Verwaltungsrecht

Einstweilige Anordnung, Nachweis eines Betreuungsplatzes, Zumutbare Entfernung

Aktenzeichen  M 18 E 21.5055

Datum:
14.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 5097
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VIII § 24 Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt im Rahmen einer einstweiligen Anordnung die Verpflichtung der Antragsgegnerin, ihm einen Betreuungsplatz in einer Kindertageseinrichtung oder in Kindertagespflege nachzuweisen.
Der Antragsteller ist am … … … geboren. Er hat einen am … … … geborenen Bruder, der die Kindertageseinrichtung in der … … in … besucht.
Die Eltern des Antragstellers meldeten diesen am … … … per Bedarfsformular bei der Antragsgegnerin für einen Ganztagesbetreuungsplatz an. Nach einem Vermerk in der Behördenakte der Antragsgegnerin habe am 24. Juli 2020 eine Zusage für das Kinderhaus in der … vorgelegen.
Mit E-Mail vom 24. Februar 2021 teilte die Mutter des Antragstellers der Antragsgegnerin mit, dass sie den Krippenplatz, der ihr angeboten worden sei, für das Krippenjahr 2020/2021 abgesagt habe. Im Wesentlichen führte sie aus, dass sie die von ihr gewünschten Kindergarten- und Krippenplätze für beide Kinder nicht bekommen habe. Sie habe ihre beiden Kinder deshalb erneut im Kita-Finder-Plus angemeldet, in der Hoffnung, dass sie für beide einen gewünschten Platz zum erwünschten Buchungszeitraum bekomme. Sie arbeite in einem Krankenhaus. Ihre Schicht beginne um 7:45 Uhr. Ihr Ehemann arbeite auch im Krankenhaus, seine Arbeitszeit ende um 15:15 Uhr. Der Plan sei, dass die Mutter die Kinder zwischen 7:00 Uhr und 7:30 Uhr abgebe und der Vater die Kinder zwischen 15:30 und 16:00 Uhr abhole.
Mit Datum vom 14. Juni 2021, bei der Antragsgegnerin gemäß einem Vermerk in der Behördenakte der Antragsgegnerin am 15. Juni 2021 per Fax eingegangen, beantragten die Eltern des Antragstellers erneut per Bedarfsformular für den Antragsteller einen Ganztagesbetreuungsplatz. Laut Antrag stehe der Familie ein PKW zur Verfügung, um das Kind zur Kindertagesbetreuung zu bringen bzw. von dort abzuholen.
Laut einem Vermerk in der Behördenakte der Antragsgegnerin sei den Eltern des Antragstellers am 13. Juli 2021 per E-Mail im Wesentlichen mitgeteilt worden, dass ein Krippenplatz in der Kinderkrippe „…“ angeboten werden könne.
Mit E-Mail vom 26. Juli 2021 wandte sich die Mutter des Antragstellers an die Antragsgegnerin und führte aus, dass sie einen Betreuungsplatz ab 7:00 Uhr für den Antragsteller benötige. Sie würde den Bruder des Antragstellers um 7:30 Uhr abgeben. Ihre Arbeitszeit beginne eigentlich um 7:45 Uhr, in Absprache mit ihrer Leitung sei auch 8:00 Uhr möglich.
Darauf führte die Antragsgegnerin mit E-Mail vom 28. Juli 2021 an die Mutter des Antragstellers im Wesentlichen aus, dass der angebotene Betreuungsplatz dem Rechtsanspruch auf frühkindliche Förderung gerecht werde. Von der Antragsgegnerin sei ein Betreuungsplatz gemäß § 24 SGB VIII nachgewiesen worden. Es bestehe kein Rechtsanspruch auf einen städtischen Kinderkrippenplatz in direkter Wohnortnähe. Auch private Kinderkrippen/Kindergärten würden dem rechtlichen Anspruch gerecht werden.
