Verwaltungsrecht

Duldung des Weiterbetriebes einer Spielhalle

Aktenzeichen  22 CS 17.2261

Datum:
24.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BayVBl – 2018, 320
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
§ 149 Abs. 1 Satz 1 VwGO

 

Leitsatz

1. Mit der in § 9 Abs. 2 S. 1 GlüStV iVm Art. 10 S. 2 Hs. 2 BayAGGlüStV getroffenen Festlegung, dass Klagen gegen behördliche Anordnungen, die in Vollzug des Glücksspielstaatsvertrags u.a. in Bezug auf Spielhallen ergehen, keine aufschiebende Wirkung zukommt, ist es nicht vereinbar, dem zuständigen Träger öffentlicher Gewalt aus Anlass einer in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes eingelegten Beschwerde gleichsam „routinemäßig“ aufzugeben, bis zur Entscheidung hierüber von Vollzugsmaßnahmen abzusehen und auf diese Weise die Rechtsfolgen zu ignorieren, die der Glücksspielstaatsvertrag und das bayerische Ausführungsgesetz an den Betrieb von Spielhallen knüpfen, für die keine Erlaubnis nach § 24 GlüStV vorliegt. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Anlass für das Beschwerdegericht, bei einer in einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren eingelegten Beschwerde die Behörde aufzufordern, bis zur Entscheidung hierüber von Vollzugsmaßnahmen abzusehen, besteht – auch im Licht des Grundrechts aus Art. 19 Abs. 4 GG – nur, wenn entweder angenommen werden muss, dass dem Rechtsschutzsuchenden anderenfalls ein gewichtiger, bei einem Erfolg seiner Beschwerde nicht mehr wiedergutzumachender Nachteil entsteht, oder wenn sich bereits abzeichnet, dass die streitgegenständliche behördliche Maßnahme in derart offensichtlichem und gravierendem Widerspruch zum geltenden Recht steht, dass ihre auch nur vorübergehende Durchsetzung mit Blickrichtung auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes trotz der in § 149 Abs. 1 S. 1 VwGO und im jeweils einschlägigen Fachrecht (hier: § 9 Abs. 2 S. 1 GlüStV iVm Art. 10 S. 2 Hs. 2 BayAGGlüStV) getroffenen Wertungen nicht hinnehmbar erscheint. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag, der Antragsgegnerin aufzugeben, bis zur Entscheidung über die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 9. Oktober 2017 den Weiterbetrieb der Spielhallen I., C. T., M. und R. förmlich zu dulden, wird abgelehnt.
II. Der Kostenausspruch und die Streitwertfestsetzung bleiben der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe

