Verwaltungsrecht

Bundesbeamtenrecht, Ruhestandsbeamter, Überprüfung des Fortbestehens der Dienstunfähigkeit, ärztliche Untersuchungsanordnung, isolierte Anfechtbarkeit, Rechtmäßigkeit der Untersuchungsanordnung

Aktenzeichen  6 CE 21.2753

Datum:
24.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 8453
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
VwGO § 44a
BBG § 46 Abs. 1 S. 2, Abs. 7
BBG § 48 Abs. 1

 

Leitsatz

Verfahrensgang

RN 1 E 21.2094 2021-10-25 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 25. Oktober 2021 – RN 1 E 21.2094 – wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der am 18. September 1963 geborene Antragsteller, ein Technischer Fernmeldeamtsrat (Besoldungsgruppe A 12), stand bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand mit Urkunde vom 29. Mai 2012 (wegen Dienstunfähigkeit) als Beamter im Dienst der Antragsgegnerin und war bei der D. T. AG beschäftigt. Mit Verfügung vom 8. September 2021 ordnete die Bundesanstalt für Post und Telekommunikation Deutsche Bundespost eine ärztliche Untersuchung gemäß § 46 Abs. 7, § 48 BBG bei dem Arzt für Orthopädie Dr. B. an zur Überprüfung, ob die Voraussetzungen der Dienstunfähigkeit beim Antragsteller weiterhin vorliegen.
Der Antragsteller beantragte daraufhin beim Verwaltungsgericht, der Antragsgegnerin einstweilen bis zur Rechtskraft der Entscheidung zu untersagen, die Weisung zu einer Reaktivierungsüberprüfung vom 8. September 2021 zu vollziehen.
Das Verwaltungsgericht hat diesen Antrag mit Beschluss vom 25. Oktober 2021 abgelehnt und zur Begründung ausgeführt: Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO sei unzulässig. Eine Untersuchungsanordnung zur Feststellung der Dienstfähigkeit eines Beamten sei gemäß § 44a VwGO nicht isoliert gerichtlich angreifbar. Das Verwaltungsgericht schloss sich hierbei den Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts in seinem zu einem Zurruhesetzungsverfahren ergangenen Beschluss vom 14. März 2019 (- 2 VR 5.18 – juris) an. Diese Erwägungen seien auf die Untersuchungsanordnung zur Prüfung des Fortbestehens der Dienstunfähigkeit eines Ruhestandsbeamten im Rahmen eines Reaktivierungsverfahrens übertragbar.
Mit der Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Rechtsschutzziel weiter. Er verweist u.a. auf eine gegen eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg eingelegte Verfassungsbeschwerde und macht im Einzelnen eine Verletzung des Art. 33 Abs. 5 GG, des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG und von Art. 19 Abs. 4 GG geltend.
Mit Beschluss vom 14. Januar 2022 – 2 BvR 1528/21 – hat das Bundesverfassungsgericht in dem in der Beschwerdebegründung genannten Fall (Aufforderung einer Beamtin zur ärztlichen Untersuchung zur Überprüfung der Dienstfähigkeit) den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 20. Juli 2021 – 4 S 1631.21 -, mit dem eine isolierte gerichtliche Angreifbarkeit einer Untersuchungsanordnung zur Feststellung der Dienstfähigkeit eines Beamten abgelehnt worden war, wegen einer Verletzung der dortigen Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG aufgehoben und die Sache an den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg zurückverwiesen.
Der Senat gab daraufhin der Antragstellerseite Gelegenheit zur Äußerung zur Sache. Auf die Stellungnahme vom 16. März 2022 wird Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg.
Die dargelegten Beschwerdegründe rechtfertigen es im Ergebnis nicht, dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 123 VwGO) unter Abänderung des erstinstanzlichen Beschlusses zu entsprechen. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zwar entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts zulässig (1.). Er hat aber in der Sache keinen Erfolg (2.).
