Aktenzeichen AN 2 K 16.32492
VwVfG § 51 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3
Leitsatz
Eine persönliche Anhörung des Zweitantragstellers ist jedenfalls dann nicht gesetzlich erforderlich, wenn Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme zur Zulässigkeit des Antrags gegeben wird und sich aus den vorgetragenen Gründen keine Anhaltspunkte für das Vorliegen eines der in § 51 Abs. 1 VwVfG genannten Gründe ergeben. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Die zulässige Klage ist unbegründet, da der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt.
Das Gericht nimmt zur Begründung des Urteils gemäß § 77 Abs. 2 AsylG Bezug auf die ausführliche und zutreffende Begründung des streitgegenständlichen Bescheids des Bundesamtes und führt ergänzend aus:
Auch im für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) ergibt sich keine davon abweichende rechtliche Bewertung des Sachverhalts.
1. Rechtsgrundlage für die Ablehnung des Antrags der Klägerin ist § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG i.V.m. § 71 a Abs. 1 AsylG und § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG.
Das Bundesamt hat das streitgegenständliche Verfahren zu Recht als Zweitantrag im Sinne des § 71 a AsylG behandelt und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG hinsichtlich der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens in der Bundesrepublik Deutschland zutreffend ver-neint. Nachdem die Klägerin in Österreich, einem sicheren Drittstaat im Sinne von § 26 a AsylG, ein erstes Asylverfahren erfolglos betrieben hat, war ihr Antrag vom 30. November 2015 nach § 71 a Abs. 1 AsylG als Zweitantrag einzustufen. Die Beklagte war zur Durchführung des (zweiten) Asylantrags auch zuständig, nachdem die Überstellungsfrist für ein Verfahren nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-Verordnung) abgelaufen ist, ohne dass eine Überstellung der Klägerin nach Dänemark gelungen ist. Konsequenterweise wurde der entsprechende Dublin-Bescheid vom BAMF am 4. August 2016 aufgehoben.
Nach der Mitteilung des österreichischen Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 15. Dezember 2015 ist nicht zweifelhaft, dass die Klägerin in Österreich in den Jahren 2010 bis 2014 ein erstes Asylverfahren betrieben hat und dieses auch erfolglos i.S.v. § 71 a Abs. 1 AsylG und der hierzu ergangenen Rechtsprechung (vgl. insbesondere BayVGH, U.v. 3.12.2015 – 13a B 15.50069 – juris) geblieben ist. Bei der negativen Entscheidung in Österreich handelt es sich nach der insoweit eindeutigen Mitteilung des österreichischen Bundesamtes auch um eine inhaltliche Entscheidung und nicht um eine bloße verfahrenstechnische Beendigung des Verfahrens, das im Falle einer Rückkehr nach Österreich von der dortigen Behörde wieder aufgenommen werden könnte. Wie Österreich mitgeteilt hat, wurde über das Verfahren der Klägerin in „1. Instanz“ „negativ entschieden“ und hat die Klägerin hiergegen Beschwerde erhoben. Erst in „2. Instanz“ ist das Asylverfahren wegen des Untertauchens der Klägerin eingestellt worden. Damit kann angenommen werden, dass eine negative Sachentscheidung bestands- bzw. rechtskräftig geworden ist und kein Fall vorliegt, den die Rechtsprechung für nicht ausreichend erachtet, nämlich nicht der Fall, dass eine Verfahrenseinstellung ohne Sachentscheidung ergangen ist und eine Verfahrensfortsetzung in Österreich noch möglich wäre.
Die Ablehnung des Zweitantrags als unzulässig beruht auf §§ 29 Abs. 1 Nr. 5, 71 a Abs. 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 VwVfG und erging formell wie materiell rechtmäßig.
2. In formeller Hinsicht war es nicht zu beanstanden, dass die Beklagte vor der Ablehnung des Antrags keine Anhörung durchgeführt, sondern sich auf die Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme beschränkt hat.
