Verwaltungsrecht

Erfolglose Beschwerde – Kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis

Aktenzeichen  19 CE 19.2148

Datum:
2.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 4201
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
AufenthG § 25a

 

Leitsatz

1. Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen der Voraussetzungen einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der geduldete, gestattete oder von einer Aufenthaltserlaubnis gedeckte Voraufenthalt muss sich auf mindestens vier Jahre belaufen und grundsätzlich ununterbrochen bis hin zum maßgeblichen Zeitpunkt fortdauern. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 5 E 19.1681 2019-09-30 Bes VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.250,00 EUR festgesetzt.
IV. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe

I.
Mit seiner Beschwerde verfolgt der Antragsteller seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag weiter, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, seine Abschiebung vorläufig bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG zu untersagen.
Der am 14. Oktober 1998 geborene Antragsteller, ukrainischer Staatsangehöriger, reiste mit seiner Mutter am 14. Juli 2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 29. Juli 2014 einen Asylantrag. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte mit Bescheid vom 10. Februar 2017 den Asylantrag ab, verweigerte die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie des subsidiären Schutzstatus, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen und forderte den Antragsteller auf, innerhalb gesetzter Frist die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen, andernfalls er abgeschoben werde. Die hiergegen erhobene Klage des Antragstellers nahm dieser am 16. Juli 2019 zurück. Die Bestandskraft des Bescheides trat am 17. Juli 2019 ein.
Den am 27. Juli 2018 gestellten Antrag des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 23. Juli 2019 ab. Zur Begründung führte der Antragsgegner im Wesentlichen aus, dass bereits der Anwendungsbereich des § 25a Abs. 1 AufenthG nicht eröffnet sei, da der Aufenthalt des Antragstellers weder zum Zeitpunkt der Antragstellung noch zum Entscheidungszeitpunkt „geduldet“ im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewesen sei. Zudem scheitere die Erteilung am Fehlen einer positiven Integrationsprognose nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG. Hiergegen ließ der Antragsteller am 12. August 2019 Klage erheben (Az. AN 5 K 19.01550).
Am 29. August 2019 ließ der Antragsteller zudem beantragen, den Antragsgegner gemäß § 123 VwGO zu verpflichten, den Antragsteller bis zum Abschluss des Klageverfahrens zu dulden und Prozesskostenhilfe für das Klage- und Eilrechtsschutzverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt G. zu gewähren. Diese Anträge lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 30. September 2019 ab. Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht u.a. aus, dass der Antragsteller keinen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25a Abs. 1 AufenthG, der im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu sichern wäre, habe. Der Antragsteller sei zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht geduldet und auch das Tatbestandsmerkmal der seit vier Jahren ununterbrochenen Duldung, Gestattung oder Erlaubnis sei nicht erfüllt.
Seine rechtzeitig am 24. Oktober 2020 erhobene Beschwerde begründet der Antragsteller am 11. November 2020 insbesondere damit, dass ihm ein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zustehe, weil vorliegend die Voraussetzungen des § 25a AufenthG erfüllt seien. Materiell lägen die Voraussetzungen einer Duldung vor. Er befinde sich in einer schulischen Ausbildung. Er besuche erfolgreich die 11. Jahrgangsstufe der beruflichen Schule 5 in Nürnberg. Bis zu deren Beendigung sei ihm eine Duldung zu erteilen. Es sei auch ein seit vier Jahren ununterbrochener Aufenthalt gegeben. Von einer positiven Integrationsprognose sei auszugehen. Zugleich wurde auch Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwältin S. beantragt.