1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 14. Januar 2022 – 2 BvR 1528/21 – entschieden, dass die vom Bundesverwaltungsgericht und von einigen Obergerichten vertretene Auffassung, § 44a Satz 1 VwGO stehe der Zulässigkeit des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen eine Untersuchungsanordnung zur Feststellung der Dienstfähigkeit eines Beamten im Rahmen eines Zurruhesetzungsverfahrens entgegen, mit dem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht vereinbar ist. Dabei möge dahinstehen, ob die Untersuchungsanordnung im Hinblick auf ihre disziplinarische Durchsetzbarkeit als „vollstreckbar“ im Sinn des § 44a Satz 2 VwGO anzusehen ist. Denn jedenfalls sei § 44a VwGO verfassungskonform dahin auszulegen, dass die Vorschrift der Zulässigkeit einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Untersuchungsanordnung nicht entgegensteht, weil die angeordnete ärztliche Untersuchung zu Verletzungen materieller Rechtspositionen führen könnte, die nicht mit den durch die abschließende Sachentscheidung berührten materiellen Rechtspositionen identisch sind und die im Rechtsschutzverfahren gegen eine Zurruhesetzungsverfügung nicht vollständig beseitigt werden könnten (BVerfG, B.v. 14.1.2022 – 2 BvR 1528/21 – Rn 24).
Diese Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts sind auf die streitgegenständliche Untersuchungsanordnung nach § 46 Abs. 1 Satz 2, Abs. 7 BBG zur Prüfung des Fortbestehens der Dienstunfähigkeit des Antragstellers übertragbar. Der Senat folgt der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und gibt seine (im Anschluss an die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, B.v. 14.3.2019 – 2 VR 5.18 – juris) geänderte neuere Rechtsprechung wieder auf (vgl. BayVGH, B.v. 7.6.2019 – 6 CE 19.942 – juris).
2. Die Beschwerde hat jedoch in der Sache keinen Erfolg, weil der Antragsteller keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht hat. Die Untersuchungsanordnung vom 8. September 2021 begegnet weder formell- noch materiell-rechtlichen Bedenken.
Die Untersuchungsanordnung vom 8. September 2021 hat ihre rechtliche Grundlage in § 46 Abs. 1 und Abs. 7 BBG. Gemäß § 46 Abs. 7 Satz 1 BBG sind Beamte zur Prüfung ihrer Dienstfähigkeit verpflichtet, sich nach Weisung der Behörde ärztlich untersuchen zu lassen. Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 BBG ist der Dienstherr verpflichtet, in regelmäßigen Abständen das Vorliegen der Voraussetzungen für die Dienstunfähigkeit zu überprüfen, es sei denn, nach den Umständen des Einzelfalls kommt eine erneute Berufung in das Beamtenverhältnis nicht in Betracht. Die Vorschrift enthält eine gesetzliche Verpflichtung des Dienstherrn, in regelmäßigen Abständen zu prüfen, ob die Voraussetzungen, die zur Dienstunfähigkeit geführt haben, weiterhin vorliegen. Der zeitliche Abstand der Überprüfung bleibt der Personalpraxis überlassen und hängt jeweils von den Umständen des Einzelfalls ab, sollte jedoch in der Regel nicht mehr als zwei Jahre betragen. Von einer Überprüfung kann abgesehen werden, wenn aufgrund des Krankheitsbildes (z.B. unheilbare Erkrankung) die Entscheidung feststeht, dass eine erneute Berufung in das Beamtenverhältnis ausgeschlossen ist (BT-Drs. 16/7076, S. 112). Für Letzteres hat der Antragsteller keine greifbaren Anhaltspunkte dargelegt. Immerhin hat er in seiner Stellungnahme vom 4. August 2021 angegeben, für 2 × 2 Stunden pro Woche als „Trainer American Football“ tätig zu sein. Die Überprüfung, ob die Voraussetzungen für die Dienstunfähigkeit weiterhin vorliegen, ist nach dem Wortlaut des Gesetzes grundsätzlich nicht von weiteren Voraussetzungen abhängig, insbesondere nicht vom Vorliegen von Hinweisen auf eine möglicherweise wiederhergestellte Dienstfähigkeit.
