Verwaltungsrecht

Duldungsanordnung, Unbefristete Pflicht zur Duldung einer bereits vorhandenen Wasserleitung des Wasserversorgers auf dem eigenen Grundstück zur Versorgung von Dritten (abgelehnt), Anforderungen an die Heilung von Begründungsdefiziten, Anforderungen an die Begründung einer Sofortvollzugsanordnung, Sofortvollzugsinteresse, Grenzen der Selbsthilfe und Besitzwehr gegen rechtswidrige Beanspruchung von Grundeigentum durch Wasserversorger

Aktenzeichen  M 2 S 22.1725

Datum:
2.6.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 13755
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 3 und 5
BayVwVfG Art. 39, 45
GO Art. 24 Abs. 2
BGB §§ 129 f., 859
Wasserabgabesatzung

 

Leitsatz

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 21. März 2022 gegen den Bescheid der Gemeindewerke … – … gKU vom 21. Februar 2022 wird wiederhergestellt.
II. Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,– EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer gegen eine Duldungsverpflichtung erhobenen Anfechtungsklage.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Grundstücks Fl.-Nr. …, Gem. …, auf dem im Bereich der Zufahrt eine Wasserleitung verläuft, die ausschließlich der Versorgung zweier Nachbargrundstücke (Fl.Nr. … und …, Gem. …) dient. Die Wasserleitung wurde im Zuge der Errichtung eines Einfamilienhauses durch die Antragstellerin entdeckt. Für diese Wasserleitung ist kein dingliches Recht im Grundbuch eingetragen. Eine Verständigung der Nachbarn und der Antragstellerin über eine Verlegung der Leitung oder eine grundbuchmäßige Absicherung gegen Entschädigung blieben ohne Ergebnis.
Die Gemeinde … und die Nachbargemeinde … führen ein gemeinsames Kommunalunternehmen mit dem Namen „Gemeindewerke … – … gKU“. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Buchst. b) der Unternehmenssatzung vom 16. Dezember 2016 wurde dem Unternehmen als Aufgabe u.a. die Versorgung des Gebiets der beteiligten Gemeinden mit Trinkwasser übertragen. Nach § 2 Abs. 5 Satz 1 Buchst. a) der Unternehmenssatzung sind die Gemeindewerke berechtigt, anstelle der Träger Satzungen über die Benutzungen der Einrichtungen für die übertragenen Aufgaben zu erlassen. In der entsprechenden Satzung für die öffentliche Wasserversorgungseinrichtung des gemeinsamen Kommunalunternehmens (Wasserabgabesatzung – WAS) vom 23. Oktober 2019 ist in § 14 eine auf entsprechende Leitungen gerichtete Duldungspflicht für Eigentümer nach Maßgabe der Mustersatzung normiert (vgl. Muster für eine gemeindliche Wasserabgabesatzung, Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums des Innern vom 13. Juli 1989, Az. IB1-3003-16/6 (86), AllMBl. S. 579).
Mit einem Schreiben vom 21. Februar 2022, dem eine Rechtsbehelfsbelehrungbeigefügt ist, verpflichtete die Antragsgegnerin die Antragstellerin zu dulden, „dass das in Ihrem Eigentum stehende Grundstück Fl.-Nr. …, Gemarkung …, zur Durchleitung von Wasser auf einer Länge von 22 Metern entsprechend dem Eintrag der örtlichen Lage auf beiliegendem Plan durch die Gemeinde in Anspruch genommen wird. Das Belassen der Wasserleitung ist für die Sicherstellung einer geordneten örtlichen Wasserversorgung erforderlich. Die Gemeinde oder deren Beauftragte dürfen nach vorheriger Benachrichtigung die zum Betrieb der Wasserleitung erforderlichen Begehungen, zu Kontrollzwecken und für Unterhaltungsarbeiten sowie Erneuerungsarbeiten durchführen. Sie haben jede Handlung zu unterlassen, die den Unterhalt der Leitung beeinträchtigen, insbesondere dürfen Sie keine Überbauungen oder Anpflanzungen vornehmen. Die sofortige Vollziehung wird angeordnet. (…) Die Duldungspflicht ergibt sich aus § 93 WHG i.V.m. § 14 WAS“.
