Verwaltungsrecht

Erfolglose Asylklage einer Ahmadi aus Pakistan

Aktenzeichen  AN 11 K 16.31151

Datum:
10.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3 Abs. 1, § 3e Abs. 1, Abs. 2 S. 1, § 28 Abs. 1a
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Denjenigen Ahmadi, für die die öffentliche Religionsausübung ein wesensbestimmender Teil ihrer Persönlichkeit ist, steht in Pakistan keine inländische Fluchtalternative zur Verfügung (Rn. 23). (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die Feststellung der religiösen Identität kommt dem Verhalten im Herkunftsland erheblich mehr Bedeutung zu als dem Verhalten nach der Ausreise (Rn. 32). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die vorliegende Klage ist als Verpflichtungsklage zwar zulässig aber unbegründet, da ein Anspruch auf Erlass der geltend gemachten Feststellungen nicht besteht (§ 113 Abs. 5 VwGO). Das Gericht sieht – soweit nicht die Flüchtlingseigenschaft begehrt wird – von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe nach § 77 Abs. 2 AsylG ab und bezieht sich auf die ausführliche und nach Gerichtsauffassung richtige Begründung des Bescheids vom 10. August 2016. Nur ergänzend sind daher die folgenden Aspekte angezeigt.
1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG, § 60 Abs. 1 AufenthG. Flüchtling ist nach § 3 Abs. 1 AsylG, wer sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich – also mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (BVerwG v. 20.02.2013 – 10 C 23/12 – Rn 20, 32 = BVerwGE 146, 67).
Hinsichtlich des Verfolgungsschicksals der Klägerin in Bezug auf eine geltend gemachte Verfolgung durch radikale Studenten und sonstige Personen ist das Vorbringen unglaubhaft und darüber hinaus bestehen jedenfalls inländische Fluchtalternativen (a). Eine Verfolgung oder begründete Furcht vor Verfolgung ist im Übrigen zur Überzeugung des Gerichts auch nicht in einer in einer religiösen Diskriminierung in Pakistan (b) zu sehen.
a) Hinsichtlich der geltend gemachten Verfolgung in Lahore und Lalian durch religiöse Studenten und sonstige Personen ist Folgendes auszuführen.
Das Gericht sieht die von der Klägerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung und auch im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt geschilderte Verfolgung als nicht glaubhaft an. Vielmehr ist das Gericht davon überzeugt, dass die Klägerin – so wie sie es auch im Rahmen ihrer Vernehmung durch die Kriminalinspektion … am 26. April 2016 angegeben hat – aufgrund einer Zusammenführung mit ihrem hier lebenden Ehemann nach Deutschland eingereist ist. Dafür, dass die Zusammenführung mit ihrem Ehemann handlungsleitendes Motiv war spricht neben den Angaben der Klägerin im Rahmen der Anhörung und ihrer Vernehmung durch die Polizei auch die Tatsache, dass sich die Klägerin vor ihrer Ausreise über Möglichkeiten der Ausstellung von Visa informiert hat. Die Klägerin, die immerhin eine akademische Bildung an einer Universität genossen und einen Bachelor abgeschlossen hat, hätte sich bei ernsthafter Betrachtungsweise auch über Möglichkeiten der Asylantragstellung vorab informieren können. Dies gilt umso mehr, als ihr hiesiger Ehemann bereits zwei Asylverfahren durchlaufen hat und die Klägerin hierüber hätte informieren können. Wieso die Klägerin sich mit einem Visa Zutritt nach Deutschland verschafft, ohne sich offen als Asylbewerberin zu erkennen zu geben, konnte sie auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung nicht erklären. Es ist nicht erklärlich, warum eine verfolgte Person sich erst unter Vorspiegelung falscher Motive die Einreise nach Deutschland ermöglicht, um dann erst – nach den Angaben der Klägerin nach Ablauf des Visums – einen Asylantrag zu stellen.