Nachdem der Antragsteller bereits im Jahr 2012 in den Ruhestand versetzt worden war, besteht ein hinreichender Anlass für eine aktuelle Untersuchung des Antragstellers, ob die Voraussetzungen, die zur Bejahung seiner Dienstunfähigkeit geführt haben, weiterhin vorliegen. Sowohl Anlass als auch Art der durchzuführenden Untersuchung wurden in der Untersuchungsanordnung vom 8. September 2021 benannt. Eine weitere Konkretisierung des Untersuchungsauftrags ist der Antragsgegnerin nicht möglich, weil sie nicht über aktuelle Erkenntnisse darüber verfügt, ob und unter welchen gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Antragsteller heute noch leidet und ob diese weiterhin seine Dienstunfähigkeit begründen.
Die Antragsgegnerin hat eine ärztliche Untersuchung gemäß § 46 Abs. 7, § 48 BBG bei dem Arzt für Orthopädie Dr. B. angeordnet zur Überprüfung, ob die Voraussetzungen der Dienstunfähigkeit beim Antragsteller weiterhin vorliegen. Der von der Antragsgegnerin mit der ärztlichen Untersuchung beauftragte Orthopäde Dr. B. ist ein Arzt im Sinn des § 48 Abs. 1 Satz 2 BBG. Nach dieser Vorschrift bestimmt die oberste Dienstbehörde, welcher Arzt mit der Fertigung von Gutachten beauftragt werden kann. Die Bundesanstalt für Post und Telekommunikation Deutsche Bundespost als oberste Dienstbehörde hat bestimmt, dass die der IMB C. GmbH angeschlossenen Gutachter als Gutachter nach § 48 Abs. 1 Satz 2 BBG tätig werden. In der Namensliste der verfügbaren Gutachter der IMB C. GmbH ist Dr. B. als Arzt für Orthopädie genannt. Es ist nicht zu beanstanden, dass ein Orthopäde die Frage untersucht, ob die Dienstunfähigkeit des Antragstellers fortbesteht, weil die gutachterliche Stellungnahme zu dessen Gesundheitszustand vom 14. März 2012, die letztlich zur Annahme der Dienstunfähigkeit führte, in erster Linie Erkrankungen aus dem orthopädischen Formenkreis benennt (chronisch-rezidivierendes Lumbalsyndrom bei Osteochondrose L4/5 mit rezidivierenden Schmerzen, chronisch-rezidivierende Paratenonitis achillea beidseits, Depression).
Der erstinstanzliche Einwand des Antragstellers, dass die Antragsgegnerin im Jahr 2014 eine „verbindliche Ermessenserklärung“ abgegeben habe, wonach beim Antragsteller mit der Wiederherstellung der dauernden Dienstfähigkeit dauerhaft nicht gerechnet werden könne und Verwirkung vorliege, greift nicht durch.
Der Antragsteller hatte, nachdem er im Jahr 2014 gebeten worden war, ein aktuelles Attest seines behandelnden Arztes einzureichen, eine formblattmäßige psychologische Stellungnahme der psychologischen Psychotherapeutin Dr. K.-v. R. vom 7. Juli 2014 vorgelegt, wonach er auf Dauer nicht mehr in der Lage sei, die Dienstpflichten zu erfüllen. Die Stellungnahme enthielt keinerlei nähere Begründung. Mit Schreiben vom 10. Juli 2014 hatte die frühere Arbeitgeberin DTAG dem Antragsteller daraufhin mitgeteilt, dass ihre aktuelle Überprüfung hinsichtlich einer möglichen Reaktivierung gemäß § 46 BBG abgeschlossen sei und nach dem Ergebnis dieser Prüfung eine Reaktivierung des Antragstellers aus gesundheitlichen Gründen nicht in Betracht komme. Trotz dieses Schreibens und obwohl die DTAG in der Folge des privatärztlichen – nicht aussagekräftigen – psychologischen Attests vom 7. Juli 2014 den in der Regel zweijährigen Untersuchungsturnus beim Antragsteller außer Acht gelassen hat, kann allein hieraus angesichts der strikten Gesetzesbindung des Dienstherrn wie auch des Beamten nach § 46 Abs. 1 und Abs. 7 BBG keine Verwirkung hergeleitet werden; dies gilt umso mehr, als in dem Schreiben vom 10. Juli 2014 nur von „aktueller“ Überprüfung gesprochen worden war. Für die vom Antragsteller geltend gemachte Verwirkung, eine „Ermessenserklärung“ des Dienstherrn oder einen etwaigen Vertrauensschutz des Beamten ist angesichts der zwingenden Gesetzeslage kein Raum (vgl. auch VG Düsseldorf, B.v. 17.9.2021 – 10 L 1946.21 – S. 4).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht nach ständiger Rechtsprechung auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 und 2 VwGO sowie Nr. 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. u.a. BayVGH, B.v. 7.6.2019 – 6 CE 19.942 – juris; OVG NW, B.v. 27.9.2021 – 1 B 1554.21 – juris).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben