragstellerin zur Reichsbürgerbewegung begründen würden. Daher sei zu befürchten, dass sie sich nicht an die strengen waffenrechtlichen Vorgaben zum Umgang mit Waffen halten werde und folglich unzuverlässig sei. Als sogenannter „Reichsbürger“ würde sie die Verbindlichkeit der unter dem Grundgesetz geschaffenen Rechtsordnung, zu der auch das Waffengesetz zähle, bestreiten. Sie negiere die Legitimation der Bundesrepublik Deutschland, Gesetze mit auch für sie bindender Wirkung zu erlassen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Bescheidsbegründung Bezug genommen.
Am 12. April 2017 gab die Antragstellerin ihren Kleinen Waffenschein zurück.
Am 29. März 2017 ließ die Antragstellerin durch ihren Bevollmächtigten gegen den Bescheid vom 14. März 2017 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erheben (M 7 K 17.1330) und zugleich beantragen,
1.Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung in der Ziffer 2 des Bescheides des Landratsamts Traunstein vom 14.3.2017, Az. … wird wiederhergestellt.
2.Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Traunstein vom 14.3.2017, Az. … wird angeordnet.
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass der angefochtene Bescheid rechtswidrig sei, weil der Antragstellerin unterstellt werde, der Reichsbürgerbewegung anzugehören. Dies treffe aber der Sache nach nicht zu, denn selbst die vom Bayerischen Staatsministerium des Innern dazu entwickelten typischen Kriterien seien bei der Antragstellerin nicht gegeben. Sie verhalte sich rechtstreu, trete weder strafrechtlich, noch auffällig in Erscheinung und bekenne sich zur Bundesrepublik Deutschland und deren Gesetze. Die im Rahmen des Antrags auf einen Staatsangehörigkeitsausweis gemachten Angaben würden auch auf einem Merkblatt des Bundesverwaltungsamts basieren, das u.a. auf das Jahr 1913 Bezug nehme.
Mit Schriftsatz vom 13. April 2017 beantragte der Antragsgegner, den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung vertiefte das Landratsamt die im Bescheid vom 14. März 2017 getätigte Argumentation und verwies zudem auf die Schreiben (IMS) des Bayerischen Staatsministeriums des Innern vom 19. Oktober 2016 und 13. Dezember 2016.
In seiner Replik vom 13. Juni 2017 ergänzte der Bevollmächtigte der Antragstellerin, dass selbst nach den Kriterien der o.g. IMS ein Widerruf vorliegend nicht hätte erfolgten dürfen, da „harte Fakten“ für die Zugehörigkeit zur Reichsbürgerbewegung fehlen würden und auch die mehrfach schriftlich geäußerte Distanzierung des Antragsgegnerin nicht gewürdigt worden sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten M 7 K 17.1330 und M 7 S. 17.1331 sowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag hat auch in der Sache Erfolg.
1. Der nach sachdienlicher Auslegung (§§ 86 Abs. 3, 88 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO) auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung hinsichtlich Nrn. 1, 4 und 5 sowie Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung hinsichtlich Nr. 2 des Bescheids gerichtete Antrag ist begründet.
1.1 Der Antragsgegner hat das besondere öffentliche Interesse am Sofortvollzug der Nr. 2 des Bescheids vom 14. März 2017 unter Verweis auf die besonderen Sicherheitsbedürfnisse im Bereich des Waffenrechts den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO entsprechend begründet (vgl. zu den – nicht zu hoch anzusetzenden – Anforderungen im Einzelnen Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 43).
1.2 Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen, im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen. Das Gericht trifft dabei eine originäre Ermessensentscheidung. Es hat bei seiner Entscheidung über die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung abzuwägen zwischen dem von der Behörde geltend gemachten Interesse an der sofortigen Vollziehung ihres Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten der Hauptsache als wesentliches, wenn auch nicht alleiniges Indiz für die vorzunehmende Interessenabwägung zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein mögliche, aber auch ausreichende summarische Prüfung, dass der Hauptsacherechtsbehelf offensichtlich bzw. mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei summarischer Prüfung als offensichtlich bzw. mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtswidrig, besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer Interessenabwägung.
Unter Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt die summarische Prüfung, dass ernstzunehmende Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 14. März 2017 bestehen, so dass dieser die Rechte der Antragstellerin verletzt und aufzuheben wäre (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Hauptsacheklage ist daher mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erfolgreich.
