Verwaltungsrecht

Erfolgloser Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz mangels Rechtsschutzbedürfnisses – Möglichkeit des Wiederaufnahmegesuchs

Aktenzeichen  M 16 S 16.31364

Datum:
24.6.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 33 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 5 S. 2
VwGO VwGO § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

Dem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gegen einen Bescheid, dass der Asylantrag als zurückgenommen gelte und das Asylverfahren eingestellt sei, mangelt es am Rechtsschutzbedürfnis, wenn der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gem. § 33 Abs. 5 S. 2 AsylG als einfachere und effektivere Möglichkeit zur Realisierung des Rechtsschutzes noch zulässig ist. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtschutz gegen einen Bescheid des Bundesamts für … (im Folgenden: Bundesamt), mit dem sein Asylverfahren eingestellt wurde.
Der Antragsteller ist Staatsangehöriger Senegals. Er reiste nach eigenen Angaben erstmals am 22. Juni 2015 in das Bundesgebiet ein. Am 10. September 2015 stellte er bei dem Bundesamt einen Asylantrag.
Mit Bescheid vom 20. April 2016 stellte das Bundesamt fest, dass der Asylantrag als zurückgenommen gelte und das Asylverfahren eingestellt sei (Nr. 1 des Bescheids). Das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG wurde verneint (Nr. 2 des Bescheids). Der Antragsteller wurde zur Ausreise aufgefordert, die Abschiebung wurde bei nicht fristgerechter Ausreise angedroht (Nr. 3 des Bescheids). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4 des Bescheids).
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dem Antragsteller sei der 15. Dezember 2015 als Termin zur persönlichen Anhörung mitgeteilt worden. Er sei jedoch ohne genügende Entschuldigung nicht erschienen. Erscheine ein Antragsteller ohne genügende Entschuldigung nicht zur Anhörung, werde nach § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG vermutet, dass er das Verfahren nicht betreibe. Auch auf die Aufforderung zur Stellungnahme, übersandt mit Schreiben vom 15. Dezember 2015, sei innerhalb der gesetzten Frist keine Rückäußerung des Antragstellers erfolgt. Der Asylantrag gelte als zurückgenommen, da der Antragteller das Verfahren nicht betreibe. Daher sei festzustellen, dass das Asylverfahren eingestellt sei (§ 32 AsylG) Der Antragsteller sei der Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 AsylG nicht nachgekommen. Daher werde vermutet, dass er das Verfahren im Sinne des § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 2. Alt. AsylG nicht betreibe. Ein Nachweis, dass das oben genannte Versäumnis auf Umstände zurückzuführen gewesen sei, auf die der Antragsteller keinen Einfluss gehabt hätte, sei bis zur Entscheidung nicht eingereicht worden. Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG seien weder vorgetragen worden noch lägen sie nach den Erkenntnissen des Bundesamts vor. Auf die Begründung des Bescheids wird im Einzelnen verwiesen.
Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller am 13. Juni 2016 Klage mit dem Antrag, den Bescheid aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, den Antragsteller als Asylberechtigten anzuerkennen und die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen,
hilfsweise, subsidiären Schutz gemäß § 4 AsylG zu gewähren,
weiter hilfsweise, festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen. Zudem beantragte er,
die aufschiebende Wirkung dieser Klage anzuordnen.
Zur Begründung trug der Antragsteller im Wesentlichen vor, er habe zwar den Anhörungstermin bei dem Bundesamt versäumt, das Ladungsschreiben habe er aber nicht erhalten. Dies sei nicht sein Verschulden, da er am 1. Dezember 2015 von Tegernsee nach Hausham umverteilt worden sei. Das Bundesamt müsse das Verfahren fortführen, wenn der Bescheid durch das Gericht aufgehoben würde. Falls das Gericht beabsichtige, in der Sache selbst zu entscheiden, bitte er um eine entsprechende Mitteilung, um weiter zu seinem Asylbegehren Stellung nehmen zu können. Da die Einstellung des Verfahrens zu Unrecht erfolgt sei, sei auch die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen. Der Wiedereinsetzungsantrag sei vorsorglich gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die Gerichtsakte im Klageverfahren M 16 K 16.31363 sowie auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gegen den streitgegenständlichen Bescheid bleibt ohne Erfolg. Er ist bereits mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig, da ein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG eine einfachere und effektivere Möglichkeit zur Realisierung des Rechtsschutzes darstellt (vgl. VG Regensburg, B.v. 18.4.2016 – RO 9 S 16.30620 – juris Rn. 11 ff.; vgl. auch VG Ansbach; B.v. 3.6.2016 – AN 4 S 16.30588 – juris Rn. 14).
