Verwaltungsrecht

erfolglose Klage auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft eines syrischen Mannes im Alter von 47 Jahren, keine asylerhebliche Vorverfolgung bei Ausreise aus Syrien wegen Arbeitsaufnahme, keine Nachfluchtgründe

Aktenzeichen  AN 15 K 19.30763

Datum:
4.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 11938
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1
VwGO § 113 Abs. 5 S. 1

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

Die Entscheidung des Gerichts ergeht im Einverständnis der Parteien des Rechtsstreits gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht erhobene Klage in Form einer Versagungsgegenklage ist unbegründet, da dem Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG nicht zusteht und Ziffer 2. des Bescheids des Bundesamtes vom 18. Juni 2019 sich als rechtmäßig erweist (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Unter Zugrundelegung des nachfolgend dargestellten rechtlichen Maßstabes (dazu 1. a)) sowie der tatsächlichen Lage in der Herkunftsregion des Klägers, der Stadt … in der Syrischen Arabischen Republik (dazu 1. b)), hat der Kläger keine unmittelbare Verfolgung durch regierungstreue Truppen bzw. das Assad-Regime oder durch einen anderen Verfolger im Sinne des § 3c AsylG vor seiner Ausreise aus Syrien glaubhaft gemacht und sind auch keine Anknüpfungstatsachen glaubhaft vorgetragen oder erkennbar, die mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung aufgrund von Nachfluchtgründen im Sinne des § 28 AsylG belegen (dazu insgesamt 2.).
1. a) Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl 1953 II S. 559, 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Die Verfolgung muss dem Ausländer hierbei gerade wegen mindestens einem dieser Verfolgungsgründe drohen; es muss eine Verknüpfung zwischen den genannten Verfolgungsgründen und den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen bestehen, § 3a Abs. 3 AsylG. Hierbei ist es unerheblich, ob der Ausländer tatsächlich eines dieser Merkmale verwirklicht, sofern ihm dieses Merkmal von seinem Verfolger zugeschrieben wird, § 3b Abs. 2 AsylG. Eine Verfolgung kann dabei gemäß § 3c AsylG ausgehen von einem Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Weiter darf für den Ausländer keine innerstaatliche Fluchtalternative bestehen, § 3e AsylG. Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – BVerwGE 146, 67-89 Rn. 19).
Dieser Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – BVerwGE 146, 67-89 Rn. 32; U.v. 5.11.1991 – 9 C 118.90 – BverwGE 89, 162-171 Rn. 17).
Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den besteht die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden (Art. 4 Abs. 4 Qualifikationsrichtlinie). Diese Vermutung kann aber wiederlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften (BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5/09 – BVerwGE 136, 377 [388 Rn. 23]). Ob sich der Antragsteller im Einzelfall auf diese Beweiserleichterung in Form einer tatsächlichen Vermutung, frühere Handlungen und Bedrohungen wiederholten sich bei einer Rückkehr in das Herkunftsland, berufen kann bzw. die Vermutung widerlegt wurde, ist im Rahmen freier Beweiswürdigung zu beurteilen (vgl. BVerwG, U.v. 27.4.2010 a.a.O.; OVG NRW, U.v. 17.8.2010 – 8 A 4063/06.A -, juris Rn. 39).
Die begründete Furcht vor Verfolgung kann gemäß § 28 Abs. 1a AsylG auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Dabei greift für derartige Nachfluchttatbestände in einem Erstverfahren die Einschränkung des § 28 Abs. 2 AsylG nicht, wonach bei einem Folgeantrag Nachfluchtgründe in der Regel die Flüchtlingseigenschaft nicht begründen können.
Das Gericht muss die volle Überzeugung von der Wahrheit des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Schicksals und hinsichtlich der zu treffenden Prognose, dass dieses die Gefahr politischer Verfolgung begründet, erlangen. Angesichts des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich Asylsuchende insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Verfolgerland befinden, kommt dabei dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden und dessen Würdigung für die Überzeugungsbildung eine gesteigerte Bedeutung zu (BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109/84 – BVerwGE 71, 180-183 Rn. 16). Demgemäß setzt ein Asylanspruch bzw. die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG voraus, dass der Asylsuchende den Sachverhalt, der seine Verfolgungsfurcht begründen soll, schlüssig darlegt. Dabei obliegt es ihm, unter genauer Angabe von Einzelheiten und gegebenenfalls unter Ausräumung von Widersprüchen und Unstimmigkeiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Asylbegehren lückenlos zu tragen (BVerwG, U.v. 8.5.1984 – 9 C 141/83 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 147 Rn. 11).
