Verwaltungsrecht

Einstellung des Verfahrens nach Betreibensaufforderung, Antrag auf Fortführung des Verfahrens, Fortbestehen der aufschiebenden Wirkung der Klage

Aktenzeichen  AN 14 S 22.50103

Datum:
14.4.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 8001
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO analog § 80 Abs. 5
AsylG § 81
GG Art. 19 Abs. 4

 

Leitsatz

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass die unter dem Aktenzeichen AN 14 K 22.50043 geführte Klage gegen den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 24. Juni 2019 weiterhin aufschiebende Wirkung hat.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist Staatsangehöriger Somalias, reiste im Oktober 2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 14. November 2016 einen Asylantrag. Diesen lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) mit Bescheid vom 24. Juni 2019 aufgrund der Schutzgewährung durch Italien als unzulässig ab und drohte ihm die Abschiebung nach Italien an. Die Vollziehung der Abschiebungsandrohung wurde im Bescheid ausgesetzt. Hiergegen ließ der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten am 2. Juli 2019 Klage erheben, die vom Verwaltungsgericht Ansbach unter dem Az.: AN 14 K 19.50677 geführt wurde.
Im Rahmen des Klageverfahrens teilte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 29. März 2021 dem Gericht mit, dass am 23. März 2021 beim Bundesamt ein Übernahmeersuchen der französischen Behörden eingegangen sei, dem am 26. März 2021 zugestimmt worden sei. Das Gericht bat daraufhin den Bevollmächtigten des Antragstellers mit Schreiben vom 8. April 2021 hierzu um Stellungnahme. Eine solche erfolgte nicht.
Mit weiterem gerichtlichen Schreiben vom 19. Oktober 2021 bat das Gericht die Antragsgegnerin um Mitteilung, ob der Antragsteller wieder nach Deutschland überstellt worden sei oder ob mit einer Überstellung noch zu rechnen sei. Sollte er bereits wieder in Deutschland sein werde um Mitteilung einer aktuellen ladungsfähigen Anschrift gebeten, um Stellungnahme bis zum 15. November 2021 wurde ersucht. Dieses Schreiben erhielt der Bevollmächtigte des Antragstellers in Abdruck zur Kenntnis.
Das Bundesamt teilte daraufhin mit Schreiben vom 25. Oktober 2021 dem Gericht mit, dass der Antragsteller bislang nicht nach Deutschland überstellt worden sei. Die Überstellungsfrist sei seitens der französischen Behörden wegen Flucht des Antragstellers verlängert worden und ende nunmehr mit Ablauf des 26. September 2022.
Mit Schreiben vom 26. Oktober 2021 an den Bevollmächtigten des Antragstellers führte das Gericht aus, dass sich aus dem beigefügten Schreiben des Bundesamts vom 25. Oktober 2021 ergebe, dass der Antragsteller unbekannten Aufenthalts sei, nachdem er ohne Mitteilung einer ladungsfähigen Anschrift nach Frankreich gegangen sei. Es bestünden daher Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger kein Interesse mehr an der Fortführung des vorliegenden Klageverfahrens habe. Es werde daher um Mitteilung innerhalb eines Monats ab Zustellung des Schreibens gebeten, ob die Klage aufrechterhalten werde. In jedem Fall werde um die Mitteilung einer aktuellen ladungsfähigen Anschrift innerhalb dieser Frist gebeten. Werde dieser Aufforderung nicht nachgekommen, so gelte die Klage nach § 81 AsylG als zurückgenommen. Das Schreiben wurde dem Bevollmächtigten des Antragstellers am 2. November 2021 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt. Eine Reaktion erfolgte nicht.
Mit Beschluss vom 10. Dezember 2021 hat das Gericht das Klageverfahren AN 14 K 19.50677 nach § 81 Satz 1 AsylG eingestellt und dem Kläger die Kosten des Verfahrens auferlegt.
Mit Schriftsatz vom 12. Januar 2022, der am gleichen Tag beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach einging, hat der Bevollmächtigte des Antragstellers die Fortführung des Verfahrens beantragt. Der Antragsteller sei offensichtlich vor Abfassung des Beschlusses des Gerichts vom 10. Dezember 2021 wieder im Bundesgebiet gewesen, was der Antragsgegnerin offensichtlich bekannt gewesen sei. Dies ergebe sich aus der in Kopie übersandten, am 26. November 2021 von der Zentralen Ausländerbehörde … ausgestellten Aufenthaltsgestattung. Der Antragsteller halte an seinen mit Schriftsatz vom 1. Juli 2019 erhobenen Klageanträgen fest mit dem Begehren, nicht nach Italien zurückkehren zu müssen.
