Verwaltungsrecht

Erfolglose Asylklage eines im Iran aufgewachsenen Hazara (Herkunftsstaat Afghanistan)

Aktenzeichen  AN 18 K 17.30608

Datum:
15.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 29403
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 lit. a, Abs. 4, § 3c, § 4 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 2, Nr. 3, Abs. 3 S. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1. Bringt ein Asylkläger lediglich zum Ausdruck, dass er sich seinen Glauben nicht vorschreiben lassen und insbesondere die Regeln des schiitischen Glaubens nicht mehr befolgen wolle, wird hierdurch eine inhaltliche Abwendung vom Islam, die auf einer vollen inneren Überzeugung beruht, noch nicht aufgezeigt (Rn. 24). (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Gruppenverfolgung der Hazara ist in Afghanistan nicht feststellbar (Rn. 28 – 30). (redaktioneller Leitsatz)
3. Das in der Provinz Kabul vorherrschende Ausmaß an Gewalt erfüllt nicht die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG (Rn. 41 – 43). (redaktioneller Leitsatz)
4. für einen alleinstehenden, erwerbsfähigen und gesunden jungen Mann besteht bei einer Rückkehr nach Afghanistan selbst dann keine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung, wenn dieser der Volksgruppe der Hazara angehört, im Iran aufgewachsen ist und weder über ein soziales Netzwerk noch über eine abgeschlossene Berufsausbildung oder nennenswertes Vermögen verfügt (Rn. 48 – 51). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die zulässige Klage, die das Gericht gemäß § 102 Abs. 2 VwGO trotz Nichterscheinens eines Vertreters der Beklagten verhandeln und entscheiden konnte, da die Beklagte unter Hinweis auf diese Möglichkeit ordnungsgemäß geladen worden war, bleibt in der Sache ohne Erfolg.
I.
Die Klage ist, soweit sie sich gegen die Ziffern 1, 3 und 4 des Bescheids vom 30. Januar 2017 richtet, als Verpflichtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO und, soweit damit die Ziffern 5 und 6 dieses Bescheids angegriffen werden, als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO zulässig. Außerdem wurde die Klage innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 74 Abs. 1 Halbsatz 1 AsylG erhoben.
II.
In der Sache ist die Klage jedoch unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 30. Januar 2017 erweist sich als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen subjektiven Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO. Insbesondere steht dem Kläger zu dem gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 15. Oktober 2019 weder ein Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG noch auf die Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG oder auf die Feststellung der nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG zu. Zu Recht ergangen sind außerdem die in Ziffer 5 des Bescheids enthaltene Ausreiseaufforderung nebst Abschiebungsandrohung sowie das in Ziffer 6 enthaltene Einreise- und Aufenthaltsverbot.
Zur Vermeidung von Wiederholungen bezieht sich das Gericht an dieser Stelle gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die Gründe des streitgegenständlichen Bescheids, weil es diese für zutreffend hält. Im Hinblick auf das klägerische Vorbringen in der mündlichen Verhandlung am 15. Oktober 2019 und die sich zu diesem Zeitpunkt ergebende aktuelle Auskunftsklage für Afghanistan ist ergänzend wie folgt auszuführen:
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 4 Alt. 1 AsylG.
Ein Ausländer ist gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 und 2 Buchst. a AsylG als Flüchtling anzuerkennen wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, drohen (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – juris Rn. 19).
Hinsichtlich dieser begründeten Furcht vor Verfolgung ist im Fall des Klägers nach der Regelung des § 3 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AsylG allein auf Afghanistan abzustellen, da er nach eigenen Angaben die Staatsangehörigkeit dieses Landes besitzt. Dass sich der Kläger seinen Angaben gemäß ein Leben lang im Iran aufgehalten hat, ist insoweit unerheblich. Damit kann es in diesem Zusammenhang insbesondere nicht auf die vom Kläger im Rahmen der Anhörung am 30. November 2016 geschilderten Vorfälle im Iran – namentlich den aus einem Fahrzeug heraus erfolgten Überfall und die Inhaftierung durch die dortige Polizei – ankommen. Auch das übrige Vorbringen des Klägers stellt nach Auffassung der Kammer keinen Anknüpfungspunkt für eine begründete Furcht vor Verfolgung bei einer Rückkehr nach Afghanistan dar. Dies gilt besonders für die in der mündlichen Verhandlung vorgebrachte Abkehr vom Islam sowie die Zugehörigkeit des Klägers zum Volk der Hazara.
a) Es besteht keine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine dem Kläger in Afghanistan drohende religiöse Verfolgung. Es ist dem Kläger gerade nicht gelungen, das Gericht davon zu überzeugen, dass er sich zwischenzeitlich aus einer festen Grundüberzeugung und einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel heraus von seinem schiitischen Glauben abgewandt hat.
