Verwaltungsrecht

Erfolglose Klage eines eritreischen Staatsangehörigen auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft

Aktenzeichen  M 12 K 16.32942

Datum:
20.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 4, § 3a, § 3b, § 3c, § 3d, § 3e, § 77 Abs. 1
VwGO VwGO § 113 Abs. 5
RL 2011/95/EG Art. 4 Abs. 4

 

Leitsatz

1 Die Einberufung in den Nationalen Dienst durch den eritreischen Staat stellt keinen im Rahmen der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinnen des § 3 AsylG beachtlichen Verfolgungsgrund dar.  (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine in Eritrea drohende Bestrafung wegen Wehrpflichtentziehung/Kriegsdienstverweigerung durch eine illegale Ausreise ergeht nicht in Zusammenhang mit einem Konflikt im Sinne des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG, denn Eritrea befindet sich derzeit in keinem Konflikt im Sinne dieser Norm.  (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Strafverfolgung wegen Wehrpflichtentziehung/Kriegsdienstverweigerung wird nicht zielgerichtet gegenüber bestimmten Personen in Anknüpfung an ein flüchtlingsschutzrelevantes Merkmal eingesetzt. (redaktioneller Leitsatz)
4 Die Asylantragsstellung in Deutschland begründet nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungsgefahr für den Kläger in Eritrea.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 20. Dezember 2016 entschieden werden, obwohl die Beteiligten nicht erschienen sind. Denn in der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden könne (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 AsylG (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist – unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben – Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl, 1953 II S.559, 560-Genfer Flüchtlingskonvention), wenn seine Furcht begründet ist, dass er in seinem Herkunftsland wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung Verfolgungshandlungen im Sinne von § 3a AsylG ausgesetzt ist (vgl. BVerwG, U. v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – juris). Von einer Verfolgung kann nur dann ausgegangen werden, wenn dem Einzelnen in Anknüpfung an die genannten Merkmale gezielt Rechtsverletzungen zugefügt werden, die wegen ihrer Intensität den Betroffenen dazu zwingen, in begründeter Furcht vor einer ausweglosen Lage sein Heimatland zu verlassen und im Ausland Schutz zu suchen. An einer gezielten Rechtsverletzung fehlt es regelmäßig bei Nachteilen, die jemand aufgrund der allgemeinen Zustände in seinem Herkunftsland zu erleiden hat, etwa infolge von Naturkatastrophen, Arbeitslosigkeit, einer schlechten wirtschaftlichen Lage oder infolge allgemeiner Auswirkungen von Unruhen, Revolution und Kriegen (vgl. OVG NRW, U. v. 28.3.2014 – 13 A 1305/13.A – juris). Auch eine kriminelle Verfolgung muss an ein in § 3 AsylG genanntes Merkmal anknüpfen, um als politische Verfolgung gelten zu können.
Eine Verfolgung kann dabei gem. § 3c AsylG ausgehen von einem Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Weiter darf für den Ausländer keine innerstaatliche Fluchtalternative bestehen, § 3e AsylG.
Maßgeblich ist, ob der Asylsuchende bei Rückkehr in sein Heimatland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr politischer Verfolgung ausgesetzt wäre, wobei auf den Sachstand im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung abzustellen ist, § 77 Abs. 1 AsylG. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. EU Nr. L 337, S. 9-26) – sog. Qualifikationsrichtlinie – RL 2011/95/EG privilegiert dabei den von ihm erfassten Personenkreis bei einer Vorverfolgung durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab (BVerwG, U. v. 27.4.2010 – 10 C 5.09 – juris).
