Aktenzeichen Au 6 K 17.34316
Leitsatz
1. Bei einem Oligarchen – seine Verantwortlichkeit unterstellt – handelt es sich nicht um einen Verfolger mit Territorialhoheit im Sinne des § 3c AsylG, zumal der armenische Staat grundsätzlich schutzwillig und schutzfähig ist (wie hier schon OVG MV BeckRS 2004, 03468). (Rn. 37 – 40) (redaktioneller Leitsatz)
2. Keine Zuerkennung des subsidären Schutzstatus, da der armenische Staat im Allgemeinen willens und in der Lage ist, seine Staatsangehörigen vor privater Gewalt und strafbaren Handlungen zu schützen (vgl. OVG MV BeckRS 2004, 03468). (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die Klage ist nicht begründet. Die Klägerin hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf Asyl, auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf die Gewährung subsidiären Schutzes oder auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 4. August 2017 ist daher rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Es wird insoweit Bezug genommen auf die Gründe des angefochtenen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt:
1. Die Abweisung der Anträge auf Asylanerkennung und auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als offensichtlich unbegründet (§ 30 Abs. 1 AsylG) ist nicht rechtswidrig.
a) Ein Asylantrag ist offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für internationalen Schutz offensichtlich nicht vorliegen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts setzt eine Abweisung der Asylklage als offensichtlich unbegründet voraus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Gerichts vernünftigerweise keine Zweifel bestehen können und bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Abweisung der Klage sich dem Verwaltungsgericht geradezu aufdrängt (vgl. BVerfG, B.v. 20.9.2001 – 2 BvR 1392/00 – InfAuslR 2002, 146). Aus den Gründen muss sich klar ergeben, weshalb dieser Ausspruch in Betracht kommt, insbesondere, warum der Asylantrag nicht nur als schlicht unbegründet, sondern als offensichtlich unbegründet abgewiesen worden ist (vgl. grundlegend BVerfG, B.v. 3.9.1996 – 2 BvR 2353/95 – BayVBl 1997, 15; BVerfG, B.v. 2.5.1984 – 2 BvR 1413/83 – juris Rn. 27). Dieser Maßstab muss entsprechend auch für die behördliche Offensichtlichkeitsentscheidung nach § 30 AsylG gelten. Es kommt also darauf an, ob die Offensichtlichkeitsentscheidung in Bezug auf die geltend gemachten Asylgründe bei bestätigt werden kann.
b) Ein Anspruch auf die Anerkennung als Asylberechtigte und auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft besteht für die Klägerin nach § 30 Abs. 1 AsylG offensichtlich nicht.
aa) Die Klägerin hat offensichtlich keinen Anspruch auf Asylanerkennung nach Art. 16a GG.
(1) Nach Art. 16a Abs. 2 Satz 1 und 2 GG kann sich auf das Asylrecht nicht berufen, wer aus einem Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaft oder aus einem anderen durch Gesetz zu bestimmenden Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Da alle Nachbarstaaten der Bundesrepublik Deutschland entweder auf Grund ihrer Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft oder auf Grund der Anlage I zu § 26a AsylG sichere Drittstaaten sind, hat jeder Asylsuchende, der auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland gelangt ist, den Ausschlussgrund der Einreise aus einem sicheren Drittstaat verwirklicht (vgl. BVerwG, U.v. 7.11.1995 – 9 C 73/95 – BVerwGE 100, 23). Die Drittstaatenregelung nach Art. 16a Abs. 2 GG greift nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – DVBl 1996, 729) immer dann ein, wenn feststeht, dass der Ausländer nur über einen sicheren Drittstaaten in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sein kann; es muss nicht geklärt werden, um welchen sicheren Drittstaat es sich dabei handelt. Da nach der derzeit geltenden Rechtslage (Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 GG und Anlage I zu § 26 a AsylG) alle an die Bundesrepublik Deutschland angrenzenden Staaten (Anrainerstaaten) sichere Drittstaaten sind, ist ein auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland einreisender Ausländer von der Berufung auf Art. 16 a Abs. 1 GG ausgeschlossen, auch wenn sein Reiseweg nicht im Einzelnen bekannt ist. Eine Anerkennung als Asylberechtigter scheidet auch aus, wenn eine Einreise ohne Kontakt zu einem sicheren Drittstaat nicht nachgewiesen wird.