Daneben spricht für die Unglaubhaftigkeit des Verfolgungsschicksals der Klägerin, dass sowohl in zeitlicher wie persönlicher Hinsicht Details ihrer Verfolgungsgeschichte nicht plausibel gemacht werden konnten. Im Rahmen der Befragung zur Identitätsklärung vor der Zentralen Ausländerbehörde … am 26. April 2016 hat die Klägerin ausgeführt, etwa ein Jahr lang in einem Callcenter gearbeitet zu haben. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung gab die Klägerin wiederum an, nur 4-6 Monate in dem Callcenter in Lalian gearbeitet zu haben. Während die Klägerin im Rahmen ihrer Anhörung als wesentliches Motiv für den Verlust ihres Jobs in dem Callcenter die Bedrohung durch Imame/Mullahs als auslösendes Ereignis angab, hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung wiederum angegeben, dass die Bedrohung durch die Mullahs bereits eine Woche nach ihrem Arbeitsbeginn stattgefunden habe. Auf Vorhalt des Gerichts, warum sie nach dieser Bedrohung noch ein halbes Jahr gearbeitet habe, gab die Klägerin an, dass nun „Schlägertypen“ auf sie gehetzt worden seien, was im Rahmen der Anhörung keinen Widerhall gefunden hatte. Vor dem Bundesamt hat die Klägerin wiederum angegeben, dass sie den Job in dem Callcenter erst Ende 2013 angetreten habe. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin angegeben, dass dies insofern falsch sei, als sie den Job in Lalian anscheinend schon im Jahre 2013 verloren haben will und dann ab Ende 2013 an der Universität in Lahore studiert haben will. Das steht auch insofern im Widerspruch zum Vortrag der Klägerin vor dem Bundesamt, als die Klägerin dort als „Triebfeder“ für die Aufnahme ihrer beruflichen Tätigkeit die Verantwortung gegenüber der Familie genannt hat, weil diese wegen des Todes des Vaters im Laufe des Jahres 2013 Unterstützung gebraucht habe. Auch im Hinblick auf die übrigen Vorfälle gelang der Klägerin eine zeitliche Einordnung nur bruchstückhaft und mit großen Mühen. Dies steht im krassen Gegensatz zu der Antwort auf die von Gerichtsseite gestellte Frage nach dem Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin aus Pakistan im Rahmen der mündlichen Verhandlung. Die Klägerin hatte hier ohne größere Umschweife sofort den 17. März 2016 genannt, was im Hinblick auf den Reiseweg der Klägerin über Istanbul und Barcelona vollkommen mit ihrem Vorbringen vor diversen Behörden und dem Bundesamt übereinstimmt, da die Klägerin erst am 19. März 2016 in Frankfurt am Main eingereist ist. Das veranschaulicht für das Gericht, dass die akademisch gebildete Klägerin durchaus in der Lage ist, eine zeitliche Zuordnung exakt vorzunehmen, denn immerhin ist ihre Ausreise zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ebenfalls bereits ein Jahr her. Warum die übrigen Schilderungen, die für die Klägerin hier einen deutlich traumatischeren Eindruck hinterlassen haben müssten, in zeitlicher Hinsicht so detailarm blieben, verbleibt unklar.