An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es in der Regel, wenn der Asylsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint, sowie auch dann, wenn er sein Asylvorbringen im Laufe des Asylverfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Asylbegehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. BVerfG, B.v. 29.11.1990 – 2 BvR 1095/90 – InfAuslR 1991, 94-97 Rn. 15; BayVGH, B.v. 18.7.2017 – 20 ZB 17.30785 – juris Rn. 5 m.w.N.). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts findet dabei die Pflicht der Gerichte zur Aufklärung des Sachverhalts ihre Grenze dort, wo das Klagevorbringen des Klägers keinen tatsächlichen Anlass zu weiterer Sachaufklärung bietet. Lässt der Kläger es an der Schilderung eines zusammenhängenden und in sich stimmigen, im wesentlichen widerspruchsfreien Sachverhalts mit Angabe genauer Einzelheiten aus seinem persönlichen Lebensbereich fehlen, so bietet das Klagevorbringen seinem tatsächlichen Inhalt nach keinen Anlass, einer daraus hergeleiteten Verfolgungsgefahr näher nachzugehen (BVerwG, B.v. 26.10.1989 – 9 B 405/89 – juris Rn. 8). Es ist auch von Verfassungs wegen unbedenklich, wenn ein in wesentlichen Punkten unzutreffendes oder in nicht auflösbarer Weise widersprüchliches Vorbringen ohne weitere Nachfragen des Gerichts unbeachtet bleibt (vgl. BVerfG, B.v. 29.11.1990 – 2 BvR 1095/90 – juris Rn. 14 ff.). Das Gericht hat sich für seine Entscheidung die volle Überzeugung von der Wahrheit, nicht bloß von der Wahrscheinlichkeit zu verschaffen (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109.84 – juris).
b) Das Herrschaftssystem des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad ist durch den seit dem Jahr 2011 anhaltenden militärischen Kampf gegen verschiedene feindliche Organisationen und infolge internationaler Sanktionen militärisch sowie wirtschaftlich zunehmend unter Druck geraten. Ziel der Regierung ist es, die bisherige Machtarchitektur bestehend aus dem Präsidenten Bashar al-Assad sowie den drei um ihn gruppierten Clans (Assad, Makhlouf und Shalish) ohne einschneidende Veränderungen zu erhalten und das Herrschaftsmonopol auf dem gesamten Territorium der Syrischen Arabischen Republik wiederherzustellen. Diesem Ziel ordnete die Regierung in den vergangenen Jahren alle anderen Sekundärziele unter. Sie geht in ihrem Einflussgebiet ohne Achtung der Menschenrechte gegen tatsächliche oder vermeintliche Regimegegner (Oppositionelle) mit größter Brutalität und Rücksichtslosigkeit vor. Dabei sind die Kriterien dafür, was als politische Opposition betrachtet wird, sehr weit: Kritik, Widerstand oder schon unzureichende Loyalität gegenüber der Regierung in jeglicher Form sollen Berichten zufolge zu schweren Vergeltungsmaßnahmen für die betreffenden Personen geführt haben (UNHCR, Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 5. Fassung – im Folgenden UNHCR-Erwägungen 2017 – unter Verweis auf: United States Department of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2015, 13.4.2016; Amnesty International, Human Slaughterhouse: Mass Hangings and Extermination at Saydnaya Prison, Syria, 7.2.2017; UN Human Rights Council, Out of Sight, out of Mind: Deaths in Detention in the Syrian Arab Republic, 3.2.2016). Seit 2012 geht das Regime in einer präzedenzlosen Verhaftungswelle gegen Oppositionelle sowie seine Kritiker und Kritikerinnen vor. Dem Syrian Network for Human Rights zufolge beläuft sich die Zahl von Inhaftierten und verschwundenen Menschen mit Stand August 2020 auf mehr als 148.000, über 14.000 sollen unter Folter zu Tode gekommen sein. Ca. 90% der Fälle werden dem syrischen Regime zugeschrieben. Für den Zeitraum Januar bis Oktober 2020 dokumentierte das Syrian Network for Human Rights 1.412 Fälle willkürlicher Verhaftungen, darunter 36 Kinder und 31 Frauen. 941 dieser Fälle wurden als erzwungenes Verschwindenlassen klassifiziert. Willkürliche Verhaftungen blieben eine gezielte Vergeltungsmaßnahme u. a. für Kritik am Regime (Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, Stand: November 2020). Das Schicksal und der Aufenthaltsort Zehntausender Menschen, die seit Ausbruch des Krieges von Regierungskräften inhaftiert worden waren und seitdem „verschwunden“ sind, ist nach wie vor unbekannt. Während der Haft werden Folter und andere Misshandlungen systematisch angewendet (Amnesty International, Report Syrien 2018, 22.2.2018; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Syrien, 25.1.2018, S. 34 unter Verweis auf Human Rights Watch, World Report 2017 – Syria; Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E, 19.1.2016) (für alles Vorstehende vgl. auch: BayVGH, U.v. 12.4.2019 – 21 B 18.32459 – BeckRS 2019, 12018; U.v. 9.4.2019 – 21 B 18.33075 – juris Rn. 21, unter Fortführung seiner Rechtsprechung aus der Entscheidung vom 20.6.2018 – 21 B 17.31605 – juris; U.v. 9.5.2019 – 20 B 19.30534 – BeckRS 2019, 15375 Rn. 29).