Ob der Asylbewerber auf dem Luftweg nach Deutschland eingereist ist, beurteilt das Gericht gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Eine wesentliche Grundlage bilden dabei die Angaben des Asylbewerbers selbst zu den Reisemodalitäten, ferner alle denkbaren „körperlichen“ Unterlagen und Nachweise zur behaupteten Einreiseart wie benutzter Pass, Flugticket, Bordkarte u.ä. Nach der Rechtsprechung (BVerwG U.v. 29.6.1999 – 9 C 36/98; BayVGH B.v. 16.2.2002 – 25 ZB 02.3003 und vom 2.4.2001 – 19 ZB 00.32067) trifft den Asylbewerber zwar keine Beweisführungspflicht hinsichtlich des Einreiseweges; er trägt aber die materielle Beweislast für seine Behauptung, ohne Berührung eines sicheren Drittstaates auf dem Luftweg nach Deutschland eingereist zu sein. Dabei obliegt dem Asylbewerber im Hinblick auf seine Mitwirkungspflichten (§ 15 und § 25 AsylG) der Nachweis der behaupteten Luftwegeinreise durch entsprechend substantiierte, stimmige und lückenlose Angaben sowie durch Vorlage der dabei benutzten Identitätspapiere und Flugunterlagen. Insoweit befindet er sich in der Regel nicht in einem Beweisnotstand, der eine Lockerung der Nachweispflicht geböte bzw. rechtfertigte. Kann er den Nachweis nicht erbringen, geht dies somit zu seinen Lasten.
Die Klägerin hat nicht nachgewiesen, dass sie auf dem Luftweg eingereist ist. Sie konnte keinerlei Unterlagen vorlegen, wie beispielsweise Reisepass, Bordkarte oder etwa einen Gepäckschein. Die Angaben, der Schleuser habe den Reisepass der Klägerin wieder mitgenommen, mit dem und einem auf ihren Namen ausgestellten Visum sie eingereist sei, ist unglaubhaft. Nachforschungen des Einzelrichters über die Beklagte und die Ausländerbehörde haben keinerlei Hinweise ergeben, dass der Klägerin unter ihrem Namen ein nationales Visum oder ein Visum für den Schengen-Raum erteilt worden wäre. Sie kann also nicht mit ihrem eigenen Reisepass auf dem Luftweg über den Flughafen … mit den dortigen Grenzkontrollen aus … kommend eingereist sein. Auch hat die Klägerin keinerlei Angaben zu dem Flug, der Fluggesellschaft und den Abflugzeiten gemacht.
Die Nichterweislichkeit der behaupteten Einreise auf dem Luftweg geht zu Lasten der Klägerin, welche die materielle Beweislast für ihre Behauptung, ohne Berührung eines sicheren Drittstaates eingereist zu sein, trägt. Eine Anerkennung als Asylberechtigte scheidet somit schon aus diesen Gründen aus.