Die Mutter des Antragstellers meldete sich mit E-Mail vom 10. September 2021 erneut bei der Antragsgegnerin und trug vor, dass sie für ihren kleinen Sohn immer noch keinen Krippenplatz gefunden habe. Sie brauche eine Einrichtung von 7:00 Uhr bis 15:30 Uhr. Ihren älteren Sohn gebe sie um 7:30 Uhr ab und im Anschluss daran fahre sie zur Arbeit.
Mit Schriftsatz vom 22. September 2021, eingegangen beim Verwaltungsgericht München am selben Tag, bestellten sich die Bevollmächtigten des Antragstellers für diesen und beantragten,
die Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu verpflichten, dem Antragsteller einen dem individuellen Bedarf entsprechenden Betreuungsplatz in einer Kindertageseinrichtung oder Kindertagespflege im Umfang von neun Stunden werktäglich ab sofort nachzuweisen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Antragsgegnerin bislang kein Angebot über einen konkret zumutbaren Betreuungsplatz gemacht habe. Aufgrund der täglich grundsätzlich acht Stunden betragenden Arbeitszeit der Eltern zuzüglich Pausen und Arbeitsweg liege der Bedarf für eine ausreichend lange Betreuungszeit bei neun Stunden. Die Eltern des Antragstellers könnten ohne sofortige Zuweisung eines Betreuungsplatzes ihre Berufstätigkeit nicht wie zuvor ausführen. Insbesondere liefe aber der Antragsteller Gefahr, nicht die altersgemäße frühkindliche Förderung zu erhalten, die der Gesetzgeber vorgesehen habe und die der Entwicklung des Kindes zuträglich sei.
Mit Schriftsatz vom 4. Oktober 2021 teilte die Antragsgegnerin mit, dass dem Antragsteller mit Schreiben vom 1. Oktober 2021 ein Platz in der Kindertageseinrichtung „… … … …“ in der … … … … angeboten worden sei. Auch dem Bruder des Antragstellers sei in dieser Einrichtung ein Platz angeboten worden, damit der Mutter des Antragstellers ein rechtzeitiger Arbeitsbeginn ermöglicht werde. Die Einrichtung öffne bereits um 7:00 Uhr. Dadurch könnten beide Kinder rechtzeitig vor Arbeitsbeginn in die Kindertageseinrichtung gebracht werden.
Mit Schreiben vom 14. Oktober 2021 bat das Gericht angesichts des angebotenen Betreuungsplatzes die Antragstellerseite um Abgabe einer prozessbeendenden Erklärung.
Mit Schriftsatz vom 21. Oktober 2021 baten die Bevollmächtigten des Antragstellers um Fristverlängerung um eine Woche, die antragsgemäß bewilligt wurde.
Mit Schriftsatz vom 28. Oktober 2021 teilten die Bevollmächtigten des Antragstellers mit, dass sich die Eltern des Antragstellers momentan im Ausland befänden. Im Falle eines Vertragsabschlusses mit der Kindertageseinrichtung werde das Verfahren für erledigt erklärt werden. Vor dem Hintergrund der monatlichen Kosten und des Fahrtwegs von mindestens 45 Minuten mit den öffentlichen Verkehrsmitteln vom Wohnort der Familie zu der jeweiligen Betreuungseinrichtung hin zum Arbeitsplatz, welcher mithin als unzumutbar angesehen werde, solle ein Vertragsabschluss abgewartet werden.
Auf telefonische Sachstandsnachfrage des Gerichts am 15. November 2021 bei den Bevollmächtigten des Antragstellers, teilten diese mit, dass sich die Eltern des Antragstellers immer noch im Urlaub befänden. Sie würden versuchen, bei der Mandantschaft in Erfahrung zu bringen, ob eine prozessbeendende Erklärung abgegeben werden kann.
Mit Schriftsatz vom 26. Januar 2022 nahmen die Bevollmächtigten des Antragstellers ergänzend Stellung. Eine prozessbeendende Erklärung könne nicht abgegeben werden, da aus Antragstellersicht der Rechtsanspruch nicht mit dem Schreiben der Antragsgegnerin vom 1. Oktober 2021 erfüllt sei. Der PKW der Familie werde überwiegend vom Vater des Antragstellers genutzt. Die Mutter, die üblicherweise für das Bringen des Antragstellers und seines Bruders zuständig sei, nutze morgens die öffentlichen Verkehrsmittel, um zu den Kindertageseinrichtungen und anschließend zu ihrem Arbeitsplatz zu gelangen. Die Bevollmächtigten des Antragstellers machten in diesem Zusammenhang nähere Angaben zu den einzelnen Fahrtzeiten, wobei auch der Umweg über die Einrichtung des Bruders des Antragstellers vorgebracht wurde. Insgesamt benötige die Mutter des Antragstellers demnach für den gesamten Weg vom Wohnort zum Arbeitsplatz mit den öffentlichen Verkehrsmitteln mindestens 45 Minuten, die Fahrtzeit des Vaters am Nachmittag betrage mindestens und nur ohne erhöhtes Verkehrsaufkommen 40 Minuten.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird ergänzend auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag hat in der Sache keinen Erfolg.
Einstweilige Anordnungen sind nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern. Voraussetzung ist, dass der Antragsteller das von ihm behauptete streitige Recht (den Anordnungsanspruch) und die drohende Gefahr seiner Beeinträchtigung (den Anordnungsgrund) glaubhaft macht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Maßgebend sind dabei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
Grundsätzlich dient die einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO der vorläufigen Regelung eines Rechtsverhältnisses. Mit der von dem Antragsteller begehrten Entscheidung wird die Hauptsache aber in zeitlicher Hinsicht vorweggenommen. In einem solchen Fall sind an die Prüfung von Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch qualifizierte Anforderungen zu stellen, d.h. der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt nur in Betracht, wenn ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache jedenfalls dem Grunde nach spricht und der Antragsteller ohne die einstweilige Anordnung unzumutbaren Nachteilen ausgesetzt wäre (vgl. BayVGH, B.v. 18.3.2016 – 12 CE 16.66 – juris Rn. 4).
Der Antragsteller hat obigen Anforderungen entsprechend einen Anspruch auf Nachweis eines bedarfsgerechten Platzes in einer Kindertageseinrichtung oder in Kindertagespflege glaubhaft gemacht. Der Anspruch des Antragstellers ist jedoch seit dem 1. Oktober 2021 als erfüllt anzusehen.
Gemäß § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII hat ein Kind, welches das erste Lebensjahr vollendet hat, bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege. Voraussetzung der Zuweisung eines Betreuungsplatzes ist gemäß § 24 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII i.V.m. Art. 45a AGSG, dass die Erziehungsberechtigten die Gemeinde und bei einer gewünschten Betreuung durch eine Tagespflegeperson den örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe mindestens drei Monate vor der geplanten Inanspruchnahme in Kenntnis setzen.
Der am … … … geborene Antragsteller, der bereits das erste Lebensjahr vollendet hat, zählt damit grundsätzlich zu dem Kreis der Anspruchsberechtigten nach § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII. Die Drei-Monatsfrist des § 24 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII i.V.m. Art. 45a AGSG ist mit Ablauf des 15. September 2021 verstrichen.
Der Anspruch nach § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII ist vorliegend jedoch von der Antragsgegnerin bereits erfüllt worden. Ein Anordnungsanspruch des Antragstellers nach § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII besteht daher nicht (mehr).