Ebenso unklar verbleibt, wer überhaupt die Klägerin hätte verfolgen sollen. Die Klägerin bedient sich hinsichtlich ihrer Vorfälle einer anonymen Masse an angeblichen Verfolgern, die sie jedoch nie näher erläutern konnte. So führte die Klägerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung aus, in ihrem ersten Studentenwohnheim von Mitbewohnerinnen belästigt und zum Verlassen aufgefordert worden zu sein. Die Klägerin will dann im Rahmen des Besuchs der Universität von Mitgliedern einer Studentengruppe als Ahmadi be schimpft und als Ungläubige bezeichnet worden sein. Dabei hat die Klägerin explizit angegeben, dass sie die Mitglieder dieser Gruppe nicht gekannt habe. Auf Frage des Gerichts, woher die Mitglieder hätten wissen sollen, dass die Klägerin eine Ahmadi sei, führte die Klägerin zunächst an, dass Mitglieder dieser Gruppe auch in Studentenwohnheimen wohnen würden. Damit wäre jedoch klar, dass die Klägerin diese Personen oder einzelne davon zumindest „vom Sehen her“ kennen müsste. Im Anschluss hieran flüchtete sich die Klägerin dahin aus, dass sie beim Verlassen des Unterrichtsraums von den Mitgliedern dieser Gruppe nach ihrer Religionszugehörigkeit befragt worden sei. Dabei habe sie die Wahrheit gesagt. Dies ist für das Gericht schon insofern unglaubwürdig, als diese Studentengruppe dann letztlich jeden, der den Unterrichtsraum verlassen hat, nach seiner Religionszugehörigkeit hätte befragen müssen, denn nach den Schilderungen der Klägerin hätte diese Studentengruppe letztlich planlos fremde Leute nach ihrer Religionszugehörigkeit befragt. Zu den Vorfällen in der Heimatstadt R. ist hier nur auszuführen, dass die Klägerin in keiner Weise erklären konnte, wie „die Verfolger“ an ihre Handynummer hätten gelangen können sollen. Unglaubwürdig ist die Angabe der Klägerin, dass die Festnetznummer der Familie der Klägerin am Personalausweis erkennbar sei. Dem Gericht ist keine einzige Meldebehörde der Welt bekannt, die eine Festnetznummer – schon allein weil diese problemlos ständig gewechselt werden kann – in einem Personalausweis vermerkt. Im Übrigen ist anzumerken, dass die Verfolger ihr Ziel im Hinblick auf die Klägerin, so wie sie dies stets dargestellt hat, durch das Verlassen der Stadt Lahore erreicht haben. Zuletzt will die Klägerin nämlich aufgefordert worden sein, dass sie nicht mehr wiederkommen soll. Genau dies wurde durch ihre Flucht nach R. erreicht.
Selbst wenn man das Vorbringen der Klägerin als glaubhaft einstufen würde, so ständen der Klägerin inländische Fluchtalternativen nach § 3e Abs. 1 AsylG offen. Nach § 3e Abs. 1 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen des § 3e Abs. 1 AsylG erfüllt, sind gemäß § 3e Abs. 2 Satz 1 AsylG die im sicheren Teil des Herkunftslandes vorhandenen allgemeinen Gegebenheiten sowie die persönlichen Umstände des Klägers zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung zu berücksichtigen.
Die Beurteilung erfordert dabei eine Einzelfallprüfung (vgl. BayVGH, B.v. 11.12.2013 -13A ZB 13.30185). Dabei sind die individuellen Besonderheiten wie Sprache, Bildung, persönliche Fähigkeiten, vorangegangene Aufenthalte des Klägers in dem in Betracht kommenden Landesteil, örtliche und familiäre Bindungen, Geschlecht, Alter, ziviler Status, Lebenserfahrung, soziale Einrichtungen, gesundheitliche Versorgung und verfügbares Vermögen zu berücksichtigen. Entscheidend dafür, ob eine inländische Fluchtalternative als zumutbar angesehen werden kann, ist dabei insbesondere auch die Frage, ob an dem verfolgungssicheren Ort das wirtschaftliche Existenzminimum des Asylsuchenden gewährleistet ist. Dies in der Regel anzunehmen, wenn der Asylsuchende durch eigene Arbeit oder Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu seinem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen kann.
Dabei teilt das Gericht die Rechtsauffassung der Klägerseite, dass denjenigen Ahmadi, für die die öffentliche Religionsausübung ein wesensbestimmender Teil ihrer Persönlichkeit ist, keine inländische Fluchtalternative in Pakistan zur Verfügung steht. Insofern wäre nämlich zu bedenken, dass praktizierte öffentliche Religionsausübung für Ahmadi in der Tat in ganz Pakistan zu staatlicher Verfolgung durch die bekannten religiös diskriminierenden Strafgesetze führen könnte bzw. der Druck der Repressalien bereits einen Verzicht abnötigen könnte. Das Gericht ist allerdings davon überzeugt, dass es sich bei der Klägerin eben gerade nicht um eine Person handelt, für die die öffentliche Religionsausübung wesensbestimmend ist (siehe dazu b)).