Zudem sind zahllose Fälle dokumentiert, bei denen einzelne Familienmitglieder, nicht selten Frauen oder Kinder, für vom Regime als feindlich angesehene Aktivitäten anderer Familienmitglieder inhaftiert und gefoltert werden. Solche Sippenhaft wird Berichten zufolge in einigen Fällen auch angewendet, wenn vom Regime als feindlich angesehene Personen Zuflucht im Ausland gesucht haben. Laut der Country of Origin Information (CoI) berichteten zuletzt zahlreiche Personen in Regimegebieten von Festnahmen, aufgrund von Kommunikation mit Familienangehörigen im Norden des Landes oder im Ausland. Ferner sind Fälle bekannt, bei denen diese Sippenhaft bereits bei bloßem Verdacht auf mögliche Annäherung an die Opposition angewandt wird (Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, Stand: November 2020, S. 20).
Die Stadt …, das Herkunftsgebiet des Klägers, ist die Hauptstadt der Syrischen Arabischen Republik, bildet ein eigenes Gouvernement und ist nach gegenwärtigem Erkenntnisstand – wie gut zwei Drittel des syrischen Staatsgebietes – unter der Kontrolle des syrischen Regimes um Assad. Die Sicherheitslage gilt derzeit als recht stabil (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien, Stand: 16.12.2020, Ziffer 5.4 „Gebiete unter Regierungskontrolle inkl. Damaskus und Umland, Westsyrien“ S. 24). Ungeachtet dessen kam es in … und …-Umland Anfang des Jahres 2020 zu wiederholten Anschlägen, bei denen zivile Personen und Militärangehörige mittels Autobomben ins Visier genommen wurden (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien, a.a.O.).
2. Unter Zugrundelegung des Vorgenannten hat der Kläger keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
a) Der Kläger ist bereits ohne Vorverfolgung aus Syrien ausgereist. Die Ausreise muss das objektive äußere Erscheinungsbild einer unter dem Druck einer (befürchteten) Verfolgung stattfindenden Flucht aufweisen. Das auf dem Zufluchtsgedanken beruhende Asyl- und Flüchtlingsrecht setzt daher grundsätzlich einen nahen zeitlichen (kausal-) Zusammenhang zwischen der Verfolgung und der Ausreise voraus (vgl. BVerfG, B.v. 12.2.2008 – 2 BvR 2141/06 – juris Rn. 20; VG Köln, U.v. 26.2.2014 – 23 K 5187/11.A – juris Rn. 26). Der Kläger aber hat sich seinen Angaben nach mehrere Jahre in Saudi-Arabien aufgehalten, weil er dort Arbeit gefunden hatte, mit der er auch seine Familie in Syrien unterstützt hat. Dass er sich selbst insbesondere an politischen Aktionen, etwa den im Jahr 2010/2011 in … aufkommenden Demonstrationen beteiligt hätte, hat der Kläger nicht substantiiert vorgetragen. Vielmehr hat der Kläger bei seiner ersten Befragung durch die Bundespolizei nur allgemein angegeben, er sei ein Regimegegner und habe über einen Zeitraum von zehn Jahren bei Facebook über die Regierung geschimpft und gelästert. Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt zu seinen Asylgründen hat der Kläger diesen Vortrag nicht weiter vertieft. Vielmehr gab der Kläger dort an, er sei in seiner Anfangszeit der Arbeitsaufnahme in Saudi-Arabien noch gependelt, was sich seit Ausbruch des Bürgerkriegs erschwert habe. Politisch aktiv sei seine Familie in Syrien gewesen und sie hätten in sozialen Netzwerken durch Posts für Aufmerksamkeit gesorgt. Deswegen sei die ganze Familie verfolgt worden, wobei der Kläger dies im Einzelnen nicht weiter darstellt. Soweit er angab, ein Bruder und ein Neffe seien getötet worden, wird schon nicht deutlich, ob dies in einer gezielten Aktion passierte oder infolge der allgemein schlechten Sicherheitslage seit Ausbruch des Bürgerkrieges. Überdies hat der Kläger