Das Gericht muss die volle Überzeugung von der Wahrheit des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Schicksals und hinsichtlich der zu treffenden Prognose, dass dieses die Gefahr politischer Verfolgung begründet, erlangen. Angesichts des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich Asylsuchende insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Verfolgerland befinden, kommt dabei dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden und dessen Würdigung für die Überzeugungsbildung eine gesteigerte Bedeutung zu (BVerwG, U. v. 16.4.1985, Buchholz 402.25 § 1 AsylG Nr. 32). Demgemäß setzt ein Asylanspruch bzw. die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG voraus, dass der Asylsuchende den Sachverhalt, der seine Verfolgungsfurcht begründen soll, schlüssig darlegt. Dabei obliegt es ihm, unter genauer Angabe von Einzelheiten und gegebenenfalls unter Ausräumung von Widersprüchen und Unstimmigkeiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Asylbegehren lückenlos zu tragen (BVerwG, U. v. 8.5.1984, Buchholz § 108 VwGO Nr. 147).
An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es in der Regel, wenn der Asylsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint, sowie auch dann, wenn er sein Asylvorbringen im Laufe des Asylverfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Asylbegehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. VGH Baden-Württemberg, U. v. 27.8.2013 – A 12 S 2023/11 – juris; HessVGH, U. v. 4.9.2014 – 8 A 2434/11.A – juris).
Gemessen an diesen Maßstäben ist der Vortrag des Klägers schon nicht glaubhaft, da er widersprüchlich ist. Einerseits hat der Kläger angegeben, dass, nachdem er vom Nationaldienst geflohen sei, bis zu seiner Ausreise im Dezember 2014 nichts passiert sei. Er habe als Kameramann für Hochzeiten, Geburtstage etc. gearbeitet. Man habe ihn gesucht, aber er habe sich bei Verwandten versteckt. Dreimal sei bei ihm zuhause nach ihm gefragt worden. An anderer Stelle erklärt der Kläger hingegen, im Oktober 2014 verhaftet worden zu sein. Auf nochmalige Nachfrage erklärte er, im November und Dezember 2014 im Gefängnis gewesen zu sein. Der Sachvortrag ist insofern widersprüchlich und im Übrigen auch deshalb wenig glaubwürdig, weil zu erwarten gewesen wäre, dass der Kläger ein derart einschneidendes Erlebnis wie eine Verhaftung mit anschließendem Gefängnisaufenthalt sofort angegeben und auch zeitlich richtig verortet hätte. Zudem ist nicht nachvollziehbar, warum das Militär den Kläger suchen sollte, obwohl er kurz nach seiner Flucht vor dem Militärdienst im Gefängnis gesessen hat. Schließlich ist es auch wenig glaubwürdig, dass der Kläger auf das Versprechen seiner Mutter hin, dass er sich wieder beim Nationaldienst melden werde, aus der Haft entlassen worden sei, anstatt direkt aus dem Gefängnis zum Nationaldienst überstellt zu werden.
Selbst wenn man aber den Vortrag des Klägers als wahr unterstellt, ergibt sich aus diesem keine begründete Furcht vor einer Verfolgung in Anknüpfung an flüchtlingsrelevante Merkmale i. S. v. §§ 3 ff. AsylG.
Die Einberufung in den Nationalen Dienst (Militärdienst einschließlich nationaler Dienstverpflichtung) durch den eritreischen Staat stellt keinen im Rahmen der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG beachtlichen Verfolgungsgrund dar.
Die Pflicht zur Ableistung eines staatlichen Dienstes stellt keine staatliche Verfolgung i. S. d. §§ 3 ff. AsylVfG dar. Jeder souveräne Staat hat grundsätzlich das Recht, seine Staatsangehörigen zum Wehr- bzw. Militärdienst heranzuziehen. Es besteht (bislang) kein Grundrecht auf eine Wehr- bzw. Militärdienstverweigerung (vgl. Treiber in: GK-AufenthG, Stand: März 2016, § 60 Rn. 167 f.). Zudem stellt die (reine) Pflicht zur Ableistung eines Militärdienstes selbst noch keine staatliche Verfolgung dar. Die Heranziehung zum Militärdienst unterfällt daher flüchtlingsschutzrechtlich schon grundsätzlich nicht dem Schutzversprechen. Im Übrigen trifft der eritreische Nationaldienst alle Staatsangehörigen ohne Ansehen der Persönlichkeitsmerkmale des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG gleichermaßen.