Mit Schreiben vom 1. Oktober 2021 teilte die Antragsgegnerin den Bevollmächtigten des Antragstellers mit, dass ein freier Betreuungsplatz in der Kindertageseinrichtung „… … … …“ in der … … … … angeboten werde. Auch dem Bruder des Antragstellers werde in dieser Einrichtung ein Platz angeboten. Es handele sich um einen Krippenplatz und einen Kindergartenplatz in der Zeit von 7:00 Uhr bis 16:00 Uhr. Entgegen der Ansicht der Antragstellerseite wurde damit ein bedarfserfüllender Betreuungsplatz nachgewiesen.
Der Rechtsanspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege gemäß § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII ist auf den Nachweis eines bedarfsgerechten Betreuungsplatzes gerichtet (vgl. BVerwG, U.v. 26.10.2017 – 5 C 19.16 – juris Rn. 25 ff. m.w.N.). Dieser ist erfüllt, wenn dem anspruchsberechtigten Kind ein kommunaler oder öffentlich geförderter privater Betreuungsplatz nachgewiesen wird, der dem konkret-individuellen Bedarf des Kindes und seiner Erziehungsberechtigten insbesondere in zeitlicher und räumlicher Hinsicht entspricht (vgl. BVerwG, a.a.O., Rn. 34, 41 ff.).
Da die Betreuungseinrichtung eine Betreuung von 7:00 bis 16:00 Uhr anbietet, ist der zeitliche Bedarf des Antragstellers und seiner Eltern durch diesen Platz gedeckt. Hinsichtlich des räumlichen Aspekts geht das Gericht für den angebotenen Platz von einer für die Familie des Antragstellers noch zumutbaren Entfernung aus. Denn die angebotene Betreuungseinrichtung ist grundsätzlich im Rahmen der Zumutbarkeitsgrenze erreichbar. Es ergibt auch sich kein anderes Ergebnis durch den „Umweg“ über die Einrichtung des Bruders des Antragstellers.
Der Betreuungsplatz muss von den Eltern und dem Kind in zumutbarer Weise zu erreichen sein, wobei einerseits die Zumutbarkeit für das Kind selbst und andererseits auch der Zeitaufwand für den begleitenden Elternteil zu berücksichtigen sind. Welche Entfernung dabei zwischen Wohnort, Tageseinrichtung und ggf. Arbeitsstätte noch zumutbar ist, lässt sich indes nicht anhand abstrakt-genereller Maßstäbe festlegen, sondern bedarf einer individuellen Betrachtung im Einzelfall (vgl. BVerwG, U.v. 26.10.2017 – 5 C 19/16 – juris Rn. 43; BayVGH, U.v. 22.7.2016 – 12 BV 15.719 – juris Rn. 48). Eine starre zeitliche Zumutbarkeitsgrenze von beispielsweise 30 Minuten je zu bewältigender Entfernung zwischen Wohnort, Ort der Tageseinrichtung und elterlicher Arbeitsstätte gibt es nicht (vgl. OVG SH, B. v. 4.2.2020 – 3 MB 38/19 – juris). Vielmehr ist in jedem Einzelfall anhand der individuellen Familiensituation wie auch der konkreten örtlichen Verhältnisse zu prüfen, ob ein angebotener Betreuungsplatz zumutbar ist. Müssen mehrere Kinder in verschiedene Einrichtungen oder Tagespflegestellen gebracht werden, so sind auch die dadurch entstehenden Wegezeiten in die Betrachtung einzubeziehen (vgl. VG München, B.v. 21.9.2017 – M 18 E 17.3843 – BeckRS 2017, 138291, Rn. 34 f.).
Vorliegend beträgt morgens die Fahrtdauer für die Mutter des Antragstellers für die Fahrtstrecke vom Wohnort der Familie zur angebotenen Betreuungseinrichtung laut dem Routenplaner „Google Maps“ 18 Minuten mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Zur Arbeitsstätte der Mutter des Antragstellers wird von dort laut „Google Maps“ eine weitere Fahrtzeit von 12 Minuten mit den öffentlichen Verkehrsmitteln benötigt. Sollte die Mutter den Antragsteller an einem Arbeitstag zur Einrichtung bringen, würde sich also eine einfache Fahrtzeit von insgesamt 30 Minuten ergeben. Die reguläre Fahrtzeit der Mutter des Antragstellers zur Arbeit ohne Zwischenstopp(s) beträgt laut „Google Maps“ 18 Minuten.