Die Klägerin hat zwar angegeben, dass sie auch in R. bedroht worden sei, dies ist allerdings aufgrund der oben genannten mangelnden Glaubhaftigkeit im Hinblick auf die Handynummer oder Festnetznummer unbeachtlich. Auch konnte die Klägerin nicht einmal einen Drohbrief vorlegen. Das Gericht ist davon überzeugt, dass sie in einer Stadt wie R. oder auch einer anderen Großstadt Pakistans Schutz finden könnte. Die Stadt R. und auch sonstige Großstädte wie etwa Lahore oder Rawalpindi stellen nach der aktuellsten Auskunftslage weiterhin eine inländische Fluchtalternative für all jene Ahmadi dar, die keine überregionale Bekanntheit erlangt haben (Bericht des Auswärtigen Amtes über die Asyl- und abschieberelevante Lage in Pakistan vom 30. Mai 2016 Ziffer II.3 [im weiteren AAB]; vgl. auch EASO COI Pakistan Länderüberblick August 2015 Ziffer 3.4.2). Das ist bezüglich R. insofern auch schlüssig, als 95% der Bevölkerung Ahmadi sind (AAB Ziffer II.1.4). Im Hinblick auf die sonstigen Großstädte ist der Auskunftslage zu entnehmen, dass selbst Personen, die wegen Mordes von der Polizei gesucht werden, in einer Stadt, die weit genug von ihrem Heimatort entfernt liegt, unbehelligt leben könnten. Im Übrigen hat sich die Sicherheitslage der Ahmadi in keiner Weise derart entwickelt, dass von einer Gruppenverfolgung gesprochen werden könnte. Dies entspricht auch der aktuellen Auskunftslage, wonach zwischen 600.000 und bis zu vier Millionen Ahmadis in Pakistan leben, wobei der weitaus größte Teil friedlich mit den muslimischen Nachbarn zusammenlebt (AAB vom 30. Mai 2016 Ziffer II.1.4). Es gibt allerdings einzelne Fälle von Repressionen Dritter gegen Ahmadi. So sind zwischen Anfang 2011 und Ende 2012 24 Ahmadis wahrscheinlich aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit ermordet worden (AAB vom 8. April 2014 Ziffer II.1.4). Auch sind im Jahr 2012 fünf Ahmadis wegen Blasphemie angeklagt worden und weitere 57, weil sie sich verbotenerweise als Muslime bezeichnet hätten. 2014 verloren insgesamt elf Ahmadis bei gezielten Angriffen ihr Leben und weitere elf Ahmadis wurden wegen Blasphemie angeklagt (AAB v. 23. Juli 2015 Ziffer II.1.4). Im Jahr 2015 wurden eine Fabrik und eine Gebetsstätte im District Jhelum durch einen aufgebrachten Mob verwüstet. Daneben wurden drei Ahmadis wegen Blasphemie angeklagt (AAB v. 30. Mai 2016 Ziffer II.1.4). Diese Zahlen belegen jedoch, dass angesichts der bis zu vier Millionen Ahmadis in Pakistan keine Gruppenverfolgung aus der bloßen Zugehörigkeit zu dieser Religionsgemeinschaft gefolgert werden kann.