(2) Auch im Übrigen hat die Klägerin in der Sache offensichtlich keinen Anspruch auf Asylanerkennung oder Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Nach Art. 16a Abs. 1 GG genießen politisch Verfolgte Asylrecht. Politisch verfolgt ist, wer wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung eine durch Tatsachen begründete Furcht vor Verfolgung hegen muss, die mit Gefahr für Leib, Leben, persönliche Freiheit oder einem die Menschenwürde verletzenden Eingriff in sonstige Rechtsgüter verbunden ist. Dabei gelten für die Beurteilung, ob ein Asylsuchender politisch Verfolgter i.S. des Art. 16a Abs. 1 GG ist, unterschiedliche Maßstäbe je nachdem, ob er seinen Heimatstaat auf der Flucht vor eingetretener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen hat oder ob er unverfolgt in die Bundesrepublik Deutschland gekommen ist (BVerfG, B.v. 10.7.1989 – 2 BvR 502/86 – BVerfGE 80, 315 ff.). Dem Vorverfolgten ist die Rückkehr in den Verfolgerstaat grundsätzlich nur dann zuzumuten, wenn an seiner Sicherheit vor abermals einsetzender Verfolgung bei Rückkehr in den Heimatstaat keine ernsthaften Zweifel bestehen (BVerwG, U.v. 25.9.1984 – 9 C 1784 – BVerwGE 70, 169 ff. m.w.N.; BVerwG, U.v. 20.11.1990 – 9 C 72/90 –BVerwGE 87, 141/143). Hat der Asylsuchende sein Heimatland unverfolgt verlassen, kann ihm Asyl nur gewährt werden, wenn bei Würdigung aller Umstände eine politische Verfolgung aufgrund von Nachfluchtgründen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Droht diese Gefahr nur in einem Teil seines Heimatstaates, so kann der Betroffene auf Gebiete verwiesen werden, in denen er vor politischer Verfolgung hinreichend sicher ist, es sei denn, es drohen dort andere nach den oben dargelegten Grundsätzen unzumutbare Nachteile und Gefahren (BVerfG, B.v. 10.7.1989 a.a.O.).
Dabei ist es stets Sache des Ausländers, seine Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren. Wegen des sachtypischen Beweisnotstands, in dem sich Flüchtlinge insbesondere im Hinblick auf asylbegründende Vorgänge im Verfolgerland vielfach befinden, genügt für diese Vorgänge in der Regel eine Glaubhaftmachung. Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ist allerdings ein detaillierter und in sich schlüssiger Vortrag ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen.
Gemessen hieran bestehen nach Überzeugung des Gerichts keine ernsthaften Zweifel, dass die Klägerin bei einer Rückkehr nach Armenien keiner individuellen politischen Verfolgung ausgesetzt sein wird.
Dem Vortrag der Klägerin lassen sich keinerlei Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass sie aus Armenien vorverfolgt ausgereist oder bei einer Rückkehr dorthin einer flüchtlingsrelevanten Verfolgung ausgesetzt wäre. Die Klägerin verweist auf Übergriffe eines angeblichen Oligarchen wegen ihrer Zeugenaussage gegen dessen der Kindesentführung verdächtige Handlanger. Weder handelt es sich um eine politische noch um eine flüchtlingsrelevante Verfolgung, da die Übergriffe weder an politische noch an flüchtlingsrelevante Merkmale der Klägerin anknüpfen. Zudem handelt es sich bei dem Oligarchen – seine Verantwortlichkeit unterstellt – nicht um einen Verfolger mit Territorialhoheit im Sinne des § 3c AsylG, zumal der armenische Staat grundsätzlich schutzwillig und schutzfähig ist (wie hier schon OVG MV, B.v. 6.1.2004 – 3 L 6/99 – juris Rn. 22, 34 f.), aber – wie alle Staaten – keinen lückenlosen Schutz bieten kann. Eine staatliche Verfolgung, eine Anknüpfung an Verfolgungsmerkmale oder sonst eine unmittelbar dem Staat zurechenbare Versagung von Schutz ist nicht erkennbar, auch nicht mit Blick auf eine etwaige spätere Bestrafung im Zusammenhang mit der verweigerten behaupteten polizeilichen Gegenüberstellung.