Für die Abholung des Antragstellers am Nachmittag benötigt dessen Vater von seinem Arbeitsplatz zur angebotenen Betreuungseinrichtung laut „Google Maps“ eine Fahrtstrecke von 5,9 km bei 17 Minuten Fahrtzeit mit dem PKW und von dort weiter zum Wohnort der Familie des Antragstellers 4,9 km bei 15 Minuten Fahrtzeit mit dem PKW. Sollte der Vater den Antragsteller an einem Arbeitstag abholen, würde sich also eine einfache Fahrtzeit von insgesamt 32 Minuten ergeben. Der Vater des Antragstellers arbeitet elf Minuten zu Fuß vom Wohnort der Familie entfernt.
Unter Einbeziehung des von den Bevollmächtigten des Antragstellers vorgebrachten „Umwegs“ über die Einrichtung des Bruders des Antragstellers stellt sich die Situation folgendermaßen dar:
Gemäß der dem Schriftsatz vom 26. Januar 2022 beigefügten „Google Maps“-Karten ist davon auszugehen, dass die Einrichtung des Bruders in der … … und nicht wie im Schriftsatz angegeben in der … … liegt. Auf Nachfrage des Gerichts bei der Antragsgegnerin bestätigte diese, dass der Bruder des Antragstellers seit dem 1. September 2021 in den Kindergarten in der … … gehe. Laut dem Bevollmächtigten des Antragstellers benötige die Mutter des Antragstellers für den gesamten Weg mit den öffentlichen Verkehrsmitteln insgesamt mindestens 45 Minuten und der Vater des Antragstellers für den gesamten Weg mindestens 40 Minuten mit dem PKW. Aufgrund der Buchungszeiten für die Einrichtung des Bruders des Antragstellers, die erst ab 7:30 Uhr geöffnet hat, kann die Mutter den Bruder erst nach dem Antragsteller abgeben. So beträgt die Fahrtzeit für den Weg von der vorgeschlagenen Einrichtung des Antragstellers zur Einrichtung des Bruders laut „Google Maps“ 15 Minuten und es schließt sich eine dritte Fahrtzeit in die Arbeitsstätte der Mutter von weiteren 24 Minuten Fahrtzeit an. Damit ist aus Sicht des Gerichts für die Mutter eine Fahrtzeit von 57 Minuten realistischer.
Das Gericht erachtet den oben dargestellten zeitlichen Aufwand sowohl für den Weg zur vorgeschlagenen Betreuungseinrichtung des Antragstellers, als auch für den zusätzlichen „Umweg“ über die Betreuungseinrichtung des Bruders des Antragstellers, auch unter Berücksichtigung von gelegentlichen Verzögerungen bei ungünstigen Verkehrslagen, als (noch) zumutbar.