Zwar geht das Gericht aufgrund der aktuellen Auskunftslage grundsätzlich davon aus, dass Personen, die sich vom Islam abgewandt haben, in Afghanistan Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt sein können, wenn ihre religiöse Überzeugung bekannt wird (ebenso OVG NRW, U.v. 18.6.2019 – 13 A 3930/18.A – juris Rn. 66; VGH BW, U.v. 5.12.2017 – A 11 S 1144/17 – juris Rn. 67). Die Konversion vom Islam gilt in Afghanistan als Apostasie, also als Abfall vom Glauben, und kann nach islamischem Recht mit dem Tod sowie durch Freiheitsentziehung, Enteignung und Beschränkung des Erbrechts bestraft werden (vgl. Republik Österreich, Länderinformationsblatt Afghanistan, Gesamtaktualisierung 29.6.2018, letzte Kurzinformation v. 4.6.2019, S. 309 f.). In jüngerer Vergangenheit sind allerdings keine Fälle bekannt geworden, in denen die Todesstrafe aufgrund von Apostasie tatsächlich verhängt wurde (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amts, 2.9.2019, S. 11). Es wird außerdem berichtet, dass Personen, die sich vom Islam abwenden von ihren Familien und Gemeinschaften zurückgewiesen werden, ihre Arbeit verlieren können und um ihre persönliche Sicherheit fürchten müssen (vgl. UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 30.8.2018, S. 72).
Auf eine Abkehr von seinem bisherigen Bekenntnis und eine ihm in seinem Herkunftsland deswegen drohende Verfolgungsgefahr kann sich ein Asylbewerber jedoch nur dann mit Erfolg berufen, wenn festgestellt werden kann, dass die Abwendung von seiner bisherigen Religion auf einer festen Überzeugung sowie einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel und nicht lediglich auf Opportunitätserwägungen beruht und zudem die nunmehrige religiöse Identität des Schutzsuchenden prägt (OVG NRW, B.v. 9.6.2017 – 13 A 1120/17.A – juris Rn. 10; B.v. 27.4.2016 – 13 A 854/16.A – juris Rn. 8). Das Gericht darf sich diesbezüglich nicht auf eine Plausibilitätsprüfung hinreichend substantiierter Darlegung beschränken; zugrunde zu legen ist vielmehr das Regelbeweismaß der vollen Überzeugung des Gerichts, § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO (BVerwG, B.v. 25.8.2015 – 1 B 40.15 – juris Rn. 13). Die religiöse Identität des Asylbewerbers als innere Tatsache kann nur anhand seines Vorbringens sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen festgestellt werden (BVerwG, B.v. 25.8.2015 – 1 B 40.15 – juris Rn. 14; U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – juris Rn. 31). Welche Anforderungen dabei im Einzelnen an das Vorbringen des Schutzsuchenden zu stellen sind, richtet sich vorwiegend nach seiner Persönlichkeit und seiner intellektuellen Disposition (OVG NRW, U.v. 18.6.2019 – 13 A 3930/18.A – juris Rn. 72; VGH BW, U.v. 5.12.2017 – A 11 S 1144/17 – juris Rn. 63). Von einem Erwachsenen ist aber im Regelfall zu erwarten, dass dieser schlüssige und nachvollziehbare Angaben zu den inneren Beweggründen für die Konversion machen kann (BVerwG, B.v. 25.8.2015 – 1 B 40.15 – juris Rn. 14; VG Lüneburg, U.v. 27.2.2017 – 3 A 152/17 – juris Rn. 21).
Gemessen an den vorstehenden Grundsätzen gelangt die Kammer im konkreten Fall des Klägers nicht zu der nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO erforderlichen Überzeugungsgewissheit, dass sich dieser aus einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel heraus von seinem schiitischen Glauben abgewandt hat. Der Kläger hat sich hierauf erstmals im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 15. Oktober 2019 berufen. Er gab dazu an, durch seinen Aufenthalt in Deutschland bemerkt zu haben, dass er an keine Religion mehr glaube. Es sei ihm klar geworden, dass er sich über die Dinge selbst Gedanken machen und dann entscheiden möchte, was er tue. Er wolle nicht mehr nach den Vorschriften seiner Religion leben, von denen er noch nicht einmal wisse, wer diese festgeschrieben habe. Schon als er noch im Iran gewesen sei, habe er mit einem religiösen Gelehrten oft über das Thema Religion diskutiert; man sei aber nie zu einem Schluss gelangt. In Deutschland habe er verschiedene Denkweisen kennengelernt. Viele Menschen seien der Ansicht, dass ihre Religion die beste sei. Seiner Meinung nach solle jeder das machen, woran er glaube, und den anderen akzeptieren. Aus diesem Vorbringen des Klägers vermag das Gericht jedoch nicht den Schluss auf einen ernst gemeinten und die religiöse Identität des Klägers prägenden Einstellungswandel zu ziehen. Vielmehr hat der Kläger lediglich zum Ausdruck gebracht, dass er sich seinen Glauben nicht vorschreiben lassen und insbesondere die Regeln des schiitischen Glaubens nicht mehr befolgen wolle. Eine inhaltliche Abwendung vom Islam, die auf einer vollen inneren Überzeugung des Klägers beruht, wird hierdurch aber gerade noch nicht aufgezeigt (ebenso OVG NRW, U.v. 18.6.2019 – 13 A 3930/18.A – juris Rn. 77).