Der angefochtene Bescheid hat seine Rechtsgrundlage in § 33 Abs. 1, 2 Nr. 1 AsylG. Die Antragsgegnerin ist dabei davon ausgegangen, dass der Antragsteller der Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 AsylG nicht nachgekommen ist und dieses Versäumnis nicht auf Umstände zurückzuführen ist, auf die er keinen Einfluss hatte.
Der Antragsteller hat die Möglichkeit, gemäß § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG nach Einstellung des Asylverfahrens durch das Bundesamt die Wiederaufnahme des Verfahrens zu beantragen, ohne dass entsprechend § 33 Abs. 2 Satz 2 AsylG die Vermutung auch in diesem Verfahrensstadium widerlegt werden müsste.
§ 33 Abs. 5 Satz 2 bis 5 AsylG knüpft die Wiederaufnahme nach der Verfahrenseinstellung (§ 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG) – abgesehen von einer formgerechten Antragstellung (§ 33 Abs. 5 Satz 3 AsylG) – an keine weiteren Voraussetzungen. In der Begründung des Gesetzgebers zur Neufassung des § 33 AsylG wird hierzu ausgeführt, dass der Ausländer nach den Regeln des neuen § 33 Abs. 5 AsylG innerhalb der ersten neun Monate nach Einstellung des Asylverfahrens gemäß § 33 Abs. 1 oder 3 AsylG „ohne Verfahrensnachteile einmal die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragen kann und damit ein einmaliges Fehlverhalten geheilt wird. Die erstmalige Einstellung entfaltet somit lediglich Warncharakter“ (vgl. BT-Drs. 18/7538, dort S. 17). Das Bundesamt nimmt nach Antragstellung die Prüfung des Asylantrags in dem Verfahrensabschnitt wieder auf, in dem sie eingestellt wurde (§ 33 Abs. 5 Satz 5 AsylG).
Abweichend davon ist das Asylverfahren nur dann nicht wiederaufzunehmen und ein Antrag nach § 33 Abs. 5 Satz 2 oder Satz 4 AsylG als Folgeantrag (§ 71 AsylG) zu behandeln, wenn die Einstellung des Asylverfahrens zum Zeitpunkt der Antragstellung mindestens neun Monate zurückliegt oder das Asylverfahren bereits nach dieser Vorschrift wiederaufgenommen worden war (§ 33 Abs. 5 Satz 6 AsylG). Da letzteres nicht zutrifft, weil die Einstellung des Asylverfahrens mit Bescheid vom 20. April 2016 nicht bereits neun Monate zurückliegt, kann der Antragsteller mit einem Wiederaufnahmeantrag eine Fortführung seines Asylverfahrens erreichen.
In § 33 Abs. 5 Satz 6 AsylG sind abschließend die beiden Gründe genannt, bei deren Vorliegen abweichend von Satz 5 das Asylverfahren nicht wieder aufzunehmen ist und § 33 Abs. 6 AsylG spricht für diesen Fall der Nichtwiederaufnahme die entsprechende Geltung des § 36 Abs. 3 AsylG im Hinblick auf hiergegen einzulegende Rechtsbehelfe an.
Aus diesem vorstehend wiedergegebenen Normkontext der gesetzlichen Neuregelung des § 33 AsylG ergibt sich zusammenfassend, dass das Bundesamt – wenn nicht ein Fall des § 33 Abs. 5 Satz 6 AsylG vorliegt – immer gehalten ist, das Verfahren unabhängig von der Frage, ob das in § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG genannte Versäumnis auf Umstände zurückzuführen war, auf die der Ausländer keinen Einfluss hatte, in dem Verfahrensabschnitt wiederaufzunehmen, in dem es eingestellt wurde. Die Wiederaufnahme ist notwendigerweise verbunden mit einer vollständigen Aufhebung des zunächst ergangenen Einstellungsbescheides (vgl. VG Regensburg, B.v. 18.4.2016 . RO 9 S 16.30620 – juris Rn. 18).
Dies zugrunde gelegt, ist nicht entscheidungserheblich, ob der Antragsteller ordnungsgemäß i. S. v. § 33 Abs. 4 AsylG über seine Mitwirkungspflichten belehrt worden ist, sowie, ob dem Antragsteller die Ladung zum Anhörungstermin vom 8. Dezember 2016 formell wirksam zugestellt worden ist. Ferner kann dahinstehen, ob in der erhobenen Hauptsacheklage oder dem gestellten einstweiligen Rechtsschutzantrag bereits wirksam ein Wiederaufnahmeantrag gemäß § 33 Abs. 5 AsylG mit enthalten ist, da der Antragsteller jedenfalls jederzeit noch innerhalb der o.g. Frist von neun Monaten ab dem Zeitpunkt der Einstellung des Asylverfahrens einen entsprechenden Wiederaufnahmeantrag stellen kann (vgl. VG Ansbach; B.v. 3.6.2016 – AN 4 S 16.30588 – juris Rn. 15).
Wird der Antragsteller demnach nach einem Wiederaufnahmeantrag gemäß § 33 Abs. 5 Satz 2 und 3 AsylG wieder in den Verfahrensabschnitt vor der persönlichen Anhörung gemäß § 25 AsylG versetzt, so bedarf es keines Eilantrags gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, um den Antragsteller vor aufenthaltsbeendenden Maßnahmen aufgrund der ausgesprochenen Abschiebungsandrohung zu schützen. Gemäß § 67 Abs. 2 Nr. 1 AsylG tritt die Aufenthaltsgestattung wieder in Kraft, wenn ein nach § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG eingestelltes Verfahren wieder aufgenommen wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83 b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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