Mit der Novelle zum 6. August 2016 und mit der Neuregelung des § 29 AsylG ist eine persönliche Anhörung i.S.d. §§ 24, 25 AsylG bei Zweitantragstellern jedenfalls dann nicht mehr gesetzlich erforderlich, wenn Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme zur Zulässigkeit des Antrags gegeben wird und sich aus den vorgetragenen Gründen keine Anhaltspunkte für das Vorliegen eines der in § 51 Abs. 1 VwVfG genannten Gründe ergeben (BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 22. Edition, Stand: 1.5.2019, § 71 a AsylG Rn. 4; siehe hierzu auch BT-Drs. 18/8615, 51; so auch Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Auflage 2018, § 29 AsylG Rn. 18). Nach § 29 Abs. 2 AsylG ist eine persönliche Anhörung vor der Zulässigkeitsentscheidung nunmehr nur noch in den Fällen des § 29 Abs. 1 Nr. 1b bis 4 AsylG erforderlich (§ 29 Abs. 2 Satz 1 AsylG), nicht aber für eine hier einschlägige Entscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG. Der Wortlaut des § 29 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 71 Abs. 3 AsylG ist eindeutig.
Ist aber eine persönliche Anhörung nicht zwingend erforderlich, sondern genügt die Gelegenheit zur Stellungnahme, ist das verfahrensrechtliche Vorgehen der Beklagten nicht zu beanstanden. Die Klägerin wurde vom BAMF mit Schreiben vom 20. Oktober 2016 ausdrücklich auf die Gesetzeslage hingewiesen; nach neuen Umständen und Erkenntnissen im Vergleich zu ihren Erstasylverfahren im Ausland wurde sie ausdrücklich gefragt. Hierauf erfolgte keine inhaltliche Stellungnahme, sondern nur die Bereitschaft und die Ankündigung von Angaben in einer Anhörung. Zu dieser Anhörung war die Beklagte gemäß § 71 Abs. 3 AsylG i.V.m. § 29 Abs. 2 Satz 2 AsylG nicht verpflichtet. Zunächst eine schriftliche Stellungnahme einzuholen bzw. Gelegenheit hierzu zu geben, war ausreichend. Da sich mangels Angaben keinerlei Anhaltspunkte für das Vorliegen von Gründen, die ein weiteres Verfahren rechtfertigen, ergeben haben, konnte ermessensfehlerfrei auf eine Anhörung verzichtet werden. Da dies gängige Praxis in Asylfolgeverfahren ist, bedurfte es auch keiner ausdrücklichen und individuellen Begründung dieser Ermessensausübung. Dies gilt hier umso mehr, als die Klägerin durch ihr bisheriges persönliches Verhalten eine zügige Beendigung ihrer Asylverfahren stets verhindert hat, sie insbesondere nicht von sich aus offenbart hat, dass bereits ein Asylverfahren in Österreich gelaufen ist (während dem sie noch dazu untergetaucht ist) und sie sich der Überstellung nach Dänemark im Dublin-Verfahren durch Flucht ins Kirchenasyl entzogen hat.
3. Auch in materiell-rechtlicher Hinsicht ist die Ablehnung nicht zu beanstanden. Gemäß § 71 a Abs. 1 AsylG ist ein weiteres Asylverfahren im Falle eines Zweitantrags nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. Es hat ein schlüssiger und fristgerechter Vortrag zu erfolgen, dass Wiederaufgreifensgründe gegeben sind. Die Klägerin hat jedoch keine fristgerechte Behauptung, dass solche Gründe vorliegen würden, abgegeben.
Gemäß § 51 Abs. 1 VwVfG hat die Behörde auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat (Nr. 1), neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (Nr. 2) oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung gegeben sind (Nr. 3). § 51 Abs. 2 VwVfG bestimmt, dass der Antrag nur zulässig ist, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen. Gemäß § 51 Abs. 3 VwVfG muss der Antrag binnen drei Monaten gestellt werden. Die Frist beginnt mit dem Tage, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat.