Auch erscheint das diesbezügliche Vorbringen des Klägers vor allem mit Blick auf die Tatsache, dass dieser sich erstmalig in der mündlichen Verhandlung darauf berufen hat, in erster Linie opportunistisch motiviert und daher wenig glaubhaft. Dies gilt umso mehr als der Kläger nach eigener Aussage bereits während seines Aufenthalts im Iran – und damit vor seiner Einreise nach Deutschland – gegenüber einem dortigen religiösen Gelehrten Zweifel hinsichtlich der Vorschriften des islamischen Glaubens geäußert haben will. Der Kläger war sich laut eigener Aussage zudem der mit einem solchen Gesinnungswandel in Afghanistan einhergehenden Gefahren bewusst. Dazu führte der Kläger aus, es werde ihm in Afghanistan höchstens ein paar Monate oder ein Jahr gelingen, seine Konversion geheim zu halten, ehe den Leuten auffallen würde, dass er nicht bete oder faste, was für ihn dann sehr gefährlich werde. Warum der Kläger diesen Umstand nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt während seines Asylverfahrens vorgebracht hat, vermag sich dem Gericht daher nicht zu erschließen. Im Gegenteil erscheint die erstmalige Erwähnung der angeblichen Abkehr vom Islam in der mündlichen Verhandlung vor allem asyltaktisch motiviert.
b) Eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung droht dem Kläger ferner nicht etwa deshalb, weil er Volksgruppe der Hazara angehört. Insbesondere ergeben sich nach derzeitiger Auskunftslage keine Hinweise auf eine sog. Gruppenverfolgung der Hazara.
Zwar kann sich die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer, der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrt, nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben, sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet. Die Annahme einer solchen Gruppenverfolgung setzt grundsätzlich eine bestimmte Verfolgungsdichte voraus, welche die Regelvermutung eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich nicht mehr um nur vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht (zum Ganzen: BVerwG, U.v. 21.4.2009 – 10 C 11.08 – juris Rn. 13; U.v. 1.2.2007 – 1 C 24.06 – juris Rn. 7).
Für die Volksgruppe der Hazara, welcher der Kläger angehört, ist eine solche Gruppenverfolgung jedoch nicht feststellbar. Insbesondere kann nicht von einer Verfolgung der gesamten Volksgruppe ausgegangen werden. In Afghanistan stellen die Hazara mit einem Anteil von etwa 10% der Gesamtbevölkerung eine Minderheit mit zumeist schiitischem Glauben dar (vgl. Republik Österreich, Länderinformationsblatt Afghanistan, Gesamtaktualisierung 29.6.2018, letzte Kurzinformation v. 4.6.2019, S. 321). Zwar wird weiterhin von gesellschaftlicher Diskriminierung der Hazara durch illegale Besteuerung, Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, körperliche Misshandlung und Inhaftierung berichtet (vgl. UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 30.8.2018, S. 106). Seit dem Ende der Taliban-Herrschaft ist aber eine grundsätzliche Verbesserung der Lage der Hazara festzustellen (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amts, 2.9.2019, S. 10). So sind diese zwischenzeitlich in den Bereichen Bildung, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft grundsätzlich etabliert (vgl. Republik Österreich, Länderinformationsblatt Afghanistan, Gesamtaktualisierung 29.6.2018, letzte Kurzinformation v. 4.6.2019, S. 322). Auch bekleiden Hazara zwischenzeitlich mitunter prominente Stellen in der Regierung und im öffentlichen Leben, obgleich sie in der öffentlichen Verwaltung nach wie vor unterrepräsentiert sind (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amts, 2.9.2019, S. 10). Im Durchschnitt sind die Hazara beispielsweise mit etwa 10% in der afghanischen Armee und der afghanischen Polizei repräsentiert (vgl. Republik Österreich, Länderinformationsblatt Afghanistan, Gesamtaktualisierung 29.6.2018, letzte Kurzinformation v. 4.6.2019, S. 323). Schließlich verfügen sie über grundsätzlich gleichwertigen Zugang zum afghanischen Arbeitsmarkt (vgl. Republik Österreich, Länderinformationsblatt Afghanistan, Gesamtaktualisierung 29.6.2018, letzte Kurzinformation v. 4.6.2019, S. 322).
Eine Gruppenverfolgung der Hazara kann im Übrigen nicht etwa deshalb angenommen werden, weil diese Opfer von Anschlägen und kriminellen Übergriffen werden. Zwar sind immer wieder Anschläge auf schiitische Einrichtungen zu verzeichnen, so etwa am 15. August 2018 auf eine hauptsächlich von Schiiten genutzte Bildungseinrichtung in … sowie am 18. August 2018 auf eine schiitische Moschee in der Provinz Paktia (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amts, 2.9.2019, S. 10). Selbst vor diesem Hintergrund kann jedoch keine über eine nur latente oder potenziell bestehende Gefährdungslage hinausgehende Bedrohung angenommen werden, die die Feststellung zuließe, dass grundsätzlich die gesamte Volksgruppe der Hazara mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von Anschlägen getroffen würde. In vielen Fällen kann nämlich gerade nicht ausgeschlossen werden, dass kriminelles Unrecht lediglich zufällig zum Nachteil der Hazara wirkt oder diese aufgrund erhöhter Reisetätigkeit bzw. des überwiegenden Wohnens in den Stadtzentren betroffen sind (ebenso OVG NRW, U.v. 13.6.2019 – 13 A 3741/18.A – juris Rn. 167; VGH BW, U.v. 17.1.2018 – A 11 S 241/17 – juris Rn. 139).
Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass die Frage nach einer Gruppenverfolgung von Volkszugehörigen der Hazara in Afghanistan bereits mehrfach Gegenstand der obergerichtlichen Rechtsprechung war und von dieser abgelehnt wurde (aus neuerer Zeit etwa: NdsOVG, U.v. 29.1.2019 – 9 LB 93/18 – juris Rn. 75; VGH BW, U.v. 17.1.2018 – A 11 S 241/17 – juris Rn. 77 ff.; U.v. 5.12.2017 – A 11 S 1144/17 – juris Rn. 54 ff.; BayVGH, B.v. 14.8.2017 – 13a ZB 17.30807 – juris Rn. 17 ff.; B.v 20.1.2017 – 13a ZB 16.30996 – juris Rn. 11 f.; B.v. 4.1.2017 – 13a ZB 16.30600 – juris Rn. 6).
2. Der Kläger hat außerdem keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG, da es ihm nicht gelungen ist, stichhaltige Gründe für die Annahme vorzubringen, dass ihm in Afghanistan ein ernsthafter Schaden droht.
a) Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass dem Kläger ein ernsthafter Schaden durch die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe drohen würde, § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG.
b) Auch droht dem Kläger kein ernsthafter Schaden durch Folter bzw. unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung, § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG.
Eine Behandlung ist unmenschlich, wenn sie vorsätzlich und ohne Unterbrechung über Stunden zugefügt wurde und entweder körperliche Verletzungen oder intensives physisches oder psychisches Leid verursacht hat; sie ist erniedrigend, wenn sie eine Person demütigt oder erniedrigt, es an Achtung für ihre Menschenwürde fehlen lässt, sie herabsetzt oder in ihr Gefühle der Angst, Beklemmung oder Unterlegenheit erweckt, die geeignet sind, ihren moralischen oder körperlichen Widerstand zu brechen (EGMR, U.v. 21.1.2011 – 30696/09 – BeckRS 2011, 3848 Rn. 220). Aufgrund des in § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG enthaltenen Verweises auf § 3c AsylG muss die unmenschliche oder erniedrigende Behandlung außerdem von einem der dort genannten Akteure ausgehen (BVerwG, B.v. 13.2.2019 – 1 B 2.19 – juris Rn. 6; U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 29).
Individuelle Umstände, die im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung des Klägers nahelegen würden, sind nicht ersichtlich. Dies gilt namentlich für die vom Kläger erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgebrachte Konversion vom Islam, die das Gericht – wie vorstehend dargelegt – nicht für glaubhaft erachtet. Desweiteren vermögen auch die in Afghanistan herrschenden schlechten humanitären Bedingungen als solche keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung des Klägers im Sinne von§ 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AsylG zu begründen, da es insoweit jedenfalls an einem nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG erforderlichen Akteur im Sinne des § 3c AsylG fehlt. Die schlechte Versorgungslage wird vielmehr durch die schlechte wirtschaftliche Entwicklung Afghanistans, die dort herrschenden Umweltbedingungen sowie maßgeblich durch die volatile Sicherheitslage negativ beeinflusst und bestimmt. Insofern ist nicht festzustellen, dass einem der Akteure des § 3c AsylG ein wesentlicher Beitrag direkt oder indirekt anzulasten wäre und eine Verhaltensänderung zu einer unmittelbaren Verbesserung der Situation führen könnte; insbesondere wird weder die notwendige medizinische oder humanitäre Versorgung gezielt vorenthalten, noch werden all diese Umstände gezielt herbeigeführt (ebenso VGH BW, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris Rn. 73; U.v. 24.1.2018 – A 11 S 1265/17 – juris Rn. 103).
c) Zuletzt bestehen keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass dem Kläger in Afghanistan ein ernsthafter Schaden in Form einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts drohen würden, § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG.
Individuell im Sinne der Vorschrift sind schädigende Eingriffe, die sich gegen Zivilpersonen ungeachtet ihrer Identität richten, wenn der den bestehenden Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften Bedrohung für Leben oder Unversehrtheit ausgesetzt zu sein (EuGH, U.v. 30.1.2014 – C-285/12 – juris Rn. 30; U.v. 17.2.2009 – C-465/07 – juris Rn. 35, 43). Der notwendige Grad willkürlicher Gewalt wird dabei umso geringer sein, je mehr der Schutzsuchende zu belegen vermag, dass er aufgrund von seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist (EuGH, U.v. 17.2.2009 – C-465/07 – juris Rn. 39; VGH BW, U.v. 17.1.2018 – A 11 S 241/17 – juris Rn. 193). Solche Umstände können sich beispielsweise aus dem Beruf des Schutzsuchenden – etwa als Arzt oder Journalist – sowie aus dessen religiöser oder ethnischer Zugehörigkeit ergeben.
Für die Person des Klägers sind keine derartigen gefahrerhöhenden Umstände ersichtlich. Eine Berücksichtigung der angeblichen Abkehr vom islamischen Glauben muss auch an dieser Stelle bereits deshalb ausscheiden, weil das Gericht das diesbezügliche Vorbringen des Klägers nicht für glaubhaft erachtet. Nichts anderes gilt im Hinblick auf die von Seiten des Klägers geäußerte Befürchtung, er werde es aufgrund seiner Zugehörigkeit zum Volk der Hazara in Afghanistan schwer haben. Wie bereits dargelegt, bestehen nach gegenwärtiger Auskunftsklage keine Anhaltspunkte für zielgerichtete Gewalthandlungen gegen Angehörige dieser Volksgruppe; es findet namentlich auch keine Gruppenverfolgung der Hazara statt.