Hiergegen hat die Antragstellerin mit Anwaltsschriftsatz vom 21. März 2022 Klage erhoben (M 2 K 22.1724). Gleichzeitig erstrebt sie Eilrechtsschutz gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung.
In formeller Hinsicht hält sie die Anordnung des Sofortvollzugs bereits für nicht ausreichend begründet. Außerdem sei der Verwaltungsakt rechtswidrig. Für eine Anordnung auf Basis des § 93 WHG sei die Antragsgegnerin schon gar nicht zuständig; zuständige Behörde sei insoweit das Landratsamt. Auch im Übrigen seien die Voraussetzungen des § 14 WAS nicht gegeben, weil es sich bei der Leitung, von der die Antragstellerin in keiner Weise profitiere, nicht um eine Versorgungsleitung im Sinne von § 3 WAS handele. Ferner könnten die beiden Nachbargrundstücke ohne jede Schwierigkeit von öffentlichem Grund (der …straße) aus ohne Inanspruchnahme des Grundstücks Fl.-Nr. … mit einer Wasserleitung versorgt werden.
Die Antragstellerin beantragt daher,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 21. Februar 2022 wiederherzustellen.
Die Antragsgegnerin beantragt mit Schriftsatz vom 4. April 2022,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung trägt sie vor, dass sie auf Basis einer Aufgabenübertragung nach Art. 89 Abs. 2 GO Befugnisse ausübe. Entsprechend sei die Antragsgegnerin zuständig. Die umstrittene Leitung stelle durchaus eine Versorgungsleitung dar. Eine unentgeltliche Duldung der bereits verlegten Leitung läge im Übrigen im Interesse einer möglichst kostengünstigen Wasserversorgung, eine Verlegung wäre mit Kosten in Höhe von knapp 40.000 € für die Antragsgegnerin verbunden. Es handele sich daher um eine angemessene und zulässige Inhaltsbestimmung des Eigentums. Im Übrigen führe die Duldungsanordnung zu keiner praktischen Einschränkung der Nutzung des Grundstücks der Antragstellerin. Außerdem sei es der Antragsgegnerin trotz ernsthafter und mehrfacher Bemühungen nicht gelungen, sich mit den betroffenen Eigentümern zu angemessenen Bedingungen zu einigen. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei gerechtfertigt, da das Vollzugsinteresse das Interesse am Suspensiveffekt überwiege.
Mit Beschluss vom 2. Mai 2022 wurden die Eigentümer der beiden Nachbargrundstücke Fl.Nr. … und …, Gem. …, und mit Beschluss vom 23. Mai 2022 die Gemeinde beigeladen. Der Beigeladene zu 1) äußerte sich mit Schriftsatz vom 12. Mai 2022, stellte aber keinen Sachantrag. Er trug vor, dass es für den Erfolg des Eilantrags nur darauf ankomme, ob der Antragstellerin durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung ein Nachteil entstehe, der ihr bis zur Hauptsacheentscheidung nicht zuzumuten sei; dies sei nicht der Fall, weil die Hinnahme der Leitung bis zur Entscheidung in der Hauptsache die Antragstellerin in keiner Weise beeinträchtige, insbesondere sei nicht erkennbar, dass sie in nächster Zeit an jener Stelle ihres Grundstücks Maßnahmen vornehmen wolle, an der sich unterirdisch die Leitung befinde. Der Beigeladene zu 2) und die Beigeladene zu 3) äußerten sich nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die vorgelegten Behördenakten sowie die Gerichtsakte, auch im Verfahren M 2 K 22.1724, verwiesen.
II.
