Verwaltungsrecht

Darlegungsanforderungen an einen Berufungszulassungsantrag im Asylverfahren

Aktenzeichen  8 ZB 19.30631

Datum:
11.4.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 8698
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 S. 4
VwGO § 94, § 108 Abs. 2, § 138

 

Leitsatz

1 Infolge der grundlegenden Veränderung der politischen Verhältnisse in Äthiopien seit April 2018 haben nach der Rechtsprechung des Senats Personen wegen ihrer Tätigkeit für oder Mitgliedschaft in einer in Deutschland exilpolitisch tätigen Organisation, die einer in Äthiopien bis Sommer 2018 als Terrororganisation eingestuften Organisation nahesteht, bei einer Rückkehr grundsätzlich keine flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgungsmaßnahmen zu befürchten. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2 Das Zulassungsvorbringen genügt nicht den Darlegungsanforderungen, wenn kein die Entscheidung des Verwaltungsgerichts tragender Rechts- oder verallgemeinerungsfähiger Tatsachensatz benannt wird, der einem von einem Divergenzgericht aufgestellten Rechts- oder Tatsachensatz widersprechen würde. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
3 Fehler bei der Entscheidung über die Aussetzung des Verfahrens werden von § 138 VwGO nicht erfasst. Durch Mängel der verwaltungsgerichtlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung kann allenfalls dann der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt sein, wenn ein besonders schwerwiegender Verstoß vorliegt, vor allem, wenn die Würdigung des Gerichts auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Erfahrungssätze missachtet. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 7 K 17.32064 2018-12-27 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Der vom Kläger geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) ist nicht in einer Weise dargetan, die den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügt.
Einer Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zu, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Tatsachen- oder Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende obergerichtlich Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2017 – 11 ZB 17.31711 – juris Rn. 2; BVerwG, B.v. 21.11.2017 – 1 B 148.17 u.a. – juris Rn. 4 zu § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist. Ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2017 – 11 ZB 17.31711 – juris Rn. 2; BVerwG, B.v. 30.9.2015 – 1 B 42.15 – juris Rn. 3). Darzulegen sind mithin die konkrete Frage sowie ihre Klärungsbedürftigkeit, Klärungsfähigkeit und allgemeine Bedeutung (vgl. OVG NRW, B.v. 15.12.2017 – 13 A 2841/17.A – juris Rn. 3 ff.).
Zum einen hat der Kläger schon keine ausdrückliche Frage formuliert. Zum anderen ist eine klärungsbedürftige Frage aus seinem Vorbringen auch sonst nicht ersichtlich. Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass der Kläger sein Herkunftsland nicht vorverfolgt verlassen hat. Dem von ihm vorgetragenen Vorfluchtgeschehen hat das Gericht keinen Glauben geschenkt (Urteilsabdruck S. 8), was im Einzelnen dargelegt wurde. Hinsichtlich des Nachfluchtgrundes der exilpolitischen Betätigung, auf den sich das Zulassungsvorbringen beziehen dürfte, wurde ebenfalls kein Klärungsbedarf aufgezeigt. Die sich stellenden Fragen zu einer Verfolgung aufgrund exilpolitischer Betätigung in Deutschland können auf der Grundlage der aktuellen Rechtsprechung des Senats ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens beantwortet werden. Der Senat hat entschieden, dass infolge der grundlegenden Änderung der politischen Verhältnisse in Äthiopien seit April 2018 Personen wegen ihrer Mitgliedschaft in einer in Deutschland exilpolitisch tätigen Organisation, die einer der in Äthiopien bis Sommer 2018 als Terrororganisation eingestuften Organisationen der Ginbot7, OLF oder ONLF nahesteht, oder wegen einer exilpolitischen Tätigkeit für eine solche Organisation bei ihrer Rückkehr nach Äthiopien grundsätzlich nicht (mehr) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungsmaßnahmen befürchten müssen (vgl. BayVGH, U.v. 13.2.2019 – 8 B 17.31645 – juris; U.v. 13.2.2019 – 8 B 18.30257 – juris; U.v. 12.3.2019 – 8 B 18.30274 – juris; U.v. 12.3.2019 – 8 B 18.30252 – juris; U.v. 29.3.2019 – 8 B 18.30276 – noch nicht veröffentlicht).
2. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der Divergenz (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) ist ebenfalls nicht in einer Weise dargetan, die den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügt bzw. liegt nicht vor.