Der Antragsgegner tritt der Beschwerde entgegen und beantragt deren Zurückweisung. Der Antragsteller erfülle schon nicht die tatbestandliche Voraussetzung, wonach es sich um einen jugendlichen oder heranwachsenden geduldeten Ausländer handeln müsse, da er weder bei der Antragstellung noch im Zeitpunkt der Behördenentscheidung oder der gerichtlichen Entscheidung im Besitz einer Duldung gewesen sei. Nach Eintritt der Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht am 17. August 2019 hätten auch keine materiellen Duldungsgründe vorgelegen, da der Antragsteller im Besitz eines gültigen ukrainischen Reisepasses sei und somit seiner Abschiebung weder tatsächliche noch rechtliche Hindernisse entgegenstünden. Mit Schriftsatz vom 1. Februar 2021 teilte der Antragsgegner weiter mit, dass der Antragsteller mit Entscheidung vom 4. August 2020 eine Duldung bis zum Ende seiner schulischen Ausbildung mit dem Schuljahr 2020/2021 zum 31. Juli 2021 erhalten habe. Es ändere sich aber nichts daran, dass der Antragsteller sich auf den geltend gemachten Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25a AufenthG nicht berufen könne. Auch wenn der Antragsteller zum jetzigen Zeitpunkt im Besitz einer Duldung sei, lägen dennoch die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 25a Abs. 1 AufenthG nicht vor, denn es fehle am Erfordernis des vierjährigen ununterbrochenen Aufenthalts mit Duldung, Aufenthaltsgestattung oder einer Aufenthaltserlaubnis. Der Zeitraum von ca. 11 Monaten, in dem der Antragsteller lediglich im Besitz einer Grenzübertrittsbescheinigung gewesen sei, könne auch keinesfalls als kurzzeitige Lücke in berücksichtigungsfähigen Voraufenthalten angesehen werden.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, auf die der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO seine Prüfung des Beschwerdevorbringens im Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes zu beschränken hat, rechtfertigen keine Abänderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend festgestellt, dass der Antragsteller keinen Anordnungsanspruch auf vorläufige Untersagung der Abschiebung glaubhaft gemacht hat. Der Antragsteller hat voraussichtlich keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25a AufenthG, zu dessen Erhalt ihm aus Art. 19 Abs. 4 GG zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes ein Duldungsanspruch erwachsen könnte.
Nach § 25a Abs. 1 Satz 1 AufenthG soll einem jugendlichen oder heranwachsenden geduldeten Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn er sich seit vier Jahren ununterbrochen erlaubt, geduldet oder mit einer Aufenthaltsgestattung im Bundesgebiet aufhält (Nr. 1), er im Bundesgebiet in der Regel seit vier Jahren erfolgreich eine Schule besucht oder einen anerkannten Schul- oder Berufsabschluss erworben hat (Nr. 2), der Antrag auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis vor Vollendung des 21. Lebensjahres gestellt wird (Nr. 3), es gewährleistet erscheint, dass er sich aufgrund seiner bisherigen Ausbildung und Lebensverhältnisse in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland einfügen kann (Nr. 4) und keine konkreten Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Ausländer sich nicht zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennt (Nr. 5). Solange sich der Jugendliche oder der Heranwachsende in einer schulischen oder beruflichen Ausbildung oder einem Hochschulstudium befindet, schließt die Inanspruchnahme öffentlicher Leistungen zur Sicherstellung des eigenen Lebensunterhalts die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nicht aus. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ist zu versagen, wenn die Abschiebung aufgrund eigener falscher Angaben des Ausländers oder aufgrund seiner Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit ausgesetzt ist (§ 25a Abs. 1 Sätze 2 und 3 AufenthG).
Zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts war der Antragsteller nicht im Besitz einer Duldung. Das Verwaltungsgericht hat auch zu Recht darauf hingewiesen, dass der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG keine Fiktionswirkung nach § 81 AufenthG auslöst. Es widerspräche der durch §§ 50 Abs. 1, 58 Abs. 1 und 2, 81 Abs. 3 und 4 AufenthG vorgegebenen Systematik und Konzeption des Aufenthaltsgesetzes, denen zufolge für die Dauer eines Erteilungsverfahrens nur unter den in § 81 Abs. 3 und 4 AufenthG geregelten Voraussetzungen ein vorläufiges Bleiberecht besteht, darüber hinaus derartige „Vorwirkungen“ anzuerkennen und für die Dauer eines Erteilungsverfahrens eine Duldung vorzusehen (vgl. OVG NRW, B.v. 2.5.2006 – 18 B 437/06 – juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 26.11.2018 – 19 C 18.54 – juris Rn. 24). Zur Sicherung eines effektiven Rechtsschutzes ist nach Art. 19 Abs. 4 GG eine Ausnahme nur dann zu machen, wenn allein durch eine vorläufige Aussetzung der Abschiebung der Erhalt des geltend gemachten und bestehenden Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG sichergestellt werden kann.