A. Der zulässige Antrag nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) hat Erfolg. Die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung ist formell fehlerhaft. Außerdem ist der Bescheid vom 21. Februar 2022 nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage voraussichtlich rechtswidrig und verletzt die Antragstellerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO). Die Klage in der Hauptsache wird daher voraussichtlich erfolgreich sein, so dass ihre aufschiebende Wirkung wiederherzustellen ist.
I. Vorliegend handelt es sich bei der Anordnung des Sofortvollzugs durch die Antragsgegnerin nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO um eine Maßnahme im dreipoligen Verhältnis; der Prüfungsmaßstab ergibt sich für das Gericht daher aus § 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO. Zwar begünstigt im Sinne von § 80a Abs. 2 VwGO der an die Antragstellerin adressierte Duldungsbescheid nicht die Beigeladenen zu 1) und zu 2), aber die Beigeladene zu 3).
1. Für die Annahme einer Begünstigung genügt es, dass der die Antragstellerin belastende Verwaltungsakt für den Dritten – die Beigeladenen – rechtliche und nicht nur faktische Auswirkungen hat; auf eine Betroffenheit in klagefähigen subjektiven Rechten kommt es dabei nicht an (vgl. Schoch in Schoch/ Schneider, VwGO, 24. EL August 2012, § 80a Rn. 12a). Bei einer auf § 93 WHG gestützte Anordnung zur Duldung einer bereits existierenden Leitung kann diese insoweit privatrechtsgestaltend wirken, indem sie dem Begünstigten einen eigenständigen privatrechtlichen Duldungsanspruch eigener Art gegenüber dem Grundeigentümer vermittelt, der auf dem Zivilrechtsweg durchsetzbar ist (vgl. Stelkens, VerwArch 100 [2009], 192/196 ff. zu den damaligen Wassergesetzen der Länder; zustimmend nun für § 93 WHG Zöllner in Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp, WHG, EL 44, September 2012, § 93 Rn. 40). An einer solchen privatrechtsgestaltenden Wirkung fehlt es vorliegend aber. Die hier auf Art. 24 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3 GO (hierzu noch unten) gestützte Anordnung kann eine solche Wirkung schon deshalb nicht begründen, weil die Norm eine öffentliche Einrichtung voraussetzt. Private sind von vornherein nicht im „Wirkungskreis“ der Norm und können daher von ihr auch nicht rechtlich begünstigt werden (vgl. insoweit auch Stelkens, VerwArch 100 [2009], 192/198). Es ist daher auch nicht von Relevanz, ob die auf dem Grundstück der Antragstellerin verlaufenden Leitungen als Grundstücksanschlüsse oder als Versorgungsleitungen (im Sinne von § 3 WAS) zu qualifizieren sind.
2. Der Bescheid begünstigt allerdings (auch) die Gemeinde als Dritte, soweit er ihr ein Betretungsrecht einräumt und insoweit diese zu einer hoheitlichen Maßnahme ermächtigen will.
II. Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nach § 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auch auf den Antrag des Betroffenen die aufschiebende Wirkung seiner Klage im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen. Hinsichtlich der behördlichen Anordnung des Sofortvollzugs nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO prüft das Gericht zunächst, ob diese formell rechtmäßig ist. Sodann trifft es eine eigene Abwägungsentscheidung zwischen dem von der Behörde geltend gemachten eigenen Interesse und Interesse der begünstigten Beigeladenen zu 3) an der sofortigen Vollziehung des Bescheids und dem Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind vorrangig die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein mögliche summarische Überprüfung, dass der Rechtsbehelf offensichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse der Antragstellerin jedenfalls dann zurück, wenn zudem ein besonderes Vollzugsinteresse der Behörde besteht. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei kursorischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht kein Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Es kommt insoweit – entgegen der Ansicht des Beigeladenen zu 1) – also nicht darauf an, ob die Sofortvollziehungsanordnung mit einem Nachteil für die Antragstellerin verbunden ist, weil ihr etwa die Vornahme beabsichtigter Baumaßnahmen verwehrt ist; es genügt insoweit der schlichte Nachteil, Adressat einer Sofortvollzugsmaßnahme zu sein. Soweit der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar ist, verbleibt es bei einer Interessenabwägung.
III. Der Sofortvollzug wurde im streitgegenständlichen Bescheid gar nicht und damit – da kein Fall von § 80 Abs. 3 Satz 2 VwGO vorliegt – entgegen § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO auch nicht ordnungsgemäß begründet. Abgesehen davon, dass auch die im Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 4. April 2022 vorgelegten Ausführungen zum Sofortvollzug den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, der eine auf den Einzelfall ausgerichtete Begründung verlangt (vgl. Buchheister in Wysk, VwGO, 3. Aufl. 2020, § 80 Rn. 25 m.w.N.), nicht genügt, sind nach überzeugender Auffassung Verstöße gegen das Begründungerfordernis ohnehin nicht heilbar (vgl. zum Streitstand ausführlich Schoch in Schoch/Schneider, VwGO, Stand: 41. EL Juli 2021, § 80 Rn. 249 ff.).
IV. Nach dem beschriebenen Maßstab ist bei summarischer Prüfung davon auszugehen, dass der Verwaltungsakt wegen ebenfalls fehlender Begründung bereits formell rechtswidrig (1.) und voraussichtlich jedenfalls wegen fehlender Befristung vor dem Hintergrund der betroffenen Eigentumsfreiheit nach Art. 14 Abs. 1 GG für die Antragstellerin nicht zumutbar und damit auch materiell rechtswidrig ist (2.).
1. Der Bescheid ist formell fehlerhaft. Er genügt nicht den Anforderungen des Art. 39 BayVwVfG.
a) Nach Art. 39 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BayVwVfG ist ein schriftlicher Verwaltungsakt mit einer Begründung zu versehen; in der Begründung sind die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Dies ist nicht geschehen. Der Bescheid besteht im Wesentlichen aus einer Mitteilung der der Adressatin auferlegten Verpflichtungen. Auch der einzige Satz, der als Begründung verstanden werden könnte („Das Belassen der Wasserleitung ist für die Sicherstellung einer geordneten örtlichen Wasserversorgung erforderlich“), erläutert nicht die angeordneten Rechtsfolgen, sondern stellt nur eine Behauptung auf. Auch an keiner anderen Stelle führt der Bescheid tatsächliche und rechtliche Gründe für das Handeln der Behörde an.
b) Eine Begründung ist auch nicht ausnahmsweise entbehrlich. Es lässt sich den vorgelegten Unterlagen nicht entnehmen, dass die Voraussetzungen des Art. 39 Abs. 2 Nr. 2 BayVwVfG, wonach es einer Begründung nicht bedarf, soweit demjenigen, für den der Verwaltungsakt bestimmt ist, die Auffassung der Behörde über die Sach- und Rechtslage bereits bekannt oder auch ohne Begründung für ihn ohne weiteres erkennbar ist. Nur weil offenbar im Vorfeld des Bescheids die Beteiligten versucht haben, das erkannte Problem der Leitungsführung über fremden Grund einvernehmlich zu lösen, ist nicht schon davon auszugehen, dass der Antragstellerin in diesem Sinne die Sach- und insbesondere die Rechtslage bereits bekannt war.