im Verlaufe des Gesprächs beim Bundesamt die Rolle seines verstorbenen Bruders bei den Demonstrationen relativiert und mitgeteilt, der Bruder sei kein Organisator, sondern ein Demonstrationsteilnehmer gewesen. Dass im Weiteren ein Neffe des Klägers seit mehreren Jahren inhaftiert sei, lässt ohne nähere Darstellung der Einzelumstände oder näheren Angaben zur Verhaftungssituation ebenfalls noch nicht den Schluss zu, dass tatsächlich eine reale Verfolgungsgefahr auch für den Kläger im Zeitraum von 2011 bis 2013 bestanden hat. Dagegen spricht auch, dass es dem Kläger im Jahr 2013 seinen Angaben nach gelungen ist, für seine zunächst in … verbliebene Familie eine Besuchserlaubnis zu erlangen und schließlich seine Frau über Jordanien nach Saudi-Arabien bringen zu können. Dass der Kläger in dieser Zeit in relevanter Weise selbst als Regimekritiker aufgefallen wäre, so dass sich hieran anknüpfend bereits konkrete Verfolgungsmaßnahmen des syrischen Staates ergeben oder unmittelbar bevorgestanden hätten oder der Kläger aufgrund der Aktivitäten seines Bruders und seiner Neffen in den Fokus syrischer Sicherheitskräfte gelangt wäre, ist dem klägerischen Vortrag nicht zu entnehmen. Hinzu tritt der Umstand, dass der Kläger auf die konkreten Nachfragen des Bundesamtes zur Verfolgungssituation seiner Familie nur allgemein und vage antwortete. Soweit er angab, er kenne das Regime bzw. er sei wie fast alle seine Familienangehörigen gesucht worden und stehe auf Listen, beschreibt er seine Kenntnisse dazu nicht näher.
Gegen eine Reflexverfolgung des Klägers durch syrische Sicherheitskräfte spricht schließlich auch der Umstand, dass die Ehefrau des Klägers und dessen Kindern trotz einer bereits im Jahr 2018 erfolgten Rückkehr nach Damaskus keine Verfolgungshandlungen des Regimes asylerheblicher Art treffen. Soweit der Kläger angab, seine Ehefrau sei nach ihrer Rückkehr über mehrere Stunden festgehalten und befragt worden, mag dies angesichts der Erkenntnislage zutreffend sein. Im Ergebnis hat eine weitere Festnahme oder gar ein Verschwindenlassen der Ehefrau gleichwohl nicht stattgefunden. Soweit der Kläger angab, seine Frau werde regelmäßig von Sicherheitskräften im Abstand von etwa zwei, drei Wochen zuhause aufgesucht, nach dem Kläger befragt und ihr werde Vergewaltigung angedroht, schließt sich das Gericht der Bewertung der Beklagten im angegriffenen Bescheid an und erachtet diesen Vortrag als übersteigert und wenig überzeugend. Es ist bei lebensnaher Betrachtung nicht erklärbar, dass es das syrische Regime bei diesen Hausbesuchen und Drohungen über einen Zeitraum von nunmehr gut drei Jahren belässt und nicht tatsächlich zu härteren Maßnahmen greift, um den Kläger zu einer Rückkehr nach Syrien zu veranlassen. Dem stehen auch die Erkenntnismittel des Gerichts entgegen, wonach zwar Kontakte zwischen in Syrien verbliebenen Angehörigen und ihren ins Ausland geflüchteten Familienmitgliedern zu Verfolgungsmaßnahmen der syrischen Sicherheitskräfte führen können und dies zumeist Frauen betraf. Die Erkenntnismittel belegen aber auch, dass es in diesen Fällen vor allem zu Verhaftungen gekommen war, wovon die Ehefrau des Klägers nach dessen Vortrag bislang verschont geblieben zu sein scheint. Eine solche „Schonung“ der Ehefrau bei gleichbleibenden Verfolgungs- und Habhaftwerdungsinteresse der syrischen Sicherheitskräfte an der Person des Klägers über einen Zeitraum von mehreren Jahren erscheint wenig plausibel. Insoweit erweist sich der Vortrag des Klägers als nicht glaubhaft, wie auch die Beklagte im angegriffenen Bescheid zutreffend ausführt.