1.2.1 An dem in Nr. 1 des Bescheids angeordneten Widerruf des Kleinen Waffenscheins bestehen erhebliche rechtliche Bedenken.
Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG hat die zuständige Behörde eine waffenrechtliche Erlaubnis, vorliegend also den Kleinen Waffenschein, gemäß § 10 Abs. 4 Satz 4 WaffG, zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen. Eine Erlaubnis ist u.a. zu versagen, wenn eine Person nicht die erforderliche Zuverlässigkeit besitzt, § 4 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 WaffG i.V.m. § 5 WaffG. Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, b und c WaffG stellt es einen absoluten Unzuverlässigkeitsgrund dar, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass Personen Waffen oder Munition missbräuchlich oder leichtfertig verwenden werden (Buchst. a), mit Waffen oder Munition nicht vorsichtig oder sachgemäß umgehen oder diese Gegenstände nicht sorgfältig verwahren werden (Buchst. b) oder Waffen oder Munition Personen überlassen werden, die zur Ausübung der tatsächlichen Gewalt über diese Gegenstände nicht berechtigt sind (Buchst. c).
Hierzu ist auf der Grundlage der festgestellten Tatsachen eine Prognose zu erstellen und der allgemeine Zweck des Gesetzes zu berücksichtigen, beim Umgang mit Waffen und Munition die Belange der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu wahren (§ 1 Abs. 1 WaffG). Die Risiken, die mit jedem Waffenbesitz verbunden sind, sind nur bei solchen Personen hinzunehmen, die nach ihrem Verhalten Vertrauen darin verdienen, dass sie mit Waffen und Munition jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umgehen. Dabei ist in Anbetracht des vorbeugenden Charakters der gesetzlichen Regelungen und der erheblichen Gefahren, die von Waffen und Munition für hochrangige Rechtsgüter ausgehen, für die gerichtlich uneingeschränkt nachprüfbare Prognose nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG keine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit erforderlich, sondern es genügt vielmehr eine hinreichende, auf der Lebenserfahrung beruhende Wahrscheinlichkeit, wobei ein Restrisiko nicht hingenommen werden muss (vgl. BayVGH, B.v. 22.12.2014 – 21 ZB 14.1512 – juris Rn. 12; B.v. 4.12.2013 – 21 CS 13.1969 – juris Rn. 14 mit Hinweis auf stRspr des BVerwG z.B. B.v. 31.1.2008 – 6 B 4/08 – juris sowie B.v. 2.11.1994 – 1 B 215/93 – Buchholz 402.5 WaffG Nr. 71). Bloße Vermutungen reichen hingegen nicht.
Aus den Tatsachen, die dem Gericht derzeit vorliegen und die im Rahmen des Eilverfahrens zu würdigen sind, kann keine solche hinreichende Wahrscheinlichkeit für eine waffenrechtliche Unzuverlässigkeit der Antragstellerin i.S.v. § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG abgeleitet werden. Allein die Art und Weise der Beantragung des Staatsangehörigkeitsausweises lässt einen solchen Schluss nicht zu.
Zur waffenrechtlichen (Un-)Zuverlässigkeit von sog. „Reichsbürgern“, die ihrer Grundideologie nach der Bundesrepublik Deutschland die Existenz und daher den Behörden ihre Legitimation absprechen sowie das Grundgesetz und die darauf fußende Rechtsordnung ablehnen, existiert bisher keine gefestigte Rechtsprechung bayerischer Verwaltungsgerichte. Dem Gericht erscheint es bei der im Eilverfahren nur möglichen summarischen Prüfung allerdings fraglich, ob bloße verbale oder auch verschriftliche Sympathiebekundungen in Bezug auf die Reichsbürgerbewegung für sich alleine bereits die Prognose einer waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit rechtfertigen können, sofern nicht weitere Indizien bzw. Umstände hinzutreten, die hinsichtlich der Rechtstreue Zweifel aufkommen lassen (vgl. dazu m.w.N. VG München, B.v. 25.7.2017 – M 7 S. 17.1813 – juris). Wird hingegen nach außen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland als Staat verneint und damit sogleich die darin bestehende Rechtsordnung offensiv abgelehnt, z.B., wenn Behörden, der Polizei oder selbst dem Gericht die Befugnis abgesprochen wird, aufgrund der nach dem 8. Mai 1945 erlassenen Gesetze tätig zu werden, erscheint nicht hinreichend gesichert, dass ein waffenrechtlicher Erlaubnisinhaber die maßgeblichen Regelungen des Polizei- und Waffenrechts für sich als bindend ansieht und sein Verhalten danach ausrichtet. Konkreter Verstöße gegen waffenrechtliche Vorschriften bedarf es dann nicht (vgl. hierzu VG Cottbus, U. v. 20.9.2016 – VG 3 K 305/16 – juris Rn. 19).