Die mit Schriftsatz vom 20. Februar 2017 eingereichte Erklärung der Klägerin zu ihren Ausreisegründen im Jahr 2015 ist schon aufgrund der Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG nicht geeignet, zur Durchführung eines Folgeverfahrens zu führen.
Der Antrag auf Wiederaufgreifen kann nur innerhalb einer Frist von drei Monaten nach Kenntnis des Wiederaufgreifensgrundes gestellt werden. Die Wahrung der Frist ist Zulässigkeitsvoraussetzung und mit Unionsrecht vereinbar. Die Rechtsprechung verlangt, dass innerhalb der Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG auch das Vorbringen substantiiert werden muss. Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem der Betroffene positive Kenntnis vom Wiederaufgreifensgrund erlangt. Diese Kenntnis liegt bereits dann vor, wenn dem Betroffenen die Tatsachen für das Wiederaufgreifen bekannt sind, was nicht erfordert, dass er diese Tatsachen auch rechtlich zutreffend als Gründe für ein Wiederaufgreifen erkennt. Insoweit reicht es für den Fristbeginn aus, wenn der Betroffene – gleichsam einer Parallelwertung in der Laiensphäre – zumindest die mögliche Relevanz für das Ausgangsverfahren erkannt hat. Dies kann jedoch bei komplexen Rechtsfragen auch mit der Obliegenheit einhergehen, eine Rechtsberatung durch einen Anwalt einzuholen. Der Betroffene muss sich die Kenntnis seines Prozessbevollmächtigten analog § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen. Für jeden Wiederaufgreifensgrund gilt jeweils eine gesonderte Drei-Monats-Frist. Im Fall eines zunächst ausgereisten Asylbewerbers beginnt die Frist selbst dann frühestens mit der Wiedereinreise zu laufen, wenn die Wiederaufgreifensgründe bereits während des Aufenthalts im Ausland entstanden und dem Asylbewerber dort bekannt geworden. Im Rahmen von Asylverfahren beginnt die Antragsfrist wegen § 71 Abs. 1 S. 1 AsylG erst nach der Rücknahme oder unanfechtbaren Ablehnung des früheren Asylantrags (BeckOK VwVfG, Bader/Ronellenfitsch, 44. Edition, Stand: 1.7.2019, § 51 Rn. 59 ff).
Im Falle der Klägerin könnte bezüglich des Fristbeginns somit einerseits auf ihre Wiedereinreise in Deutschland abgestellt werden. Da zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht klar war, ob eine Fortführung im nationalen Verfahren überhaupt stattfindet, erscheint es sachgerecht, frühestens auf den 4. August 2016 abzustellen. Mit Schreiben vom 4. August 2016 (Bl. 135 d. Behördenakte) wurden die Klägerin und ihr Bevollmächtigter über die Fortführung im nationalen Verfahren unterrichtet. Spätestens jedoch löste das Schreiben des Bundesamtes vom 20. Oktober 2016 die Frist aus. Hier wurde die Klägerin explizit darauf hingewiesen, dass ein weiterer Antrag in Deutschland nur zulässig sei, wenn sie neue Umstände vorbringen könne oder neue Erkenntnisse habe, die eine günstigere Entscheidung ermöglichen.