I.
Die Antragsgegnerin erteilte der Antragstellerin am 24. November 2008 Erlaubnisse nach § 33i GewO für den Betrieb von acht Spielhallen im Anwesen F-straße 23.
Durch Bescheide vom 30. Juni 2017 lehnte sie gegenüber der Antragstellerin in Bezug auf diese acht Spielhallen die Erteilung von Erlaubnissen nach § 24 GlüStV, ferner die Zulassung von Ausnahmen von der Einhaltung des Mindestabstands zu den jeweils sieben anderen Spielhallen (§ 25 Abs. 1 GlüStV i.V.m. Art. 9 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2, Satz 2 AGGlüStV) sowie Befreiungen (§ 29 Abs. 4 Satz 4 GlüStV i.V.m. Art. 12 AGGlüStV) von dem in § 25 Abs. 2 GlüStV i.V.m. Art. 9 Abs. 2 Satz 1 AGGlüStV geregelten Verbot ab. Gleichzeitig ordnete die Antragsgegnerin unter Zwangsgeldandrohung die Einstellung des Betriebs der acht Spielhallen ab der Bekanntgabe der Bescheide vom 30. Juni 2017 an.
Über die Klagen, die die Antragstellerin gegen diese Bescheide erhoben hat, wurde noch nicht entschieden.
Die sinngemäßen Anträge, die aufschiebende Wirkung dieser Klagen anzuordnen sowie im Weg einer einstweiligen Anordnung vorläufig festzustellen, dass die Antragsgegnerin der Antragstellerin die fehlenden Erlaubnisse nach § 24 GlüStV für den Betrieb der acht Spielhallen ab dem 1. Juli 2017 nicht entgegenhalten dürfe, ferner der Antragsgegnerin im Wege eines „Hängebeschlusses“ aufzugeben, den Weiterbetrieb der acht Spielhallen (hilfsweise von vier enumerativ aufgeführten Spielhallen) bis zur Entscheidung des Gerichts förmlich zu dulden, lehnte das Verwaltungsgericht durch Beschluss vom 9. Oktober 2017 (Az. Au 8 S. 17.1028, Au 8 S. 17.1029, Au 8 S. 17.1030, Au 8 S. 17.1031, Au 8 S. 17.1032, Au 8 S. 17.1033, Au 8 S. 17.1034 und Au 8 S. 17.1035) ab. Da die Antragsgegnerin im Rahmen der Antragserwiderung zugesichert hatte, bis zur Entscheidung des Gerichts keine Vollstreckungsmaßnahmen zu ergreifen, fehle der Antragstellerin das für den Erlass eines „Hängebeschlusses“ erforderliche Rechtsschutzbedürfnis.
Nach Aktenlage erteilte die Antragsgegnerin am 10. Oktober 2017 Erlaubnisse gemäß § 24 GlüStV für vier der im Anwesen F-straße 23 befindlichen Spielhallen.
Mit der gegen den Beschluss vom 9. Oktober 2017 eingelegten Beschwerde verfolgt die Antragstellerin – bezogen auf die vier weiteren, in der Nummer I des Tenors der vorliegenden Entscheidung namentlich genannten Spielhallen – das Begehren weiter, die aufschiebende Wirkung der Klagen gegen die Bescheide vom 30. Juni 2017 anzuordnen und die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihr vorübergehend bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache Erlaubnisse nach § 24 GlüStV für diese vier Spielhallen zu erteilen. Hilfsweise beantragt sie, die Antragsgegnerin zur Duldung dieser vier Spielhallen bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache zu verpflichten und im Weg einer einstweiligen Anordnung vorläufig festzustellen, dass die Antragsgegnerin ihr die fehlenden Erlaubnisse nach § 24 GlüStV für den Betrieb dieser Spielhallen nicht entgegenhalten dürfe. Ebenfalls hilfsweise beantragt sie,
der Antragsgegnerin im Wege eines „Hängebeschlusses“ aufzugeben, bis zur Entscheidung durch das Gericht den Weiterbetrieb der vier Spielhallen förmlich zu dulden.
II.
Gegenstand des vorliegenden Beschlusses bildet allein der Antrag auf Erlass eines „Hängebeschlusses“; die Entscheidung über die Beschwerde als solche bleibt gesonderter Beschlussfassung vorbehalten.
Dieser Antrag, der bei sachgerechter Würdigung des Rechtsschutzziels der Antragstellerin (§ 88 VwGO) trotz seiner Bezeichnung als (weiterer) Hilfsantrag nicht so zu verstehen ist, dass über ihn erst befunden werden soll, nachdem die vorrangig gestellten Anträge abschlägig verbeschieden wurden, bleibt ohne Erfolg.
Der Verwaltungsgerichtshof lässt sich hierbei von der Erwägung leiten, dass Beschwerden gegen Beschlüsse nach § 80 Abs. 5 VwGO und § 123 VwGO gemäß § 149 Abs. 1 Satz 1 VwGO – abgesehen von den in der letztgenannten Vorschrift sowie in § 149 Abs. 2 VwGO bezeichneten Fällen – keine aufschiebende Wirkung zukommt. Mit dieser gesetzlichen Wertung ebenso wie mit der in § 9 Abs. 2 Satz 1 GlüStV i.V.m. Art. 10 Satz 2 Halbs. 