Liegen – wie im vorliegenden Fall des Klägers – keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist für die nach der Vorschrift notwendige Individualisierung der allgemeinen Gefahrenlage ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich (BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – juris Rn. 19; U.v. 27.4.2010 – 10 C 4.09 – juris Rn. 33). Dieses wird durch eine quantitative Ermittlung der verletzten und getöteten Zivilpersonen im Verhältnis zur Einwohnerzahl sowie eine wertende Gesamtbetrachtung des statistischen Materials bestimmt (BVerwG, U.v. 13.2.2014 – 10 C 6.13 – juris Rn. 24; U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – juris Rn. 22 f.). In diesem Zusammenhang geht die Rechtsprechung allerdings davon aus, dass – bezogen auf die Zahl der Opfer von willkürlicher Gewalt eines Jahres – ein Risiko von 1:800 (BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – juris Rn. 22 f.) bzw. 1:1.000 (BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 11.10 – juris Rn. 20 f.), verletzt oder getötet zu werden, so weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt liegt, dass sich eine im Übrigen unterbliebene wertende Gesamtbetrachtung im Ergebnis nicht mehr auszuwirken vermag. Maßgeblicher Bezugspunkt für die Gefahrenprognose nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ist dabei der tatsächliche Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr, für dessen Bestimmung in der Regel die Herkunftsregion des Ausländers, in die er typischerweise zurückkehren wird, maßgeblich ist (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 13). Denn für die Frage, welche Region als Zielort der Rückkehr eines Ausländers anzusehen ist, kommt es weder darauf an, für welche Region sich ein unbeteiligter Betrachter vernünftigerweise entscheiden würde, noch darauf, in welche Region der betroffene Ausländer aus seinem subjektiven Blickwinkel strebt (VGH BW, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris Rn. 100; U.v 17.1.2018 – A 11 S 241/17 – juris Rn. 202).
Abzustellen ist danach vorrangig auf die Provinz Kabul. Für den Fall einer freiwilligen Ausreise wird sich der Kläger wohl in erster Linie in dieser Provinz niederlassen, zumal auch die von Deutschland aus veranlassten Abschiebeflüge derzeit ausnahmslos nach Kabul führen. Anderweitige Bezugspunkte für Bestimmung der „Herkunftsregion“ des Klägers sind nicht zu ersehen; namentlich kann insoweit nicht auf die Provinz Daikundi, aus welcher der zwischenzeitlich im Iran ansässige Onkel des Klägers stammt, abgestellt werden. Der Kläger selbst ist nämlich im Iran aufgewachsen und nach eigenen Angaben noch nie in Afghanistan gewesen. Desweiteren gab er in der Anhörung durch das Bundesamt an, über keinerlei familiäre Beziehungen in Afghanistan mehr zu verfügen und sich dort auch nicht auszukennen.
Das in der Provinz Kabul vorherrschende Gewaltausmaß ist jedoch für die Annahme einer tatsächlichen Gefahr für den Kläger, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, nicht ausreichend. Die Provinz Kabul verfügt derzeit über rund 4 bis 6 Mio. Einwohner (vgl. EASO, Afghanistan Security Situation, Juni 2019, S. 67). Im Zeitraum vom 1. Januar 2018 bis zum 31. Dezember 2018 registrierte UNAMA in der Provinz 1.866 zivile Opfer, davon 596 Getötete und 1.270 Verletzte (vgl. UNAMA, Afghanistan – Protection of Civilians in an Armed Conflict, Februar 2019, S. 67). Das Gesamtrisiko, verletzt oder getötet zu werden, lag demnach im Jahr 2018 – selbst unter Zugrundelegung der geringsten Gesamteinwohnerzahl von 4 Mio. Menschen – bei etwa 0,047% damit deutlich unterhalb des Risikobereichs von 1:800 (0,125%) bzw. 1:1.000 (0,1%), der nach der Rechtsprechung derart weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt liegt, dass selbst bei einer im Übrigen unterbliebenen wertungsmäßigen Gesamtbetrachtung nicht mehr von einer individuellen Bedrohungslage im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ausgegangen werden kann.
Eine andere Bewertung wäre auch dann nicht angezeigt, wenn man für das zugrunde gelegte Datenmaterial der UNAMA aufgrund einer darin nicht abgebildeten Dunkelziffer von dem Erfordernis einer Korrektur ausgehen sollte. So ist etwa zu lesen, das Zahlenmaterial der UNAMA sei nur begrenzt aussagefähig, weil dort zivile Opfer zum einen nur dann gelistet würden, wenn das betreffende Ereignis von drei unabhängigen und überprüfbaren Quellen bestätigt werde und der Opferbegriff zum anderen auf physisch Verletzte und Getötete beschränkt sei (so etwa Stahlmann, Gutachten an das VG Wiesbaden v. 28.3.2018, S. 177). Zwar steht die Kammer einer derartigen Korrektur schon in Ermangelung einer geeignet erscheinenden Vorgehensweise durchaus kritisch gegenüber. Selbst bei Heranziehung eines „Sicherheitszuschlags“ in Form einer Verdreifachung der von der UNAMA verzeichneten Anzahl getöteter und verletzter Zivilpersonen (in diese Richtung: NdsOVG, B.v. 7.9.2015 – 9 LB 98/13 – juris Rn. 65; HessVGH, U.v. 20.1.2014 – 8 A 119/12.A – juris Rn. 40) läge das Risiko, in der Provinz Kabul getötet oder verletzt zu werden, im Jahr 2018 zwischen 0,093% (bei Zugrundelegung einer Einwohnerzahl von 6 Mio.) und 0,14% (bei Zugrundelegung einer Einwohnerzahl von 4 Mio.) und damit noch unterhalb bzw. nur knapp oberhalb des Referenzwerts von 1:800 (0,125%) bzw. 1:1.000 (0,1%).