Die Antragsgegnerin nahm hierzu mit Schreiben vom 24. Januar 2022 dahingehend Stellung, dass beantragt werde, den Antrag auf Fortführung des Verfahrens abzulehnen. Auf die Kenntnis des Bundesamtes hinsichtlich der Grenzüberschreitung des Antragstellers komme es nicht an. Das fortgeführte Klageverfahren wird unter dem Az.: AN 14 K 22.50043 beim Verwaltungsgericht geführt. Eine Entscheidung darüber ist noch nicht ergangen.
Mit Schreiben vom 31. März 2022 teilten die Bevollmächtigten des Antragstellers dem Verwaltungsgericht mit, dass die Zentrale Ausländerbehörde … offenbar davon ausgehe, dass der Antragsteller vollziehbar ausreisepflichtig sei, so dass sie ihm weder eine Aufenthaltsgestattung/Duldung erteile noch er Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalte. Die Antragsgegnerin werde daher aufgefordert, der Ausländerbehörde mitzuteilen, dass aufgrund des erhobenen Fortführungsantrages, welcher aufschiebende Wirkung habe, der Antragsteller derzeit, sofern eine Überstellung nicht unmittelbar bevorstehe, zu dulden sei und ihm dementsprechend eine Duldung auszustellen und auszuhändigen sei.
Andernfalls werde bereits heute vorsorglich beantragt,
gerichtlich festzustellen, dass der Fortführungsantrag vom 12. Januar 2022 aufschiebende Wirkung hat.
Die Antragsgegnerin nahm hierzu mit Schreiben vom 7. April 2022 dahingehend Stellung, dass entgegen der Rechtsauffassung der Gegenseite die Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung nicht allein aufgrund der Ziffer 5 des streitgegenständlichen Bescheides ausgesetzt sei, weil dieser Bescheid mit Beschluss vom 10. Dezember 2021 bestandskräftig geworden sei. Der Fortführungsantrag habe keine aufschiebende Wirkung, da erst dann, wenn eine gerichtliche Entscheidung darüber vorliege, dass die Voraussetzungen für die Einstellung nicht vorgelegen haben, das gerichtliche Verfahren an der Stelle fortgesetzt werden könne, an der es unrechtmäßig beendet worden sei. Dies entspreche vergleichbaren Rechtsgedanken in § 153 VwGO, § 60 VwGO (unter Verweis auf VG Bayreuth, B.v. 14.2.2019 – B 8 S 19.30194).
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze, die Gerichtsakte im Verfahren AN 14 K 22.50043 bzw. AN 14 K 19.50677 und die Bundesamtsakten verwiesen.
II.
Der Antrag ist zulässig.
Er ist auf die Feststellung der bereits bestehenden aufschiebenden Wirkung einer Klage analog § 80 Abs. 5 VwGO gerichtet und als solcher statthaft (vgl. VG München, B.v. 31.3.2017 – M 11 S 17.50839 – juris; VG Bayreuth, B.v. 14.2.2019 – B 8 S 19.30194 – juris Rn. 23; Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 120).
Es besteht auch ein Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag. Nach den vorgelegten Unterlagen geht die Zentrale Ausländerbehörde … von einer sofort vollziehbaren Ausreiseverpflichtung des Antragstellers aus und erteilt ihm deshalb keine Aufenthaltsgestattung oder Duldung. Die Antragsgegnerin hält dies für rechtmäßig. Damit besteht ein Interesse des Antragstellers an der beantragten Feststellung.
Der Antrag ist auch begründet, denn die fortgeführte Klage (AN 14 K 22.50043) hat unabhängig von der Frage, ob das Klageverfahren durch den Einstellungsbeschluss des Verwaltungsgerichts vom 10. Dezember 2021 wirksam beendet wurde, jedenfalls im Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) aufschiebende Wirkung.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (B.v. 25.2.1997 – 2 BvR 274/97 – juris Rn. 4) besteht bis zum unanfechtbaren Abschluss des Streits über die Verfahrensbeendigung das vorläufige Aufenthaltsrecht (aufgrund des laufenden Asylverfahrens) des Asylantragstellers fort. Dementsprechend haben auch das Verwaltungsgerichte München (B.v 31.3.2017 – 11 S 17.50839 – juris), Magdeburg (B.v. 19.2.2018 – 8 B 60/18 – juris Rn. 9ff) und Frankfurt an der Oder (B.v. 7.8.2021 – 3 L 263/21 – juris Rn. 11f) in mit der Vorliegenden vergleichbaren Fallgestaltungen festgestellt, dass die aufschiebende Wirkung besteht.