Dem Gericht sind schon angesichts der verstrichenen Zeit, aber auch im Hinblick auf die in Betracht zu ziehenden Veränderung der Örtlichkeit weg von den Städten Lahore und Lalian keine Gründe ersichtlich, warum diese allgemeine Einschätzung im Falle der Klägerin nicht zutreffen sollte. Schließlich teilt das Gericht auch die Einschätzung des Bundesamtes dahingehend, dass die Klägerin – auch in Anbetracht ihres mittlerweile geborenen Kleinkinds – bei einer Rückkehr nach Pakistan das Existenzminimum erreichen kann. Die Klägerin hatte nicht nur eine akademische Ausbildung bis zum Grad des Bachelor genossen, sondern hat auch mit vier Schwestern und drei Brüdern in R. ein erhebliches familiäres Netzwerk, auf das sie zurückgreifen könnte. Insofern sind inländische Fluchtalternativen bezüglich dieses Verfolgungsschicksals gegeben.
b) Die Klägerin hat Pakistan auch nicht aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen ihrer religiösen Überzeugung verlassen. Unter diesem Aspekt konnte kein „Vorfluchttatbestand.“
im Sinne einer bereits öffentlich ausgelebten oder – unter dem Druck drohender Verfolgung – unterlassenen öffentlichen Religionsausübung glaubhaft gemacht werden.
Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung liegt ein mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohender, erheblicher Eingriff im Sinne einer Verfolgung von Ahmadis nicht schon in der Verfolgung kraft Zugehörigkeit zu dieser Religionsgemeinschaft, sondern erst in der Gefahr durch Verfolgung wegen der „Ausübung der Religion mit Wirkung in die Öffentlichkeit“ (BVerwG v. 20.02.2013 – 10 C 23/12 – Rn 21 = BVerwGE 146, 67). Für die Anerkennung einer begründeten Furcht vor Verfolgung wegen öffentlicher, religiöser Betätigung ist eine besondere Schwere der zu erwartenden Verfolgung zu begründen, die sowohl objektive wie auch subjektive Elemente enthält (BVerwG a.a.O. Rn 28 ff.). Die objektive Schwere lässt sich anhand der zu erwartenden Repressalien, die dem Ausländer von staatlicher oder nichtstaatlicher Seite drohen, bemessen. Insofern ist auf die Auskunftslage zu verweisen (AAB vom 8. April 2014 II.1.4), wonach es einzelne Fälle von Repressionen Dritter gegen Ahmadi – so sollen zwischen Anfang 2011 und Ende 2012 24 Ahmadis wahrscheinlich aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit ermordet worden seien -gibt. Auch sind im Jahr 2012 fünf Ahmadis wegen Blasphemie angeklagt worden und weitere 57, weil sie sich verbotenerweise als Muslime bezeichnet hätten. Im Jahr 2014 sind elf Ahmadis wegen Blasphemie angeklagt worden (AAB v. 23. Juli 2015 II.1.4). Im gleichen Jahr sind ebenfalls elf Ahmadis bei gezielten Angriffen ums Leben gekommen. 2015 wurden drei Ahmadis wegen Blasphemie angeklagt (AAB v. 30. Mai 2016 Ziffer II.1.4). Auf Blasphemie steht in Pakistan weiterhin die Todesstrafe, wobei die Auskunftslage betont, dass bisher kein Fall einer Vollstreckung bekannt ist. Ahmadis werden zusätzlich durch eine speziell gegen sie gerichtete Gesetzgebung diskriminiert, da es Ihnen ausdrücklich verboten ist, sich als Muslime zu bezeichnen oder sich dementsprechend zu verhalten, was mit einer Strafe von bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe sanktioniert ist (AAB v. 30. Mai 2016 Ziffer II.1.4).
In subjektiver Hinsicht erreicht ein Eingriff die besondere Schwere, wenn dem Ausländer die Ausübung seines Glaubens in der Öffentlichkeit (z.B. durch Missionierung) zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist und er selbst diese Ausübung für unverzichtbar hält (BVerwG 20.02.2013 – 10 C 23/12 – Rn 29 = BVerwGE 146, 67). Die subjektive Schwere hat der Ausländer zur vollen Überzeugung des Gerichts nachzuweisen. Dabei kann der subjektive Aspekt als innere Tatsache nur aus dem Vorbringen des Aus länders und aus objektiven Indizien gefolgert werden. Hierbei kommt auch der Frage, ob, wie und warum der Ausländer vor seiner Flucht seine Religion öffentlich ausgeübt oder nicht ausgeübt hat, Bedeutung zu. Neben den objektiven Indizien ist vor allem sein eigenes Vorbringen im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt und der mündlichen Verhandlung relevant (BVerwG a.a.O. Rn 31).