Eine drohende Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Wehrpflichtentziehung bzw. Kriegsdienstverweigerung durch eine illegale Ausreise wäre nur dann flüchtlingsschutzrechtlich relevant, wenn sie entweder i. S. v. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt erginge, in welchem der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen (Kriegsverbrechen, schwere nichtpolitische Straftaten, Zuwiderhandlungen gegen die Grundsätze der Vereinten Nationen) oder wenn sie zielgerichtet gegenüber bestimmten Personen eingesetzt würde, die durch die Maßnahmen in einem der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten flüchtlingsschutzrechtlich relevanten Persönlichkeitsmerkmale getroffen werden sollen (vgl. Treiber in GK-AufenthG, a. a. O.).
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Eine in Eritrea drohende Bestrafung wegen Wehrpflichtentziehung/Kriegsdienstverweigerung durch eine illegale Ausreise ergeht nicht in Zusammenhang mit einem Konflikt i. S. v. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG. Denn Eritrea befindet sich derzeit in keinem Konflikt im Sinne dieser Norm – weder mit anderen Staaten (internationaler Konflikt) noch mit aufständischen innerstaatlichen Gruppen (innerstaatlicher Konflikt).
Die Strafverfolgung wird auch nicht zielgerichtet gegenüber bestimmten Personen in Anknüpfung an ein flüchtlingsschutzrelevantes Merkmal eingesetzt. In Eritrea gibt es kein Recht, den Wehr- oder Nationaldienst zu verweigern. Wer sich diesen Diensten entzieht, wird mit Umerziehungslageraufenthalten oder mit Gefängnis bestraft. So werden Personen, die versuchen, dem Wehr- und Nationaldienst zu entgehen, bei dem (illegalen) Ausreiseversuch verhaftet (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea vom 14. Dezember 2015, S. 12). Ein generelles Anknüpfen an ein gem. § 3 Abs. 1 AsylG, § 3b AsylG relevantes Merkmal kann darin jedoch nicht gesehen werden. Denn insoweit handelt es sich um eine Strafverfolgung nach den allgemein in Eritrea geltenden Strafvorschriften, die jeden Eritreer gleichermaßen trifft. Die Strafvorschriften knüpfen nicht an eine bestimmte politische Haltung oder bestimmte Persönlichkeitsmerkmale an, sondern an den Umstand, dass sich die Betroffenen dem Wehr- oder Nationaldienst entzogen haben. Hinweise darauf, dass allein aus dem Umstand der illegalen Ausreise zum Zweck der Wehrdienstentziehung auf eine politische Gegnerschaft geschlossen wird, die zu einer verschärften strafrechtlichen Ahndung führt, sind nicht ersichtlich. Misshandlungen, Folter und Willkür treffen in Eritrea weite Kreise der Bevölkerung. Rechtsstaatliche Verhältnisse und eine militärische oder zivile Rechtsordnung sind nicht vorhanden. Verhaftungen ohne Haftbefehl und ohne Angabe von Gründen sind üblich (Auswärtiges Amt, a. a. O., S. 11). Dies rechtfertigt zwar die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus. Die aktuellen Erkenntnisse aus den Jahren 2015 und 2016 (EASO-Bericht über Herkunftsländer-Informationen, Länderfokus Eritrea, Mai 2015; U.S. Department of State vom 13.4.2016, Human Rights Report: Eritrea 2015, Bureau of Democracy, Human Rights and Labor; Schweizerische Flüchtlingshilfe vom 21.1.2015, Eritrea: Rekrutierung von Minderjährigen; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea vom 14. Dezember 2015 (Stand: August 2015)) lassen aber nicht den Schluss auf eine grundsätzlich politisch motivierte Verfolgung im Falle der illegalen Ausreise und der Verweigerung des National- oder Wehrdienstes zu (vgl. VG Augsburg, U. v. 11.8.2016 – Au 1 K 16.30744 – juris).
Die Asylantragsstellung in Deutschland begründet ebenfalls nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungsgefahr für den Kläger in Eritrea, nachdem sogar anerkannte Asylberechtigte – ggf. nach Entrichtung einer sog. „Aufbausteuer“ – unbehelligt nach Eritrea reisen können (Auswärtiges Amt, a. a. O., S. 17).
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.


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