Gegen eine Schutzberechtigung nach Art. 16a Abs. 1 GG oder § 3 AsylG spricht aber auch, dass der Vortrag der Klägerin zu den Geschehnissen im Herkunftsstaat nicht widerspruchsfrei ist. Die von der Beklagten im angefochtenen Bescheid gehegten Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Klägerin haben sich auch nach dem Eindruck des Einzelrichters in der mündlichen Verhandlung und dem Ergebnis der eingeholten Auskünfte zur richterlichen Überzeugung im Sinne des § 108 VwGO verdichtet, dass die von der Klägerin geschilderten Geschehnisse trotz der weitgehenden Deckungsgleichheit mit dem Vorbringen ihrer Schwester sich so nicht zugetragen haben können:
Gegen ihre Glaubwürdigkeit spricht zunächst, dass die vorgelegten Ladungsschreiben vom 10./11. September 2014 (VG-Akte Bl. 51 ff.) unter dem Briefkopf der armenischen Polizei statt des dort seit dem zehn Tage nach dem 10. Juni 2014 [also spätestens seit dem 21. Juni 2014] gesetzlich eingerichteten unabhängigen Ermittlungskomitee ausgestellt sind. Damals und jetzt würden Vorermittlungen in Strafverfahren durch das Ermittlungskomitee durchgeführt, welches als unabhängige Behörde nicht der Polizei unterstellt sei. Daher dürfte diese Behörde auch nicht auf dem Briefkopf eines polizeilichen Schreibens stehen (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 11.1.2018, VG-Akte Bl. 107 f.). Soweit der Klägerbevollmächtigte verspätet einwandte, die Verordnung über das Ermittlungskomitee sei erst am 12. September 2014 erlassen worden, also nach dem Entführungsfall, dieses habe noch gar nicht tätig sein können, ist dies mit den von der Dolmetscherin in der mündlichen Verhandlung aus dem klägerseitig in Bezug genommenen Art. 51 des Gesetzes über die Ermittlungskomitees und den dortigen kurzen Errichtungsfristen von 20, 10 und 5 Tagen für dieses (insgesamt also etwas über einen Monat später und damit deutlich vor dem behaupteten Entführungsfall) nicht in Einklang zu bringen.
Dagegen spricht zweitens, dass Nachforschungen vor Ort keine Hinweise auf eine am 10. September 2014 verübte Kindesentführung erbracht haben und keine Erkenntnisse zu einer Kindesentführung in … im maßgeblichen Zeitpunkt ergeben haben (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 11.10.2017, VG-Akte Bl. 50 f.; Auswärtiges Amt, Auskunft vom 11.1.2018, VG-Akte Bl. 107 f.). Soweit der Klägerbevollmächtigte verspätet einwandte, es habe durchaus Kindesentführungen in … gegeben, beziehen sich die Angaben auf die Jahre 2015, 2016 und 2017 (armenisch-sprachiger Internetbericht zum ersten Quartal 2017; US State Department Trafficking in Persons Report 2017, S. 2/5 und 4/5 zu – im vorliegenden Fall nicht einschlägigen – Sex- und Arbeitssklaven; US State Department Länderbericht über Menschenrechtspraktiken 2016, S. 26 f./33); ein dezidierter Nachweis der hier behaupteten Kindesentführung liegt somit jedenfalls nicht vor.
Drittens spricht gegen die Plausibilität des Vorbringens, dass für eine Kindesentführung in der …-Straße (Gemeinde … von …) die Ermittlungen hierzu nicht von der Polizeistation der Gemeinde … in … geführt worden sein können, wie die Klägerin angegeben hat, sondern die Polizeistation bzw. Ermittlungsbehörde örtlich zuständig wäre, wo der Vorfall stattgefunden habe, also die Polizei bzw. Ermittlungsbehörde der Gemeinde … (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 11.10.2017, VG-Akte Bl. 50 f.), abgesehen davon, dass zum Tat- und zum Ermittlungszeitpunkt möglicherweise bereits das Ermittlungskomitee sachlich und örtlich zuständig gewesen wäre (vgl. oben).
Viertens spricht gegen die Echtheit der vorgelegten angeblichen Ladungsschreiben, dass die – getrennt vorzunehmende Empfangsbestätigung ggü. einem Postzusteller oder einem Kurier – sich hier auf dem Ladungsschreiben selbst befindet, der Beweis der Zustellung also entgegen armenischen Strafprozessrechts (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 11.10.2017, VG-Akte Bl. 50 f.; Auswärtiges Amt, Auskunft vom 11.1.2018, VG-Akte Bl. 107 f.) so nicht erbracht werden kann und für den Behördenverkehr letztlich wertlos ist. Dies gilt auch, soweit der Klägerbevollmächtigte zuletzt einwandte, der Klägerin sei die Ladung persönlich ausgehändigt worden. Selbst wenn diese nicht durch Dritte wie die Post zugestellt worden wäre, könnte die Polizei mangels Empfangsbekenntnis gerade keinen Ladungs- und Zugangsnachweis führen, weil ein auf dem in Händen des Zeugen befindlichen Ladungsschreiben selbst unterzeichnetes Empfangsbekenntnis nicht in den Polizeiakten dokumentiert wäre.