Nach diesen Grundsätzen konnte die Klägerin keine subjektive Schwere eines bestehenden Eingriffs in seine Religionsausübung während seiner Zeit in Pakistan glaubhaft machen. Hierzu mangelt es schon an substantiierten objektiven Indizien, welche für eine subjektive Schwere des Eingriffs in die Religionsfreiheit der Klägerin sprechen könnten. Objektiv spricht für die Klägerin nämlich nur die auf den 19. Oktober 2016 datierende Bestätigung der Deutschlandzentrale ihrer Glaubensgemeinschaft. Hiernach hat die Klägerin angeblich guten Kontakt zu der lokalen Gemeinde, welche nicht einmal namentlich genannt ist und laut Auskunft der Klägerin in der mündlichen Verhandlung sowohl auf Lahore als auch auf R. bezogen ist, gepflegt und der Sekretärin für Erziehung und Sport ausgeholfen. In subjektiver Hinsicht hat die Klägerin diese abstrakt beschriebene Tätigkeit in einem religiösen Sinne lediglich dahingehend konkretisiert, dass sie Koranunterricht gegeben habe, wobei hierzu auch die Interpretation des Korans mit Gruppen erwachsener Frauen gehört haben soll.
Hierbei ist jedoch in subjektiver Hinsicht zu berücksichtigen, dass die Klägerin auf die Fragen des Gerichts als auch auf die Fragen des Bundesamtes nach den Fluchtgründen keinerlei religiöse Motive angegeben hat. Vielmehr hat die Klägerin das obige Verfolgungsschicksals sowohl vor dem Bundesamt als auch vor dem Gericht als Fluchtgrund genannt. Dabei will das Gericht auch hier vermerken, dass die objektiven Umstände der Einreise der Klägerin und ihr Vorbringen auf die Zusammenführung mit ihrem Mann als Motiv hindeuten. Irgendeine Form von religiösem Leidensdruck hat die Klägerin zu keinem Zeitpunkt geschildert. Auch zur Frage des Gerichts, warum die Klägerin nicht nach R. zurückkehren könne, hat sie lediglich auf die Sicherheitslage abgestellt. Dass der Klägerin irgendeine Form von Religionsausübung fehlen würde, hat sie nicht einmal behauptet. Das deckt sich auch insofern mit der Einschätzung des Gerichts, als die einzige Konstante der religiösen Aktivitäten der Klägerin in Pakistan und Deutschland – neben dem Gebet – das Geben von Koranunterricht zu sein scheint. Diese Tätigkeit hat die Klägerin nach ihrem eigenen Vortrag letztlich vollkommen ungestört und unproblematisch sowohl in ihrem Heimatland als auch in Deutschland ausleben können. Dass die Klägerin hinsichtlich des Koranunterrichts irgendwelche Probleme gehabt hat, hat sie zu keinem Zeitpunkt behauptet. Da dieser Koranunterricht offensichtlich und schon aus rein logistischen Gründen nicht öffentlich sondern in Unterrichtsgebäuden im weitesten Sinne stattfinden dürfte, handelt es sich hierbei nicht um eine öffentliche Religionsausübung.
Dies deckt sich auch mit der Einschätzung und Bewertung des religiösen Verhaltens der Klägerin seit ihrer Ankunft in Deutschland.