Schließlich ist auch in der Rechtsprechung anerkannt, dass das in der Provinz Kabul vorherrschende Gewaltniveau hinter der Anforderungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG an eine ernsthafte und individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit von Zivilpersonen zurückbleibt (so etwa VGH BW, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris Rn. 109 ff.; U.v. 5.12.2017 – A 11 S 1144/17 – juris Rn. 229 ff.; BayVGH, B.v. 29.11.2017 – 13a ZB 17.31251 – juris Rn. 6)
3. Schließlich hat der Kläger keinen Anspruch auf die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots. Ein solches ergibt sich in dem hier zu entscheiden Fall weder aus § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK noch aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
a) Es fehlt an den Voraussetzungen für die Zuerkennung eines nationalen Abschiebungsverbots aus § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Einer Abschiebung des Klägers nach Afghanistan stehen weder besondere, in seiner Person liegende Umstände noch die im Abschiebungszielstaat vorherrschende Sicherheitslage entgegen. Ein Abschiebungsverbot ergibt sich überdies nicht aufgrund der dort vorzufindenden schlechten humanitären Bedingungen.
Zwar können auch schlechte humanitäre Verhältnisse im Zielstaat grundsätzlich eine unmenschliche Behandlung des Klägers im Sinne des Art. 3 EMRK begründen. Fehlt es aber – wie hier – an einem verantwortlichen Akteur, so ist ein außergewöhnlicher Fall notwendig, in dem die gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechenden humanitären Gründe zwingend sind; dafür reicht es noch nicht aus, wenn im Fall eine Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde (EGMR, U.v. 27.5.2008 – 26565/05 – BeckRS 2008, 18198 Rn. 42; BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 23). Es gilt der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5.09 – juris Rn. 22; B.v. 13.2.2019 – 1 B 2.19 – juris Rn. 6). Für die Prüfung der humanitären Verhältnisse ist dabei grundsätzlich auf den gesamten Abschiebungszielstaat abzustellen, wobei zunächst die Umstände an dem Ort maßgeblich sind, an dem die Abschiebung endet (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 26).
Insoweit verkennt das Gericht nicht, dass sich die humanitäre Lage sowohl in Afghanistan generell als auch in … als regelmäßigem Endort der Abschiebung als durchaus besorgniserregend darstellt. So zählt Afghanistan zu den ärmsten Ländern der Welt und belegte im Jahr 2018 Platz 168 von 189 beim Index der menschlichen Entwicklung (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amts, 2.9.2019, S. 27). Der Bevölkerungsanteil derjenigen Menschen, die unterhalb der Armutsgrenze leben, stieg im Vergleich zu den Jahren 2011/2012 von 38,3% auf etwa 55% in den Jahren 2016/2017 an (vgl. UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 30.8.2018, S. 20). Die Arbeitslosenquote wird in den verschiedenen Quellen unterschiedlich eingestuft (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amts, 2.9.2019, S. 28: 11,2% im Jahr 2017; UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 30.8.2018, S. 20: 24% in den Jahren 2016/2017; Republik Österreich, Länderinformationsblatt Afghanistan, Gesamtaktualisierung 29.6.2018, letzte Kurzinformation v. 4.6.2019, S. 358: über 40% erwerbslos oder unterbeschäftigt). Besonders … ist durch eine große Anzahl von Binnenflüchtlingen (diese beliefen sich laut IOM im Zeitraum vom 1. Januar 2018 bis zum 30. Juni 2018 auf 9.037 Personen, vgl. ACCORD, Entwicklung der wirtschaftlichen Situation, der Versorgungs- und Sicherheitslage in …, … und …, 7.12.2018, S. 15) und Rückkehrern (diese beliefen sich laut IOM im Zeitraum vom 1. Januar 2018 bis zum 30. Juni 2018 auf 9.912 Personen, vgl. ACCORD, Entwicklung der wirtschaftlichen Situation, der Versorgungs- und Sicherheitslage in …, … und …, 7.12.2018, S. 22) stark überlaufen.
Gleichwohl geht das Gericht davon aus, dass für den Kläger als alleinstehenden, erwerbsfähigen und gesunden jungen Mann im Fall der Rückkehr nach Afghanistan selbst dann keine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung besteht, wenn dieser der Volksgruppe der Hazara angehört, im Iran aufgewachsen ist und weder über ein soziales Netzwerk in Afghanistan noch über eine abgeschlossene Berufsausbildung oder nennenswertes Vermögen verfügt. Die Kammer schließt sich insoweit der ständigen obergerichtlichen Rechtsprechung an (aus neuerer Zeit etwa: BayVGH, B.v. 3.9.2019 – 13a ZB 19.33043 – juris Rn. 6; B.v. 21.12.2018 – 13a ZB 17.31203 – juris Rn. 6; U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31960 – juris Rn. 14; NdsOVG, U.v. 29.1.2019 – 9 LB 93/18 – juris Rn. 55; OVG NRW, B.v. 17.9.2018 – 13 A 2914/18.A – juris Rn. 23; VGH BW, U.v. 11.4.2018 – A 11 S 924/17 – juris Rn. 336 ff.). Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass auch der UNHCR diese Einschätzung teilt (vgl. UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 30.8.2018, S. 125).
Gerade auch unter Einbeziehung der in der Person des Klägers begründeten Einzelfallumstände sowie des in Rahmen der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks gelangt das Gericht zu der Überzeugung, dass es diesem bei einer Rückkehr nach Afghanistan gelingen wird, sein Existenzminimum zumindest durch die Übernahme einfacher Hilfstätigkeiten in der Landwirtschaft bzw. in Industrie- und Handwerksbetrieben sicherzustellen. Insbesondere kann der Kläger nach eigenen Angaben „Farsi“, welches – abgesehen von einigen wenigen Unterschieden in Vokabular und Aussprache – mit der Sprache „Dari“ identisch ist (vgl. DER STANDARD, Keine Unterschiede zwischen „Farsi“ und „Dari“, 8.7.2011), sowohl lesen als auch schreiben und beherrscht damit eine der afghanischen Landessprachen (darauf ebenfalls abstellend: BayVGH, B.v. 3.9.2019 – 13a ZB 19.33043 – juris Rn. 6; U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31960 – juris Rn. 14; VGH BW, U.v. 11.4.2018 – A 11 S 924/17 – juris Rn. 349). Daneben hat der Kläger seit seinem zehnten Lebensjahr verschiedenste Aushilfs- und Gelegenheitsarbeiten übernommen und so zur Finanzierung seines Lebensunterhalts beigetragen. Wie der Kläger im Rahmen seiner Anhörung durch das Bundesamt am 30. November 2016 ausgeführt hat, ist er bereits als Aushilfskraft in Werkstätten für Pkw und Motorräder, als Verkäufer von Radio- und Fernsehgeräten sowie in Schneidereibetrieben tätig gewesen, wo er einfache Näharbeiten verrichtet haben und für die Reparatur, Instandhaltung und Programmierung der Nähmaschinen zuständig gewesen sein will. Überdies hat der Kläger – seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung am 15. Oktober 2019 gemäß – während des Aufenthalts in Deutschland einen zweijährigen Berufsintegrationskurs besucht, den qualifizierten Hauptschulabschluss absolviert und in Anschluss daran eine Berufsausbildung als Feinwerkmechaniker aufgenommen. Nach alledem verfügt der Kläger – vor allem im Hinblick auf seine Ausbildung und seine berufspraktischen Erfahrungen – auf dem afghanischen Arbeitsmarkt über eine vergleichsweise privilegierte Stellung. Hinzu kommt, dass der Kläger bereits im jugendlichen Alter von 17 Jahren den Fluchtweg aus dem Iran nach Deutschland eigenständig und ohne die Hilfe von Angehörigen bewältigt und damit ein nicht unerhebliches Maß an Selbständigkeit bewiesen hat.
Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass auch das in der …stadt … als voraussichtlichem Endort der Abschiebung vorherrschende Gewaltausmaß noch keine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine den Grundsätzen des Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung des Klägers begründet. Insbesondere rechtfertigt dieses – wie oben bereits dargelegt – noch nicht die Annahme der tatsächlichen Gefahr eines ernsthaften Schadens.
Ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wird im Übrigen nicht etwa deshalb anzunehmen sein, weil verschiedene Quellen von einer ablehnenden Haltung gegenüber Rückkehrern aus Europa, etwa in Form von Misstrauen seitens der örtlichen Gemeinschaft oder durch Behörden sowie Übergriffen durch regierungsfeindliche Gruppierungen berichten (vgl. UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 30.8.2018, S. 51 f.). Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass auch der Kläger als Rückkehrer aus dem westlichen Ausland erkannt und ihm deshalb zwangsläufige Nachteile – etwa bei der Suche nach einer Wohnung oder einer Arbeitsstelle – entstehen würden, vermag das Gericht jedoch nicht festzustellen (ebenso VGH BW, U.v. 17.1.2018 – A 11 S 241/17 – juris Rn. 484). Gegenteiliges ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts auch nicht aus einer jüngst von der Sozialwissenschaftlerin Stahlmann durchgeführten Studie zum Verbleib und zu den Erfahrungen abgeschobener Afghanen (zur Veröffentlichung vorgesehen in Asylmagazin 2019, 276 ff.). Insbesondere kann aus den Ergebnissen dieser Studie noch nicht der Schluss gezogen werden, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche Behandlung infolge von Gewalt, Arbeits- oder Wohnungslosigkeit widerfahren wird. Es erscheint bereits höchst fraglich, inwiefern diese Studie geeignet ist, ein realistisches Bild von der Lebenssituation aus Europa abgeschobener Afghanen abzubilden, da von den 547 Männern, die zwischen Dezember 2016 und April 2019 aus Deutschland abgeschoben wurden, lediglich Informationen zu 55 Betroffenen dokumentiert werden konnten (vgl. Stahlmann, Asylmagazin 2019, 276/277). Betrachtet man die in der Studie ermittelten Zahlen im Verhältnis zur Gesamtzahl der in dem oben genannten Zeitraum abgeschobenen Männer, so beläuft sich die Anzahl derjenigen, die erwiesenermaßen von speziell gegen Rückkehrende gerichteter Gewalt betroffen waren auf rund 3,1% (von den in diesem Zusammenhang 31 Befragten hatten 17 entsprechende Gewalterfahrungen gemacht, vgl. Stahlmann, Asylmagazin 2019, 276/278) und die Anzahl derjenigen, die erwiesenermaßen von Obdachlosigkeit betroffen waren, auf rund 1,6% (von den in diesem Zusammenhang 49 Befragten waren neun von Obdachlosigkeit betroffen, vgl. Stahlmann, Asylmagazin 2019, 276/284).