Hiervon weicht das Verwaltungsgericht Bayreuth in seinem Beschluss vom 14. Februar 2019 (B 8 S 19.30194 – juris Rn. 28), auf das sich die Antragsgegnerin zur Begründung ihre Position bezieht, ab. Es leitet einerseits aus den „vergleichbaren“ Rechtsgedanken in § 153 VwGO, § 60 VwGO ab, dass die Wirkungen des fortzusetzenden Klageverfahrens erst dann eintreten könnten, wenn eine gerichtliche Entscheidung darüber vorliege, dass die Voraussetzungen für die Einstellung nicht vorgelegen hätten. Andererseits stützt es sich entscheidungstragend auf die Überlegung, dass die fortgesetzte Klage im dortigen Fall keine Aussicht auf Erfolg habe, da der Fortsetzungsantrag offensichtlich unbegründet sei, da er zu spät gestellt und damit verwirkt sei.
Die Auffassung des Verwaltungsgerichts Bayreuth vermag jedoch nicht zu überzeugen. Sie steht einerseits im Widerspruch zur eindeutigen verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, wie sie sich aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Februar 1997 ergibt (ebenso VG Frankfurt (Oder), B.v. 27.8.2021 – 3 L 263/21 – juris Rn. 11). Daneben berücksichtigt sie auch nicht die berechtigten Interessen des Rechtsschutzsuchenden, wie sie sich insbesondere aus Art. 19 Abs. 4 GG ergeben. Denn bei der Betreibensaufforderung nach § 81 AsylG handelt es sich um ein sehr scharfes Schwert. Die Frist, innerhalb derer das Verfahren zu betreiben ist, ist gegenüber der verwaltungsprozessualen Grundnorm des § 92 Abs. 2 VwGO von 2 Monaten auf einen Monat verkürzt. Die Fiktion der Klagerücknahme tritt daher bereits nach einer Untätigkeit von einem Monat ein. Wird die Fortführung des Verfahrens beantragt, so gebietet es der effektive Rechtsschutz, dem Kläger bis zur Entscheidung des Gerichts darüber, ob die zunächst erfolgte Einstellung rechtmäßig war, die Wirkungen des Suspensiveffektes der Klage, wenn diese vor der Einstellung aufschiebende Wirkung entfaltet hat, zu erhalten.
Hierfür genügt es auch nicht, den Rechtsschutzsuchenden auf die Möglichkeit einer Antragstellung nach § 123 VwGO zu verweisen. Dies kann nämlich im Einzelfall bedeuten, dass der Rechtsschutzsuchende mehrere einstweilige Rechtsschutzverfahren anstrengen muss, wenn es zum Beispiel um die Ausstellung einer Aufenthaltsgestattung, einer Duldung oder um die Unterlassung von Abschiebungsmaßnahmen geht. Hierfür können auch unterschiedliche Kammern eines Verwaltungsgerichts zuständig sein (insbesondere, soweit es um die Abschiebung geht, für die regelmäßig die für das Ausländerrecht nicht für das Asylrecht zuständigen Kammern zuständig sind). Dies zieht auch die Gefahr von divergierenden Gerichtsentscheidungen nach sich (vgl. VG Frankfurt (Oder), B.v. 27.8.2021 – 3 L 263/21 – juris Rn. 11).
Im vorliegenden Fall hat die ursprüngliche, zunächst vom Verwaltungsgericht nach Betreibensaufforderung eingestellte Klage gegen den Bescheid des Bundesamts vom 24. Juni 2019 aufschiebende Wirkung entfaltet. Da mit diesem Bescheid der Asylantrag des Klägers als unzulässig nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG abgelehnt worden war hat die Klage zwar grundsätzlich nach § 75 Abs. 1, § 38 Abs. 1, § 36 Abs. 1 AsylG keine aufschiebende Wirkung. Allerdings war in Ziffer 5 des Bescheides die Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsandrohung nach § 80 Abs. 4 VwGO erklärt worden. Daher hatte die Klage vor der Einstellung aufschiebende Wirkung.
Anhaltspunkte, dass der Antrag auf Fortführung des Verfahrens hier sehr spät gestellt wurde und damit verwirkt sein könnte, wie in dem vom VG Bayreuth entschiedenen Fall, bestehen angesichts der zeitlichen Abfolge nicht.
Dementsprechend besteht die aufschiebende Wirkung bis zur Entscheidung des Gerichts über die Frage, ob das Verfahren zu recht eingestellt wurde, fort. Dies war antragsgemäß festzustellen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b AsylG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.


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