Die Art und Weise der Beantragung sowie die im Rahmen des Antrags auf einen Staatsangehörigkeitsausweis gemachten Angaben sind aus Sicht des Gerichts vorliegend durchaus ein nicht unerhebliches Indiz für eine Zugehörigkeit zur sog. „Reichsbürgerbewegung“ und eine Teilhabe an deren Gedankengut. So hat die Antragstellerin etwa nach wie vor nicht plausibel begründet, warum sie nicht nur bezüglich ihres Großvaters (Vorfahr), sondern auch in ihrem Antrag als weitere, eigene Staatsangehörigkeit „Königreich Bayern“ angegeben hat. Auch die von ihr und ihrem Bevollmächtigten angeführte Begründung zum mehrfachen Verweis auf das „RuStAG Stand 1913“ überzeugen das Gericht nicht (jedenfalls nicht vollumfänglich). Im Merkblatt des Bundesverwaltungsamts wird das RuStAG schlicht nicht erwähnt, sondern nur Zeiträume vor oder nach 1914. Wie man daraus einen Bezug auf das „RuStAG Stand 1913“ im Antrag ableiten will, erschließt sich in keiner Weise. Ebenso wenig wurde bisher die – reichsbürgertypische – Aufforderung einer „Ausrichtung des Siegels nach 12 Uhr“ nachvollziehbar erklärt.
Umgekehrt liegen aber dem Antragsgegner über diesen Antrag auf einen Staatsangehörigkeitsausweis hinaus keine weitere Erkenntnisse wie Schreiben, Äußerungen oder sonstige Sachverhalte vor, welche eine Zugehörigkeit zur Reichsbürgerbewegung oder eine entsprechende Überzeugung bzw. Grundhaltung – und nicht bloß eine möglicherweise vorhandene Sympathie für entsprechendes Gedankengut – belegen. Dem Gericht sind andere Fallkonstellationen bekannt, in denen Angehörige der Reichsbürgerbewegung ihre Ideologie gegenüber Behörden bewusst und aktiv umsetzen, indem sie beispielsweise die Zahlung von Ordnungsgeldern, Gebühren, Steuern oder Beiträgen verweigern sowie amtliche Ausweis- oder Legitimationsdokumente (Personalausweis, Führerschein o.ä.) an Behörden zurückschicken beziehungsweise „zurückgeben“. All dies hat die Antragstellerin – jedenfalls, soweit das Polizeipräsidium Oberbayern Süd ermitteln konnte – offenbar nicht getan. Im Gegenteil hat sich die Antragstellerin mehrfach sowohl im Verwaltungswie auch im Gerichtsverfahren von der sog. „Reichsbürgerbewegung“ distanziert.
Trotz vorhandener Indizien steht somit nicht fest, dass die tatsächliche Grundhaltung der Antragstellerin der „Reichsbürgerideologie“ entspricht. Eine hinreichende Grundlage für die Prognose der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG kann jedenfalls im Eilverfahren nicht festgestellt werden und bleibt daher der im Hauptsacheverfahren gebotenen Beweiswürdigung überlassen. Daher hält der Widerruf des Kleinen Waffenscheins einer gerichtlichen Prüfung jedenfalls im Eilverfahren nicht stand.
1.2.2 Folglich bestehen auch Zweifel an der Rechtmäßigkeit der in Nrn. 2, 4 und 5 des Bescheids vorgenommenen Verfügungen.
1.3 Aufgrund dieser Bedenken an der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheids und angesichts der Tatsache, dass die Antragstellerin außer im Zusammenhang mit der Beantragung ihres Staatsangehörigkeitsausweises – soweit nach Aktenlage ersichtlich – in keiner Weise mit Verhaltensweisen in Erscheinung getreten ist, die ihre Rechtstreue und waffenrechtliche Zuverlässigkeit zweifelhaft erscheinen ließen, überwiegt ihr Interesse an einer aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegenüber dem Interesse der Allgemeinheit an einem sofortigen Vollzug.
2. Im Ergebnis war dem Antrag daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 Gerichtskostengesetz – GKG.


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