2 AGGlüStV getroffenen Festlegung, dass Klagen gegen behördliche Anordnungen, die in Vollzug des Glücksspielstaatsvertrags u.a. in Bezug auf Spielhallen ergehen, keine aufschiebende Wirkung zukommt, wäre es nicht vereinbar, dem zuständigen Träger öffentlicher Gewalt aus Anlass einer in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes eingelegten Beschwerde gleichsam „routinemäßig“ aufzugeben, bis zur Entscheidung hierüber von Vollzugsmaßnahmen abzusehen und auf diese Weise die Rechtsfolgen zu ignorieren, die der Glücksspielstaatsvertrag und das bayerische Ausführungsgesetz an den Betrieb von Spielhallen knüpfen, für die keine Erlaubnis nach § 24 GlüStV vorliegt (vgl. vor allem Art. 13 Abs. 1 Nr. 7 AGGlüStV). Anlass, eine solche Aufforderung auszusprechen, besteht – auch im Licht des Grundrechts aus Art. 19 Abs. 4 GG – vielmehr nur, wenn entweder angenommen werden muss, dass dem Rechtsschutzsuchenden andernfalls ein gewichtiger, bei einem Erfolg seiner Beschwerde nicht mehr wiedergutzumachender Nachteil entsteht, oder wenn sich bereits abzeichnet, dass die streitgegenständliche behördliche Maßnahme in derart offensichtlichem und gravierendem Widerspruch zum geltenden Recht steht, dass ihre auch nur vorübergehende Durchsetzung mit Blickrichtung auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes trotz der in § 149 Abs. 1 Satz 1 VwGO und im jeweils einschlägigen Fachrecht (hier: § 9 Abs. 2 Satz 1 GlüStV i.V.m. Art. 10 Satz 2 Halbs. 2 AGGlüStV) getroffenen Wertungen nicht hinnehmbar erscheint.
Die Antragstellerin hat in der Beschwerdebegründung nicht aufgezeigt, dass sie einen irreparablen oder auch nur schwer wieder rückgängig zu machenden Nachteil erleidet, wenn sie die vier Spielhallen, die allein noch den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens bilden, bis zur Entscheidung über ihr Rechtsmittel nicht betreiben darf. Zu solchem Vortrag hätte umso mehr Anlass bestanden, als das Verwaltungsgericht in der Randnummer 79 der angefochtenen Entscheidung unter zutreffender Bezugnahme auf den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 14. September 2017 (M 16 S. 17.3330 – juris Rn. 47) den Eintritt solcher Folgen selbst vor dem Hintergrund der tatsächlichen Gegebenheiten verneint hat, die beim Abschluss des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens in erster Instanz noch bestanden (damals war die Antragstellerin noch verpflichtet, alle acht Spielhallen geschlossen zu halten). Da die Antragstellerin nunmehr für vier der im Anwesen F* …straße 23 bestehenden Spielhallen über eine Erlaubnis nach § 24 GlüStV verfügt, lässt sich eine solche Situation derzeit erst recht nicht mehr bejahen.
Auch wenn durch den vorliegenden Beschluss der eingehenden inhaltlichen Prüfung der Beschwerde nicht vorgegriffen werden kann, vermag der Verwaltungsgerichtshof derzeit ferner nicht zu erkennen, dass die Bescheide vom 30. Juni 2017, soweit ihnen gegenwärtig noch Bedeutung zukommt, und der Beschluss vom 9. Oktober 2017 in offensichtlichem und gravierendem Widerspruch zur Rechtsordnung stehen, so dass die Antragstellerin allein schon deswegen von den sich hieraus ergebenden Rechtsfolgen bis zum Abschluss des Beschwerdeverfahrens verschont bleiben muss. Insbesondere darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass das Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 7. März 2017 (1 BvR 1314/12 u.a. – NVwZ 2017, 1111 Rn. 118 ff.) das in § 25 Abs. 2 GlüStV normierte „Verbundverbot“, von dessen Gültigkeit die Rechtmäßigkeit der Versagung einer Erlaubnis nach § 24 GlüStV für die vier noch verfahrensgegenständlichen Spielhallen wesentlich abhängt, sowie die Mindestabstandsregelung in § 25 Abs. 1 GlüStV als in jeder Hinsicht mit dem Grundgesetz vereinbar angesehen hat.
Gegen die Annahme, die unionsrechtliche Lage lasse sich schlechthin nicht anders beurteilen, als dies in der Beschwerdebegründung vertreten wird, könnten u. a. die Ausführungen in den Randnummern 83 bis 88 des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Dezember 2016 (8 C 6.15 – BVerwGE 157, 127) sprechen. Dass diese Entscheidung den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof nicht von der Pflicht entbindet, die seitens der Antragstellerin vorgetragene gegenläufige Auffassung eingehend und ergebnisoffen zu würdigen, wird bei alledem nicht verkannt.
Einen Kostenausspruch braucht die vorliegende Zwischenentscheidung angesichts ihrer fehlenden instanzbeendenden Wirkung nicht zu enthalten. Gleiches gilt im Hinblick auf § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG für eine Streitwertfestsetzung.
Die das Gebäude F-straße 23 betreffenden Grundrisspläne und Lichtbilder, die dem Verwaltungsgerichtshof u.a. in dem zwischen den gleichen Beteiligten anhängigen Verfahren 22 ZB 16.1593 vorgelegt wurden, werden zum Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens gemacht.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen