Verwaltungsrecht

Einstellung des Verfahrens bei Nichterscheinen zum Anhörungstermin

Aktenzeichen  M 4 S 16.31177

Datum:
13.6.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
AsylG AsylG § 33 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4

 

Leitsatz

Eine Fiktion der Rücknahme des Asylantrags und eine Einstellung des Verfahrens kann nicht auf § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG gestützt werden, wenn der Asylbewerber in dem Ladungsschreiben nicht auf die Rechtsfolge der Rücknahmefiktion hingewiesen wurde. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die aufschiebende Wirkung der Klage Az.: M … vom 23. Mai 2016 wird angeordnet.
II.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Die Antragstellerin, eine irakische Staatsangehörige, stellte am … 2015 Asylantrag. Einer Aufforderung zur Teilnahme an einer persönlichen Anhörung nach § 25 AsylG für den … 2016 ist die Antragstellerin nicht nachgekommen. In der Akte des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) findet sich kein Nachweis einer Zustellung des Ladungsschreibens. Der Antragstellerin wurde mit Schreiben vom … 2016, zugestellt am … 2016, Gelegenheit gegeben, ihre Asylgründe schriftlich darzulegen. Mit Schreiben eingegangen beim Bundesamt am … 2016 legte die Antragstellerin dar, dass sie von dem Anhörungstermin … 2016 nichts gewusst habe.
Daraufhin setzte das Bundesamt der Antragstellerin mit Schreiben vom … 2016, zugestellt durch Übergabe an den Leiter der Einrichtung am … 2016, einen erneuten Termin zur Anhörung für den … 2016. Zu diesem Termin ist die Antragstellerin wiederum nicht erschienen.
Daraufhin stellte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 6. Mai 2016 fest, dass der Asylantrag als zurückgenommen gelte, und stellte das Asylverfahren ein (Ziff. 1). Gleichzeitig stellte sie fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziff. 2) und drohte der Antragstellerin für den Fall nicht freiwilligen Verlassens der Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche die Abschiebung in den Irak oder in einen anderen aufnahmebereiten oder zur Aufnahme verpflichteten Staat an (Ziff.3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG befristete sie auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziff. 4).
Zur Begründung führte die Antragsgegnerin an, die Antragstellerin sei zum Termin am … 2016 ohne genügende Entschuldigung nicht erschienen. Daher werde nach § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG vermutet, dass sie das Verfahren nicht betreibe. Der Bescheid wurde als Einschreiben am 11. Mai 2016 zur Post gegeben.
Mit Schriftsatz vom 23. Mai 2016, am selben Tag beim Verwaltungsgericht München eingegangen, ließ die Antragstellerin über ihre Bevollmächtigte Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 6. Mai 2016 erheben, über die noch nicht entschieden ist (M …).
Gleichzeitig ließ sie nach § 80 Abs. 5 VwGO sinngemäß beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Die Antragsgegnerin äußerte sich im Verfahren nicht und legte die Bundesamtsakten vor. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die vorgelegte Akte des Bundesamtes sowie die Gerichtsakten, auch im Verfahren M …, Bezug genommen.
II.
Der zulässige, insbesondere fristgerechte Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage, ist auch begründet.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei eine originäre Ermessensentscheidung. Es hat bei der Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzuwägen zwischen dem öffentlichen Interesse an der vom Gesetzgeber vorgesehenen sofortigen Vollziehung des Bescheides und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgs- aussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein mögliche, aber auch ausreichende summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf offensichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens dagegen nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer Interessenabwägung.
Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs überwiegt das Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage, weil sich der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes vom 6. Mai 2016 nach summarischer Prüfung als rechtswidrig erweist.
Nach § 33 Abs. 1 AsylG in der Fassung von Art. 1 Nr. 7 des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl. I, S. 390 f.) gilt der Asylantrag als zurückgenommen, wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibt. Nach § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG n. F. wird vermutet, dass der Ausländer das Verfahren nicht betreibt, wenn er einer Aufforderung zur Vorlage von für den Antrag wesentlichen Informationen gemäß § 15 oder einer Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 nicht nachgekommen ist. Dieser Tatbestand ist im Falle der Antragstellerin erfüllt.
Ob die Antragstellerin die gesetzliche Vermutung des § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG entsprechend § 33 Abs. 2 Satz 2 AsylG durch ihre eidesstattliche Versicherung, wonach sie die Ladung zur Anhörung nicht erhalten habe, widerlegen kann, und auch die Frage, ob die Übergabe der Ladung für den … 2016 durch Aushändigung an die Einrichtungsleitung den Vorschriften des § 10 AsylG entspricht, kann vorliegend dahin stehen. Die Antragstellerin ist nämlich in dem Ladungsschreiben vom … 2016 nicht auf die Rechtsfolge der Rücknahmefiktion hingewiesen worden. Zwar ist der diesbezügliche § 33 Abs. 4 AsylG ebenfalls erst durch o.g. Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 am 17. März 2016 in Kraft getreten, konnte also in das Ladungsschreiben vom … 2016 noch nicht berücksichtigt werden. Gleichwohl ist festzustellen, dass eine Belehrung der Antragstellerin über die Rechtsfolge des § 33 Abs. 1 AsylG n. F. zu keinem Zeitpunkt erfolgt ist. Eine Fiktion der Rücknahme des Asylantrags und eine Einstellung des Verfahrens kann also nicht auf § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG gestützt werden. Der Antragstellerin ist ein erneuter Termin zur persönlichen Anhörung nach § 25 AsylG einzuräumen.
Damit ist die nach § 34 AsylG erlassene Abschiebungsandrohung ebenfalls rechtswidrig. Ein überwiegendes öffentliches Vollzugsinteresse vor Entscheidung in der Hauptsache liegt daher nicht vor.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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