Verwaltungsrecht

Disziplinarrechtlicher Verweis

Aktenzeichen  15 A 15/21 MD

Datum:
29.4.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG Magdeburg 15. Kammer
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:VGMAGDE:2022:0429.15A15.21MD.00
Spruchkörper:
undefined

Leitsatz

Bei einer längeren Dauer des Disziplinarverfahrens (vorliegend meh als zwei Jahre) kann es im Einzelfall an der Zweckmäßigkeit der Disziplinarmaßnahme fehlen.

Tenor

Die Disziplinarverfügung der Beklagten vom 01.04.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.08.2021 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen einen Verweis.
Es ist am …2000 geboren und als Polizeikommissarsanwärter Widerrufsbeamter im Dienst des Landes Sachsen-Anhalt. Im Jahr 2019 besuchte er die beklagte Fachhochschule der Polizei.
Am 14.11.2019 teilte der Polizeioberkommissar (POK) H. dem Rektor der Beklagten mit, der Kläger habe bei der Probe der Vereidigung vermeintlich den Hitlergruß gezeigt.
Mit Verfügung vom 15.11.2019 verbot die Beklagte unter Anordnung der sofortigen Vollziehung dem Kläger die Führung der Dienstgeschäfte. Seinen Antrag auf Widerherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen dieses Verbot lehnte das Verwaltungsgericht Magdeburg mit Beschluss vom 26.01.2020 – 5 B 399/19 MD ab. Die Beklagte hob mit Verfügung vom 13.02.2020 das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte wieder auf und der Kläger konnte zum 01.03.2020 seinen Vorbereitungsdienst fortsetzen.
Die Beklagte leitete gegen den Kläger mit Schreiben vom 11.02.2020 wegen des Verdachts, einen vermeintlichen Hitlergruß gezeigt und damit gegen seine Pflicht zur Verfassungstreue sowie seine Wohlverhaltenspflicht verstoßen zu haben, ein Disziplinarverfahren ein. Weil in der Angelegenheit gegen den Kläger ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren anhängig war, setzte die Beklagte das Disziplinarverfahren zunächst aus. Nachdem die Staatsanwaltschaft M. am 02.03.2020 das strafrechtliche Ermittlungsverfahren eingestellt hat, setzte die Beklagte das Disziplinarverfahren mit 19.03.2020 fort und setze einen Ermittlungsführer ein.
Unter dem 18.06.2020 übersandte die Beklagte dem Kläger den Ermittlungsbericht und gab ihm Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb eines Monats nach Zustellung des Berichts. Mit Schreiben vom 08/10.07.2020 und vom 08.08.2020 äußerte sich der Kläger zum Sachverhalt und stellte Beweisanträge, welche die Beklagte mit Schreiben vom 09.09.2020 und vom 02.10.2020 ablehnte. Mit Schreiben vom 02.10.2020 übersandte die Beklagte dem Kläger einen ergänzenden Ermittlungsbericht und gab ihm Gelegenheit hierzu innerhalb eines Monats nach Zustellung vorzutragen.
Nach vorheriger Zustimmung des Ministeriums f. … sprach die Beklagte mit Disziplinarverfügung vom 01.04.2021 dem Kläger einen Verweis aus. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 06.08.2021 als unbegründet zurückwies.
Mit der am 05.09.2021 erhobenen Klage wendet sich der Kläger weiter gegen die Disziplinarverfügung. Zur Begründung der Klage beruft er sich im Wesentlichen auf die Einstellung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens durch die Staatanwaltschaft und führt aus: Die ausgesprochene Disziplinarmaßnahme sei nicht gerechtfertigt, weil kein Rechtsverstoß durch den Kläger vorliege. Auch sei die ausgesprochene Disziplinarmaßnahme nicht zweckmäßig.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Disziplinarverfügung der Beklagten vom 01.04.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.08.2021 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Klageerwiderung trägt sie vor: Der Kläger habe bei der Übung des Schwurs seine Hand über seinen Kopf hinaus in einer Art und Weise erhoben, die dem Hitlergruß zum Verwechseln ähnlich gesehen habe. Lediglich die fehlende Streckung des rechten Arms sowie die flache Hand hätten sein Verhalten vom strafrechtlich relevanten Hitlergruß unterscheiden lassen. Der Bewegungsablauf habe jedoch stark an die übliche Grußform der Nationalsozialisten im 3. Reich erinnert. Der Kläger habe damit gegen seine Pflicht zur Verfassungstreue und gegen seine Wohlverhaltenspflicht verstoßen. Ermittlungen im persönlichen Umfeld des Klägers hätten keinerlei Hinweise auf Charakterschwächen oder eine rechtsextreme Gesinnung ergeben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens, derjenigen