Der Zulassungsgrund der Divergenz setzt voraus, dass das verwaltungsgerichtliche Urteil von einer Entscheidung eines der in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG genannten übergeordneten Gerichte abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine Abweichung liegt vor, wenn das Verwaltungsgericht mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz oder einer verallgemeinerungsfähigen Tatsachenfeststellung von einem in der Rechtsprechung der genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen Rechts- oder Tatsachensatz in Anwendung derselben oder einer inhaltsgleichen Rechtsvorschrift ausdrücklich oder konkludent abrückt. Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes bzw. über den Tatsachensatz bestehen. Es kommt darauf an, ob das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung einen Rechts- oder Tatsachensatz zugrunde gelegt hat, der mit einem die Entscheidung tragenden Rechts- bzw. Tatsachensatz nicht übereinstimmt, den eines dieser Gerichte aufgestellt hat, nicht aber darauf, ob unterschiedliche oder ähnlich gelagerte Sachverhalte verschieden beurteilt worden sind (vgl. BVerwG, B.v. 11.8.1998 – 2 B 74.98 – NVwZ 1999, 406 = juris Rn. 2; B.v. 22.6.2015 – 4 B 59.14 – NuR 2015, 772 = juris Rn. 15; B.v. 31.7.2017 – 2 B 30.17 – juris Rn. 5 ff.).
Die Darlegung des Zulassungsgrunds der Divergenz nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG setzt dementsprechend voraus, dass ein inhaltlich bestimmter, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts tragender abstrakter Rechts- oder verallgemeinerungsfähiger Tatsachensatz benannt wird, mit dem dieses von einem in der Rechtsprechung des Divergenzgerichts in Anwendung derselben Vorschrift aufgestellten und entscheidungstragenden Rechts- oder Tatsachensatz abgewichen sein soll. Die divergierenden Sätze müssen präzise einander gegenübergestellt werden, sodass die Abweichung erkennbar wird (vgl. BVerwG, B.v. 27.4.2017 – 1 B 68.17 – juris Rn. 14 m.w.N.; BayVGH, B.v. 6.11.2017 – 6 ZB 17.1011 – juris Rn. 27; OVG NRW, B.v. 8.6.2015 – 4 A 361/15.A – juris Rn. 2). Das bloße Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen eines Gerichts genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge dagegen nicht (vgl. BVerwG, B.v. 21.11.2017 – 1 B 148.17 u.a. – juris Rn. 16).
Nach diesen Maßstäben hat der Kläger eine Divergenz nicht hinreichend aufgezeigt. Sein Zulassungsvorbringen genügt hinsichtlich der behaupteten Abweichung nicht den Darlegungsanforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG. Der Zulassungsantrag benennt keinen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts tragenden Rechts- oder verallgemeinerungsfähigen Tatsachensatz, der einem von einem Divergenzgericht aufgestellten Rechts- oder Tatsachensatz widersprechen würde. Im Übrigen geht das Verwaltungsgericht Bayreuth sogar in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats (vgl. oben 1.) davon aus, dass es zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht beachtlich wahrscheinlich ist, dass einem Asylbewerber bei einer Rückkehr nach Äthiopien eine Verfolgung wegen einer exilpolitischen Betätigung in der Bundesrepublik Deutschland drohen würde.
3. Schließlich hat der Kläger den Zulassungsgrund des Vorliegens eines Verfahrensmangels nach § 138 VwGO (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG) nicht in einer Weise dargelegt, die den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügt.
Fehler bei der Entscheidung über die Aussetzung eines Verfahrens (§ 94 VwGO) werden von § 138 VwGO schon nicht erfasst. Im Übrigen wurde ein solcher nicht dargelegt. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG, Art. 91 Abs. 1 BV) gemäß § 138 Nr. 3 VwGO wurde ebenfalls nicht hinreichend geltend gemacht (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG). Soweit sich der Kläger in der Sache gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) wendet, wird dadurch ebenfalls kein Berufungszulassungsgrund im Sinn von § 78 Abs. 3 AsylG benannt (vgl. BayVGH, B.v. 25.7.2018 – 8 ZB 18.31802 – juris Rn. 7; B.v. 31.10.2018 – 8 ZB 17.30339 – juris Rn. 9 ff.). Durch Mängel der gerichtlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung kann allenfalls der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, § 138 Nr. 3 VwGO, § 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt sein, wenn ein besonders schwerwiegender Verstoß vorliegt, vor allem wenn die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Gerichts auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Erfahrungssätze missachtet (vgl. BVerwG, B.v. 31.1.2018 – 9 B 11.17 – juris; B.v. 12.3.2014 – 5 B 48.13 – NVwZ-RR 2014, 660 = juris Rn. 22; BayVGH, B.v. 7.5.2018 – 21 ZB 18.30867 – juris Rn. 4). Dass ein solcher Mangel hier vorliegt, zeigt der Zulassungsantrag nicht auf.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 Satz 1 RVG.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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