Abgesehen davon hat die Klägerin nicht plausibel dargelegt, warum jetzt noch nach dreieinhalb Jahren seit dem behaupteten Vorfall ein Nachstellungsinteresse des für die Entführung verantwortlichen Oligarchen vorliegen soll. Seine als Tatverdächtige inhaftierten Handlanger sind nach aller Lebenserfahrung entweder ohne Zutun der Klägerin (als Zeugin) abgeurteilt oder wegen Unerreichbarkeit der Zeuginnen aus Mangel an Beweisen freigelassen worden. Im ersten Fall wäre eine Verurteilung also nicht auf die Klägerin zurückzuführen sondern auf andere Beweismittel; im zweiten Fall hat der Hintermann sein Ziel erreicht, eine Zeugenaussage der Klägerin zu verhindern. Dass ein Ermittlungsverfahren, so es – wie klägerseitig vermutet – noch offen wäre und nach über drei Jahren wieder aufgenommen würde, erscheint ebenfalls nicht wahrscheinlich, zumal unstrittig die Zuständigkeit für die Ermittlungsverfahren betreffend Kindesentführungen im Jahr 2014 von der Polizei zum Ermittlungskomitee gewechselt hat. Die bisher zuständige Behörde dürfte im Zusammenhang mit dem Zuständigkeitswechsel möglicherweise ein Interesse an einem zeitnahen Abschluss des Verfahrens gehabt haben; die neu zuständige Behörde hingegen eher kein Interesse an dessen Wiederaufnahme. Dass die Klägerin in eine vergleichbare Gefahrenlage als Zeugin geriete, wie sie für das Jahr 2014 angibt, ist daher insgesamt zum heute entscheidungserheblichen Zeitpunkt nicht wahrscheinlich.
2. Die Klägerin hat auch (offensichtlich) keinen Anspruch auf die Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG.
Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt dabei auch die Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG). Die Art der Behandlung oder Bestrafung muss eine Schwere erreichen, die dem Schutzbereich des Art. 3 EMRK zuzuordnen ist und für den Fall, dass die Schlechtbehandlung von nichtstaatlichen Akteuren ausgeht, muss der Staat erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sein, Schutz zu gewähren (§ 4 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 3c Nr. 3 AsylG).
Gemessen an diesen Maßstäben hat die Klägerin keinen Anspruch auf die Gewährung subsidiären Schutzes. Ihr drohen im Fall der Rückkehr nur dann unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung, wenn sie noch als Zeugin im Strafverfahren gegen die o.g. Handlanger/Kindesentführer benötigt wird. Da sich die Klägerin jedoch über drei Jahre außerhalb ihres Herkunftsstaats befindet und das Auswärtige Amt (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 11.10.2017, VG-Akte Bl. 50 f.; Auswärtiges Amt, Auskunft vom 11.1.2018, VG-Akte Bl. 107 f.) zu Frage 1 mitgeteilt hat, Nachforschungen vor Ort hätten keine Hinweise auf eine am 10. September 2014 verübte Kindesentführung erbracht; es lägen keine Erkenntnisse zu einer Zeugenvernehmung im behaupteten Fall vor, ist nicht davon auszugehen, dass ein Strafverfahren gegen die Kindesentführer noch offen ist. Es kann dahinstehen, ob dieses möglicherweise eingestellt wäre in Folge des Zeitablaufs und der Unerreichbarkeit der Klägerin als Zeugin im Ausland. Dass derjenige, dessen Handlanger verdächtigt gewesen sein sollen, heute noch ein Interesse an einer Beeinflussung der Klägerin als Zeugin hätte und deswegen ihr landesweit Übergriffe drohten, ist daher nicht mehr plausibel. Abgesehen davon ist der armenische Staat im Allgemeinen willens und in der Lage, seine Staatsangehörigen vor privater Gewalt und strafbaren Handlungen zu schützen (vgl. OVG MV, B.v. 6.1.2004 – 3 L 6/99 – juris Rn. 35, 38; Auswärtiges Amt, Lagebericht Armenien vom 21.6.2017, S. 6 ff. zum heutigen Justiz- und Polizeiaufbau), wenn auch ein lückenloser Schutz nicht möglich ist bzw. kein Staatswesen einen lückenlosen Schutz vor Übergriffen Dritter zu gewährleisten vermag (vgl. BVerwG, U.v. 3.12.1985 – C 33/85 u.a. – BVerwGE 72, 269, juris Rn. 20).
