Aktenzeichen Vf. 16-VII-20
Leitsatz
Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 22. März 2022 über die Popularklage des Herrn C. F.-S. in M. auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit des Art. 60 a des Gesetzes über die Wahl der Gemeinderäte, der Bürgermeister, der Kreistage und der Landräte (Gemeinde- und Landkreiswahlgesetz – GLKrWG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. November 2006 (GVBl S. 834, BayRS 2021-1/2-I), das zuletzt durch § 5 des Gesetzes vom 9. März 2021 (GVBl S. 74) geändert worden ist Aktenzeichen: Vf. 16-VII-20 Einstellung eines Popularklageverfahrens, das Art. 60 a des Gemeinde- und Landkreiswahlgesetzes zum Gegenstand hatte, nach Erledigterklärung.
Tenor
Das Verfahren wird eingestellt.
Gründe
I.
Gegenstand der später für erledigt erklärten Popularklage ist die Frage, ob Art. 60 a des Gesetzes über die Wahl der Gemeinderäte, der Bürgermeister, der Kreistage und der Landräte (Gemeinde- und Landkreiswahlgesetz – GLKrWG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. November 2006 (GVBl S. 834, BayRS 2021-1/2-I), das zuletzt durch § 5 des Gesetzes vom 9. März 2021 (GVBl S. 74) geändert worden ist, gegen Normen der Bayerischen Verfassung verstößt.
Die angegriffene Vorschrift wurde vor dem Hintergrund der während der CoronaPandemie bestehenden Infektionsgefahr bei Zusammentreffen zahlreicher Menschen durch Art. 9 a Abs. 2 des Bayerischen Infektionsschutzgesetzes (BayIfSG) vom 25. März 2020 (GVBl S. 174) mit Wirkung vom 16. März 2020 in das Gemeinde- und Landkreiswahlgesetz eingefügt und hat folgenden Wortlaut:
Art. 60 a Stichwahlen im Rahmen der allgemeinen Gemeinde- und Landkreiswahlen 2020
¹Die am 29. März 2020 im Zuge der allgemeinen Gemeinde- und Landkreiswahlen erforderlich werdenden Stichwahlen werden ausschließlich als Briefwahlen durchgeführt. ²Die Wahlscheine mit Briefwahlunterlagen werden durch die Gemeinden an alle wahlberechtigten Personen von Amts wegen ohne Antrag versandt.
II.
1. Der Antragsteller hatte mit seiner Popularklage geltend gemacht, die angegriffene Vorschrift sei nicht ordnungsgemäß zustande gekommen. An der Plenarsitzung des Landtags am 25. März 2020, in der über das Gesetz abgestimmt wurde, habe – um das Risiko einer Infektion mit dem Coronavirus zu verringern – nur ein Bruchteil der Abgeordneten teilgenommen. Die nach Art. 23 Abs. 2 BV für die Beschlussfähigkeit des Landtags erforderliche Anwesenheit der Mehrheit seiner Mitglieder sei dabei nicht erreicht worden. Durch die nicht ordnungsgemäß zustande gekommene Vorschrift würden die Wahlrechtsgrundsätze der freien, geheimen und öffentlichen Wahl (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BV) verletzt.
2. Die Bayerische Staatregierung und der Bayerische Landtag haben die Popularklage in ihren Stellungnahmen vom 16. bzw. 30. Juni 2020 wegen fehlender Substanziierung als unzulässig, in jedem Fall aber als unbegründet angesehen.
3. Mit Entscheidung vom 28. September 2021 (BayVBl 2021, 843) hat der Verfassungsgerichtshof eine vor Eingang des hiesigen Antrags anhängig gewordene, u. a. gegen Art. 60 a GLKrWG gerichtete Popularklage abgewiesen. Er hat sich in dieser Entscheidung sowohl mit der Frage des verfassungsgemäßen Zustandekommens der angegriffenen Norm als auch mit den behaupteten Verstößen gegen die Wahlrechtsgrundsätze des Art. 14 Abs. 1 BV auseinandergesetzt und im Ergebnis die Vereinbarkeit des Art. 60 a GLKrWG mit der Bayerischen Verfassung bejaht. Der Antragsteller des hiesigen Verfahrens hat daraufhin seine Popularklage vom 8. April 2020 für erledigt erklärt. Der Bayerische Landtag hat keinen Antrag gemäß Art. 55 Abs. 5 Halbsatz 2 VfGHG auf Entscheidung über die Popularklage gestellt.
III.
Das Verfahren ist einzustellen.
Das Popularklageverfahren nach Art. 98 Satz 4 BV dient dem Schutz der Grundrechte als Institution. Da kein Antrag nach Art. 55 Abs. 5 Halbsatz 2 VfGHG gestellt wurde, hat der Verfassungsgerichtshof nach Erledigterklärung der Popularklage darüber zu befinden, ob ein öffentliches Interesse an der Fortführung des Verfahrens besteht. Die Fortführung des Verfahrens ist nur dann gerechtfertigt, wenn eine verfassungsgerichtliche Klärung von Fragen, die den Gegenstand des Verfahrens bilden, im öffentlichen Interesse geboten erscheint (Art. 55 Abs. 5 Halbsatz 1 VfGHG, vgl. VerfGH vom 2.12.1997 VerfGHE 50, 268/270; vom 20.11.2018 – Vf. 1-VII-18 – juris Rn. 8; vom 15.9.2021 – Vf. 2-VII-21 – juris Rn. 8; vom 22.2.2022 – Vf. 3-VII-20 – juris Rn. 20 m. w. N.).
Im vorliegenden Fall ist ein solches öffentliches Interesse zu verneinen. Der Verfassungsgerichtshof hat vor wenigen Monaten über die Vereinbarkeit des angegriffenen Art. 60 a GLKrWG mit der Bayerischen Verfassung entschieden und dabei die sich in diesem Zusammenhang stellenden verfassungsrechtlichen Fragen geklärt. Die Popularklage des Antragstellers zeigt keine Gesichtspunkte auf, die eine ergänzende Erörterung geboten erscheinen ließen. Der Antragsteller hat selbst erklärt, er habe – mit Blick auf die Entscheidung vom 28. September 2021 – keine neuen Argumente vorzutragen. Eine Fortführung des Verfahrens wäre somit nicht mit einer Klärung im öffentlichen Interesse stehender Fragen des Verfassungsrechts verbunden. IV.
Das Verfahren ist kostenfrei (Art. 27 Abs. 1 Satz 1 VfGHG).