Die Klägerin machte weder gegenüber dem Bundesamt im Antragsverfahren, noch gegenüber dem Gericht im Eilverfahren Wiederaufgreifensgründe geltend. Die Ausschlussfrist des § 51 Abs. 3 VwVfG gilt nicht nur im Verfahren vor dem Bundesamt, sondern auch für bei Gericht neu vorgebrachte Wiederaufgreifungsgründe. Einzelne neue Tatsachen, die zur Begründung nachgeschoben werden, brauchen – ausnahmsweise – allerdings nicht innerhalb der Ausschlussfrist vorgetragen zu werden, wenn sie einen bereits rechtzeitig geltend gemachten Wiederaufgreifungsgrund bestätigen, wiederholen, erläutern oder konkretisieren, also nicht qualitativ neu sind (BVerwG, U.v. 10.2.1998 – 9 C 28/97 – juris Rn. 15). Die erstmals im Klageverfahren mit Schriftsatz vom 20. Februar 2017 eingereichte Erklärung der Klägerin (bezüglich der Vorkommnisse im Jahr 2015) erfolgte vier Monate nach dem spätestmöglichen Fristbeginn. Es handelte sich um den erstmaligen Vortrag dieser Gründe und nicht um eine Konkretisierung bereits vorgetragener Gründe. Der Vortrag war deshalb verfristet. Dies führt zur Präklusion der vorgetragenen Gründe.
4. Wiederaufgreifensgründe i.S.d. § 51 Abs. 1 VwVfG lagen somit nicht vor. Gemäß § 71 Abs. 1 AsylG musste folglich ein neues Asylverfahren nicht durchgeführt werden. Nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 Var. 2 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn im Falle eines Zweitantrags ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist. Die durch das Bundesamt erfolgte Ablehnung als unzulässig ist deshalb zu Recht erfolgt.
5. Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG in Frage kämen.
Liegen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 VwVfG für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nicht vor, hat das Bundesamt nach § 51 Abs. 5 VwVfG i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob die bestandskräftige frühere Entscheidung zu den Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 bzw. 7 Satz 1 AufenthG zurückgenommen bzw. widerrufen wird (§ 13 Abs. 2 AsylG); insoweit besteht ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensentscheidung (vgl. BayVGH, U. v. 6.6.2002 – 23 B 02.30222 – juris). Die Ermessensentscheidung kann vom Gericht nur in den Grenzen des § 114 VwGO überprüft und beanstandet werden.
Für das Bestehen einer extremen Gefährdungssituation im Sinne einer Existenzialgefahr nach § 60 Abs. 7 AufenthG wurde nicht substantiiert vorgetragen. Die Klägerin erklärte lediglich – ohne dies durch Atteste zu belegen – dass sich ihre vorhandene Angst verstärkt habe. Dies führe zu depressiven Phasen und psychosomatischen Beschwerden. Dieser knappe Vortrag erfüllt keineswegs die Voraussetzungen, die § 60 a Abs. 2c AufenthG bestimmt. Ein Attest, das dem § 60 a Abs. 2 c AufenthG entspräche wurde nicht vorgelegt. Es entspricht gefestigter Rechtsprechung, dass die Anforderungen an ein ärztliches Attest gemäß § 60a Abs. 2c AufenthG auf die Substantiierung der Voraussetzungen eines krankheitsbedingten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG zu übertragen sind (BayVGH, B.v. 24.1.18 – 10 ZB 18.30105 – juris; BayVGH, B.v. 10.1.18 – 10 ZB 16.30735 – juris; BayVGH, B.v. 9.11.17 – 21 ZB 17.30468 – juris).
Eine extreme Gefährdungssituation kann sich auch nicht aus dem pauschalen Verweis darauf ergeben, dass im Irak allen Rückkehrern, die in Europa Asyl beantragt hätten, eine Gefängnisstrafe von drei Jahren drohe. Aus den Erkenntnisquellen des Gerichts wird eine solche pauschale Bestrafung von Rückkehrern an keiner Stelle erwähnt. Die Behauptung erscheint schon deshalb abwegig. Zudem wurde sie keineswegs substantiiert dargelegt.
5. Die nach § 11 Abs. 1, 2 AufenthG vorgenommene Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes von 36 Monaten ab dem Tag der Abschiebung begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
Im Übrigen wird auf die Begründung des angefochtenen Bescheides des Bundesamtes Bezug genommen, § 77 Abs. 2 AsylG.
Die Kostenentscheidung der damit abzuweisenden Klage resultiert aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.