mit dem Aktenzeichen 5 B 399/19 MD und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet. Denn die angefochtene Disziplinarverfügung in Gestalt des Widerspruchsbescheides ist nicht zweckmäßig und verletzt den Kläger dadurch in seinen Rechten (§§ 3, 59 Abs. 3 DG LSA; § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach § 59 Abs. 3 DG LSA prüft das Gericht bei der Klage des Beamten gegen eine Disziplinarverfügung neben der Rechtmäßigkeit auch die Zweckmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung. Von dieser Prüfungsbefugnis macht das Gericht Gebrauch und hält die angefochtene Disziplinarverfügung jedenfalls nicht für zweckmäßig, was zur Aufhebung der Disziplinarmaßnahme genügt. Dabei geht das Disziplinargericht bereits davon aus, dass dem Kläger kein – jedenfalls gravierender – Pflichtenverstoß vorzuwerfen ist, so dass eine Disziplinarmaßnahme zur Pflichtenermahnung nicht angezeigt erscheint.
1. Zur Überzeugung des Gerichts hat der Kläger bei der Übung des Diensteides am 14.11.2019 seine Hand in regelwidriger Art und Weise über den Kopf erhoben, die der POK H. als angedeuteten Hitlergruß verstanden hat.
2. Allein durch seine regelwidrige Armbewegung bei der Übung des Diensteides hat der Kläger jedoch noch nicht seine Pflicht zur Verfassungstreue (§ 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG) verletzt. Denn ein Verstoß gegen die Treuepflicht liegt erst dann vor, wenn das äußerlich gezeigte Verhalten des Beamten von einer inneren verfassungsfeindlichen Gesinnung getragen wird (VG Magdeburg, U. v. 27.09.2018 – 15 A 41/16 -, juris, Rdnr. 69; VG Münster, U. v. 26.02.2018 – 13 K 768/17.0 -, juris, Rdnr. 79). Dass der Kläger verfassungsfeindliche Auffassungen teilt oder mit ihnen sympathisiert, lässt sich nicht mit dem erforderlichen Grad an richterlicher Gewissheit feststellen. Nach den Feststellungen der Beklagten im behördlichen Verfahren gibt es keine Anhaltspunkte für eine rechtsextreme Gesinnung des Klägers. Nach dem Eindruck des POK H., der am 14.11.2019 mit den Studienanfängern die Vereidigung übte und den Vorfall dem Rektor der Beklagten mitgeteilt hatte, hat der Kläger aus Spaß den Arm in einer regelwidrigen Weise erhoben. Hierfür sprechen auch die Aussagen seiner Studienkollegen im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, die den Kläger als eine Person beschreiben, die nicht immer alles so ernst nehme und zudem immer einen lockeren Spruch auf den Lippen habe.
3. Auch, wenn ein Verstoß des Klägers gegen seine Treuepflicht nicht festzustellen ist, so hat er durch die ihm vorgehaltene regelwidrige Armbewegung bei der Übung des Diensteides jedenfalls gegen seine beamtenrechtliche Pflicht zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten innerhalb und außerhalb des Dienstes (§ 34 Satz 3 BeamtStG) verstoßen. Ein Beamter ist nämlich im Interesse des Vertrauens der Öffentlichkeit in eine dem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat verpflichtete Beamtenschaft gehalten zu vermeiden, dass er durch sein dienstliches Verhalten in vorhersehbarer und ihm daher zurechenbarer Weise den Anschein setzt, verfassungsfeindliche Ansichten Dritter zu teilen, zu fördern oder auch nur mit ihnen zu sympathisieren. Denn im Interesse der Akzeptanz und der Legitimation staatlichen Handelns ist er verpflichtet, bereits den Schein der Identifikation mit einem dem freiheitlichen Rechtsstaat diametral entgegengesetzten Gedankengut und mit Bestrebungen zu vermeiden, die sich zu einem solchen Gedankengut bekennen. Schon das zurechenbare Setzen eines solchen Scheins stellt eine disziplinarrechtlich bedeutsame Dienstpflichtverletzung dar. Diese Annahme ist ohne Verstoß gegen die verfassungsrechtlich verbürgte Unschuldsvermutung dann möglich, wenn das “den bösen Schein” begründende Verhalten (in besonderer Weise) geeignet ist, die Akzeptanz oder Legitimation staatlichen Handelns (in bedeutsamer Weise) zu beeinträchtigen. Pflichtwidrig handelt also auch der, der kein Gegner der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist, durch konkretes Handeln aber diesen Anschein hervorruft. Dies gilt in besonderem Maße für einen Polizeibeamten (vgl. VG Münster, U. v. 10.07.2017 – 13 K 5475/16.0 -, juris, Rdnr. 165; BVerwG, B. v. 17.05.2001 – DB 15/01 -, juris, Rdnr. 36; VG Magdeburg, B. v. 02.11.2016 – 15 B 29/16 -, juris, Rdnr. 32 a. E.). Darauf, ob der Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht auch eine Straftat darstellt, kommt es nicht an.