Als zumutbar befunden wurde in der Rechtsprechung regelmäßig eine Dauer von 30 Minuten für die einfache Wegstrecke von Wohnort zur Tageseinrichtung (vgl. VG Köln, B.v. 15.4.2020 – 19 L 215/20 – juris Rn. 19 (Autofahrt); VG Mainz, B.v. 21.1.2020 – 1 L 10/20.MZ – juris Rn. 13 (Fußweg)). Auch die Literatur erachtet einen Zeitaufwand für die einfache Strecke von 30 Minuten als tägliche Wegstrecke für das Kind als akzeptabel (vgl. Schübel-Pfister, Kindertagesbetreuung zwischen (Rechts-)Anspruch und Wirklichkeit, NVwZ 2013, 385, 389). Die Rechtsprechung hat für den Großraum München sogar ein Zeitaufwand von insgesamt 60 Minuten für die Strecke Wohnort – Tageseinrichtung – Arbeitsstätte, bei der sich die Eltern beim Bringen und Holen des Kindes jeweils abwechseln konnten, als zumutbar erachtet (vgl. VG München, U.v. 18.9.2013 – M 18 K 13.2256 – juris Rn. 69). Ebenso wurde es in einer anderen familiären Konstellation mit zwei Kindern für zumutbar erachtet in der Früh in der Großstadt München 60 Minuten reine Fahrtzeit für die Strecke vom Wohnort über die Betreuungseinrichtung eines der beiden Kinder zur Arbeitsstätte zu benötigen (vgl. VG München, B.v. 21.9.2017 – 18 E 17.3843 – BeckRS 2017, 138291, Rn. 38). Für die Zumutbarkeit ist auch die Lage des Betreuungsplatzes im Verhältnis zur Arbeitsstätte einzubeziehen: Liegt der Betreuungsplatz auf dem Weg zur Arbeits- oder Ausbildungsstätte, dürfte auch eine mehr als 30-minütige Wegezeit zumutbar sein (vgl. dazu OVG B-Bbg, B.v. 22.3.2018 – OVG 6 S 2/18 – juris Rn. 17).
Der Anspruch nach § 24 Abs. 2 SGB VIII erstreckt sich nicht darauf, bei jedweder Konstellation von Arbeits-, Wohn- und Familienverhältnissen einen in kurzer Zeit erreichbaren Krippenplatz zu erhalten, der sich ohne größere zeitliche Verzögerungen in bereits bestehende Verpflichtungen – wie zum Beispiel das Bringen von Geschwisterkindern in den Kindergarten und den Arbeitsweg – einbauen lässt. § 24 Abs. 2 SGB VIII sollte zwar die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsleben verbessern, jedoch keinen – rein tatsächlich vielfach nicht realisierbaren – Anspruch auf die (örtlich) optimale Kinderbetreuung schaffen. Die Vorschrift hat nicht zum Ziel, die Belastungen, die mit der Berufstätigkeit unter gleichzeitiger Pflicht, für ein Kind zu sorgen und es zu betreuen, verbunden sind, weitestgehend zu minimieren. § 24 Abs. 2 SGB VIII hat auch nicht die Aufgabe, Eltern alle Unbequemlichkeiten – die sich aus ihrer Erwerbstätigkeit unter gleichzeitiger Pflicht, ein Kind zu betreuen bzw. seine Betreuung sicherzustellen – ergeben, abzunehmen oder auf das geringstmögliche Ausmaß zu reduzieren. Sie bleiben für die Betreuung ihrer Kinder verantwortlich und müssen dafür auch bei ihrer Berufsausübung Rücksicht nehmen (vgl. VG München, B.v. 21.9.2017 – 18 E 17.3843 – BeckRS 2017, 138291, Rn. 35 f.; VG München, U.v. 18.9.2013 – M 18 K 13.2256 – juris Rn. 69).
Nach diesen Maßgaben ist die von der Antragsgegnerin angebotene Betreuungseinrichtung mit 18 Minuten Fahrtzeit für den Antragsteller jedenfalls im Rahmen der Zumutbarkeitsgrenze von einer halben Stunde erreichbar. In München nimmt die Bewältigung kurzer Strecken mit dem öffentlichen Personennahverkehr trotz des relativ gut ausgebauten Verkehrsnetzes sehr schnell eine Zeit von insgesamt einer halben Stunde in Anspruch. Zudem gewöhnen sich auch Kleinkinder durch wiederholte Übung an die Abläufe des öffentlichen Personennahverkehrs.