So hat die Klägerin angegeben, sie sei wieder zum Ermittlungsrichter … gegangen und habe ihn gebeten, der Sache nachzugehen, wer sie telefonisch bedrohe. Ca. 2 Tage später habe sie ein Antwortschreiben bekommen, dass man Maßnahmen treffen würde, es herauszufinden, aber man hätte momentan keine konkreten Hinweise (ebenda Bl. 42). Sie habe die Polizei gebeten, ihr einen sicheren Aufenthalt innerhalb des Landes zu gewährleisten und sie habe einen neuen schriftlichen Antrag gestellt. Allerdings habe sie eine Antwort von dem Ermittlungsrichter bekommen, es könnten leider keine innerstaatlichen Schutzmaßnahmen gewährleistet werden aufgrund der fehlenden finanziellen Möglichkeiten (ebenda Bl. 42). Dies zeigt, dass der armenische Staat auch im Fall der Klägerin dem Grunde nach schutzwillig und schutzfähig ist. Das Institut des Zeugenschutzes ist zudem nach Auskunft des Auswärtigen Amts in der armenischen Strafgesetzgebung geregelt. Dass die Klägerin hiervon nicht begünstigt wurde, war offensichtlich eine Einzelfallentscheidung.
3. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG, da ihr bei einer Rückkehr nach Armenien nach Überzeugung des Gerichts keine unmenschliche Behandlung oder erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben i.S. des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG droht.
a) Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung liegt für die Klägerin nicht vor.
Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin Gefahr liefe, in Armenien auf derart schlechte humanitäre Bedingungen zu stoßen, dass die Abschiebung eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen würde, gibt es nicht. Hierbei ist zunächst zu berücksichtigen, dass der Klägerin keine soziale Isolation oder wirtschaftliche Verelendung im Sinne des § 60 Abs. 5 AufenthG droht, da sie nach eigenen Angaben als Lehrerin erwerbstätig war und erwerbsfähig ist sowie nicht ausgeschlossen ist, dass sie – sei es als Lehrerin oder sonst – wieder erwerbstätig sein kann.
Aber auch hinsichtlich der behaupteten Bedrohung durch Hintermänner einer Kindesentführung gilt das bereits Ausgeführte, wonach es nach über drei Jahren Abwesenheit nicht mehr plausibel erscheint, dass die Klägerin zum Einen heute noch als Zeugin für ein etwaiges strafrechtliches Ermittlungsverfahren gebraucht würde, zum Anderen heute noch von den Hintermännern bedroht würde, nachdem sie sich weiteren Vernehmungen und einer Gegenüberstellung durch Ausreise vor drei Jahren entzogen und so voraussichtlich das Ermittlungsverfahren zum Erliegen gebracht hat. Letztlich haben die etwaigen Bedroher so ihr Ziel erreicht, weil ohne die Klägerin – nach ihren Angaben als Hauptbelastungszeugin – eine Strafverfolgung der Verdächtigen aussichtslos wurde.
b) Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, da ihr bei einer Rückkehr nach Armenien nach Überzeugung des Gerichts keine erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben i.S. des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG auf Grund einer Erkrankung oder aus anderen Gründen droht.
4. Nachdem sich auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 1 AufenthG als rechtmäßig erweist, war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.