4. Die Auswahl der im Einzelfall erforderlichen Disziplinarmaßnahme richtet sich gemäß § 13 Abs. 1 Sätze 2 bis 4 DG LSA nach der Schwere des Dienstvergehens unter angemessener Berücksichtigung des Persönlichkeitsbildes des Beamten und der durch das Dienstvergehen herbeigeführten Vertrauensbeeinträchtigung. Dazu sind die genannten Bemessungskriterien mit dem ihnen im Einzelfall zukommenden Gewicht zu ermitteln und in die Entscheidung einzustellen, um dem in Disziplinarverfahren geltenden Schuldprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Übermaßverbot) zu genügen. Die Disziplinarmaßnahme muss unter Berücksichtigung aller be- und entlastender Umstände des Einzelfalles in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten stehen.
Für die dem Kläger vorgeworfene Dienstpflichtverletzung gibt es keine disziplinare Regelmaßnahme. Denn die Handlungsbreite, in der eine Ansehensschädigung denkbar ist, ist zu groß, als dass sie einheitlichen Regeln unterliegen und in ihren Auswirkungen auf Achtung und Vertrauen gleichermaßen eingestuft werden könnten. Zu betrachten sind stets die Umstände des Einzelfalles (VG Münster, U. v. 26.02.2018 – 13 K 768/17.0 -, juris, Rdnr. 105 ff. m. w. N.). Als Disziplinarmaßnahme kann je nach den Umständen auf einen Verweis bis hin zur Entfernung aus dem Dienst erkannt werden.
Bei der Bemessung des Disziplinarmaßes ist vorliegend zwar zu berücksichtigen, dass eine regelwidrige Armbewegung bei der Übung des Diensteides und ggf. bei dem Diensteid in Anwesenheit von ca. 200 Studenten einer Polizeifachhochschule in besondere Weise geeignet ist, das Ansehen der Polizei zu schädigen. Es liegt im öffentlichen Interesse, wenn die Beklagte Verhaltensweisen von Polizeianwärtern auch mit den Mitteln des Disziplinarrechts ahndet, die den Anschein erwecken, dass diese mit rechtsextremen Gedankengut sympathisieren. Zu Recht hat die Beklagte auch das jugendliche Alter und die geringe berufliche Erfahrung und sein sonstiges positives Verhalten während der Dauer des Verbots der Dienstgeschäfte und des Disziplinarverfahrens zu Gunsten des Klägers berücksichtigt. Grundsätzlich wäre die Ahndung der regelwidrigen Armbewegung des Klägers bei der Übung des Diensteides mit einem Verweis, den die Beklagte in der angefochtenen Disziplinarverfügung ausgesprochen hat, angemessen.
5. Aufgrund der besonderen Umstände des vorliegenden Einzelfalles ist jedoch die Erteilung eines Verweises nicht mehr zweckmäßig. Das Disziplinarrecht dient vordringlich der Pflichtenmahnung des Beamten für die Zukunft (VG Magdeburg, U. v. 01.12.2011 – 8 A 18/10 -, juris, Rdnr. 55). Zur Überzeugung des Gerichts bewirkt allein das Disziplinarverfahren einschließlich des gerichtlichen Verfahrens und dessen Dauer von mehr als zwei Jahren seit Vollendung des Dienstvergehens, dass der Kläger künftig von dem ihm zur Last gelegten Fehlverhalten Abstand nehmen wird. Eine lange Dauer des Disziplinarverfahrens vermindert das disziplinarrechtliche Sanktionsbedürfnis, weil anzunehmen ist, dass das Verfahren selbst den Betroffenen belastet hat. Die in Folge des Zeitablaufs und aufgrund der veränderten Lebensumstände eingetretenen nachteiligen Wirkungen können der disziplinarrechtlichen Sanktion gleichkommen (vgl. zuletzt: VG Magdeburg, U. v. 30.06.2020 – 15 A 16/19 -, juris, Rdnr. 57 m. w. N.). Das dem Kläger vorgeworfene Fehlverhalten liegt mehr als zwei Jahre zurück. Wegen der längeren Dauer des Disziplinarverfahrens und der von ihm für den Kläger ausgehenden belastenden Wirkung ist der Ausspruch eines Verweises gegen ihn nicht mehr zweckmäßig und das Gericht nimmt hiervon Abstand. Auch ist zu berücksichtigen, dass die ersten Dienstjahre für einen Beamten besonders prägend sind und die Einleitung eines Disziplinarverfahrens zu Beginn seiner dienstlichen Tätigkeit sich – zumindest für die nächsten Dienstjahre – disziplinierend auf sein weiteres dienstliches und außerdienstliches Verhalten auswirken wird. Auch aus diesem Grunde sieht das Gericht eine Disziplinarmaßnahme gegen den Kläger nicht als zweckmäßig an.
3) Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 72 Abs. 4 DG LSA, 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gemäß § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711, 709 Satz 2 ZPO.


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