b) Umstände, die eine Verfolgung asylerheblicher Art im Falle einer hypothetischen Rückkehr des Klägers nach Syrien nahelegen, sind ebenfalls nicht glaubhaft dargetan oder sonst ersichtlich.
Es ergeben sich derartige Nachfluchtgründe gemäß § 28 Abs. 1a AsylG nicht aus dem Umstand, dass der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland Asyl beantragt und sich seitdem hier aufgehalten hat. Diese Umstände allein rechtfertigen nicht die begründete Furcht, dass syrische staatliche Stellen den Kläger bei einer Rückkehr nach Syrien als Oppositionellen betrachten und ihn deshalb wegen einer ihm unterstellten politischen Überzeugung verfolgen werden. Das erkennende Gericht schließt sich in diesem Zusammenhang den Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 12. Dezember 2016 – 21 B 16.30338; 21 B 16.30364; 21 B 16.30371 – (alle juris) an, der nach Auswertung der maßgeblichen und auch in das vorliegende Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen zu diesem Ergebnis kommt (so auch BayVGH, U.v. 9.5.2019 – 20 B 19.30643 – juris Rn. 35 ff.; U.v. 10.9.2019 – 20 B 19.32549 – juris Rn. 21 ff. m.w.N.).
Gefahrerhöhende Umstände in der Person des Klägers sind nicht ersichtlich. Der Kläger hat weder einem Kern regimekritischer Personen angehört oder sich selbst regimekritisch nach außen betätigt – wovon das Gericht angesichts des vagen, teilweise unplausiblen und damit im Kern nicht glaubhaften Vortrags des Klägers überzeugt ist – noch nimmt er sonst eine exponierte Position in der syrischen Gesellschaft, dem Militär oder der Opposition ein, aufgrund derer anzunehmen ist, bereits die Ausreise des Klägers bzw. die nicht erfolgte Rückkehr nach Syrien zusammen mit seiner Familie werde den Kläger der realen Gefahr einer Verfolgung im Falle seiner Rückkehr beachtlich wahrscheinlich aussetzen.
In diesem Zusammenhang bedarf es auch keiner vertieften Erörterung, ob dem Kläger eine mögliche Verfolgung aufgrund einer Wehrdienstentziehung trifft. Zum einen hat sich der Kläger darauf nicht berufen und auch keinen Vortrag zu einer beabsichtigten Rekrutierung seiner Person getätigt. Zum anderen ist eine solche Heranziehung auch deswegen nicht beachtlich wahrscheinlich, weil der Kläger seinen regulären Wehrdienst vollständig abgeleistet und im Rahmen seines Wehrdienstverhältnisses keine Tätigkeiten ausgeübt hat, bei denen besondere militärische Kenntnisse des Klägers ein erneutes Verwendungsinteresse des syrischen Staates im anhaltenden Bürgerkrieg als wahrscheinlich erscheinen lassen. Der Kläger hat inzwischen auch das allgemeine Wehrdienstalter von 42 Jahren überschritten.
Da der Kläger weder im Rahmen einer Klagebegründung noch in einer mündlichen Verhandlung die Chance genutzt hat, seinen Vortrag zu seinen Fluchtgründen zu vertiefen, war das Gericht auf die Würdigung des aktenkundigen Vortrags und der objektiven Anhaltspunkte aus den Erkenntnismitteln beschränkt. Soweit es der Kläger demnach nicht vermocht hat, einen widerspruchsfreien und sein Asylbegehren lückenlos tragenden Sachvortrag zu halten, erweist sich die Bewertung der Beklagten im angegriffenen Bescheid unter Anlegung eines zutreffenden rechtlichen Maßstabes als rechtlich nicht zu beanstanden. Das Gericht nimmt daher ergänzend auf die Bescheidsgründe Bezug und macht sich diese zu eigen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Die Klage war mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1, § 83b AsylG abzuweisen.


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