b) Zuletzt muss im konkreten Fall des Klägers ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausscheiden.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben oder Freiheit besteht. Erfasst werden dabei vor allem existenzielle Gefahren durch Tötung, Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung sowie insbesondere Krankheit, die dem Ausländer aufgrund seiner persönlichen Situation drohen. Demgegenüber sind solche Gefahren, denen die gesamte Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG grundsätzlich nur bei Anordnungen zur vorübergehenden Aussetzung von Abschiebungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach der Rechtsprechung kann jedoch auch in diesen Fällen ausnahmsweise Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beansprucht werden, wenn der Ausländer aufgrund der im Abschiebungszielstaat herrschenden Lebensbedingungen – namentlich der dortigen wirtschaftlichen Existenzbedingungen und der damit zusammenhängenden Versorgungslage – mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Diese Gefahren müssen im konkreten Einzelfall nach Art, Ausmaß und Intensität von solchem Gewicht sein, dass sich daraus für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden, wobei ein im Vergleich zur beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhter Maßstab anzulegen ist und sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren müssen (zum Ganzen: BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 38; U.v. 8.9.2011 – 10 C 14.10 – juris Rn. 22 f.).
In dem hier zu entscheidenden Fall sind keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich, die mit hoher Wahrscheinlichkeit den Eintritt einer solchen extremen Gefahrenlage alsbald nach der Rückkehr des Klägers nach Afghanistan nahelegen würden. Dies gilt umso mehr, als dem Kläger – wie bereits dargelegt – weder aufgrund persönlicher Umstände noch aufgrund der allgemein schlechten Lebensbedingungen in Afghanistan eine den Vorgaben des Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung droht. Es ist insbesondere nichts dafür ersichtlich, dass der Kläger in Ermangelung jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod preisgegeben würde.
4. In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen ist auch die in Ziffer 5 des streitgegenständlichen Bescheids enthaltene Abschiebungsandrohung einschließlich der damit verbundenen Zielstaatsbestimmung zu Recht ergangen. Die Abschiebungsandrohung hat ihre Rechtsgrundlage in § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG und konnte ohne vorherige Anhörung des Klägers ergehen, § 34 Abs. 1 Satz 2 AsylG. Nach § 38 Abs. 1 Satz 1 AsylG hatte die Beklagte dem Kläger eine Ausreisefrist von 30 Tagen zu setzen.
5. In rechtlicher Hinsicht ebenfalls nicht zu beanstanden ist schließlich das in Ziffer 6 des Bescheids auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot.
Zwar geht die Rechtsprechung davon aus, dass ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach den Vorschriften der Richtlinie 2008/115/EG jedenfalls, soweit es an eine Abschiebung anknüpft, nicht aufgrund einer gesetzgeberischen Entscheidung – wie sie in der im Zeitpunkt des Bescheiderlasses gültigen Regelung des § 11 Abs. 1 AuftenthG a.F. enthalten war – eintreten kann, sondern es hierfür vielmehr einer behördlichen Entscheidung bedarf (so etwa BVerwG, B.v. 13.7.2017 – 1 VR 3.17 – juris Rn. 71). Auf diese unionsrechtlichen Vorgaben hat zwischenzeitlich auch der Gesetzgeber mit einer Neufassung des § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG durch Gesetz vom 15. August 2019 (BGBl. I 1294) reagiert und darin festgelegt, dass das Einreise- und Aufenthaltsverbot einer gesonderten Anordnung bedarf, zu der nach § 75 Nr. 12 AufenthG im Zusammenhang mit einer Abschiebungsandrohung nach § 34 Abs. 1 AsylG das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge berufen ist.
Die damit geforderte Einzelfallentscheidung über die Verhängung eines Einreiseverbots von bestimmter Dauer wird in unionsrechtskonformer Auslegung aber regelmäßig in einer behördlichen Befristungsentscheidung gemäß § 11 Abs. 2 AufenthG gesehen werden können (BVerwG, B.v. 13.7.2017 – 1 VR 3.17 – juris Rn. 72). Eine solche hat die Beklagte in dem streitgegenständlichen Bescheid wirksam getroffen und in Ausübung des ihr nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG eingeräumten Ermessens eine Befristung auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung vorgesehen. Spezifische Ermessensfehler, auf deren Überprüfung das Gericht an dieser Stelle gemäß § 114 Satz 1 VwGO beschränkt ist, sind insoweit nicht zu ersehen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83b AsylG.


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