c) Der Begründungsmangel ist auch nicht geheilt worden. Zwar hat der Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 4. April 2022 die tatsächlichen und rechtlichen Gründe nachträglich mitgeteilt und genügt insoweit den Anforderungen des Art. 39 Abs. 1 BayVwVfG. Eine Heilung nach Art. 45 Abs. 1 Nr. 2 BayVwVfG setzt aber Nachholung außerhalb des gerichtlichen Verfahrens (durch Bekanntgabe) voraus. So wie die Heilung eines Anhörungsfehlers nicht allein deshalb eintritt, weil im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens die Möglichkeit einer Äußerung besteht, die die Behörde zur Kenntnis nehmen kann (vgl. BVerwG, U.v. 17.12.2015 – 7 C 5/14 – juris Rn. 17), kann auch bei einem Begründungsdefizit die reine Verteidigung des erlassenen Verwaltungsakts im gerichtlichen Verfahren keine Heilungswirkung entfalten. Andernfalls träte bei einem Anhörungswie auch bei einem Begründungsmangel eine Heilung unvermeidlich ein. Ein derartiger Heilungsautomatismus ist Art. 45 BayVwVfG aber gerade nicht zu entnehmen. Vielmehr verlangt die Norm ihrem Zweck nach, den Betroffenen durch die Heilung so zu stellen, wie er bei einem korrekten Ausgangsverfahren gestanden hätte (sog. Gebot realer Fehlerheilung; vgl. hierzu Emmenegger in Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 45 Rn. 73 ff.; Schoch in Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band III, 2. Aufl. 2013, § 50 Rn. 300). Daraus ergibt sich, dass eine vorrangig gegenüber dem Gericht vorgetragene Verteidigung des streitgegenständlichen Verwaltungsakts gerade nicht die Begründungszwecke (vgl. hierzu Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 39 Rn. 1) – verspätet – noch erreicht; dies kann vielmehr nur gelingen, wenn eine den Anforderungen des Art. 39 BayVwVfG genügende schriftliche Erklärung gegenüber dem Betroffenen erfolgt. Damit harmoniert auch das allgemein anerkannte Bekanntgabeerfordernis für die Heilungshandlung (vgl. Schwarz in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 45 VwVfG Rn. 21). Einem an das Gericht adressierten Schriftsatz, der der Antragsgegnerin von diesem zugestellt werden muss (vgl. § 108 Abs. 2 VwGO), kommt daher nicht im Moment seines Zugangs heilungsauslösende Wirkung zu.
2. Auch in materieller Hinsicht stößt der Verwaltungsakt, der – anders als im Bescheid angegeben – keinesfalls auf § 93 WHG i.V.m. § 14 WAS, sondern allenfalls auf § 14 WAS i.V.m. Art. 24 Abs. 2 Satz 3 GO gestützt werden kann, auf Bedenken. Zwar trägt die genannte Rechtsgrundlage grundsätzlich eine Duldungsanordnung; denn ohne ausdrückliche Duldungsanordnung ist die Inanspruchnahme von Privatgrund gegen den Willen des Eigentümers selbst bei Bestehen einer satzungsrechtlichen Duldungsverpflichtung rechtswidrig (vgl. BayVGH, B.v. 8.3.2019 – 4 CE 18.2597 – juris Rn. 9). Dass ursprünglich die Leitung dem Willen des Rechtsvorgängers der Antragstellerin, den diese sich zurechnen lassen müsste, entsprach, ist nach gegenwärtiger Aktenlage nicht ersichtlich. Ferner dürfte es mit Art. 14 Abs. 1 GG nicht vereinbar sein, der Antragstellerin eine dauerhafte, zeitlich unbegrenzte Pflicht zur Duldung einer Wasserleitung auf dem eigenen Grundstück, von der ausschließlich Nachbargrundstücke profitieren, aufzuerlegen, wenn diese in gleichwertiger Weise von öffentlichem Grund (der …straße) aus erschlossen werden könnten. Ein Fall des § 905 Satz 2 BGB, der möglicherweise ein anderes Abwägungsergebnis rechtfertigen könnte, liegt nicht vor. Auch der Umstand, dass eine alternative Leitungsführung Kosten verursacht, führt nicht zur Bejahung der Notwendigkeit im Sinne von Art. 24 Abs. 2 Satz 3 Hs. 2 GO bzw. Erforderlichkeit im Sinne von § 14 Abs. 1 WAS. Der Schutz der Grundrechte steht im Allgemeinen und so auch hier nicht unter Finanzierungsvorbehalt. Es ist auch nicht ersichtlich, dass sich die Ausübung der Eigentumsposition ausnahmsweise als unzulässige Rechtsausübung darstellt (vgl. im Zusammenhang mit dem Widerruf einer vormals erfolgten Freigabe einer Grundstücksfläche zur allgemeinen Verkehrsnutzung BayVGH, U.v. 15.2.2021 – 8 B 20.2352 – juris Rn. 41 ff.). Ob die Begründung einer vorübergehenden Duldungspflicht durch Bescheid für den Zeitraum in Betracht kommt, den die Antragsgegnerin realistischerweise zur tatsächlichen Verlegung der Leitung benötigt, muss vorliegend nicht entschieden werden. Denn die in diesem Fall gebotene angemessene Befristung (vgl. BayVGH, B.v. 8.3.2019 – 4 CE 18.2597 – juris Rn. 14 f.) enthält der streitgegenständliche Bescheid nicht.
Ferner erscheint das der beigeladenen Gemeinde eingeräumte Betretungsrecht rechtswidrig. Zwar kann satzungsmäßig nach Art. 24 Abs. 3 GO ein entsprechendes Betretungsrecht vorgesehen werden (hier wohl in § 13 Abs. 1 WAS normiert), jedoch steht wegen der umfassenden Aufgabenübertragung nach § 2 der Unternehmenssatzung (vgl. v.a. § 2 Satz 2) dieses Recht dem Unternehmen zu, aber nicht (mehr) der Gemeinde.
V. Schließlich fehlt es am Sofortvollzugsinteresse der Antragsgegnerin. Die Anordnung einer sofortigen Vollziehung im Einzelfall nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO setzt ein besonderes Interesse an der Vollziehung schon vor dem rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens voraus. Die Anordnung bezieht sich auf eine Besonderheit in zeitlicher Hinsicht und unterscheidet sich inhaltlich vom Interesse am Erlass des Grundverwaltungsakts. Folglich kann auch eine offensichtliche Rechtmäßigkeit der Grundverfügung allein die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht tragen (BVerwG, B.v. 5.11.2018 – 3 VR 1/18 – juris Rn. 24). Die Vollziehung des Verwaltungsakts muss vielmehr wegen öffentlicher oder überwiegender privater Interessen besonders dringlich sein und keinen Aufschub dulden (vgl. BayVGH, B.v. 30.1.2019 – 9 CS 18.2533 – juris Rn. 23).
An dieser Eilbedürftigkeit fehlt es vorliegend. Sie ist zu verneinen, weil die Antragstellerin zur eigenmächtigen Beseitigung der Leitung (also Beseitigung ohne hierzu ermächtigenden Titel) mit Blick auf die Grenzen des Selbsthilferechts (§§ 229 f. BGB) und der Besitzwehr (§ 859 BGB) schon gar nicht befugt und auch nicht erkennbar ist, dass eine „titellose“ Beseitigung zu erwarten ist (allein dass dies nicht mit „absoluter Sicherheit“, vgl. Schriftsatz des Beigeladenen zu 1) vom 12.5.2022, ausgeschlossen werden kann, genügt nicht). Die auf das zivilrechtliche Regelungsregime verweisende Rechtsprechung zum Recht des Eigentümers, eine auf seinem Grund rechtswidrig errichtete Straßen zu sperren (vgl. zusammenfassend BayVGH, U.v. 15.2.2021 – 8 B 20.2352 – juris Rn. 45 m.w.N.), ist richtigerweise auf das Leitungsrecht zu übertragen. Auf diese Weise wird dem inhalts- und schrankenbestimmenden Charakter der einschlägigen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs Rechnung getragen, die auch gegenüber einem hoheitlich handelnden Träger des öffentlichen Rechts Beachtung verlangen. Die Besitzstörung, die durch die Verlegung einer Leitung auf dem Grundstück der Antragstellerin verursacht wird, darf nur nach Maßgabe der §§ 229 f. BGB oder des § 859 Abs. 1 BGB beseitigt werden; diese Normen sind nebeneinander anwendbar (vgl. Fritzsche in Hau/Poseck, BeckOK BGB, 61. Ed., Stand: 1.2.2022, § 859 Rn. 8). §§ 229 f. BGB ermächtigen die Antragstellerin nicht zur Beseitigung der Leitung, weil nicht angenommen werden kann, dass obrigkeitliche Hilfe nicht rechtzeitig zu erlangen ist und ohne sofortiges Eingreifen die Gefahr besteht, dass die Verwirklichung des Anspruchs auf Beseitigung vereitelt oder wesentlich erschwert wird. Für die Besitzwehr nach § 859 Abs. 1 BGB ist die – hier wohl überschrittene – zeitliche Grenze des § 864 Abs. 1 BGB (analog) zu beachten (vgl. Götz in Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, BeckOGK BGB, Stand: 1.4.2022, § 859 Rn. 24). Jedenfalls aber dürfte ausnahmsweise eine Güterabwägung erforderlich sein (vgl. Götz in Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, BeckOGK BGB, Stand: 1.4.2022, § 859 Rn. 31 ff.), die zu Lasten der Antragstellerin ausfällt, weil eine unkoordinierte Unterbrechung einer bestehenden wasserführenden Leitung mit erheblichen Folgen für die von der Trinkwasserversorgung abgeschnittenen Nachbarn oder zumindest für die Bodenbeschaffenheit (durch unkontrolliert austretendes Wasser) verbunden wäre. Insoweit ist die Antragstellerin als Grundstückseigentümerin darauf zu verweisen, gerichtliche Hilfe zur Durchsetzung ihrer Rechte in Anspruch zu nehmen, insbesondere durch die Erhebung einer auf die Beseitigung der Leitung gerichteten Leistungsklage oder gegebenenfalls durch die Erhebung einer auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Grundstücksinanspruchnahme gerichteten Klage gemäß § 43 VwGO (das in letzterem Fall ergehenden Urteil würde im Erfolgsfalle mit Eintritt der Rechtskraft einen zur Beseitigung ermächtigenden Titel darstellen, vgl. BayVGH, U.v. 15.2.2021 – 8 B 20.2352 – juris Rn. 45 a.E.).
Aber selbst wenn man demgegenüber davon ausgeht, dass das Recht der Beseitigung der Leitung unmittelbar aus dem Eigentumsrecht folgt und es eines Rechts zur Selbsthilfe bzw. Besitzwehr gar nicht bedarf und daher kein Titel notwendig ist (so BayVGH, B.v. 8.3.2019 – 4 CE 18.2597 – juris Rn. 15; BayVGH, U.v. 8.2.2012 – 4 B 11.175 – juris Rn. 29), so stünde einer sofortigen Beseitigung der Leitung die Pflicht der Antragstellerin entgegen, ihre Beseitigungshandlung gegenüber der Antragsgegnerin anzukündigen (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 8.3.2019 – 4 CE 18.2597 – juris Rn. 15). Erst wenn diese Ankündigungsfrist zu kurz bemessen wäre, um die Leitung zu verlegen bzw. eine Ersatzversorgung für die Nachbarn sicherzustellen, und zudem – etwa die bei der Güterabwägung bereits skizzierten (vgl. Rn. 28) – unzumutbare Nachteile entstünden, käme die Bejahung eines Sofortvollzugsinteresses für eine befristete Duldungsanordnung in Betracht. Gleiches gälte, wäre zu erwarten, dass die Antragstellerin beabsichtigte, die Leitung ohne jede Ankündigung zu beseitigen; hierfür bestehen jedoch keine Anhaltspunkte.
VI. Da der Antrag nicht alleine wegen der formellen Rechtswidrigkeit der Sofortvollzugsanordnung Erfolg hat, ist die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage wiederherzustellen (und nicht nur die Sofortvollzugsanordnung aufzuheben, vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 98).
B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Da die Beigeladenen keinen Antrag gestellt haben – auch der ausführliche Schriftsatz des Beigeladenen zu 1) vom 12. Mai 2022 enthält keinen ausdrücklichen Antrag -, können ihnen nach § 154 Abs. 3 VwGO keine Kosten auferlegt werden. Eine Entscheidung nach § 162 Abs. 3 VwGO ist nicht veranlasst.
C. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.


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