Auch ist der zeitliche Aufwand nicht aufgrund der beruflichen Situation der Eltern des Antragstellers unzumutbar. Mit 30 Minuten Fahrtzeit für die Mutter bzw. 32 Minuten Fahrzeit für den Vater liegt die vorgeschlagene Betreuungseinrichtung des Antragstellers in zumutbarer Entfernung. Selbst unter Einbeziehung der zusätzlichen Fahrtzeiten über die Einrichtung des Bruders beträgt der verbundene zeitliche Aufwand nicht mehr als je eine Stunde Fahrtzeit, was in einer Großstadt wie München als zumutbar angesehen wird (s.o.).
Aufgrund der aufgeteilten Bring- und Holzeiten beträgt der mit der Betreuung des Antragstellers in der angebotenen Einrichtung verbundene zeitliche Aufwand für jeden Elternteil des Antragstellers zudem täglich insgesamt in keinem Fall mehr als je eine Stunde Fahrtzeit. Denn die Eltern des Antragstellers haben angegeben, dass sie sich den täglichen Mehraufwand aufteilen, die Mutter den Antragsteller also zur Betreuungseinrichtung bringt und der Vater ihn von dort abholt. Daher ist jeder Elternteil nur einmal täglich mit der Bewältigung des Wegs zwischen Wohnung, Betreuungseinrichtung(en) und Arbeitsplatz beschäftigt und muss nur einmal am Tag die Wege über die Betreuungseinrichtung(en) auf dem Weg zwischen Wohnung und Arbeitsplatz bzw. umgekehrt bewältigen. Die o.g. anfallende Bring- bzw. Holzeit ist den Eltern des Antragstellers in einem hochverdichteten Ballungsraum wie München einmal täglich zumutbar. Einen Teil dieses zeitlichen Aufwands, nämlich denjenigen für den Weg zwischen der Wohnung und der Arbeitsstätte der Mutter, müsste außerdem auch ohne die Betreuung des Antragstellers in einer Kindertagesstätte aufgebracht werden.
Dass der „Umweg“ über die Einrichtung des Bruders des Antragstellers in der entgegengesetzten Richtung liegt, vermag ebenfalls keine Unzumutbarkeit begründen. Die Mutter braucht wie dargestellt für die gesamte Strecke in der Früh weniger als eine Stunde. Zudem wurden den Eltern des Antragstellers in der angebotenen Einrichtung zwei Plätze angeboten. So hätte die Mutter beide Kinder ab 7:00 Uhr in die Einrichtung bringen können, hätte keine Umwege gehabt, hätte eine insgesamt kürzere Fahrtzeit zur Arbeit und wäre regelmäßig sicher um 7:45 Uhr am Arbeitsplatz.
Für den Vater des Antragstellers liegt die angebotene Betreuungseinrichtung zwar nicht auf dem Weg von der Arbeitsstätte zur Wohnung. Jedoch ist hierbei zu berücksichtigen, dass für großstädtische Verhältnisse der Wohnort der Familie des Antragstellers sehr nah am Arbeitsplatz des Vaters des Antragstellers liegt und § 24 Abs. 2 SGB VIII keinen Anspruch auf eine (örtlich) optimale Kinderbetreuung schafft. Mit den errechneten ca. 40 Minuten Fahrtzeit pro Tag liegt auch seine zeitliche Belastung unter einer Stunde.
Eine besondere Härte kann das Gericht daher nicht erkennen, wenngleich der Wunsch der Eltern nach einer wohnortnäheren Lösung auch in einer Großstadt wie München verständlich und nachvollziehbar ist.
Nach alledem ist der Anspruch auf den Nachweis eines Betreuungsplatzes bereits durch das Angebot eines örtlich zumutbaren und zeitlich bedarfsgerechten Platzes erfüllt worden, so dass ein Anordnungsanspruch zum Entscheidungszeitpunkt nicht mehr besteht. Das Vorliegen eines Anordnungsgrundes kann vorliegend daher dahinstehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 188 Satz 2 VwGO.


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