Nach § 28 Abs. 1a AsylG kann die begründete Furcht vor Verfolgung auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, dass Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Auch die Rechtsprechung des BVerwG zur religiösen Verfolgung von Ahmadis betont, dass für die Feststellung der religiösen Identität das Verhalten sowohl vor als auch nach der Ausreise aus dem Herkunftsland von Bedeutung ist (BVerwG v. 20.02.2013 – 10 C 23/12 – Rn 31 = BVerwGE 146, 67). Dabei kommt nach Meinung des erkennenden Gerichts jedoch dem religiösen Verhalten im Herkunftsland, in dem sich der Ausländer für gewöhnlich viel länger aufgehalten hat als in Deutschland, erheblich mehr Bedeutung zu, da für die religiöse Identität eines Menschen grundsätzlich Kohärenz, Konstanz und Kontinuität die konstituierenden Faktoren sind (VG Köln v. 15.07.2015 – 23 K 1005/14.A – Rn 48 = juris). Von einem solchen Grundgedanken geht auch der gesetzliche Leitgedanke für die Annahme eines Nachfluchtgrundes, wie er in § 28 Abs. 1a AsylG niedergelegt ist, aus, wenn dort insbesondere auf eine bereits bestehende Überzeugung oder Ausrichtung im Herkunftsland Bezug genommen wird. Zwar ist auch die religiöse Identität kein völlig statischer Begriff, jedoch verbleiben erhebliche Zweifel an einem behaupteten Identitätswandel als innerer Tatsache, wenn ein nicht religiös (im Sinne obiger Lage b)) vorverfolgter Ausländer nicht ein bedeutsames, nachvollziehbares Ereignis für eine Steigerung oder Aufnahme von öffentlichkeitswirksamen, religiösen Aktivitäten in Deutschland anführen kann (hierzu VG Köln v. 15.07.2015 – 23 K 1005/14.A – Rn 41 ff. = juris).
Die überhaupt einzig feststellbare auch nur annähernd in die Öffentlichkeit wirkende „religiöse Handlung“, der sich die Klägerin rühmt, ist die bisher einmalige Teilnahme an der jährlichen Versammlung „Ijtema“, auf der die Klägerin ein Gedicht über ihr religiöses Oberhaupt vorgetragen haben will. Schon angesichts der Tatsache, dass nur eine einzige in die Öffentlichkeit wirkende religiöse Handlung in Betracht kommt, bedürfte es hier nach Meinung des Gerichts erheblicher und gewichtiger weiterer Indizien, um eine wesensprägende Qualität der Teilnahme an dieser nur jährlich stattfindenden Veranstaltung anzunehmen. Hierbei ist nämlich zu beachten, dass auch schon die bloße Möglichkeit, sich mit anderen Ahmadis gefahrlos in der Öffentlichkeit im Rahmen einer Großveranstaltung treffen zu können (ohne, dass dabei spezifisch die Religionsausübung im Vordergrund stehen müsste), die regelmäßige Teilnahme an so einer Veranstaltung erklären könnte. Weitere Indizien, dass die öffentliche Religionsausübung für die Klägerin wesensbestimmend ist, lassen sich jedoch nicht feststellen. Auch die Tatsache, dass die Klägerin Missionsarbeit gegenüber einer afghanischen Frau in der Asylunterkunft verrichtet hat, ist kein so erhebliches Indiz für wesensprägendes Merkmal der öffentlichen Religionsausübung. Dies gilt schon deswegen, da diese Missionsarbeit selbst wiederum eben nicht in der Öffentlichkeit stattgefunden hat. Solche private Missionsarbeit wird von vielen Ahmadis in Pakistan praktiziert, da dies letztlich die einzige Möglichkeit der Verbreitung des Glaubens ist. Auch hat die Klägerin zu Ihrer Motivlage für die Missionsarbeit lediglich angegeben, dass viele Muslime eine falsche Interpretation des Glaubens hätten und dieser richtig gestellt werden müsste. Dass die Klägerin hiermit in irgendeiner Weise in die Öffentlichkeit wirken wolle, hat sie nicht dargelegt.
2. Im Übrigen – insbesondere zu den hilfsweise eingeklagten Verpflichtungsbegehren – wird auf die richtigen und detaillierten Ausführungen im Bescheid des Bundesamtes verwiesen und Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Nach alledem ist die Klage abzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei. Auf den Gegenstandswert nach § 30 RVG wird hingewiesen.


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