Diese Ausnahmesituation ist vorliegend nicht gegeben, da der Antragsteller die Voraussetzungen nach § 25a AufenthG nicht erfüllt. Es handelt sich bei dem vollziehbar ausreisepflichtigen Antragsteller zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts am 30. September 2019 jedenfalls nicht um einen „geduldeten Ausländer“ im Sinne von § 25a Abs. 1 AufenthG. Diese Voraussetzung wäre zwar nunmehr nach Erteilung der Duldung am 4. August 2020 erfüllt, da maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen der Voraussetzungen einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz ist (vgl. BVerwG, U.v. 18.12.2019 – 1 C 34.18 – juris Rn. 23 zu dem insoweit vergleichbaren § 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Dennoch liegen nicht alle tatbestandlichen Voraussetzungen des § 25a Abs. 1 AufenthG vor, denn es fehlt – wie schon das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat – weiterhin am Erfordernis des vierjährigen ununterbrochenen Aufenthalts mit Duldung, Aufenthaltsgestattung oder einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG. Zeitlicher Bezugspunkt des Erfordernisses eines Voraufenthalts bestimmter Qualität „seit vier Jahren“ ist auch insoweit der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts. Der geduldete, gestattete oder von einer Aufenthaltserlaubnis gedeckte Voraufenthalt muss sich auf mindestens vier Jahre belaufen und grundsätzlich ununterbrochen bis hin zum maßgeblichen Zeitpunkt fortdauern (vgl. BVerwG a.a.O. Rn. 34). Der Nachweis über einen in der Vergangenheit abgeschlossenen Zeitraum genügt insofern nicht (vgl. Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, § 25a Rn. 11). Da die Aufenthaltsgestattung des Antragstellers mit dem rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens durch Klagerücknahme am 16. Juli 2019 erloschen war und in den 11 Monaten bis zur Erteilung der Ermessensduldung aus dringenden persönlichen Gründen gemäß § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG sich der Antragsteller weder erlaubt noch geduldet im Bundesgebiet aufgehalten hat und sich auch nicht auf das Vorliegen materieller Duldungsgründe berufen kann, fehlt es vorliegend an dieser Tatbestandsvoraussetzung. Dieser Zeitraum von rund 11 Monaten, in dem der Antragsteller lediglich im Besitz einer Grenzübertrittsbescheinigung war, kann auch nicht als – unschädliche – kurzzeitige Lücke für diesen Vierjahreszeitraum angesehen werden (vgl. BVerwG a.a.O., wo es lediglich um Duldungslücken von jeweils wenigen Tagen ging).
Ob durch die zwischenzeitlich erfolgte Erteilung einer Duldung an den Antragsteller der anfänglich vorhandene Anordnungsgrund entfallen ist, kann hier dahinstehen, da jedenfalls – wie oben ausgeführt – ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht wurde.
Aus den oben dargelegten Gründen ist auch der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung der Bevollmächtigten für das Beschwerdeverfahren mangels Erfolgsaussichten abzulehnen. Darüber hinaus ist der Antrag auf Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren vorliegend auch unbegründet, da der Antragsteller bislang nicht die Erklärung über seine persönlichen wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt hat. Der Antragsteller hat mithin seine Bedürftigkeit bislang nicht nachgewiesen (§ 166 VwGO, §§ 114, 121 Abs. 1 VwGO).
Der Antragsteller trägt nach §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 2 VwGO die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Der Streitwert bestimmt sich für das Beschwerdeverfahren nach § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffern 8.3, 1.5 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 152 Abs. 1, § 158 Abs. 1 VwGO).


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